Muss es sein, dass eine um 19 Uhr angekündigte Veranstaltung wie selbstverständlich ohne Erklärung 20 Minuten später beginnt? Ich habe andere Maßstäbe gelernt, gehöre damit wohl zu einer im Aussterben begriffenen Spezies Mensch. Als Zuhörer verärgert mich so ein Verhalten zutiefst. Daher verzichte ich auf das übliche Autoreninterview.
In der für Lesungen so wunderbaren Atmosphäre im Kellergewölbe des Poniatowski stellt Paulina Schulz ihre Erzählung „Das Eiland“ vor. Angekündigt ist ein Text „über Liebe, Schmerz und unerträgliche Sehnsucht“, übernommen aus dem Prospekt des Freiraum-Verlages. Einleitend stellt die Autorin klar, dies erwecke den falschen Eindruck einer Liebesgeschichte. Vielmehr gehe es um die „Suche nach Identität“, verkörpert durch die pubertären Erlebnisse des Protagonisten John und die Fortsetzung einige Jahre später.
Paulina Schulz liest Passagen, die mir teilweise schon aus dem Internet bekannt sind. Mein Eindruck verfestigt sich: Die detailreiche und zugleich nicht greifbare Schilderung von Charakteren und Handlungen bleibt mir fremd. Es entstehen keine Bilder. Ich habe mich an vielen Stellen gefragt: Wann passiert denn nun endlich etwas? Und gibt es hier eigentlich gar keine direkte Rede? Völlig verstörend war für mich die ausschweifende und belehrende Schilderung verschiedener Formen des Zwillingskultes mit Ausflügen zum Voodoo, ohne dass ein direkter Zusammenhang zu den vorherigen Passagen erkennbar war.
Vielleicht lag es ja nur an der Auswahl der Textstellen. Mich hat dieser Appetithappen nicht neugierig gemacht. Es waren lange 40 Minuten.
Paulina Schulz, Das Eiland. freiraum-verlag, 2014.