Rezension: Aljoscha Brell, Kress

„Kress“ ist Aljoscha Brells Romandebut. Der 35-jährige Autor wurde im nordrhein-westfälischen Wesel geboren, lebt und arbeitet inzwischen in Berlin. Dort leitet er ein Team von Webentwicklern in einem IT-Unternehmen. 2008 war er Stipendiat der Autorenwerkstatt Prosa des Literarischen Colloqiums Berlin. Ein Jahr später erhielt Aljoscha Brell das Alfred-Döblin-Stipendium der Berliner Akademie der Künste. An seinem Debut schrieb Aljoscha Brell acht Jahre. Im September 2015 erschien „Kress“ dann im Ullstein Verlag.

Quelle: www.ullsteinbuchverlage.de
Quelle: www.ullsteinbuchverlage.de

Kress – einfach krass!
Der Protagonist Kress gehört nicht gerade zu den typischen Studenten in der Hipster-Hauptstadt Berlin. Nein, eigentlich verkörpert er das komplette Gegenteil. Das Internet kennt er nur vom Hörensagen, sein Leben kreist um Goethe. Sein einziger Gesprächspartner ist die Taube an seinem Fenster, die er mit „Sie“ anspricht. Als Leserin schüttele ich auf nahezu jeder Seite des Buches den Kopf: so kurios und sozial inkompetent kann ein Mensch doch gar nicht sein! Der Literatur- und Philosophiestudent verachtet seine Altersgenossen und das Leben, das sie führen. Partys, WG-Leben, Reisen – alles Zeitverschwendung für Kress

Diese arrogante Einstellung bringt Autor Aljoscha Brell sprachlich wunderbar zu Papier. So gut, dass ich Kress‘ Überheblichkeit sogar irgendwie sympathisch finde. Ich leide mit, als sein eingespieltes Leben zwischen dem Neuköllner Hinterhofzimmer und seinem Stammplatz in der Bibliothek erschüttert wird. Die große Krise: er ist pleite, sein Traum einer akademischen Karriere gerät ins Wanken und eine Kommilitonin verdreht ihm den Kopf. Und er stellt sich dabei so unbeholfen an, dass es mir weh tut. Ein unsicherer Typ, immer eine Achterbahn der Gefühle, dumme Kurzschlussreaktionen: die Geschichte wirkt manchmal ein bisschen übertrieben, aber überaus originell und rührend erzählt.

Mein Fazit
Eine Geschichte wie diese habe ich wirklich noch nie gehört oder gelesen – absurd, dieser Kress! Es ist faszinierend, in die Gedankenwelt solch einer Person einzutauchen. Aljoscha Brell spielt dabei mit Humor, Melancholie und einer authentischen Sprache. Sehr lesenswert!

Aljoscha Brell, Kress
Ullstein, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Kress-9783550081095
http://www.ullsteinbuchverlage.de/nc/autor/name/Aljoscha-Brell.html
www.aljoschabrell.de
Vielen Dank für die erste Rezension an Franziska Schmidt!

Rezension: Robert Seethaler, Der Trafikant

Vordergründig erzählt Robert Seethaler in „Der Trafikant“ die Geschichte der Freundschaft zwischen dem 17jährigen Franz Huchel und dem mehr als 60 Jahre älteren „Deppendoktor“ Sigmund Freud. Doch es geht um mehr: Der Wiener Autor schildert das Wien der 1930er Jahre und den erschreckenden gesellschaftlichen Wandel nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten.

Quelle: https://keinundaber.ch
Quelle: https://keinundaber.ch

Die Handlung
Als während eines Gewitters der Großgrundbesitzer Alois Preininger vom Blitz erschlagen wird, ändert sich das Leben des 17jährigen Franz Huchel radikal: Preininger war der Liebhaber seiner Mutter und unterstützte diese finanziell, nachdem der Vater ihres Sohnes bereits kurz vor der Geburt gestorben war. Deshalb schickt die Mutter ihren Sohn nach Wien zur Ausbildung beim Trafikanten Otto Trsnjek, weil dieser ihr noch einen Gefallen schuldet.

Otto Trsnjek, ein Kriegsversehrter, nimmt den Jungen bei sich auf und weist ihn in die Aufgaben eines Trafikanten ein. Vor allem legt er Franz nahe, sorgfältig die Zeitungen zu lesen, weil er über ihren Inhalt ebenso gut Bescheid wissen müsse wie über die Tabakwaren.

Eines Tages kauft Sigmund Freud eine Zeitung und Zigarren, vergisst jedoch seinen Hut. Franz läuft ihm deshalb nach, die beiden kommen ins Gespräch und im weiteren Verlauf entwickelt sich eine Art Freundschaft zwischen den beiden Männern. Das Leben aller Beteiligten nimmt schließlich eine tragische Wende, als die Nationalsozialisten die Macht über Österreich übernehmen: Otto wird von der Gestapo abgeholt, Freud muss nach London emigrieren und Franz die Geschäftsführung der Trafik übernehmen.

Eine wahre Geschichte?
Robert Seethaler erzählt seine Geschichte unaufgeregt und schnörkellos. Gerade deshalb gelingt es ihm meisterhaft, den Leser in das Wien der 1930er Jahre und in die handelnden Charaktere zu versetzen. Der Leser staunt mit dem einfachen Burschen aus dem Salzkammergut, als er die Wunder der Großstadt kennenlernt und sich im Prater in eine Böhmin verliebt, die ihn jedoch nur ausnutzt. Und schließlich bekommt der Leser auch einen Eindruck davon, wie es gelungen sein könnte, dass ein totalitäres System Besitz von den Menschen und all ihren Lebensbereichen nimmt.

Robert Seethaler pflegt schwarzen Humor, wie er für viele Wiener Erzähler charakteristisch ist, und gibt seinem Werk gerade dadurch mehr Tiefe. Er erzählt eine Geschichte aus einem der düstersten Kapitel der deutschen und österreichischen Historie, die sich genauso zugetragen haben könnte. Gerade das macht den Text auch für die jüngere Generation von Lesern interessant, welche diese Epoche nur noch aus Geschichtsbüchern kennt.

Mein Fazit
Die Charakteristik „typisch wienerisch“ trifft für die Tragikomödie mit manchmal märchenhaften, oft bitterbösen Passagen, voll und ganz zu. Seethaler gelingt das Kunststück, eine Geschichte vor realem, tragischem Hintergrund charmant zu erzählen, indem er die Absurdität des Geschehens anhand einzelner Szenen vor Augen führt. Angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen in Europa wirkt „Der Trafikant“ zugleich erschreckend aktuell.

Robert Seethaler, Der Trafikant
Kein und Aber Verlag, Zürich 2012
Robert Seethaler liest: https://keinundaber.ch/de/autoren-regal/robert-seethaler/
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Der-Trafikant-9783036956459
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Preis der Leipziger Buchmesse 2016: Bewerbungen aus 113 Verlagen mit 401 Titeln

LBM16_Preis_rgb401 Werke aus 113 Verlagen haben sich um den Preis der Leipziger Buchmesse 2016 in den Kategorien Belletristik, Übersetzung und Sachbuch/Essayistik beworben. Die Auszeichnung wird 2016 zum zwölften Mal verliehen. Er ehrt herausragende deutschsprachige Neuerscheinungen und Übersetzungen und ist mit insgesamt 60.000 Euro dotiert. Dabei erhalten die 15 Nominierten je 1.000 Euro, die Gewinner der drei Kategorien je 15.000 Euro. Die Preise werden traditionell am ersten Tag der Buchmesse vergeben, diesmal am 17. März.

In der Jury des Preises der Leipziger Buchmesse 2016 sitzen vier neue Mitglieder. Als Vorsitzende löst die Journalistin und Literaturkritikerin Kristina Maidt-Zinke den bisherigen Vorsitzenden Hubert Winkels turnusgemäß ab. Sie wird drei Jahre amtieren. Darüber hinaus ergänzen mit Maike Albath, Burkhard Müller und Alexander Cammann drei neue Jurymitglieder das Literatur-Septett. Weiterhin urteilen Sandra Kegel, Meike Feßmann und Dirk Knipphals in der Jury.

Rezension: Stephanie Lam, Das Haus der Lügen

Jeder Mensch hat seine kleinen oder größeren Geheimnisse, und jeder lügt ab und zu aus verschiedenen Gründen. Manche, um andere nicht zu verletzen, manche aus Scham oder Angst, wieder andere aus Berechnung, Zorn oder Rachedurst. In Stephanie Lams „Haus der Lügen“ besteht das ganze Leben aus Lügen – und dem, was passiert, wenn man sich zu tief darin verstrickt hat, um die Wahrheit noch sehen zu können.

Quelle: www.randomhouse.de
Quelle: www.randomhouse.de

Ein Haus und seine Geheimnisse
1965 zieht die 18-jährige Rosie Churchill in Castaway House ein. Die einst herrschaftliche Villa thront auf den Klippen über einem englischen Küstenstädtchen. Unter einem Fensterbrett entdeckt sie die Inschrift „Robert Carver ist unschuldig“ und damit ein kleines Stück des dunkelsten Geheimnisses der alten Villa aus dem Sommer 1924, als der 19-jährige Robert Carver auf Einladung seines Cousins Alec eine vermeintlich unbeschwerte Zeit an der See zu Erholung seiner Lungen verbringen will. Doch bald schon wird auch Robert hineingezogen in das Gewirr aus Lug und Betrug, das Alec und seine Frau Clara rund um sich gesponnen haben. Robert, der das Spiel nicht durchschaut, wird selber zum Lügner.

1965 taucht ein Landstreicher an der Tür der Villa auf, der behauptet, er müsse etwas Wichtiges wegen des Hauses klären, wisse aber nicht mehr was, da er vor Jahren das Gedächtnis verloren habe. Rosie, die selbst ein Geheimnis mit sich herumträgt und deswegen zur Lügnerin geworden ist, hat Mitleid mit dem alten Mann und beginnt, sich um ihn zu kümmern. Und plötzlich kreuzen sich die Lebensgeschichte von Robert und Rosie trotz der mehr als 40 Jahre zwischen ihrer Anwesenheit in Castaway House.

Langsam, dicht und detailreich
Stephanie Lam erzählt die Geschichten von Castaway House und seiner Bewohner zwischen 1924 und 1965 langsam, präzise und spannend. Als Leser habe ich eine Ahnung von dem, was passiert, und werde dennoch überrascht. Mit vielen Details erwacht die Welt der Protagonisten zum Leben und es wächst das Verständnis dafür, warum jeder sich in seinen Lügen sicherer fühlt als mit der Wahrheit. Trotz der langsamen Erzählweise und der beiden Handlungsstränge, die sich mehr und mehr ineinander verweben, ist „Das Haus der Lügen“ niemals langatmig oder verwirrend. Und gelegentlich ertappe ich mich dabei, den handelnden Personen den Rat geben zu wollen, es einmal mit der Wahrheit zu versuchen, anstatt auf Lügen zu beharren, die sich längst schon verselbstständigt haben.

Fazit
„Das Haus der Lügen“ ist Erzählung und Krimi in bestem britischen Stil. Ein Buch, das den Leser dazu verführt, immer „nur noch eine Seite“ lesen zu wollen, weil es von Anfang an in den Bann der Geschichten zieht. Je weiter die Entwicklungen fortschreiten, desto klarer werden die Entscheidungen und Lügen, und desto mehr wächst das Verständnis für jeden einzelnen Protagonisten wie auch die Erkenntnis, dass auch im eigenen Leben das eine oder andere Geheimnis schlummert. Die Wahrheit ist zwar nicht immer schön, aber das einzige Mittel, mit sich selbst in Frieden und ohne Schuld zu leben. Eine wirklich faszinierende Geschichte mit unbedingter Leseempfehlung.

Stephanie Lam, Das Haus der Lügen
Goldmann Verlag, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Das-Haus-der-Luegen-9783442204458
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Review: Gelber Hund, grüne Katze by author Yvonne Kuschel – the colors of acceptance

The 2015 book „Gelber Hund, grüne Katze“ (“Yellow Dog, Green Cat“) is clearly a work of love by author Yvonne Kuschel, who wrote, illustrated and designed it herself. Kuschel, currently a Leipzig resident and member of the e.o.plauen Foundation, is an eclectic author: Her richly illustrated books have dealt with the wonders of the bosom (Busenwunder – intime Geschichten rund um die schönsten Kurven der Welt, 2014); the relationship between tragic lovers (Der himmlische Heinrich – Eine perfekte Liebeserklärung, 2013); and uneven resource distribution on the planet (the award-winning Beschissatlas, 2012).

Quelle: http://kunstanstifter.de
Quelle: http://kunstanstifter.de

Kuschel’s latest manages to produce quite a nuanced and creatively illustrated fable; it’s attractive for adults as well as children, refreshingly lacking a canned, black-and-white moral lesson and instead gently offering up many insights. It can be interpreted as a political work calling for greater acceptance of difference in society as much as a nice children’s book about the importance of being open to new friendships, experiences and even misfortunes in life (which many adults could learn from as well). It is also a good way for those learning German to pick up new vocabulary while using Kuschel’s vivid, quirky drawings as a guide.

In fact, there is quite a gray area involving the book’s colored protagonists, the Yellow Dog and the Green Cat. We learn the basic facts about them pretty quickly, but it is not easy to guess how their relationship will play out. They both live alone, and inside mountains facing each other. The Dog is hyperactive and likes to dig all day long and howl at the moon every night; the Cat meanwhile prefers to sleep all day long in her hammock, and then climb out of her mountain for nighttime escapades. One night they happen to be looking out of their respective mountain dwellings at the same time, and catch a glimpse of each other. While the Green Cat shows only a passing interest in the Dog, the Yellow Dog decides to invest considerable effort in trying to get to know the Cat.

The Yellow Dog tries to reach out to the group of cats the Green Cat hangs out with, but is rejected. The journey the friendly Yellow Dog falls into while trying to befriend the elusive, aloof (but perhaps, deep inside, caring) Green Cat lands him in an unpleasant situation. What the Dog learns from it, and whom he meets unexpectedly, may make all the difference, however. The greatest punishment and reward one finds in this book may both have to do with degrees of acceptance.

Overall a very entertaining read also for its illustrations (how many mice can you count?), and with nice depth; I would just have liked the last two pages to have had more details about the denoument.

Gelber Hund, grüne Katze (2015) is published by kunstanstifter verlag, Mannheim. It can be ordered here. Author of this review is Ana Beatriz Ribeiro, Editor-in-Chief, The Leipzig Glocal.

Save the date: Erste englischsprachige Rezension auf dem Blog

Ana Beatriz Ribeiro. Quelle: www.leipzig-writers.de
Ana Beatriz Ribeiro. Quelle: www.leipzig-writers.de

Morgen gibt’s eine Premiere auf dem Blog: Ana Beatriz Ribeiro, Chefredakteurin von The Leipzig Glocal, hat mit großer Freude ein Kinderbuch gelesen. Sie hat dazu eine Rezension in englischer Sprache geschrieben, und die erscheint dann morgen hier. Freuen Sie sich auf „The colors of acceptance“, einen Lesebericht zu dem wunderbaren Kinderbuch „Gelber Hund, grüne Katze“ der Leipziger Autorin und Illustratorin Yvonne Kuschel.

schriftgut in Dresden: Literaturmesse en miniature mit Originalen

csm_Plakat_web_b286c3e74a Die „Lesemesse“ präsentiert sich auf einer Fläche etwa so groß wie eine Etage in der Leipziger Spinnerei. Wir sind auf der Messe Dresden. Dies ist die sächsische Landeshauptstadt.  „Einen Blick hinter die Kulissen eines Verlages, einer Buchbinderei, Druckerei oder anderer Gewerke“ zu eröffnen, ist der Anspruch der Veranstalter. Versprochen wird der „Charme einer qualitativ hochwertigen Verkaufsausstellung“ mit dem „Anreiz, sich mit Literaturschaffenden intensiv zu beschäftigen, Bücher hautnah zu erleben und vielleicht auch selbst sein eigenes Schriftgut zu kreieren“. Das wird eingelöst mit Lesungen, Autoren zum „Anfassen“ und Mitmachaktionen für die ganze Familie. Und so wäre der Vergleich mit der Leipziger Buchmesse auch nicht angebracht.  Ich treffe drei Aussteller mit ganz unterschiedlicher Motivation, die auf der schriftgut den Kontakt zu ihrem Zielpublikum suchen.
[Alle Fotos: Detlef M. Plaisier]

schriftgut Lesemesse Dresden Nov 2015. Foto Detlef M. Plaisier (77)„Ich bin besessen.“ Walter Staufenbiel gesteht es freimütig. Seine Leidenschaft sind Miniaturbücher. Rund 13.000 Schätze mit einem Buchblock von maximal 10 cm im Quadrat füllen jede Ecke seiner DDR-Neubauwohnung in Dresden aus, dazu gibt es noch Leporellos und Werbehefte. Als Walter Staufenbiel Ende der 1970er Jahre zu sammeln begann, war er fasziniert von der handwerklichen Präzision der Minibücher mit Fadenheftung. So griff er überall zu und versäumte es, sich zu spezialisieren. „Erotik war damals besonders begehrt“, erinnert sich Walter Staufenbiel schmunzelnd. „Und heute laufen alle an der Mutzenbacher vorbei.“ Nach mehreren Jahrzehnten gibt es immer noch Begehrlichkeiten, etwa die internen Minibücher des Ministeriums für Staatssicherheit. Natürlich gibt es auch einen Sammlerverein, dessen Vorsitzender Staufenbiel seit 2010 ist: Der „Sammlerkreis Miniaturbuch“ zählt bundesweit rund 90 Mitglieder, Durchschnittsalter 69 Jahre, Verjüngung nicht absehbar. Und auch um die Zukunft von Staufenbiels Sammlung ist es schlecht bestellt: Töchter und Enkel winken ab, Gemeinden und Museen haben kein Budget. „Um in einem Museumskeller zu verstauben, sind die Kleinode zu schade“. Möge der Stoßseufzer erhört werden.

www.miniaturbuch.de

schriftgut Lesemesse Dresden Nov 2015. Foto Detlef M. Plaisier (3)„Sie ist ein ziemlicher Wildfang und liebt das freie Leben. Mit ihrer Schönheit und Leichtigkeit verdreht sie den Männern reihenweise den Kopf. Auch der Sergeant Don José erliegt ihrem Charme…“. Kennen Sie? Kurz nachgedacht… Genau: Das ist Bizets „Carmen“. Den frechen Text mit passenden Illustrationen hat sich Petra Sprenger von der Dresdner Werbeagentur Kampagner ausgedacht und im Westentaschenformat veröffentlicht. 64 vergnügliche Seiten mit angenehmer Haptik und Fadenheftung gibt’s zum Einführungspreis von 7,90 Euro. „Der Freischütz“ und „Turandot“ komplettieren das bisherige Trio, sieben weitere populäre Opern stehen bis Ende 2016 auf dem Plan. Die Reihe heißt „Opern einfach erklärt“, richtet sich an Einsteiger und Liebhaber von 8 bis 80 und vereint erstmals Graphic Novel mit augenzwinkernder Musikpädagogik. Europas größtes Opernmagazin „Der Opernfreund“ zeigt sich von der Newcomerin begeistert. Ich werde jetzt „Carmen“ neu kennenlernen und freue mich auf „Die Zauberflöte.“

www.opernmouth.com

schriftgut Lesemesse Dresden Nov 2015. Foto Detlef M. Plaisier (55)„MitteDeutschland – Das Mehrgenerationen Brettspiel“. Was etwas sperrig klingt, ist eine pfiffige Projektidee mit fünf Jahren Entwicklungszeit in der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK). Dahinter steckt ein traditionelles Brettspiel, das mit allen Sinnen die Region Mitteldeutschland vorstellt. Die Regeln sind bewusst an bekannte Spielvarianten angelehnt: Jeder Mitspieler würfelt sich mit seiner Spielfigur aus Holz (Elisabeth von Thüringen, August der Starke, Luther oder Goethe) durch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen und beantwortet Wissensfragen in vier Kategorien (Technik, Geschichte, Kultur, Natur). Als Ergänzung muss bei einigen Fragen gezeichnet, geraten, gepfiffen, gebrummt oder geschätzt werden. In der Premium-Edition mit zusätzlichen Fragekarten vermittelt ein Begleitbuch außerdem Infos zu den erwürfelten Stationen. Ideengeber Prof. Rüdiger Ulrich (HTWK, im Foto rechts): „Preisgekrönte Spiele des Jahres sind schnell vergessen. Wir haben Inhalte entwickelt, die zeitlos sind.“ Das Entwicklerteam an der HTWK tüftelt an zusätzlichen thematischen Frageeditonen, etwa über Wein und Eisenbahngeschichte. „MitteDeutschland“ ist auf Messen und über die Internetseite erhältlich.

www.mittedeutschland.de

Rezension: Ivana Jeissing, Wintersonnen

Ivana Jeissing widmet sich in „Wintersonnen“ der Frage, wie man sich selbst finden kann, wenn ein wichtiger Teil der eigenen Herkunft fehlt. Ein klassisches Thema der Literatur in immer neuen Facetten, aber nicht immer ein Lesegewinn.

Quelle: www.metrolit.de
Quelle: www.metrolit.de

Mütter und Töchter
Gustava ist 34, als ihre Mutter nach einer langen Demenzerkrankung stirbt. Um die Mutter zu pflegen, hatte Gustava sich eine Auszeit von ihrer vielversprechenden Karriere am Wiener Burgtheater genommen und damit ihre Karriere der Mutter geopfert. Gustava wuchs auf, ohne jemals etwas über ihren Vater zu wissen. Die Mutter schwieg anfangs eisern und war dann später nicht mehr in der Lage, Antworten zu geben. Nach ihrem Tod gibt Gustava die Wohnung und das von ihr als hoffnungslos empfundene Leben in Wien auf und zieht nach Berlin, auf der Suche nach sich selbst und nach ihrem Vater. In Berlin startet sie einen Neuanfang mit Hilfe des Psychologen Donald, des Gärtners Nello und der Erkenntnis, dass allein sie für ihr Leben verantwortlich ist.

Unbeschwerter Erzählstil
Ivana Jeissing erzählt in „Wintersonnen“ die Geschichte von Gustava aus der Ich-Perspektive, und das lobenswert ohne jedes weinerliche Selbstmitleid, das sonst gerne gescheiterten Künstlerfiguren angedichtet wird. Vielmehr werden mit einer gehörigen Portion Selbstironie, Witz und Leichtigkeit alle Figuren und ihre Probleme zu Puzzleteilchen in Gustavas Reise zum Ich. Der lockere Erzählstil der Autorin ermöglicht eine heitere, entspannte Sicht auf das Leben, die auch im Scheitern immer noch komische Aspekte liefert. Die Sprache lässt dem Leser keinen Platz für Schwermut oder Zweifel, sondern verleitet dazu, das Leben von der positiven Seite zu sehen.

Fazit
Licht und Schatten: Ivana Jeissing ist mit „Wintersonnen“ eine locker-leichte Erzählung über das Leben, seine Krisen und seine Auswege gelungen. Zugegeben: Auch wenn man sich nicht unbedingt mit den Figuren identifizieren kann, die Schauplätze teilweise austauschbar wirken und der Schluss ein wenig zu aufgesetzt ist, sind die „Wintersonnen“ dennoch eine entspannte Lektüre für zwischendurch. Wer auf der Suche nach Unterhaltungsliteratur für lange Reisen oder Wartezeiten ist, dem kann „Wintersonnen“ nur empfohlen werden. „A good read“, wie eine andere Rezensentin urteilte. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Ivana Jeissing, Wintersonnen
Metrolit, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Wintersonnen-9783849303716
Autoren der Rezension: Harry Pfliegl / Detlef M. Plaisier

Rezensionsreihe Indonesien zur Frankfurter Buchmesse 2015, Teil 3: Ratih Kumala, Das Zigarettenmädchen

Dass kein episches Werk vonnöten ist, um die Geschichte zweier Familien zu erzählen, die schicksalhaft miteinander verwoben zu sein scheinen, beweist Ratih Kumala mit ihrem fünften Roman „Das Zigarettenmädchen“. Geschickt lässt die Autorin zudem die wechselhafte Geschichte Indonesiens während des 20. Jahrhunderts sowie Mythen und Einblicke in die Herstellung der für Indonesien typischen Nelkenzigaretten in das Werk einfließen. Ratih Kumala spart auch die blutigen Episoden während der japanischen Besatzung und nach Suhartos Machtergreifung nicht aus. Diese „Säuberungen“ hatten in den 1960er Jahren etwa eine Million Indonesier das Leben gekostet.

Quelle: www.culturbooks.de
Quelle: www.culturbooks.de

Auf der Suche nach der Geliebten
Der Zigarettenmagnat Pak Raja liegt im Sterben und flüstert immer wieder den Namen Jeng Yah. Hinter dem Rücken seiner eifersüchtigen Frau bittet er die Söhne, nach „seinem Zigarettenmädchen“ zu suchen. Denn Jeng Yah war seine Verlobte, die er verlassen musste, nachdem sich General Suharto an die Macht geputscht hatte. Pak Raja, ursprünglich ein mittelloser Wanderarbeiter, hatte vor der Hochzeit mit der hübschen Tochter eines Zigarettenfabrikanten ein eigenes Geschäft eröffnen wollen, weil er nicht auf das Geld seines Schwiegervaters angewiesen sein wollte. Deshalb plante er, mit Geld von der kommunistischen Partei eine eigene Marke etablieren – und stand genau deshalb nach dem Machtwechsel auf der Todesliste der neuen Herrscher. Während ihm die Flucht gelingt, geraten seine Verlobte und deren Vater in Gefangenschaft und erlangen ihre Freiheit nur durch sehr glückliche Umstände.

Pak Raja findet in einer Stadt Unterschlupf, ausgerechnet beim ärgsten Konkurrenten seines Schwiegervaters, dessen älteste Tochter sich in ihn verliebt. Was Pak Raja zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Sein tatsächlicher und sein Beinahe-Schwiegervater waren schon seit ihrer Jugend erbitterte Konkurrenten, was sich im Lauf der Jahre zu einer regelrechten Feindschaft steigerte. Pak Rajas Söhne erfahren während ihrer Suche die Geschichte ihrer Familien und decken ein Verbrechen ihres Vaters an der Verlobten auf, das dieser fast mit ins Grab genommen hätte.

Eine Saga mit leisen Melodien
Einfühlsam versetzt sich Ratih Kumala in ihre Protagonisten hinein und lässt sie dadurch im Kopf des Lesers umso lebendiger werden. Die Autorin schildert aus der Perspektive des neutralen Beobachters den Alltag der Menschen, erzählt von deren Wünschen und Träumen vor dem Hintergrund massiver historischer Umwälzungen. Dadurch verwebt sie geschickt die Geschichte zweier Familien über drei Generationen hinweg und reichert ihre Saga mit zahlreichen hintergründigen Details an. Dazu gehört etwa die Legende der wunderschönen Roro Mendu, die für ihren süßen Speichel berühmt war. Eher nebenbei, dafür aber umso eindrücklicher, fließen die blutigen Gräueltaten der Machthaber mit ein. Etwa indem Ratih Kumala beschreibt, wie die Menschen täglich zum Fluss gehen, um zu sehen, ob unter den dahin treibenden Leichen möglicherweise ein verschwundener Bekannter oder Verwandter sein könnte.

Fazit
Ratih Kumala gelingt durch ihre einfühlsame Erzählweise ein Kunststück, das nur wenige Autoren schaffen: Sie erzeugt Bilder im Kopf des Lesers. Wohltuend ist die neutrale Position der Autorin, die nur schildert und nicht wertet. Das gilt sowohl für die Charaktere ihrer Geschichte als auch für die umwälzenden Ereignisse inklusive blutiger Gräueltaten der jeweiligen Machthaber. Ratih Kumalas fesselnde Erzählweise ist beileibe keine leichte Kost, aber leichter zu verdauen als im Vergleich Laksmi Pamuntjaks Abrechnung mit der indonesischen Geschichte in „Alle Farben rot“.

Ratih Kumala, Das Zigarettenmädchen
CulturBooks Verlag Hamburg, 2015
Die Autorin im Gespräch: http://www.culturbooks.de/ratih-kumala-im-gespraech/
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Das-Zigarettenmaedchen-9783959880046
Autoren der Rezension: Harry Pfliegl / Detlef M. Plaisier

Meine Entscheidung: Keine Rezensionen mehr zu Akif Pirinçci und Strafanzeige

Zum einjährigen Bestehen der PEGIDA-Bewegung hat der deutsch-türkische Schriftsteller Akif Pirinçci gestern in Dresden eine Rede gehalten. Er führte unter anderem aus:

„Offenkundig scheint man bei der Macht die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn er gefälligst nicht pariert. Es gäbe natürlich auch andere Alternativen. Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb.“

Die bisher schon bekannten schwulen- und ausländerfeindlichen Äußerungen Pirinçcis haben damit eine neue Dimension erhalten. Er hat sich offen zu den Prinzipien des Nationalsozialismus und zum Massenmord im Dritten Reich bekannt.

Ich werde auf diesem Blog keine weiteren Texte von Akif Pirinçci mehr besprechen oder besprechen lassen. Dies gilt bereits für „Die große Verschwulung“, die morgen erscheint. Außerdem habe ich heute gegen Akif Pirinçci bei der Staatsanwaltschaft Dresden Strafanzeige wegen Volksverhetzung erstattet.

Nachtrag:
„Die Verlage Diana, Goldmann und Heyne haben mit großer Bestürzung und Unverständnis die Aussagen des Autors Akif Pirinçci auf der gestrigen Pegida-Kundgebung in Dresden zur Kenntnis genommen und distanzieren sich entschieden. Der Schutz von Demokratie und Menschenrechten ist für uns ein zentraler Bestandteil unseres verlegerischen Schaffens, ebenso wie der Respekt vor Traditionen und dem Wunsch nach kultureller Vielfalt. Die Aussagen von Akif Pirinçci stehen diesen Werten diametral entgegen. Als Reaktion auf seine inakzeptablen Äußerungen werden unsere bereits vor Jahren veröffentlichten, ausschließlich belletristischen Bücher von Akif Pirinçci umgehend gesperrt und nicht mehr angeboten.“