Der Charme des Abends sprudelt aus zwei Quellen: Der Lesung von Autor Wolf Schmid. Und dem Ambiente der Kneipe Dr. Seltsam. Sie bildet den passendsten Rahmen, den es für einen Roman über Fahrradkuriere wohl geben kann, denn sie ist tagsüber eine Selbsthilfewerkstatt für Radfahrer und abends eben Kneipe. Folglich hängen Fahrräder von der Decke des heruntergekommenen Gebäudes. Die Wand mit den Werkzeugen, mit warmem Licht angestrahlt, wird zum Hintergrund für Schmids Geschichte, wie es sich kein Fotograf besser wünschen könnte.
Schmids Fangemeinde ist bereits vor Ort: Die Radkuriere Leipzigs, welche die Veröffentlichung des Buches im Herbst vergangenen Jahres bereits ersehnt hatten. „Wir wussten aus einem Internetforum davon, in dem Schmid Hamburger Kuriere darum bat, zu checken, ob die Orte in der Hansestadt noch so stimmen“, erzählt einer, der bis vor drei Jahren noch selbst Kurier war. Und auch Schmid ist ein Ex-Kurier: „Ich fuhr während des Studiums in Hamburg und danach noch eine Weile professionell in München“, so der 39-Jährige. Schmid hat beim Eichborn-Verlag volontiert, Ethnologie und Allgemeine Rhetorik studiert und war unter anderem Buchhändler und Messebauer. Seit 2009 lebt er in Lissabon und arbeitet in einem Call-Center, wo die Kunden eines Schweizer Telekommunikations-Unternehmens betreut werden. Er weiß also, wovon er schreibt, wenn es um prekäre Jobs geht.
Auch sein Verlag ist – noch – eine prekäre Angelegenheit. Der Liesmich-Verlag ist frisch gegründet, der Pedalpiloten-Roman ist die erste Veröffentlichung überhaupt. „Ich freue mich, dass das Interesse immer noch anhält. Seit Herbst bringen wir uns immer wieder ins Gespräch“, so Verleger Karsten Möckel, der hart am PR-Rad dreht und alle möglichen Medien dazu gebracht hat, auf den Wagen aufzuspringen. Die Verkäufe sind dem Aufwand allerdings noch nicht nachgekommen. Bisher sind etwa 800 Stück verkauft. Klingt wenig. Ist aber für einen doppelten Erstling ein beachtlicher Erfolg. „Ich habe mich bewusst für diesen Verlag entschieden, weil ich nicht an große Verlage schreiben und ein halbes Jahr auf Antwort warten wollte“, sagt Schmid. Nun boxen sie sich eben zusammen durch, der Autor und der Neuverlag.
Schmid hat im Rahmen der Buchmesse eine Reihe von Lesungen absolviert. Aber richtig zu Hause ist er im Dr. Seltsam, wo das Buch zur Veröffentlichung präsentiert wurde. Schmid erntet viele Lacher und Zwischenrufe. Ihm gelingt es, bei der Lesung nur wenig von der Geschichte preiszugeben. Und Schmid erklärt den Kurier-Slang: „Beim offenen Funk muss man die Touren ersteigern und sich gegenseitig in der Zeit, in der man die Tour fahren kann, unterbieten. Gibt´s so was in Leipzig?“ Gibt es nicht.
„Hier gibt es zwei große Kurierbuden, und die fahren meist feste Touren“, erzählt der Ex-Kurier. Er sah es immer so, dass er für das Radfahren bezahlt wurde. „In seinem Kopf klackerte permanent eine Zähluhr, die Monats- und Tagesumsatz, den gegenwärtigen Stundenlohn und Gewinn anzeigte, Ausgaben aufaddierte und Alarm schlug, wenn er vom Haben ins Soll rutschte“, heißt es im Roman. Die Leipziger Kuriere kennen das nur zu gut. Verleger Möckel versucht derweil Bücher zu verkaufen. „Es kostet 15 Euro. Das ist verdammt viel Geld für einen Kurier. Das hat mir damals den Kühlschrank voll gemacht“, erzählt der Ex-Fahrer. Und so bleibt Möckel an diesem Abend auf den Romanen sitzen.
Vielen Dank für den Text an Eva Maria Kasimir!