Konzert von Angelo Kelly: Balsam für das Fehn. Und meine Entschuldigung an die Gemeinde.

Aus einer Stunde wurden 90 Minuten. Angelo Kelly mit Familie und Musikern hatten Rhauderfehn fest im Griff. Auf dem Weg zur Rathauswiese (die sicher ein besserer Platz war als der Marktplatz) erinnere ich mich an die Zeit, als ich die Kelly Family in Hannover als Straßenmusiker gehört habe. Das Hausboot lag vertäut auf dem Mittellandkanal. Die Kelly Family, verspottet als „singende Altkleidersammlung“, war mein zweites Live-Konzert nach ABBA. Im Oktober 2011 traf ich Jimmy Kelly als Straßenmusiker in der Fußgängerzone von Leipzig. Und nun höre ich, dreißig Jahre später, Angelo, den jüngsten Kelly-Sproß, mit seiner Familie. Nein, Fan bin ich nicht. Und ich bin generell schwer zu begeistern. Doch kann ich mich dem sprühenden Lebensfreude aller, die auf der Bühne stehen, nicht entziehen. Hoppla, ich kenne ja fast alle Texte. Und ich singe. Und mir kommen die Tränen, wenn der achtjährige Joseph singt, und wenn zum Abschluss „We shall overcome“ erklingt. Ich vergesse, dass ich doch eigentlich viele schöne Fotos machen wollte. Heute morgen summe ich die Melodien des Abends.

Nach diesem Konzert treten die Streitigkeiten , die offenen Fragen und der Zorn der vergangenen Woche in den Hintergrund. Jetzt ist es für mich nicht mehr relevant, ob die Gemeinde beim Kontakt mit dem Veranstalter Admirar in Dresden nicht doch hätte größere Sorgfalt walten lassen müssen. Jetzt ist es nicht mehr relevant, dass sich ein mögliches Fiasko eventuell schon am Wochenbeginn abgezeichnet hatte und die Gemeinde versucht hat, Sponsoren für eine Rettung der Konzerte einzuwerben. Mit einer unglaublichen Kraftanstrengung ist es gelungen, die Fehntjer Seele (weitgehend) zu besänftigen. Namentlich genannt seien Bürgermeister Geert Müller, Ordnungsamtsleiter Helwig Weber, Bühnenservice Volkmar Renken aus Edewecht, Silke Plaisir, die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr Westrhauderfehn und Burlage, die Malteser sowie Dutzende Helfer bei Aufbau, Technik und Sicherheit.

Das waren die geilsten und bewegendsten 90 Minuten Fehnjubiläum. Das war mein Rhauderfehn. Danke.

Und niemand spricht mehr von Otto.

© aller Fotos: Detlef M. Plaisier

Frühstück sucht Gast: ein nachdenklicher Sonntagmorgen auf dem Hof Meinders

Bauer oder Landwirt? Egal, meint Sabine Meinders. Hauptsache, man sei auf dem Hof „mit Herzblut“ bei der Sache. Das bescheinigt sie ihrem Mann Remmer und den Kindern, während sie selber eher den anderen den Rücken freihalte. Der Familienbetrieb hatte im Rahmen der Aktion „Frühstück sucht Gast“ zum Sonntag auf den Hof in Klostermoor geladen. Neben einem reichhaltigen Frühstück mit regionalen Produkten gabs für Erwachsene und Kinder eine Hofführung und im persönlichen Gespräch einige nachdenkliche Worte.

Hoftochter Bettina führt unsere Gruppe über das Gelände. Zur Zeit stehen 270 Milchkühe in den Ställen. Im Liegeboxenlaufstall sind vier LELY-Melkroboter im Einsatz. Zwischen zwei Melkvorgängen bei einer Kuh müssen mindestens sechs Stunden liegen. In zwei Tagen laufen 15.000 Liter Milch auf dem Hof in Klostermoor durch. Veränderungen in der Qualität der Milch werden am Computer angezeigt, erklärt Bettina Meinders. Oft kann das menschliche Auge diese Veränderungen gar nicht sehen.

Wie schwer die Arbeit auf dem Hof trotz moderner Technik ist, lassen diese Erklärungen nur erahnen. Sabine Meinders vertreibt mit ihren Worten die Hofromantik: „Der Stall muss abbezahlt werden, die Technik ist nicht auf dem neuesten Stand, und die Kinder möchten von diesem Hof auch einmal leben können. Zur Zeit arbeiten sie für 400 Euro im Monat.“ Wenn der Milchpreis noch einmal in den Keller gehe, sei die Existenz dahin. Selbst wenn der Verbraucher gern nach regionalen Produkten greife, sei nicht sicher, ob er auch den Preis dafür zahlen will.  Vertrauen in die Politik falle zunehmend schwer: „Man kann den Eindruck haben, dass eher Waren und Dienstleistungen aus dem Ausland gewünscht sind.“

Ich gehe nachdenklich nach zwei Stunden vom Hof. Mir fällt ein Transparent ein, das ich 2015 in Heßel gesehen und fotografiert habe:

 

https://www.fruehstueck-sucht-gast.info/
Alle Fotos:  © Detlef M. Plaisier

 

Fotoimpressionen: Großer Festumzug durch Ostrhauderfehn, 23. Juni 2019

Der Standpunkt am Erdenwerk Strenge war gut gewählt: Es gab Verpflegung mit Krintstuut, Kinnertöön und Buchweizenpfannkuchen, und die Zuschauer waren entspannt. Der Umzug machte dort 20 Minuten Pause (bei der Wärme gefühlt 40). Und welcher Umzug war nun besser, Westerfehn oder Osterfehn? Auf jeden Fall hatte auch Osterfehn die Straßen, Gärten und Wieken liebevoll geschmückt. Ich votiere für ein diplomatisches Unentschieden.

Alle Fotos: Detlef M. Plaisier & Sandra Gräfenstein

 

Fotoimpressionen: Rathausfest Rhauderfehn, 16. Juni 2019

Das Rathausfest Rhauderfehn war wie erhofft ein gelungenes Fest mit rund zehntausend Besuchern. Ich hatte mich mit meinem Stand der edition Kronzeugen an den Bücherstand des Heimatvereins Overledingerland im Museumshof angedockt – eine gute Wahl. So konnte ich die Aktivitäten des Fehn- und Schiffahrtsmuseums mit unterstützen. Mein Buch „Eine Geschichte der Ältesten“ fand großen Anklang und war schon am frühen Nachmittag komplett ausverkauft.  Der Museumshof erwies neben dem Bereich rund um das Rathaus als Besuchermagnet: Schon beim plattdeutschen Gottesdienst zum Auftakt des Rathausfestes mussten noch zusätzliche Sitzgelegenheiten gestellt werden. Bei der Preisverleihung zum Mal- und Zeichenwettbewerb wurde der Hof von quirligen Schulkindern geflutet. Die Freude war groß, als Museumsleiter Marcus Neumann die Überraschungspreise übergab. Mit Wehmut und großem Beifall verfolgten viele Besucher den letzten öffentlichen Auftritt der Volkstanzgruppe des Heimatvereins.

Da ich den Tag über kaum Gelegenheit hatte, den Stand zu verlassen und so nur wenig gesehen habe: Vielen Dank für den Fotospaziergang an Stefan Wiemker.

Plattdeutscher Gottesdienst

Wette zum Fokko-Lied

Einweihung Fehngründerstation

Bücherstand und edition Kronzeugen

Preisverleihung Mal- und Zeichenwettbewerb

Auftritt der Volkstanzgruppe

Besichtigung der „Twee Gebroeders“

Ehrengast Albrecht Weinberg

Dit und dat …

 

„LÖPPT! Mitnanner“: Junges Ehrenamt im Landkreis Leer auf Erfolgskurs

Tue Gutes und rede darüber. Selten galt dieses Wort nachdrücklicher als bei dem Bemühen, jungen Nachwuchs für die ehrenamtliche Arbeit in Vereinen zu finden. Der Landkreis Leer geht jetzt offensive Wege: Durch die Kampagne „LÖPPT! Mitnanner“ konnten schon mehrere Hundert Schüler und Jugendliche für das Ehrenamt sensibilisiert werden  – und die Ergebnisse sind erstaunlich.

„Mit der passenden Ansprache entstehen da völlig neue Ideen“, erklärte jetzt Rainer Bruns in einer Talkshow der Stabsstelle Ehrenamt des Landkreises Leer im Forum der Sparkasse LeerWittmund. Und das stecke selbst Schüler an, die schon ehrenamtlich aktiv seien. Der Leiter des Schulzentrums Collhusen war im Januar erster Gastgeber eines Workshops zum Thema Ehrenamt für 21 Schülerinnen und Schüler einer zehnten Klasse. Bruns fand aber auch kritische Worte: Zwar könne ehrenamtliches Engagment den Rückzug ins Private durch Social Media-Nutzung ein Stück zurückdrehen. Doch dann müssten die Angebote für junge Leute dynamischer gestaltet und einige Internetauftritte der Vereine „entstaubt“ werden.

Auch Torsten Janssen, Leiter an der BBS II, sieht positive Effekte für junge Leute durch ehrenamtliches Engagement – und lobt gleich „seine“ Schüler: „Wer sich engagiert, kann auch andere begeistern. Und kreative Köpfe wachsen bei uns ständig nach.“ Von rund 2.500 Schülerinnen und Schülern der BBS II seien über eintausend schon durch Schulungen und Workshops zum Ehrenamt erreicht worden. Wie sehr Arbeitgeber vom ehrenamtlichen Einsatz profitieren können, betonte Mara Többens aus der Geschäftsführung der Kaufhausgruppe Ceka. „Unser Familienunternehmen braucht Mitarbeiter mit Charakter. Wer sich ehrenamtlich engagiert, erweist sich im Berufsalltag oft teamfähiger als andere.“

Das Erfolgsrezept des Landkreises Leer wird demnächst durch die Sparkasse LeerWittmund honoriert: Vorstandsvorsitzender Heinz Feldmann kündigte an, sein Haus werde ein „Blinkfüür“ speziell für junge Menschen im Ehrenamt dotieren. Das Geschenk hatte er in einem Gespräch gemeinsam mit Landrat Matthias Groote eingefädelt. Löppt!

https://ehrenamt.landkreis-leer.de/Angebote/L%C3%B6ppt-Mitnanner/

„Jugend rettet“: Seenotmission im Mittelmeer. Warum Humanismus den rechten Hass besiegt

Ehrenamtliches Engagement hat viele Ausprägungen. Eine der waghalsigsten ist es,  über eine Crowdfunding-Kampagne einen umgebauten Fischkutter zu kaufen und sich mit dem auf „Iuventa“ (lateinisch für Jugend) getauften Schiff auf eine Mission zur Seenotrettung ins Mittelmeer zu begeben; so geschehen im Herbst 2015 durch die Berliner Initiative „Jugend rettet“ als Reaktion auf den Tod von mehr als 800 Flüchlingen durch ein Bootsunglück im Mittelmeer (ja, der Begriff „Flüchtlingskrise“ ist legitim, wenn man ihn über den eigenen Tellerrand hinaus in einen größeren Kontext stellt).

Viele der jungen Aktivisten von „Jugend rettet“ hatten noch nie zuvor ein Fernglas in der Hand, ihre Erste Hilfe-Kenntnisse waren nur rudimentär vorhanden. Eines der wenigen Besatzungsmitglieder mit einsatzrelevanten Vorkenntnissen war der nautische Offizier Jonas Buja, Absolvent der Leeraner Seefahrtsschule. Er fuhr in knapp zwei Jahren fünf Einsätze auf der „Iuventa“ mit, davon dreimal als Erster Offizier, zweimal als Kapitän. Heute tourt Jonas Buja mit dem Dokumentarfilm „Iuventa“ durch die Republik und berichtet eindrucksvoll vom Leben an Bord, aber auch vom erzwungenen politischen Scheitern der Mission. In Leer war er in den „Leeraner Gesprächen“ zu Gast, an seiner Seite Ulf Thiele, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag.

Auf Thieles Facebook-Profil hatten Kommentatoren im Vorfeld gefordert, man möge die jungen Aktivisten mitsamt den Geretteten „torpedieren“. Ein Anhänger dieser Denkweise gab sich dann auch im Publikum zu erkennen, beschuldigte die Crew-Mitglieder als „kriminelle Schlepper“, die dem Menschenhandel Vorschub leisteten. Schlißlich hätten die Menschen in den Booten ihre Lage selbst verschuldet, sie seien somit keine Flüchtlinge und ihre Lage sei nicht mit Seenot gleichzusetzen. Auf dem Flur legte er noch nach: Die „Männer auf Afrika“ würden uns bald „allen die Kehle durchschneiden“.

Voller Geldkoffer – full money bag

Die Antwort aus dem Publikum war eindeutig. Ulf Thiele gab dem eine Stimme: „Schlepper sind allein die, die Leben gefährden und daran verdienen.“ Das dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass selbst mit ehrenamtlicher Seenotrettung „nur ein Symptom“ bekämpft werde, man müsse das „staatliche Versagen “ hier deutlich benennen.  Und jeder, der laut auftrumpfe, solle sich darüber klar sein, dass globale Entwicklungspolitik eben nicht allein „mit prall gefüllten Geldkoffern“ zu managen sei.

Ich bin nun sicher nicht als Anhänger der Christdemokraten bekannt. Was ich schätze, ist ein demokratischer Diskurs in gegenseitigem Respekt. Und da habe ich mich bei den „Leeraner Gesprächen“ mit Ulf Thiele unter einer klaren Mehrheit von CDU-Mitgliedern bestens aufgehoben gefühlt. Es tut gut, sich unter Menschen zu wissen, vor denen ich mein christlich-humanistisches Grundverständnis nicht rechtfertigen muss. Danke! Und genau dieses stille Einverständnis macht mich zuversichtlich, dass der rechte Hass auf Dauer nur eine hässliche Fußnote bleiben und es immer wieder Menschen wie Jonas Buja geben wird, die verantwortlich handeln aus dem Herzen heraus.

https://jugendrettet.org/en/

Fotocredit: © Cesar Dezfuli; Jugend rettet; Fotolia / Bildagentur-o

Eingetaucht: Besuch auf dem Stammhof meiner Familie

Gestern habe ich für eine Stunde das Rad der Familiengeschichte für mehr als 600 Jahre zurückgedreht. In Bad Zwischenahner Ortsteil Halfstede an der Wiefelsteder Straße steht der Stammhof der Familie Oeltjen. Doch was hat Oeltjen mit Plaisier zu tun?

Es gibt eine Legende um den Namen Plaisier. Sie besagt, dass der Ursprung bei hugenottischen Glaubensflüchtlingen liegt, die nach dem schrecklichen Massaker der Bartholomäusnacht am 24. August 1572 in Deutschland Schutz fanden und sich in Ostfriesland ansiedelten. Zugegeben, eine schöne Legende, die ich aber im Laufe meiner Familienfoschung zerstören musste. Es deuten keine Spuren in Richtung Frankreich – und doch hat der Name Plaisier etwas mit Frankreich zu tun.

Ostfriesland und die Niederlande litten zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter der französischen Besatzungsmacht. Mit kaiserlichem Dekret vom 18. August 1811 verfügte Napoleon für diese Gebiete, dass alle Untertanen, die noch nicht über einen Familiennamen und einen festen Vornamen verfügten, innerhalb eines Jahres an ihrem Wohnort eine entsprechende Erklärung abgeben sollten.

Die Einwohner Ostfrieslands wiedersetzten sich dem kaiserlichen Willen auf ihre Art: Sie wählten nicht den seit Generationen gebräuchlichen Zweitnamen, sondern entschieden sich vielfach für lächerliche Namen oder Fantasienamen. So nannten sich Einwohner im Amt Stickhausen beispielsweise Nett, Hübsch, Liebe oder Snuitje (Schnäuzchen).

„Namensgeber“ des Familiennamens Plaisier ist Johann Oeltjen, geb. am 2. April 1778 in Elmendorf (jetzt Bad Zwischenahn). Dies ist belegt durch den Taufeintrag seines Sohnes Johan Garrelts Oeltien vom 6. Dezember 1799 in Detern. Der Eintrag trägt den Zusatz „später Plaisier“.

Wie es gerade zu den Namen Plaisier gekommen ist, lässt sich nur vermuten. Wahrscheinlich entspringt auch diese Namenswahl der Verärgerung über das Namensdekret, zumal ja bereits mit Oeltien ein fester Familienname bestand; etwa dergestalt: Es ist uns eine große Freude = plesär, plaisi(e)r, dass die Franzosen unsere Besatzer sind.

Die Liste der von Napoleon verfügten Namensannahmen ist vom Amt Stickhausen nicht mehr erhalten. Es existiert aber noch die Liste, in der die Namensannahmen bestätigt werden. Sie stammt aus dem Jahr 1857. Hier bestätigt Wilhelm Plaisier, geb. 16. August 1812, den angenommenen Familiennamen Plaisier. Der Namensgeber, sein Vater Johann Oeltien, war bereits 1833 verstorben.

Der Name Oeltjen kommt im Nordwesten Deutschlands in verschiedenen Schreibweisen vor: Olteke, Oeltien, Öltjen. Die älteste bekannte Urkunde datiert vom 17. März 1423. Hierin bezeugt Graf Dietrich von Oldenburg eine Stiftung, darunter eine Mark aus dem Gut des Frederic Mule in Hallerstede, das bewohnt wurde von dem Meier Olteke und seiner Frau Gheseke. Genau diese Hofstelle habe ich besucht, denn Hallerstede heißt heute Halfstede.

Der älteste bekannte Vorfahr der Ahnenreihe Oltien/Plaisier ist Carsten Oltken, geb. um 1639. Er heirate 1673 in Rastede, siedelte sich aber im Kirchspiel Zwischenahn an. Er und seine Nachkommen waren Heuerleute in den Bauerndörfern am Ufer des Zwischenahner Meeres, in Aschhausen, Aschhauserfeld, Helle, Langebrügge, Elmendorf und Rostrup. Woher Carsten kam, ist in den Kichenbüchern nicht nachvollziehbar. Dass er direkt mit dem Stammhof in Halfstede zusammenhängt, ist unwahrscheinlich, da dort der Vorname Carsten nicht vorkam. Gesichert ist eine Herkunft aus Halfstede zwei Generationen später durch Gesche, Ehefrau des Heuermanns Carsten Oeltjen, geb. 1709 in Aschhauserfeld. Ihr Vater Lüder Oeltjen wurde 1663 auf dem Stammhof geboren.

„Johann Oltken Anno 1695“ weist der Balken über dem großen Eingangstor aus. Einige der Balken in der Scheune sind noch aus dem Originalbaujahr erhalten. Im Spieker, der langsam zerfällt, ist an einem Balken das Jahr 1763 eingeritzt.

Es ist ein besonderes Erlebnis, diese Wurzeln noch sehen zu können. Ich bin dafür sehr dankbar.

Zur ostfriesischen Namensgebung:
www.kulturportalweserems.de/index.php/kulturelleserbeostfriesland/113-ostfrkemenschen/2765-ostfrieslands-aeltestes-kulturgut-namen-und-namengebung-2
Zu den Oeltjes aus Halfstede:
www.familienkunde-oldenburg.de/wp-content/uploads/of/of_39_1-2.pdf

Alle Fotos: Detlef M. Plaisier

Ehrenamtsmesse Winschoten: … und plötzlich wird daraus ein Politikum

UPDATE 28. Juni 2018
Ich habe in den letzten drei Tagen viele Gespräche geführt.  Ich habe mich über das Thema Konzentrationslager und Polen informiert; so kompakt, wie ich es trotz meiner intensiven Beschäftigung mit der NS-Zeit noch nie zuvor getan habe.

Der Ausdruck „polnisches Konzentrationslager“ in meinem Beitrag war von Beginn an geographisch gemeint. Nie habe ich damit den Bezug zu einem von Polen errichteten oder betriebenen Konzentrationslager herstellen wollen.

Jetzt höre ich die Stimmen: Ah, er knickt ein. Er will doch nur weiter nach Polen einreisen können. Ja, ich ziehe diese Passage zurück, habe sie korrigiert und entschuldige mich dafür. Und das, weil ich einen Fehler gemacht habe. Ja, es gab von Polen betriebene Lager auf polnischem Boden. Dies waren jedoch Internierungslager, z.B. in Lamsdorf/Łambinowice. Es gab jedoch keine polnischen Vernichtungslager. Dieser Terminus ist falsch. Ich bedaure das. Das speziell von mir angesprochene Lager Sobibor wurde Anfang 1942 während der deutschen Besatzung Polens auf polnischem Boden von Deutschen errichtet.

Ich danke dem Polnischen Institut Leipzig für die Aufklärung zur Faktenlage. Eines bleibt für mich jedoch bestehen: Ich verurteile scharf die Einmischung einer regierungsnahen polnischen Organisation über die Grenzen hinweg. Ich habe dies dem deutschen Außenministerium mitgeteilt.


Ich mag Polen. Das Restaurant „Poniatowski“ war in Leipzig mein zweites Wohnzimmer. Mit großem Herzen habe ich mich für den Erhalt des Polnischen Institutes Leipzig eingesetzt. Aber was mir heute widerfahren ist, das behagt mir gar nicht.

Ich erhalte eine Mail mit hoher Dringlichkeit von Mira Wszelaka, Chairman of the Polish League Against Defamation (Polnische Liga gegen Diffamierung). Dort heißt es:

We are writing in order to draw your attention to the fact that the gravely false and highly defamatory statement „polnische vernichtungslager“ is being used in your article.

There were only camps established by Germany in German-occupied Poland.

The proper reference to the German camps therefore is as follows:

  • Deutsche Lager im deutsch besetzten Polen
  • Deutsche Nazi-Lager im von Deutschen besetzten Polen
  • Deutsche Lager im von den Nazis besetzten Polen
  • Nazi-Lager im deutsch besetzten Polen

We do call you for correction.

Also, dass muss man sich mal ganz langsam klarmachen: Da sitzt eine Organisation in Polen und lässt einen Filter über meinen Blog laufen. Der meldet ein Suchwort, und ich bekomme Post. Erinnert ja irgendwie an Geheimdienst.

Und so weit entfernt ist das auch nicht. Die Polish League Againt Defamation steht der nationalkonservativen polnischen Regierungspartei PiS nahe. Verschiedene Organisationen bezeichnen die League Against Defamation als nationalistisch. Schon mehrfach ist die Liga durch spektakuläre Aktionen aufgefallen:

The Polish League Against Defamation recently [June 2017] sent a letter to Jan Grabowski’s employer, the University of Ottawa, to complain that the historian is engaged in ‚anti-Polish activities‘ that ‚defame the Polish nation‘. Grabowski’s research, for which he has been awarded Yad Vashem’s International Book Prize. focuses on crimes committed by Poles against Jews during WWII. The letter (which you can read here goo.gl/yk0zOB) was also sent to all publishers that have issued his books. The letter was signed by 134 academics – not one of whom was a specialist in the history of the Holocaust or related areas.

2010 verwendete die Bundeszentrale für politische Bildung in dem Buch Jüdisches Leben in Deutschland den Begriff „polnische Konzentrationslager“. Auf Intervention des polnischen Außenministeriums sagte die Bundeszentrale zu, die komplette Auflage von 800.000 Exemplaren aus dem Handel zu nehmen.

Wie reagiere ich? Nun, ich nehme das zur Kenntnis und lasse den Artikel weiterhin unverändert bestehen. Die Diskussion ist eröffnet. Wer mag, melde sich zu Wort. Wie ich zu erreichen bin, ist ja leicht herauszufinden. Mal sehen, ob weitere Post aus Polen kommt.

Projekt deutsch-holländische Ehrenamtsmesse: Aller Anfang ist schwer

Nach dem Erfolg der ersten Leeraner Ehrenamtsmesse im November 2017 mit über 70 Ausstellern reifte in der Stabsstelle Ehrenamt des Landkreises Leer die Idee zu einem Pilotprojekt: Gemeinsam mit der jungen Gemeente Oldambt wurde die erste grenzüberschreitende deutsch-holländische Messe für das Ehrenamt konzipiert. Dass am 23. Juni 2018 übersichtliche 30 Vereine und Initiativen in die Sporthalle Winschoten kamen, ist nur auf den ersten Blick enttäuschend.

In den Niederlanden verbringen Menschen durchschnittlich zwei Stunden pro Woche mit unterschiedlichen Formen ehrenamtlchen Engagements für die Gemeinschaft. Seit 2011 absolviert jede Schülerin und jeder Schüler in der niederländischen Sekundarstufe ein Praktikum in der Gemeinwesenarbeit von mindestens 30 Stunden pro Jahr. Der Aufruf von König Willem-Alexander aus dem Jahr 2014, die Bürger mögen angesichts der öffentlichen Haushaltslage mehr Eigenverantwortung übernehmen, hat noch einmal zu einem positiven Schub geführt.
„Wir leben Europa“, sagt Monika Fricke, Leiterin der Stabstelle Ehrenamt beim Landkreis Leer, selbstbewußt und ein bisschen trotzig beim Blick auf die Ausstellertische in der Sporthalle von Winschoten. „Doch das braucht Geduld.“ Und so ist jetzt schon klar, dass mit der Auswertung der ersten Partnermesse die Planungen für die nächste Auflage beginnen werden.
Mich hat beim Rundgang vor allem die Vielfalt der sozialen Projekte des Nachbarn beeindruckt. Das Sociaal Werk Oldambt hilft mit der Stichting Voedselbank (ähnlich den deutschen Tafeln) und der Stichting Azuur Menschen, die auf oder unter der Armutsgrenze leben, und das praktisch im Alltag und bei offenen Gesprächen.  Auch das Alzheimer Café in Westerwolde-Blijham bietet praktische Hilfe kostenfrei. Besonders berührt hat mich das Gespräch mit Miranda von der Stichting Vrijwillige Palliatieve Terminale Zorg. Die ehrenamtlichen Helfer begleiten Menschen in der Endphase ihres Lebens zu Hause in der gewohnten Umgebung und geben Angehörigen ein wenig Freiraum von der eigenen Belastung. „Niemand soll alleine sterben müssen“, so das verbindende Motto der Hospizbewegung. Leider war kein deutsches Pendant anwesend (warum nicht, Hospiz Huus Leer?).
Ruud Swart machte mir Appetit auf eine Stadtführung in Winschoten (unschlagbarer Preis: zwei Euro!) und erzählte mir, dass einmal 500 Juden in Winschoten gelebt haben. Dazu gehörte auch Liesel Aussen, die als zweijähriges Mädchen 1938 von Leer nach Winschoten kam. 1943 wurde die gesamte Familie über Westerbork in das polnische [siehe Update vom 28. Juni 2018] Vernichtungslager Sobibor transportiert, wo sie vergast wurden. Liesel war gerade sieben Jahre alt. In Sobibor starben bis zu 33.000 Juden aus den Niederlanden.

Bis zu einer halben Million Sinti und Roma fielen im nationalsozialistisch besetzten Europa dem Holocaust zum Opfer. Die Vorfahren und älteren Angehörigen der Leeraner Sinti-Familien kamen 1945 aus den befreiten Konzentrationslagern in die Stadt Leer. Auch heute noch sind für viele junge Sinti und Roma, von denen mehrere hundert im Landkreis Leer leben, Ausgrenzung und Misstrauen täglicher Alltag. Der 1. Sinti Verein Ostfriesland und das Projekt „PROFIL“ des Synodalverbandes Leer informierten auf der Ehrenamtsmesse darüber. Zwei der drei Betreuer von „PROFIL“ sind Sinti. Doch warum fehlte hier ein Partner aus den Niederlanden? Dass der klassisch ausgebildete Sinto Sascha Slavicà die Messe auf seiner Geige bravourös begleitete, wurde von den meisten Aktiven gar nicht bewusst wahrgenommen. In der Mittagspause saß er allein in der Kantine, während Vertreter anderer Vereine sich angeregt unterhielten.

Die Gespräche unter Aktiven und Besuchern machen Mut und zeigen: Da geht noch mehr. Europa lebt vom Einsatz der Bürger, nicht duch die europäische Bürokratie, und vor allem durch Beharrlichkeit. Also: Willkommen zur 3. Ehrenamtsmesse!

Palliativbewegung: www.vptzoostgroningen.nl
Sociaal Werk Oldambt: www.sociaalwerkoldambt.nl
Stadtführung Winschoten: von Mai bis August jeden Miitwoch ab 14 Uhr am Bahnhof Winschoten
Auf dem Weg von Liesel Aussen (zweisprachiges Video): www.youtube.com/watch?v=QytgyOY0n9g
PROFIL/Sinti Ostfriesland: www.synodalverband.de / www.sinti-ostfriesland.de

Die Fotos vom einem Bummel durch Winschoten und von der Ehrenamtsmesse machten Sandra Gräfenstein und Detlef M. Plaisier