Rezension: Shida Bazyar, Nachts ist es leise in Teheran

Vier Familienmitglieder, vier Jahrzehnte, vier unvergessliche Stimmen. Aufwühlend  und anrührend erzählt Shida Bazyar die Geschichte einer iranisch-deutschen Familie, die ihren Anfang 1979 in Teheran  nimmt und den Bogen spannt bis in die deutsche Gegenwart.

Mit diesen Worten beginnt der Klappentext dieses in vier Abschnitte gegliederten Romans. Wir lesen von Behsad, dem jungen linken Revolutionär, der in der mutigen, literaturbesessenen Nahid die Liebe seines Lebens findet. Wir lesen von der Flucht der Liebenden nach der Machtübernahme der Mullahs. Und von ihren Kindern, Laleh, Mo und Tara, die in Deutschland aufwachsen und zwischen den Welten zu Hause sind.

Im ersten Teil ergreift Behsad das Wort. Als junger Mann steht er während der Revolution in Teheran auf der Seite der Kommunisten und muss erleben, wie die Mullahs nach dem Fall des Schah-Regimes die Macht übernehmen. Mit bewegenden Worten schildert er, wie sich seine Freunde verändern und manche gar zu Feinden werden. Im nächsten Abschnitt berichtet seine Frau Nahid aus ihrer Sicht über die Flucht der Familie nach Deutschland. Zusammen mit ihren Kindern Laleh und Morad muss sie sich in einem fremden Land zurechtfinden, das für sie eigentlich nur eine Zwischenstation sein sollte. Doch die Nachrichten, welche die Familie aus dem Iran erreichen, lassen nicht auf eine baldige Besserung der Situation hoffen.

Teheran
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Jeweils weitere zehn Jahre später erzählen die inzwischen fast erwachsenen Kinder über ihr Leben. Noch immer lebt die Familie in Deutschland, doch immerhin ist nun ein Besuch in der alten Heimat möglich. Lalehs Bericht über diese Reise zeigt in bildhafter Sprache sowohl die Unterschiede als auch die Gemeinsamkeiten der Kulturen. Die Freude über ein glückliches Wiedersehen, die Unsicherheit angesichts fremder Konventionen und die Angst vor dem Verlust geliebter Menschen kennt wohl jeder auf dieser Welt.

Im letzten Abschnitt kommen Mo und Tara zu Wort. Mo erzählt von seiner Studentenzeit, die sich im Grunde kaum von der seiner Kommilitonen unterscheidet. Er sieht zwar manche Dinge aus einem anderen Blickwinkel, so kann er zum Beispiel den ständigen Demonstrationen  nicht viel abgewinnen. Am meisten stören ihn jedoch die Fragen nach seiner Herkunft. Künftig, so beschließt er, werde er einfach sagen, er sei Spanier oder Argentinier. Im Epilog kommt schließlich Tara, die jüngste Tochter, kurz zu Wort. Bereits in Deutschland geboren, scheint sie am ehesten  angekommen zu sein. Durch ihre Familie ist jedoch auch sie noch mit dem Iran verbunden.

Mein Fazit
Shida Bazyars Roman passt sehr gut  zur aktuellen Flüchtlingskrise. Zwar kennt man die Bilder aus den Kriegs- und Krisengebieten und versteht, was die Menschen zu ihrer verzweifelten Flucht zwingt. Was sie bewegt und worauf sie hoffen, bleibt uns jedoch meist verborgen. Die Autorin gibt einigen Verzweifelten eine Stimme und lässt sie in ergreifender und teilweise poetischer Sprache ihr Leben erzählen. Ich hoffe sehr, dass dieses Buch ein wenig zum gegenseitigen Verständnis beiträgt. Dem Klischee, dass es in einem Gottesstaat nur überzeugte Gläubige gibt, begegnet die Autorin mit  einem Satz, den sie Lalehs Onkel in den Mund legt:  „Religion ist Opium fürs Volk, aber dieses Volk braucht Opium, um vor der Religion zu flüchten.“

Shida Bazyar, Nachts ist es leise in Teheran
Kiepenheuer & Witsch, 2016
Die Autorin liest: https://www.youtube.com/watch?v=RDAmd4F2gvk
Autorin der Rezension: Petra Gugel