Rezension: Verena Boos, Blutorangen

Können Menschen, die sich gerade erst begegnet sind, schon eine gemeinsame Geschichte haben? Ja, das können sie – zumindest in der Geschichte von Verena Boos, die den Leser mitnimmt durch drei Leben, den zweiten Weltkrieg und die Franco-Diktatur in Spanien und gleichzeitig die Aufarbeitung dieser Ereignisse betreibt, die allzu oft nur aus Verdrängung besteht.

Quelle: www.aufbau-verlag.de
Quelle: www.aufbau-verlag.de

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold?
Das Auslandssemester in München ist für die junge Spanierin Maite, die eigentlich Maria Teresa heißt, anfangs nur eine Möglichkeit, ihrem strengen katholischen Elternhaus zu entfliehen. Doch in München verliebt sie sich in Carlos, der einen spanischen Vater hat, und lernt dessen Großvater Antonio kennen. Durch Zufall entdeckt sie, dass ihr Vater einst in der deutschen Wehrmacht war – und beginnt zu recherchieren. In langen Gesprächen mit Antonio werden Zahlen und Fakten zu Menschen, Verfolgten und Verfolgern, Zivilisten und Soldaten, die alle im zweiten Weltkrieg, in der Ära Franco und oft noch darüber hinaus an den Traumata litten, die diese Zeit hinterlassen hatte. Doch es herrscht fast einmütig die Übereinkunft zwischen Tätern und Opfern, dass totgeschwiegen wird, was nicht gewesen sein darf. Und so verweben sich die Erinnerungen von Antonio und jene von Maites Vater zu einem Bild der damaligen Zeit, auch wenn Maite davon nur einen Bruchteil erfährt. Höhepunkt ist die archäologische Bergung von sieben Toten in Antonios ehemaligen Dorf in Spanien, bei der dieser in Begleitung seiner Familie – Carlos und Maite, die mittlerweile verheiratet sind, sowie der Schwiegertochter Margot – zugegen ist. Hier ist Schweigen und Verdrängen plötzlich nicht mehr so einfach…

Drei Leben, eine Geschichte
Verena Boos erzählt ihre Geschichte nicht auf eine einfache, simple Art, die es leicht macht, ihr zu folgen. Ganz im Gegenteil, es wird zwischen drei verschiedenen Sichtweisen und Erlebnishorizonten der Protagonisten und drei verschiedenen Zeitebenen gewechselt, was anfangs verwirrt. Doch wer sich als Leser auf diese Art des Erzählens einlässt, für den entsteht bald ein lebendiges Bild der Charaktere. Gerade die unterschiedlichen Sichtweisen und Blickwinkel auf das Geschehen vermitteln ein Gefühl für die Figuren und lassen miterleben, wie die Welt für sie sein muss – und welche Beweggründe es für ihre Taten oder ihr Schweigen gibt. Fakten aus dem Geschichtsunterricht erhalten so ein Gesicht, einen Namen und vielleicht auch Verständnis dafür, warum sich die Menschen damals für oder gegen ein bestimmtes System entschieden. Für jene, denen die Fakten hier zugunsten der Erzählung zu kurz kommen, gibt die Autorin am Ende des Buches Quellen zur Geschichte des spanischen Faschismus an.

Mein Fazit
„Blutorangen“ bereichert die oft schon reichlich abgenutzte Weltkriegsliteratur. Die unkonventionelle und gleichzeitig virtuose Erzählweise von Verena Boos nimmt den, der sich darauf einlässt, mit zur Geschichte hinter der Geschichte, zu den Menschen – und zu den eigenen Fragen, die man den Eltern oder Großeltern als Zeitzeugen nie stellen konnte oder durfte. Denn Schweigen ist nicht nur in Spanien Gold.

Verena Boos, Blutorangen
Aufbau Verlag, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Blutorangen-9783351035945
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Meir Shalev, Zwei Bärinnen

Mit der ganzen Wucht des Alten Testaments
Abenteuerroman, Erzählung, Familiensaga, Krimi, dazu noch tiefe Einblicke in Beziehungen und Verstrickungen, Überlieferungen und Familiengeheimnisse einer alteingesessenen Familie in Israel: Mehr geht kaum. Und die karge Landschaft, die ebenso schroffen Bewohner und die Selbstverständlichkeit, mit der „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ gelebt wird, ziehen den Leser völlig in den Bann. Meir Shalev schafft es, in einer Erzählung der Gegenwart die Atmosphäre und Wucht des Alten Testaments einzufangen, in der ein Gott aber nicht präsent ist.

Quelle: www.diogenes.de
Quelle: www.diogenes.de

Liebe und Verlust, Glück und Grauen, Geheimnisse und Sühne
Ruta Tavori erzählt einer Interviewerin, die eine Forschungsarbeit schreibt, ihr gesamtes Leben. Dabei folgt sie keiner anderen Reihenfolge als der, die sie selbst wählt, setzt Schwerpunkte und Tempo mehr als eigenwillig. Im Mittelpunkt steht Großvater Seev aus Galiläa, ein knorriger Kerl mit Augenklappe, der schreckliche Geheimnisse verbirgt. Eines Tages geht er, um eine neue Siedlung zu gründen, woraufhin ihm sein Vater das Nötigste mit einem Wagen schickt: „… den ein mächtiger Ochse zog, so hieß es immer, ein mächtiger Ochse“, und der brachte „ein Gewehr, eine Kuh, einen Baum und eine Frau mit.“ Diese wichtige Reihenfolge, über die Jahre tradiert, setzt ganz klare Prioritäten.

Im Mittelpunkt stehen auch drei Selbstmorde im Jahr 1930, von denen alle Dorfbewohner wissen, dass nur zwei der Bauern tatsächlich selbst Hand an sich gelegt haben. Ruta enthüllt im Laufe der Erzählung die Hintergründe und Zusammenhänge hinter diesem Mord, sie zeigt: alle Beteiligten sind Täter und Opfer zugleich; 1930 ebenso, wie in Rutas Gegenwart. Der Leser macht atemlos alle Sprünge mit, ist an beiden Erzählsträngen gleichermaßen interessiert und verfolgt mit Spannung und steigendem Entsetzen, dass Vergangenheit und Gegenwart, das Leben des Großvaters und das Leben der Enkelin Ruta mit starken Fäden verknüpft sind, die einem Jahrtausende alten Webmuster folgen und sich nicht durchtrennen lassen. Doch wenn das Erzählen aller Geschichten auch Therapie ist, stellt Ruta am Ende der Geschichte fest: „Wie Großvater Seev mag auch er es nicht, wenn man zu viel über bestimmte Taten und bestimmte Zeiten redet. Ich verstummte. Erinnerte mich: Ich bin auch so.“

Mein Fazit
Ein außergewöhnliches Buch mit außergewöhnlichem Erzählstil. Ich hatte sehr schnell das Gefühl, dass Ruta ihre Geschichte nur für mich allein erzählt. Ein Buch, das Bilder heraufbeschwört, Menschen erstehen lässt, eine andere Zeit und eine andere Moral nahtlos in die Gegenwart einpasst.

Was für ein grandioses Buch. Ich konnte nur schwer wieder auftauchen.

Meir Shalev, Zwei Bärinnen
Diogenes Verlag, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Zwei-Baerinnen-9783257069112
Autor: Dorothee Bluhm
www.wortparade.de

Ostdeutsche Krimitage: Mordmäßiges Vergnügen

mordVom 10.04.2015 bis 19.06.2015 finden in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg die 10. Ostdeutschen Krimitage unter dem Titel „Mord-Ost“ statt. Zu den Ostdeutschen Krimitagen werden hauptsächlich sächsische Krimi-Schriftsteller aus ihren Werken lesen. Für Leipzig stehen noch folgende Veranstaltungen auf dem Programm:

Samstag, 16.05.2015, 19.30 Uhr
Atlanta Hotel International Leipzig
Südring 21, 04416 Leipzig/ Wachau
KRIMI total DINNER – „Wer öfter stirbt, ist längst nicht tot“
Eintritt: 65,00 € (inkl. gesetzl. MwSt., zzgl. 2,50 € Bearbeitung / Versand)
Der Preis enthält ein Vier-Gänge-Menü mit Aperitif und das Theaterstück
Karten unter https://www.krimitotal.de/dinner/shop.php5?pl=&do=add&vid=v1027<

Freitag, 29.05.2015, 20.00 Uhr
Südfriedhof Trauerhallen
Friedhofsweg 3, 04299 Leipzig
Die lange Nacht der kurzen Krimis
Es lesen: Sabine Thomas, RAF, Claudia Puhlfürst, Sylke Tannhäuser, Ethel Scheffler, Wolfgang Schüler
Eintritt: 5,00 €
Kartenbestellung/Verkauf über: www.mord-ost.de oder E-Mail an: kontakt(at)puhlfuerst.com oder an der Abendkasse

Mittwoch, 10.06.2015 abends
Bestattungshaus Hoensch, Feier- und Veranstaltungshalle
Waldbaurstr. 2a, 03437 Leipzig-Schönefeld
„Totentanz“
Eintritt: 8,00 € / 5,00 € ermäßigt
Karten über www.mord-ost.de oder E-mail an: mordost(at)gmail.com

Rezension: Marina Gärtner, SPACES. Freie Kunsträume in Deutschland

Nach wie vor ist der Begriff Alternativkultur mit einem negativen Beigeschmack behaftet. Ein Grund dürfte darin liegen, dass sich die freie Kulturszene in der Vergangenheit meist an ein jüngeres Publikum richtete und oft aus dem Umfeld der Punks oder Hausbesetzer-Szene stammte. Dass sich in den vergangenen Jahren hier ein massiver Wandel vollzogen hat, beweist die Fotografin Marina Gärtner mit dem vorliegenden Buch.

© Marina Gärtner / Deutscher Kunstverlag
© Marina Gärtner / Deutscher Kunstverlag

Das bietet Spaces
„SPACES – Freie Kunsträume in Deutschland“ ist ein reiner Städteguide, in dem ausschließlich die freien Kunsträume der Republik dargestellt werden. Die Locations liegen mal in einem Keller, mal in einer privaten Wohnung oder haben in einem leerstehenden Gebäude ein Refugium gefunden. Marina Gärtner stellt diese freien Kunsträume kurz vor und markiert sie auf einem Stadtplan, sodass interessierte Besucher leicht den Weg finden.

Eine hervorragende Idee mit einem großen Aber
Grundsätzlich ist die Idee, freie Kunsträume zu präsentieren, hervorragend. Schließlich werden diese von offiziellen Stellen, Feuilletons und herkömmlichen Stadtführern meist nicht berücksichtigt, weil viele Locations nur Insidern bekannt sind.

© Marina Gärtner / Deutscher Kunstverlag
© Marina Gärtner / Deutscher Kunstverlag

Allerdings ist Marina Gärtner mit ihrem Vorhaben etwas überambitioniert ans Werk gegangen. Denn obwohl dieser Städteführer nahezu 400 Seiten umfasst, kann er nur einen groben Überblick über die freie Kunstszene in Deutschland bieten. So sind das Ruhrgebiet und Berlin aufgrund des großen Angebotes deutlich überrepräsentiert, während etwa aus ganz Bayern lediglich vier Locations in drei Städten vorgestellt werden. Alte Kulturstädte wie Regensburg, Passau oder Landsberg am Lech, wo sich eine freie Kunstszene schon seit den ausgehenden 1970ern etabliert hat, fehlen komplett.

Raum.Weisz in Leipzig. © Katarína Dubovská / Raum.Weisz, Leipzig“
Raum.Weisz in Leipzig. © Katarína Dubovská / Raum.Weisz, Leipzig

Eine bessere Lösung?
Für eine Folgeauflage von SPACES sollte über eine Regionalisierung des Kunstführers nachgedacht werden. In der aktuellen Form kann er lediglich die grobe Vielfalt des kulturellen Lebens und des Engagements in Deutschland wiedergeben. Dabei müssen fast zwangsläufig auch hochkarätige Einrichtungen auf der Strecke bleiben, weil der Führer ansonsten zu unhandlich und wohl auch in der Herstellung zu teuer wäre. In der vorliegenden Form ist SPACES in erster Linie also nur für Reisende, die ganz Deutschland bereisen wollen oder für Kulturschaffende auf der Suche nach Locations interessant. Der klassische Städtereisende jedoch möchte sich möglichst umfassend über das eigentliche Ziel und die nähere Umgebung informieren, während ihn der Rest der Republik eher nicht interessiert.

Mein Fazit
Inhaltlich lässt SPACES keine Wünsche offen. Marina Gärtner beschreibt die freien Kunsträume Deutschlands kurz und informativ, sodass der Leser einen guten Überblick bekommt und manche Anregung erhält. Allerdings erscheint das Konzept verbesserungswürdig, weil hier zahlreiche nennenswerte Kunsträume nicht berücksichtigt werden.

Marina Gärtner, SPACES. Freie Kunsträume in Deutschland
Deutscher Kunstverlag, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Spaces-9783422073104
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Tom Drury, Das stille Land

Ein junger Mann, dessen Träume allmählich von der Realität begraben werden und eine geheimnisvolle Schöne – das ist der Stoff, aus dem gute Geschichten für Freunde des Unheimlichen gestrickt werden. Das beweist Tom Drury mit seinem Roman „Das stille Land“, der passagenweise an die schaurig-düstere Atmosphäre der Serie Twin Peaks erinnert.

Quelle: www.klett-cotta.de
Quelle: www.klett-cotta.de

Wenn Träume begraben werden
Protagonist in „Das stille Land“ ist Pierre Hunter, ein junger Mann, der eigentlich der Provinz des Mittleren Westens entfliehen möchte. Doch er meidet die Stadt und schlägt sich lieber im Grouse County als Barkeeper durch. Was er nicht weiß: Die bildhübsche Stella Rosmarin beobachtet ihn schon seit geraumer Zeit und unterhält sich sogar mit einem mysteriösen Fremden über ihn.

Als er eines Tages beim Eislaufen einbricht, rettet Stella Rosmarin den jungen Mann, woraufhin sie sich anfreunden. Tom Drury erfährt in den folgenden Wochen von ihrem Geheimnis: Bei Stella Rosmarin handelt es sich um eine ganz andere Person. Diese wurde ermordet und konnte ihre Seele in diesen Körper hinüber retten. Nun wird Pierre Hunter zum Werkzeug ihrer Rache, bevor dem Paar in einem anderen Leben eine gemeinsame Zukunft beschert ist.

Die Charaktere treiben die Geschichte voran
Im Aufbau der Geschichte erweist sich Tom Drury, wie auch schon in früheren Werken, als Meister der Sprache: Er entwickelt die Geschichte langsam anhand seiner Charaktere und scheinbar alltäglicher Begebenheiten. Erst gegen Ende, als das Rätsel um die geheimnisvolle Frau schon gelöst scheint, setzt Drury auf dezente Action-Elemente. Fast entsteht der Eindruck, der Autor habe eine bewusst langsame Erzählweise gewählt, um die Trostlosigkeit eines Ortes im Mittleren Westen auch sprachlich zu unterstreichen.

Die deutsche Übersetzung weist allerdings einige Schwächen auf, wodurch der für Drury typische Humor etwas untergeht. Der Qualität der Geschichte tut das jedoch keinen Abbruch. Der Leser kann sich insbesondere gut in Pierre Hunter hineinversetzen, der sich – wie so oft im richtigen Leben – mit der Tatsache arrangiert hat, dass er seine Träume aus Jugendtagen wohl nie wird verwirklichen können.

Mein Fazit
Das stille Land ist kein herausragendes Stück US-amerikanischer Literatur, wohl aber guter und unterhaltsamer Lesestoff für Freunde des Geheimnisvollen und Übersinnlichen. Wohltuend positiv fällt auf, dass der Autor auf übertriebene Effekthascherei verzichtet und sich die übersinnlichen Elemente fast logisch in das Leben eines ganz normalen jungen Mannes einfügen.

Tom Drury, Das stille Land
Klett-Cotta, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Das-stille-Land-9783608980226
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Zum Welttag des Buches: Ein Büchergutschein für meine Leser

Quelle: www.boersenblatt.net
Quelle: www.boersenblatt.net

Heute, am 23. April, ist der Welttag des Buches. Erstmals ausgerufen von der UNESCO im Jahr 1995, erinnert der Tag an einen Brauch in Katalonien, wo man zum Namenstag des Schutzheiligen St. Georg Rosen und Bücher verschenkt. Außerdem ist der 23. April der Todestag von William Shakespeare und Miguel de Cervantes.

20 Jahre „Welttag des Buches“ – da beschenke ich meine Leser mit einem Büchergutschein im Wert von 20 Euro, einlösbar in 2.500 Buchhandlungen in Deutschland.

Schreibt mir: Welches Buch würdet ihr euch für 20 Euro kaufen und verschlingen? Oder vielleicht ein E-Book? Oder ein Hörbuch? Ich bin gespannt!

Gewertet werden alle Kommentare auf dem Blog bis 23. April 2015, 23:59:59.

Notwendiger Hinweis: Das Los entscheidet. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Rezension: Heike Guderjahn (Hrsg.), April, Sturm und andere Turbulenzen. Geschichten von der Liebe

Quelle: www.buchergilde.de
Quelle: www.buchergilde.de

Weg mit den Pseudo-Sado-Maso-Schinken. „Fifty Shades of Grey“ ist eine Lachnummer im Vergleich zu diesen Geschichten. Sie stammen aus Zeiten, als Frau noch etwas zu befürchten hatte, wenn sie sich erdreistete, über Herzschmerz zu schreiben. So zum Beispiel Kate Chopin: Die Amerikanerin legte im Jahr 1899 mit „The Awakening“ einen wahrlich skandalöses Buch vor, in welchem sie ihrer Protagonistin ein Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit zustand. In der Folge des Aufruhrs, welchen sie damit in der gutbürgerlichen Gesellschaft auslöste, wurde zu ihren Lebzeiten nie wieder ein Buch von ihr verlegt.

Ihre Erzählung „Der Sturm“ ist eine kondensierte Version ihres Erstlings und wurde erst posthum veröffentlicht. Sie findet sich im wunderbaren Sammelband „April, Sturm und andere Turbulenzen“, jüngst erschienen in der Edition Büchergilde. Herausgeberin Heike Guderjahn hat hier Geschichten von der Liebe zusammen getragen, allesamt geschrieben von intellektuellen und einfühlsamen Frauen. Natalia Ginzburg ist ebenso darunter wie Sylvia Plath und Ingeborg Bachmann. Die Erzählstränge reichen von Erotik bis hin zum wahren Gräuel jeder Romanze: verblassender und erloschener Liebe.

April_vonoben-a096641cDer Herausgeberin gelingt es, Geschichten zu versammeln, die von echten Beziehungen inspiriert sind. Sie sind nicht glatt gebügelt von irgendwelchen Märchenprinz-Fantasien. Und damit entsteht ein Lesebuch für Frauen, die es gelernt haben, Herzweh auszuhalten. Die Illustrationen der Leipziger Zeichnerin Susanne Wurlitzer spiegeln auf Herrlichste die Leere wider, die entsteht, wenn eine brennende Leidenschaft abgekühlt ist. Ein besonderes Lob gilt der Gestaltung: Das Buch wird in einer Wickelbroschur hergestellt. Als besondere Herausforderung an die Druckerei kann der Leser den Umschlag zu einem Tafelbild aufklappen und aufstellen.

Ein bezaubernder Band nur für wahrhaft Erwachsene.

Heike Guderjahn (Hrsg.), April, Sturm und andere Turbulenzen. Geschichten von der Liebe
Edition Büchergilde, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/April-Sturm-und-andere-Turbulenzen-9783864060489
Autorin der Rezension: Eva-Maria Kasimir

Fotonachweis (2): büchergilde.de

Rezension: Damon Galgut, Arktischer Sommer

Der südafrikanische Autor Damon Galgut, Jahrgang 1963, wurde für zahlreiche internationale Literaturpreise nominiert und zählt zu den renommiertesten Autoren seines Landes.

Quelle: www.randomhouse.de
Quelle: www.randomhouse.de

Die Handlung
Der junge Engländer Edward Morgan Forster fühlt sich im viktorianischen England der Jahrhundertwende eingezwängt in starre Konventionen und prüde Borniertheit. Er fühlt seit frühester Jugend, dass er nur Menschen des eigenen Geschlechts sexuell anziehend findet, braucht jedoch lange Zeit, um sich dies auch einzugestehen. Nach dem frühen Tod seines Vaters lebt er bei seiner Mutter, die er verehrt und liebt, deren einengende Bevormundung ihm aber auch zunehmend stört.

Da erscheint die Aussicht, ein halbes Jahr mit Freunden durch die englische Kolonie Indien zu reisen, sehr attraktiv. Auf der Überfahrt lernt er einen Engländer kennen, der in Indien als Soldat stationiert ist, und der ihm in Gesprächen, die nicht über Andeutungen hinaus das Thema Homosexualität berühren, das sinnliche Indien in den verführerischsten Farben schildert.

Schon während seines Studiums in England hatte Forster Freundschaft zu dem Inder Masood geschlossen, den er nun nach Jahren in seiner Heimat besuchen will. Von ihm erhofft er sich die Erfüllung seiner sexuellen Träume. Doch das begehrte Sehnsuchtsobjekt will nicht bis zum Äußersten gehen, und Forster erlebt etwas Innigeres als profanes Ausleben seiner Begierden. Allerdings hat sich der Freund verändert und der Aufenthalt gerät letztlich zum Desaster.

Wieder im kühlen England, wo er einige Männer kennenlernt, denen seine Präferenzen nicht fremd sind, erreicht Forster mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges der Ruf nach Ägypten, wo er sich als Mitarbeiter des Roten Kreuzes nützlich macht, indem er verletzte Soldaten im Hospital besucht und befragt. Dort in Alexandria, das so gar nichts von der erhofften orientalischen Leichtigkeit für ihn bereithält, lernt er den jungen Straßenbahnschaffner Mohammed kennen und lieben. Doch auch diese Liebe ist letztlich nicht von Erfüllung gekrönt, da Mohammed heiratet und später schwer erkrankt und stirbt.

Homosexualität und der Kampf um den perfekten Roman
Der Autor E. M. Forster (1879 – 1970) ist vielleicht manchem Leser bekannt. ich kannte ihn zuvor nicht. Und auch das beherrschende Thema – seine Homosexualität und der Umgang damit – ist nichts, was mich brennend interessiert. Ebenso fand ich die sehr ausführlich geschilderten Kämpfe des Protagonisten um die Entstehung seines Indienromans oder anderer Werke, ebenso wie die Schilderung seines Indien-Aufenthaltes, oftmals langatmig und ebenso wie seine sexuellen Beschwernisse voll mit Redundanzen und Abschweifungen.

Mein Fazit
Empfehlen kann ich den Roman nur denjenigen, die sich explizit für die englische Kolonialherrschaft in Indien und Ägypten, oder für das Thema Homosexualität in der Zeit um den Ersten Weltkrieg interessieren. Kein großer Publikumsroman.

Damon Galgut, Arktischer Sommer
Wilhelm Goldmann Verlag, München 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Arktischer-Sommer-9783442547470
Autorin der Rezension: Cornelia Lotter
www.autorin-cornelia-lotter.de

Rezension: Julia Jessen, Alles wird hell

Quelle: www.kunstmann.de
Quelle: www.kunstmann.de

Die Handlung
Ist es ein Liebesroman, ein Lebensroman, ein Familienroman? „Alles wird hell“ von Julia Jessen ist nichts von alledem und doch von allem ein bisschen. In drei großen Teilen beschreibt Jessen das Leben von Oda. Zuerst das kleine Mädchen, das zu einem Teenager wird und gegen die Familie und Lehrer rebelliert, dann die Frau, die ihren Lebenstraum verwirklich hat, aber in ihrer Beziehung und mit ihrem Leben trotzdem nicht wirklich zufrieden ist. Und schließlich die alte Frau, die ihrem Mann beim Sterben hilft und dann selber stirbt. Doch der Roman beschreibt nicht nur Odas Leben, sondern auch das ihrer eigenwilligen Familie, in der meist die Frauen den Ton angeben.

Abrupte Übergänge
Das Buch beginnt mit dem Ende. Als Leserin sehe ich Oda sterben, nehme Teil an ihren Gedanken und Gefühlen. Erst dann beginnt das Buch mit einem Erlebnis Odas als kleines Mädchen. Das Buch wird also in einer Rückblende erzählt. Gleichzeitig ist diese Aufteilung auch eine gewisse Schwäche, denn beim Übergang von einem Teil zum anderen ist mir nicht immer sofort klar, wo die Handlung plötzlich wieder einsetzt. Besonders im Mittelteil fällt mir dieser Bruch auf und es ist schwer, wieder in den Lesefluss zu finden.

Schwieriger Mittelteil
Überhaupt war der Mittelteil für mich der herausforderndste Teil des Buches, insbesondere die Beschreibung der Schwierigkeiten, die Oda mit ihrem Mann hat, weil sie noch ein Kind will, er aber nicht. Odas Gefühlschaos und die Konsequenzen daraus beschreibt Julia Jessen sehr genau. Das ist einerseits spannend, führt andererseits aber auch dazu, dass mir die Hauptfigur zunehmend unsympathisch wird, auch wenn ich manche Dinge gut nachvollziehen kann. Manchmal möchte ich als Leserin einfach nur ins Buch springen und diese Oda kräftig durchschütteln, damit sie wieder zu Verstand kommt und endlich ihr Leben ohne Selbstmitleid auf die Reihe bringt.

Mein Fazit: Lesenswert
Trotz dieser Herausforderung halte ich das Buch von Julia Jessen für sehr lesenswert. Es ist ein spannend und zieht mich in seinen Bann. Und ich merke nicht einmal, dass ich mitten drin bin in der chaotischen, unberechenbaren Gefühlswelt dieser Oda, die mich so schnell nicht mehr loslässt.

Julia Jessen, Alles wird hell
Verlag Antje Kunstmann, 2015
Julia Jessen liest: https://www.youtube.com/watch?v=QfCwQ42GRuM
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Alles-wird-hell-9783956140242
Autorin der Rezension: Yvonne Giebels

Rezension: Paul Pickering, Die Frau des Leoparden

Der britische Bestseller-Autor Paul Pickering liefert in seinem fünften Roman alles, was man sich von einem unterhaltsamen Buch wünschen kann: Spannung, Liebe, Verrat, Gewalt, traumhafte Bilder und Absurdität, die zur Komik gereicht – und zur Verwirrung.

Quelle: www.randomhouse.de
Quelle: www.randomhouse.de

Ein Mann, eine Frau, ein Klavier und der Kongo
Im Kongo herrscht Bürgerkrieg. Nicht ganz unschuldig daran ist Lola, die „kongolesische Helena von Troja“, Frau des Generalmajors Xavier – auch genannt Chui, „der Leopard“ – und Geliebte von dessem Bruder. Mit ihren gerade mal 17 Jahren hat sie jedoch beide Beziehungen bereits hinter sich gelassen und verliebt sich nun in den Hauptcharakter des Buches: einen britischen Pianisten namens Smiles, welcher ihr freilich auch vom ersten Moment an verfällt. Dabei kam Smiles eigentlich nur in den Kongo, um dort seinem alten Freund und Lehrer Lyman Andrew zu begegnen und gemeinsam mit ihm ein Friedenskonzert zu geben. Dies wird dadurch erschwert, dass beide Pianisten für tot erklärt werden – sie seien einem Bombenanschlag im Konzertsaal zum Opfer gefallen – und sich Lyman Andrew im Dschungel versteckt. Kurzerhand wird der Plan gefasst, das Konzert dann eben im Urwald zu geben und im Radio zu übertragen. Man muss ja nur Smiles flussaufwärts kuttern – ihn und das Klavier: einen Konzertflügel aus dem 18. Jahrhundert. Mit an Bord ist natürlich auch Lola und während sie und Smiles auf den diversen Zwischenstopps der Reise turteln, heiraten und immer wieder flüchten (vor wem genau, ist nie ganz klar), liest Lolas kleiner Bruder Smiles‘ Briefe über seine Internatszeit in England und seine damalige Freundschaft mit Lyman Andrew…

Zwei Geschichten, eine Moral
Obwohl ich bis zum Schluss des Buches nicht wirklich schlau daraus werde, wer hier eigentlich gegen wen kämpft, genieße ich diese abenteuerliche und wundervoll bildhafte Reise durch den Kongo – man merkt, dass Pickering hier als Augenzeuge berichtet. Ich fiebere mit den beiden Protagonisten Lola und Smiles, die sich ganz offensichtlich in höchster Gefahr befinden, wenngleich auch hier nicht ganz klar ist, warum und wovon diese Gefahr ausgeht. Vieles in Pickerings Roman schert sich nicht um ein „Warum“ und ist dennoch nicht weniger real. Ich begegne menschlichen Abgründen und unfassbaren Gewaltakten, sowohl im Reich der Mosquitos und Krokodile, als auch an Smiles‘ noblem Freimaurer-Internat in England. Was sich dort abspielt bildet eine eigene Geschichte, die den Ereignissen im Kongo an Heftigkeit in nichts nachsteht. Die Moralität der Romanfiguren lässt sich nicht so einfach bestimmen wie deren Hautfarbe. Nicht einmal beim Hauptakteur Smiles, der neben Lola vor allem zwei Dinge liebt: Das Klavier und die Quitte seiner Mutter.

Mein Fazit
Pickering hat mir mit dieser turbulenten und abstrusen Erzählung mehr als ein Stirnrunzeln entlockt. Auch den Prolog verstand ich erst, als ich ihn als Epilog las. Kurzum: Das Buch war für mich ein Abenteuer – in jeder Hinsicht.

Paul Pickering, Die Frau des Leoparden
Bertelsmann, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Die-Frau-des-Leoparden-9783570102107
Autorin der Rezension: Katja Weber