Rezension: Alexandra Friedmann, Besserland

Alexandra Friedmann wurde in Weißrussland geboren, bevor ihre Familie nach Europa übersiedelte. Die Autorin weiß, wovon sie spricht, wenn sie die Geschichte ihres Landes in den 1980er Jahren und die damit verbundenen Ängste, Nöte und Hoffnungen ihrer Landsleute erzählt. Dabei ist „Besserland“ ein Buch, das aktueller nicht sein könnte: Die laufenden Debatten um Russland, Migration und Integration schlagen hohe Wellen. Da ist es wichtig, verschiedene Perspektiven kennenzulernen, um sich eine solide Übersicht zu verschaffen und für die Bedürfnisse anderer Menschen offen sein zu können. Dieses Buch hat sicherlich das Potenzial, unser Verständnis für russische Auswanderer zu stärken.

Quelle: www.ullsteinbuchverlage.de
Quelle: ullsteinbuchverlage.de

Der Beginn einer großen Reise
Russland im Jahr 1987: Edik und Lena, die Eltern der fünfjährigen Sanja, wollen nach Amerika auswandern, um dort ein besseres Leben zu beginnen – fern von Armut, sozialen Ängsten, politischen Konflikten und schließlich auch weit weg von den Auswirkungen des in Tschernobyl explodierten Reaktors. Doch im Verlauf ihrer Reise beschließt die Familie, sich im viel näheren Deutschland niederzulassen, einem verheißungsvollen Land, in dem sie sich ebenfalls einen gelungenen Neuanfang vorstellen können. Der gutmütige Erik und die ambitionierte Lena, eine erfolgreiche Bauzeichnerin, müssen sich auf eine trickreiche Ausreise einlassen, die oft von anderen gesteuert wird. Dann gilt es für sie, Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede zu bekämpfen und mit den beengten Situationen in Asylheimen sowie den neuen Putzjobs zurechtzukommen. Doch vor allen Dingen müssen sie innerlich mit ihrer weitreichenden Entscheidung zurechtkommen. Letzteres fällt besonders Lena schwer, doch am Ende des Romans – und nachdem weitere Familienmitglieder ihnen gefolgt sind – ist Sanjas Familie auch mit dem Herzen in ihrer neuen Heimat angekommen.

Ein Hindernisparcours literarischer Art
Das Buch blieb leider weit hinter meinen Erwartungen zurück. Meine Begeisterung über den spannenden Inhalt wurde dadurch getrübt, dass Alexandra Friedmann vermeintlich witzige Wortspielereien, Satzkonstruktionen und Fingerzeige in ihr Werk einfließen lässt, die für mich nach der jeweils dritten Variante aufgrund der hohen Abnutzung deutlich an Charme verlieren. Noch bedauerlicher: Sie reißen mich als Leser immer wieder aus dem Inhalt. Gleichzeitig skizziert sie ihre Figuren recht oberflächlich, so erscheinen Sanja, Erik und Lena und all die anderen potentiell spannenden Figuren allzu blass. Zahlreiche in die Vergangenheit zurückblickende Anekdoten, die mitten in die gegenwärtige Handlung eingefügt wurden, sollen den Personen zwar mehr Tiefe verleihen, doch bleibt mir alles einfach zu glatt und rund: Der Vater ist durchgehend nett, die Mutter zerrissen zwischen dem alten und dem neuen Leben – das sind mir zu wenige Attribute, um Lenas anfängliche Trauer um ihre Ausreise wirklich packend mitzuerleben. Zudem unterbrechen die zahlreichen Erzählungen genau wie die ambitionierte Wortakrobatik den Fluss der Geschichte – was mehr als schade ist.

Aus der Sicht eines Kindes
Die größte Schwäche von „Besserland“ liegt nach meiner Auffassung in der Perspektive des Buches. An ihre eigene Biographie angelehnt erzählt die Autorin die Geschichte mit den Augen der fünfjährigen Sanja. Dabei vermischt Alexandra Friedmann die Sichtweisen immer wieder. So berichtet sie von Handlungen, Gefühlen und Gedanken anderer, die das Kind Sanja aber noch gar nicht kennen kann. Allenfalls in einer deutlich als Rückblick gekennzeichneten Geschichte hätte eine erwachsene Sanja diese Begebenheiten hören und wiedergeben können. Durch die Auswahl dieser Perspektive entwickelt sich für mich als Leser leider ein unglaubwürdiger, weil unlogisch konstruierter Abriss einer eigentlich sehr interessanten Geschichte.

Mein Fazit
Das Gute zuerst: Meine Kenntnisse über die russische Geschichte sind wirklich begrenzt und ich habe mich dahingehend von der Autorin tatsächlich „abgeholt“ gefühlt. Doch nun der bittere Nachgang: Alexandra Friedmann zieht all ihre Schreibkunstregister und will offensichtlich alles geben für diese Geschichte, die für sie selbst so emotional aufgeladen ist. Ich weiß jetzt, dass die Autorin wirklich schreiben kann – doch schießt sie weit über das Ziel hinaus, da das Gesamtbild ihres Werks an so vielen Stellen so gar nicht zusammenpassen will. Ich wünsche Frau Friedmann, dass sie ihre wunderbaren Ideen zukünftig gelungener umsetzen kann.

Alexandra Friedmann, Besserland
Graf Verlag, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Besserland-9783862200528
Link zur Autorin: http://www.alexandra-friedmann.com
Autorin der Rezension: Kathrin Demuth