Rezension: Katja Petrowskaja, Vielleicht Esther

Das Buch beginnt schleppend. Die Autorin bricht auf zu einer Reise ins Ungewisse und ist voller Erwartungen. Ihr Ausgangspunkt ist Berlin. Nach den ersten Seiten verspüre ich noch keine richtige Leselust. Doch je mehr ich über ihre Familie erfahre, desto mehr packt mich das Lesevergnügen.

Quelle: www.suhrkamp.de
Quelle: www.suhrkamp.de

Ein Kinderlied auf den Spuren der Ahnen
Das Buch lebt von Höhen und Tiefen. Eine ganze Reihe von Seiten beginnen vielversprechend. So findet die Autorin beispielsweise ein Telefonbuch, das sie dazu anregt, nach den Geschwistern ihres Großvaters zu suchen. Doch dann geht die Phantasie mit Katja Petrowskaja durch. Hatten ihre Großeltern eine Bank oder waren ihre Nachkommen sogar die Sänger von Velvet Underground? Arbeiteten sie vielleicht in einer Schuhmanufaktur oder in einer Knopffabrik? Katja Petrowskaja kommt zu dem Schluss, dass sie schließlich auch arbeiten müssen. Als Leser erwartet man eher realistische Vorstellungen. Schließlich endet das Kapitel mit dem berühmten Kinderlied von Hannes, der hier Joe heißt, und in einer Knopffabrik arbeitet. Das regt nicht wirklich zum Weiterlesen an.

Taubstumme Kinder in Warschau
Es dauert viele quälende Seiten, bis mich das Buch zum ersten Mal berührt. Katja Petrowskaja erzählt von ihren Vorfahren, die sich rührend um Waisenkinder in Warschau kümmerten. Sie gründeten Schulen für taubstumme Kinder. Herzergreifend empfand ich die Schilderungen über die Briefe der Eltern, die so voller tiefem Dank darüber waren, dass ihre vermeintlich taubstummen Kinder plötzlich jüdische und russische Worte sprechen und sogar Briefe verfassen konnten. Der Urgroßvater der Autorin galt als Heiler, obwohl er eigentlich nur Lehrer war und mit viel Geduld und Ausdauer auch taubstummen Kindern das Reden beibrachte. Jüdische Zeitungen feierten ihn als Helden, und man spürt deutlich, wie stolz die Autorin auf Urgroßvater ist.

Mein Fazit
Katja Petrowskaja ist auf der Suche nach ihren Ahnen. Mal ergreift mich das Buch, mal siecht es so dahin. Es kommt ganz darauf an, mit welchen Themen sich die Autorin beschäftigt. Über Dinge, die sie mit Stolz erfüllen, schreibt Katja Petrowskaja fesselnd und überzeugend. Leider kenne ich den Osten nicht persönlich. Ich war noch nie in Polen und in der Ukraine. Daher fehlt mir beim Lesen ein Stück Vorstellungskraft. Insgesamt hätte ich mir eine intensivere Beschreibung der Orte gewünscht.

Katja Petrowskaja, Vielleicht Esther
Suhrkamp, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Vielleicht-Esther-9783518465967
Autorin der Rezension: Carina Tietz