Der Flügelschlag eines Schmetterlings könne an einem anderen Ort der Welt einen Tornado auslösen, sagt man. Doch wie viel stärker und unmittelbarer ist dieser Effekt, wenn die Entscheidung eines Einzelnen das Leben der Menschen um ihn herum direkt beeinflusst? Alain Claude Sulzer geht in seinem Roman „Aus den Fugen“ dieser Frage nach und zeigt, wie sehr die Schicksale völlig Fremder plötzlich miteinander verbunden sein können.
Ein Pianist, ein Konzert und viele Enden
Marek Olsberg wird als Pianist auf den klassischen Bühnen dieser Welt gefeiert. Er spielt in New York, London, Tokio, Wien, Amsterdam – und in Berlin. Immer begleitet von seiner treuen Assistentin Astrid Maurer, lebt er größtenteils aus dem Koffer in den besten Hotels der jeweiligen Städte. Eigentlich mag Olsberg sein Leben, doch mitten in der Hammersonate des Berlin-Konzerts bricht er ab, schließt den Klavierdeckel und verlässt den Saal mit den Worten „Das war‘s“. Unbemerkt verschwindet er anschließend in die Nacht, befreit aus seinem goldenen Käfig.
Olsbergs plötzlicher Entschluss ist der Auslöser für tiefgreifende Veränderungen bei vielen Menschen. Olsberg beschließt, seinem Leben eine neue Wendung zu geben. Esther, die viel früher nach Hause kommt als geplant, muss feststellen, dass ihr Ehemann nicht wie erwartet daheim ist. Johannes, der Wirtschaftsboss, verzichtet auf das Konzert, verbringt einen Abend mit Marina vom Escort-Service und erlebt eine Überraschung. Nico, der sich auf ein Treffen mit Olsberg freute, geht wegen eines Streits mit seinem Liebhaber dann doch eher ins Kino. All diesen Schicksalen ist eines gemeinsam: es genügt eine winzige Veränderung, und schon ist das Leben komplett aus den Fugen geraten.
Viele Stränge ergeben ein Ganzes
Sulzer erzählt die Ereignisse nicht stringent, sondern schildert die Schicksale aus der Sicht der jeweiligen Protagonisten. Dass dabei Zeitsprünge auftreten, ist logisch und macht die Geschichte umso reizvoller. Mit einer teilweise anspruchsvollen Sprache führt der Autor durch die verschiedenen Leben, verwebt sie zu einer schlüssigen Geschichte mit vielen Aspekten, die alle um eine einzige unerwartete Entscheidung kreisen.
Mein Fazit
„Aus den Fugen“ führt dem Leser vor Augen, dass er nicht allein lebt und dass Entscheidungen andere Menschen weit mehr beeinflussen können als angenommen. Jeder Protagonist ist in seinem Handeln schlüssig, und doch wollte ich so manches Mal in das Buch schlüpfen, um selbst etwas zu verändern. Lebendig erzählt, bleibt „Aus den Fugen“ trotzdem insgesamt eher an der Oberfläche der menschlichen Psyche und wird damit zu einem leichten Lesevergnügen für alle, die klassische Erzählungen schätzen.
Alain Claude Sulzer, Aus den Fugen
Galiani Berlin, 2012
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Autor der Rezension: Harry Pfliegl