Adressat unbekannt – so der Titel – der sichtbar, auf dem unscheinbaren Bild, mit einem Brief an eine deutsche Adresse gerichtet ist. Der Brief verrät durch seinen Stempel, dass sein Schreiber aus San Francisco kommt und dass der Brief schon sehr alt ist. 12. November 1932. 1932? Ein, zwei Gedanken weiter… also ein Buch über Antisemitismus. Ich fange an zu lesen.
Nach kurzer Orientierung stelle ich fest, dass hier ein sich wiederholender Schriftwechsel abgedruckt ist. Ist das spannend? Ich kenne weder die Leute noch habe ich von diesen je etwas gehört. Ich bin aber trotzdem neugierig und will die Briefe lesen, sind sie doch so voll Zuneigung zwischen zwei Menschen. Die ersten Briefe geben Orientierung. Ich weiß nun, wer was macht und wo wer wohnt. Jetzt könnte aber was passieren und in der Tat, der Tonfall ändert sich von jetzt auf gleich in den Briefen. Plötzlich stößt er durch die Erde, der Keim, von dem wir alle wissen, dass er zu einem Monster, ja zu einer Fratze des Bösen herangewachsen ist. Eine Fratze, die bis heute noch Leute in ihren Bann zieht, welche den Holocaust leugnen und damit wieder Mitläufer aus allen Gesellschaftsschichten findet. Dieser Keim scheint vor Kraft nur zu strotzen und er scheint auf nahrhaftem Boden zu stehen.
Jeder Brief wird schärfer. Wo ist die Zuneigung der Briefeschreiber geblieben? Sie waren doch Freunde, Geschäftspartner, die sich blind vertrauten. Nicht mal Belege über Buchungen wollte man voneinander sehen. Die Geldeingänge stimmen schon… und plötzlich will man keinen Kontakt mehr? Nicht nur, weil die Gefahr droht, entdeckt zu werden, wenn man mit einem Juden etwas zu tun hat, nein – aus Überzeugung! Welch ein Wandel, den der Leser hier über sich ergehen lassen muss und gegen den er nichts unternehmen kann. Ich selbst bin gefesselt, will aufschreien, warnen und meine Entrüstung öffentlich bekannt geben und kann und muss einfach das Buch doch einfach nur zu Ende lesen. Bis das Ende eingeleitet wird – Adressat unbekannt – ein Brief kommt zurück. Und doch wird es hier genau noch einmal spannend. Denn es wird noch ein weiterer Brief mit dem Stempel „Adressat unbekannt“ zurück gesendet in das freie Amerika. Der Brief, der an Martin gerichtet war, die Person, die mit einem Juden sehr gut und eng befreundet war und gute Geschäfte machte und dann nicht mehr liberal auftrat, sondern die NS-Zeit gelebt hat und voller Überzeugung war.
Zu viele haben damals weg geschaut. Doch hätte ich meine Stimme zu dieser Zeit damals erhoben? Wäre ich mutig genug gewesen?
Es gibt auch heute noch diesen Keim, der in der Erde schlummert und nur auf etwas Wasser wartet, um dann empor zu sprießen. Darum: Wehret den Anfängen und tauscht den Samen aus! Denn nur wer Liebe sät, wird diese mit Gerechtigkeit gekreuzt ernten.
Autor: Holger Micklitza Graf von Andechs