Wie tolerant ist Leipzig? Kann Thilo Sarrazin seine Thesen ungestört erläutern? In den letzten Wochen war ihm nicht bei allen Auftritten das Recht der freien Rede vergönnt gewesen. Sollte er klammen Herzens auf das „Blaue Sofa“ gekommen sein, so konnte er gestärkt mit sechs Mann Begleitung zum nächsten Buchmesse-Termin eilen. Leipzig war nicht nur tolerant: Großer Applaus bei der Vorstellung und nach 25 Minuten Sendung, kein Zwischenruf, keine Empörung. Sarrazins Gegenpart mit dem journalistischen Schwergewicht Wolfgang Herles konnte den umstrittenen Gast nur kurzfristig verunsichern.
Auch Herles versuchte Sarrazins Axiome durch den Erfolg des Buches ad absurdum zu führen. Sarrazin wankte kurz, beharrte aber darauf, dass der Kreis des „Denkbaren und Sagbaren“ in Deutschland kleiner werde. Das Buch sei trotz großer persönlicher Opfer und Einschränkungen keine „Causa Sarrazin“. An der Medienschelte hielt Sarrazin unbeirrbar fest: Die Medienmehrheit zwinge den Bürgern mit gezielter Desinformation eine bestimmte Weltsicht auf. Und auch die Richtung hat Sarrazin, der seit 1973 SPD-Mitglied ist, klar ausgemacht: Die meisten Medienschaffenden, so Sarrazin, stünden in ihrer politischen Einstellung erheblich weiter links als die Mehrheit der Bevölkerung, was Wahluntersuchungen bestätigten.
Sarrazin argumentiert auch in Leipzig mit seinem Lieblingssektor Bildung. Alle bestehenden Unterschiede sollten ideologisch eingeebnet werden, natürliche Begabungsunterschiede würden ignoriert und ein Leistungsrabatt bei Schwachen sei schon selbstverständlich. „Man muss doch zugestehen, dass es manche auch bei intensiver Förderung nicht schaffen.“ Unvermeidlich, dass Sarrazin Leistungsunterschiede nach Nationalitäten gegeneinander aufrechnet: Vietnamesen und Russen zeigten die höchste Bildungsleistung, Türken und Araber stünden am Ende der Skala.
Niemand widerspricht oder ruft dazwischen. Beim Signieren seiner Bücher erhält Sarrazin in Gesprächsfetzen viel Zustimmung, und das nicht nur aus der Kriegsgeneration.