Mit dem Menschenrechtspreis zeichnet die deutsche Sektion von Amnesty International alle zwei Jahre Persönlichkeiten und Organisationen aus, die sich
„unter schwierigen Bedingungen für die Menschenrechte einsetzen“
und
„sich durch ein herausragendes Engagement für die Menschenrechte auszeichnen und andere inspirieren, es ihnen gleich zu tun“
(so die eigene Definition von Amnesty). In diesem Jahr ist die 16jährige Schwedin Greta Thunberg Preisträgerin. Nein, ich nenne sie nicht anbiedernd einfach Greta wie viele, deren Herz irgendwie von ihr berührt wird.
Was hat Greta Thunberg mit Menschenrechten zu tun? Und wo ist der Zusammenhang zwischen Klimaschutz und Menschenrechten?
Amnesty International führt zu dem Zusammenhang zwischen Klimaschutz und Menschenrechten auf der eigenen Internetseite aus:
Klimawandel bedroht alle Menschenrechte – bürgerliche und politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle. So haben alle Menschen ein Recht auf Leben und das Recht darauf, in Freiheit und Sicherheit zu leben. […] Doch das macht der Klimawandel für Milliarden von Menschen zunehmend unmöglich. Aber auch Menschenrechte, die menschenwürdige Lebensgrundlagen wie das Recht auf Gesundheit, das Recht auf Wohnen und das Recht auf Zugang zu sauberem Wasser und Hygiene schützen, sind betroffen. Folgen des Klimawandels beeinträchtigen gerade solche Rechte immer mehr. […] Staaten sind dazu verpflichtet, die Menschenrechte zu achten, zu schützen und zu verwirklichen. Sind diese Rechte gefährdet, so müssen Regierungen Maßnahmen zu ihrem Schutz ergreifen. Sie sind verpflichtet, die Freisetzung von Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren, um Menschenrechtsverletzungen durch die Klimakrise zu verhindern.
Bemühen wir einmal die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom Dezember 1948. Dort wird Klimaschutz nicht explizit erwähnt. Doch Menschenrechte sind dynamisch. Klimaschutz wird der inzwischen dritten Generation der Menschenrechte zugeordnet. Diese sind überwiegend bislang nicht in inter-nationalen Regelwerken niedergelegt und umfassen unter anderem die Rechte auf Frieden, sozioökonomische Entwicklung und saubere Umwelt, somit auch den Klimaschutz.
Das Ringen um Klimaschutz ist zu einer weltweiten Massenbewegung geworden. Eine Massenbewegung setzt Themen und braucht mehr als Argumente: Sie braucht Persönlichkeiten, Gesichter, Führer. Das einzige Gesicht der Klimabewegung heisst Greta Thunberg. Weder ihr Alter noch ihr Asperger-Syndrom sollten bei der Beurteilung der Person Greta Thunberg gewertet werden. Schauen wir allein auf ihren way of acting und ihre Gefolgschaft.
Greta Thunberg wird zur Ikone erhoben. Für manche ist sie eine Sendung, eine Fügung. Sie wird zur „Frau des Jahres“ in Schweden gewählt und erhält in Deutschland die „Goldene Kamera“. Die Band „The 1975“ vertont eine Rede von Greta Thunberg und holt sie dafür ins Studio. Mit einem Zettel „“Join the Climate Strike“, versehen mit dem Logo „Celebrate Laudato Si‘ on May 24“, steht sie in der Generalaudienz bei Papst Franziskus in der ersten Reihe und äußert sich danach freundlich über den Pontifex. Laudato si‚ (Gelobst seist du) ist der Titel der zweiten Enzyklika von Papst Franziskus.
Die Reden von Greta Thunberg wirken rund, perfekt, geschliffen und sind zeitlich exakt getimt. Doch Greta Thunberg ist keine Idealistin. Das Zusammenspiel von Auftreten, Rhetorik und Gesten trägt deutliche Elemente aus dem populistischen Werkzeugkasten:
- Sie nutzt Anaphern, also die gezielte Wiederholung von Worten oder ganzen Satzteilen
- Sie nutzt starke Metaphern wie „Our House in on fire“
- Sie vermeidet Verallgemeinerungen und nutzt dafür klare, direkte Ansprache: You. Me. We.
- Sie kennt nur zwei Kategorien: Gut und Böse und setzt so klare Feindbilder
- Sie schürt Angst
- Sie fordert Aktionen ausschließlich von „den Anderen“
Ja, Greta Thunberg und „Fridays for Future“ haben es erreicht, das Thema Klimaveränderung für junge Leute interessant zu machen. Dieses Thema hatte die Vorgängergeneration schon 1992 auf dem ersten Umweltgipfel besprochen – und seitdem verschlafen. Doch das ist nur eine Seite der Medaille: Da stehen Grundschüler vor den Portalen und stimmen ein in den Ruf „Kohle weg, das ist Dreck“, so, als hätten sie persönlich mit am Tisch des Kohlekompromisses gesessen. Christian Lindner hat das treffend kommentiert. Das Phänomen der Massenpsychologie hat Gustave Le Bon schon im 19. Jahrhundert treffend beschrieben. Seine Analysen finden bei „Fridays for Future“ ein Spiegelbild.
Es gibt Medien, die vergleichen die Klimaproteste bereits mit der Studentenbewegung der 1960er-Jahre, und Greta Thunberg steht für den zivilgesellschaftlichen Wandel im Bewusstsein wie einst Martin Luther King. Wie vermessen! Von der engagierten Jugend redet niemand von den Kosten, die jeder für eine konsequente Klimaumkehr zahlen werden muss. Sind die Jungen bereit dazu? Und niemand zieht ins Kalkül, wieviele engagierte Ideen am kräftezehrenden Ringen um praxistaugliche Kompromisse erst abgeklungen und dann versandet sind.
Nein, Ernst Ulrich von Weizsäcker: Greta Thunberg sollte nicht den Friedensnobelpreis bekommen. Sollte sie wirklich am 11. November um 11 Uhr als Preisträgerin verkündet werden, dann wird dieser Preis nach den bereits verfehlten Entscheidungen der Vergangenheit endgültig entwertet sein. Sapere aude!
Fotocredits: Greta Thunberg accepts the Amnesty International Ambassodor of Conscience Award from Kumi Naidoo at the Lisner Auditorium on Monday, September 16th, 2019. © Anthony Cole / Amnesty-Aktivistin auf der Fridays-for-Future-Kundgebung am 6. September 2019 in Berlin. © Amnesty International