Rolf Bauerdick, geboren 1957 im Sauerland, studierte Germanistik und Katholische Theologie. Er arbeitet als Journalist und Fotograf und erhielt 2012 den Europäischen Buchpreis für seinen ersten Roman „Wie die Madonna auf den Mond kam“.
Vom Entwicklungsroman zur Agentenposse
Maik Kleine ist vierzehn, als er im Januar 1979 zusammen mit freigekauften politischen Häftlingen die Grenze von der DDR zur BRD in einem Bus überquert. Er hat keine Familie mehr und deshalb hatte ihn ein wohlmeinender Funktionär vor die Wahl gestellt, in der DDR in einem Heim zu leben oder zu seiner Tante nach Heidelberg überzusiedeln. (Mein, aus meiner Erfahrung als ehemalige DDR-Bürgerin und fünf Jahre später Ausgereisten, erwachsener Zweifel an diesem Akt eines Gutmenschen bestätigte sich im Laufe des Buches.) Doch auch in Heidelberg bei der Schwester seiner Mutter ist Maik kein Glück beschieden. So landet er schließlich doch in einem Internat, und zwar in einem katholischen, wo er, der Atheist, natürlich zunächst Anlaufschwierigkeiten hat. Doch er fügt sich ein, die Mitschüler und Lehrer sind human zu ihm, ein sympathischer Bruder nimmt sich seiner an. Maik hätte sicher auch das Abitur geschafft, wenn er nicht kurz zuvor dem Drang nachgegeben hätte, mit einem Zirkus, der gerade in der Stadt gastierte, weiterzuziehen. So wird die Zirkusfamilie seine neue Familie und der Zirkusdirektor fungiert als Ersatzvater.
Im ersten Teil des Buches wird zunächst abwechselnd aus dem Jahr 2007 und parallel aus dem Jahr 1978/79 erzählt. Tragische Vorkommnisse in Maiks Familie (der Vater starb – so vermutete nicht nur Maik lange – bei einem chemischen Experiment) scheinen miteinander verwoben zu sein. Diese wiederum führen zur Stasi und dem Zirkusdirektor, der in einer pittoresken Prozession zu Grabe getragen wurde und dessen Villa Maik „geerbt“ hat. Das Buch beginnt wie ein Entwicklungsroman, gespickt mit vielen Details, die ich aus meinem eigenen Leben in der DDR gut kannte. Und es hätte mir gefallen, hätte es der Autor dabei belassen. Doch Bauerdick hat Größeres vor. Nachdem weite Teile der Handlung im Zirkus spielen – ein Thema, das mich nicht so brennend interessierte – schlägt der Autor im letzten Drittel des Romans eine Volte zur Agentenposse, der manchmal schwer zu folgen ist. Es wird verwirrend. Viele berühmte Namen spielen eine Rolle. Was ist erfunden, was ist Realität? Ein Vexierspiel, das die Brücke zur Illusion der Zirkuswelt schlägt.
Mein Fazit: Viele Fragen und wenig Antworten
Wirklich glaubwürdig ist die Auflösung all der losen Enden nicht gelungen. Ich blieb unbefriedigt zurück. Hatte ich etwas übersehen oder nicht verstanden? Es hatte etwas Bemühtes, allzu Unglaubwürdiges an sich, wie der Autor die Verschwörungen und Scharaden zu erklären sucht. Viele Fragen bleiben bei mir offen: Warum hat Maiks Mutter keine Nachforschungen nach ihrem Sohn angestellt? Warum hat sie der Behauptung, er habe sich von ihr losgesagt, so kritiklos geglaubt? Und warum hat Maik selbst nicht früher Nachforschungen nach seiner Mutter angestellt? Trotz dieser Kritikpunkte und der vielen Wiederholungen empfehle ich das Buch weiter, nicht nur an Zirkusliebhaber und Stasierfahrene.
Rolf Bauerdick, Pakete an Frau Blech
DVA, München 2015
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Autorin der Rezension: Cornelia Lotter www.autorin-cornelia-lotter.de