Vizepräsident des Deutschen Bundestages ist „Sprachwahrer des Jahres 2014“

Jährlich wählen die Leser der „Deutschen Sprachwelt“, Organ des „Vereins für Sprachpflege e.V.“, den „Sprachwahrer des Jahres“. Die Auszeichnung ehrt besondere Bemühungen um die Bewahrung der deutschen Sprache. Für das Jahr 2014 wurde jetzt Johannes Singhammer, CSU-Mitglied und Vizepräsident des Deutschen Bundestages, ausgezeichnet.

SALE-Aufkleber_Muster_kleinWie die „Deutsche Sprachwelt“ in ihrer jüngsten Ausgabe Nr. 59 berichtet, hatte Singhammer bereits 2006 eine Selbstverpflichtung unterzeichnet, wonach er in seinen Reden auf eine „verständliche und bürgernahe Sprache“ achten und sich für das „Ansehen der deutschen Sprache“ einsetzen wollte. 2014 hatte Singhammer die Institutionen der EU scharf kritisiert: „Das Motto der EU lautet: Deutsches Geld ja, deutsche Sprache nein.“ Außerdem tadelte Singhammer Bundesverteidigungsministerin von der Leyen öffentlich, dass sie ihre Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz auf Englisch gehalten hatte.

Gleichzeitig geißelt die „Deutsche Sprachwelt“ öffentliche Mandatsträger, die nach ihrer Meinung als besondere Sprachsünder auffielen. Im aktuellen Fokus: Alexander Graf Lambsdorff, Europaabgeordneter der FDP. Er setze sich dafür ein, dass Englisch in Deutschland Verwaltungsspache werde, mittelfristig sogar Amtssprache. Protestbriefe seien zu richten an „Sprachsünder Alexander Graf Lambsdorff MdEP, Europäisches Parlament, Brüssel“.

buchhandel.de verbessert Reichweite und Rechtssicherheit für Literaturblogger

buchhandel.de ist die bewusste Entscheidung, Medien lokal und online einzukaufen. Über 800 Buchhandlungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind angeschlossen, rund zwei Millionen Titel sind verfügbar. Zum Angebot für Buchhandlungen, Verlage und Bibliotheken wirbt buchhandel.de jetzt auch um Literaturblogger. In der erstmals eingerichteten Bloggerlounge der Leipziger Buchmesse stellte Kirsten Haas, im Netz als „Kiki“ unterwegs, die Möglichkeiten vor. 

image_manager__cfu_buchhandel_de_pb_banner_160x125_visual_1„Ihr seid neben den Buchhändlern die Fachleute für Bücher.“ Kiki Haas zieht schnell die Aufmerksamkeit der Blogger auf sich. Und sie kennt deren Nöte: Wann darf ein Buchcover eingebunden werden? Da ist die Abmahngefahr groß. Ab sofort bietet buchhandel.de die Möglichkeit, die Buchcover-Abbildungen des Portals für Literaturblogs zu nutzen. „Das ist kostenlos und schafft Rechtssicherheit“, macht Kiki Haas das Angebot schmackhaft. Nach einer unkomplizierten Registrierung bei buchhandel.de wird ein hinterlegtes Cover in den Blogbeitrag eingebunden. Es erfolgt keine Speicherung auf dem lokalen Blog. Bei einer Änderung des Covers erfolgt eine automatische Anpassung. Zusätzliche bibliographische Informationen sind zunächst nicht geplant. Ungeklärt ist noch die Einbindung auf YouTube.

Ein zweites Angebot verbessert die Reichweite und Sichtbarkeit von Blogs. Auf der Startseite von buchhandel.de werden im zweiwöchigen Wechsel Buchhändler und Blogger vorgestellt. Blogger können zusätzlich zu einem Kurzportrait und der Blog-URL bis zu 24 ihrer favorisierten Titel einstellen. Mittels Archivfunktion können alle vorgestellten Blogs abgerufen werden.

Das Anmeldeformular für Blogger gibt s hier.

Achter Verlag: Ein Dorf in der Eifel macht schöne Bücher

75 Einwohner, ein Hirsch im Wappen und ein Verlag: Das ist das Dörfchen Acht in der Vulkaneifel, Namensgeber für den Achter Verlag von Wolfgang Orians. Er ist Büchermacher mit einem klar formulierten Anspruch: Er will schöne Bücher. Viele davon liegen oberhalb der Preisschwelle von 19,90 Euro. Wolfgang Orians ist überzeugt: „Ein schönes Buch entsteht erst durch das Zusammenspiel des Textes mit professionellem Satz, wertvollem Papier und einem kunstvollen Umschlag.“

achter verlagAlles begann mit einer Anthologiereihe. Seitdem ist Wolfgang Orians von seinem Anspruch treu geblieben: Bibliophil geht vor Gewinnmaximierung. Fadenheftung, Hardcover, angenehme Haptik. Das Programm negiert Mainstream, es gibt bewusst keine Krimis „vom x-ten Dorfkommissar“, auch keine Fantasy. Stattdessen dominiert Belletristik, es gibt kleine Geschenkbücher und ein erstes Reisebuch. Und noch eine klare Ansage: „E-Books im Bereich Belletristik lehne ich ab.“

20 Bücher listet Wolfgang Orians jetzt. Er versucht mit Stammautoren zu arbeiten wie Frederike Frei und Birgit Rabisch und beschäftigt freie Lektoren. Doch 20 Titel reichen nicht einmal aus, um neue Bücher zu produzieren. „Das müssen andere Aktivitäten ausgleichen.“ Die Auflagen der Bücher liegen bei höchstens 1.000 Exemplaren, manche bei 500. Wolfgang Orians: „Ich überlege, künftig vom Offsetdruck auf Digital umzustellen und erstmal nur 200 Exemplare zu drucken.“ Das sei kein Abstrich an den Ansprüchen,  den Unterschied erkenne nur ein Fachmann. Was jedoch jeder Leser auf der Buchmesse klar sehen könne, sei die Tendenz, mit billig gemachten Büchern den Markt zu überschwemmen: „Da wird in Litauen gedruckt, es wird geklebt, und auf ein Lektorat wird völlig verzichtet.“

Wolfgang Orians mag Menschen und Bücher. Er kommt gern nach Leipzig zur Buchmesse. „Nach Frankfurt geh ich nicht mehr, das hat keinen direkten Effekt.“ Ob wir ihn auch 2016 wiedersehen? „Solange das Finanzamt nicht sagt, ich betreibe Liebhaberei…“.

pi_wartenaufdenanrufMeine Buchempfehlung aus dem Achter Verlag: Birgit Rabisch, Warten auf den Anruf. Leseprobe und Bestellmöglichkeit hier.

Qindie: Demokratische Qualitätskontrolle für Indies

„Sind wir doch mal ehrlich: Allein das Etikett Selfpublisher ist kein Gütesiegel. Die wirklich guten, lesbaren und handwerklich anständig gemachten Bücher gehen in der Flut gnadenlos unter. Das wollen wir ändern.“ Regina Mengel hat eine Mission: Sie kämpft gegen den Berg von Selfpublishingmüll. Auf der Plattform Qindie will sie zusammen mit anderen Autorinnen und Autoren Bücher präsentieren, „die einen zweiten Blick wert sind.“ Das Prinzip heißt Kollektiv und Korrektiv: Was aufgenommen wird, wird handverlesen durch demokratische Abstimmung.

Qindie_NL_HeaderSeit  1. Mai 2013 online, bündelt Qindie Rezensenten, Leser, Autoren und Kleinverlage zu einem Kompetenz-Netzwerk. Beachtlich: Über 100 Autoren mit weit über 300 Büchern vertrauen inzwischen dem Konzept. Vertreten sind alle Genres, angenommen werden Print, eBook und auch Hybridformen im Selfpublishing.

Vor der Aufnahme steht eine Prüfung: „Wir beurteilen soft facts und hard facts, aber nie den Inhalt“, betont Regina Mengel. Unter die Lupe genommen werden Rechtschreibung, Grammatik, Interpunktion und Tempora, aber auch Satz, Cover und Schreibhandwerk. „Da wird es durchaus ein wenig subjektiv“, räumt Regina Mengel als Bewerbungsbeauftragte von Qindie ein. Hier kommt die demokratische Komponente der Schwarmintelligenz zum Tragen: Jeder, der auf dem Portal vertreten ist, musste die Prüfung durchstehen, und jeder auf dem Portal ist auch Prüfer. Leseprobe und Cover werden über ein internes Forum verteilt. Im Schnitt voten 30 Mitglieder bei einem Aufnahmeantrag. Vergeben werden Einstufungen von Gold bis Bronze. In Streitfällen urteilt eine Jury aus Autoren und Lektoren.

Am Messestand von Qindie auf der Leipziger Buchmesse 2015, der ersten Messebeteiligung überhaupt, war das Interesse groß. Jeder Autor, der seine Bücher ausstellen wollte, hatte sich an den Kosten beteiligt. Regina Mengel: „Wir machen das alle ehrenamtlich, und manche, die sich engagieren, kenne ich nur über das Netz.“ Mittelfristig müsse Qindie auch wirtschaftlich denken. „Große Partner haben wir schon im Blick“, kündigt Regina Mengel an.

Auf der Homepage von Qindie de finden Autoren ein Bewerbungsformular.

Tolino umwirbt Selfpublisher – neobooks bleibt gelassen

tolinoAuf der Leipziger Buchmesse war es unter den Selfpublishern ein großes Thema: Tolino, die Allianz der deutschen Buchhändler Thalia, Weltbild, Hugendubel, Club Bertelsmann, Libri sowie einiger kleinerer Anbieter, startet Ende April mit einem eigenen Selfpublishing-Portal. Autoren können dann ihre eBooks direkt hochladen, was bisher nicht möglich war. Zulässig sind die Formate ePub und Word, ein Online-Editor ist integriert.

Kosten fallen für die Autoren nicht an, und die Auszahlungsquote soll, wie bei anderen Plattformen auch, 70 Prozent vom Netto betragen; zunächst begrenzt bis Ende Januar 2016. Die hochgeladenen eBooks erscheinen automatisch bei allen Tolino-Händlern. Autoren können sich jederzeit auch für Preisaktionen entscheiden. Weitere Vorteile: Verkaufszahlen werden tagesaktuell geliefert, Autoren sind nicht zur Exklusivität verpflichtet. Außerdem sollen erfolgreiche Autoren bei Tolino die Chance erhalten, in den angeschlossenen rund 1.500 lokalen Buchhandlungen ihr Werk gedruckt anzubieten.

blog1Über Amazon via Kindle Direct Publishing und Tolino könnten Autoren künftig etwa 90 Prozent des Marktes problemlos erreichen. Könnte dies Plattformen wie neobooks und BookRix Probleme bereiten, ihre Autoren zu halten? Eva-Maria Holzmair von der Verlagsgruppe Droemer Knaur bleibt gelassen: „Den Anteil von 90 Prozent halte ich für überzogen“, sagt sie mir. „Es dürften 70 bis 80 Prozent sein.“ Für neobooks sieht sie zunächst keine Einbußen und empfindet das Tolino-Modell sogar als Rückschritt: „Wir beliefern alle Händler aus einer Hand, und jetzt sollen die Autoren dies wieder selbst übernehmen.“ Tolino sei nicht der erste Konkurrent, der am Markt auftauche. „An unseren Wissensvorsprung müssen andere erst einmal herankommen“, meinst sie selbstbewusst. „Nicht umsonst scouten große Verlage bei uns neue Talente.“

Hast du Töne: Crowdfunding für Musik auf der Leipziger Buchmesse

Sie sprechen mich auf der Empore der Glashalle an. Tine und Moritz sind CousCous, ein junges Musikduo aus Dresden. Sie machen sauberen Acoustic Art Pop ohne Loopstations und Sampler. Nach dem Debütalbum „Paper Tiger“ aus dem Jahr 2012 ist jetzt das Projekt „Tales“ in der Pipeline. Das Besondere: Das Album wird anstelle eines Booklets mit einem gebundenen Hardcover-Buch kombiniert, das die Leipziger Künstlerin Anemone Kloos liebevoll illustriert. Die Finanzierung erfolgt über musicstarter.de, Deutschlands erstem Crowdfunding-Musiklabel.

Auf Promotiontour: Das Duo CousCous auf der Leipziger Buchmesse. Foto: Detlef M. Plaisier
Auf Promotiontour: Das Duo CousCous auf der Leipziger Buchmesse. Fotos (2): Detlef M. Plaisier

Stell dir vor, du könntest öfter mal lachen… Der Junge mit den Schmetterlingen im Bauch sucht auf einer abenteuerlichen Reise die fehlenden Gefühle in seiner Welt. Er begegnet skurrilen Menschen wie der Frau mit den zwei grünen Daumen, dem Mädchen mit dem Herz auf der Zunge und dem Mann, der anderen Löcher in den Bauch fragt, er findet Freunde und trifft auf einen Professor mit einem dunklen Geheimnis…

„Tales ist ein Album, das man immer wieder hören will. Du legst es ein und hörst es an einem Stück durch“, verspricht Moritz. Doch die Hürde ist hoch: Die Fundingschwelle liegt bei 15.000 Euro. Die gesamte Summe fließt in Aufnahme und Produktion der CD, Anfertigung der Illustrationen und den Buchdruck. „Erreichen wir sogar 30.000 Euro“, erzählt Moritz, „bekommen wir einen Plattenvertrag mit Musicstarter. Dann wird unser Projekt professionell veröffentlicht und promotet. Ein Traum für uns!“

Leipziger Buchmesse 13. März 2015. Foto Detlef M. Plaisier (26)Wer das Projekt unterstützen möchte, kann hier seinen Beitrag leisten. Die Crowdfunding-Aktion läuft bis zum 2. Mai 2015. Auf der Seite von musicstarter.de stehen auch die Termine der Promotionshows von CousCous im März und April.

Rezension: Rupert Dance und Lillian A. Darling, Blaue Feen & Weiße Königinnen – die Essenz der Märchen

Eine deutsch-britische und eine deutsche Autorin, die sich bereits die ersten Sporen in der literarischen Welt verdient haben, wollen gemeinsam ein Märchenbuch verfassen. Weil ihre ersten Publikationen in anderen literarischen Genres liegen, erscheint es nur logisch, dass sie das Gemeinschaftsprojekt unter Pseudonym veröffentlichen. Das Duo Rupert Dance und Lillian A. Darling beweist, dass selbst Geschichten von Völkern, die längst das Antlitz der Erde verlassen haben, bis heute nichts von ihrer Magie und Faszination verloren haben. Erhältlich ist die Sammlung in der Kindle Edition als E-Book.

Quelle: amazon.de
Quelle: amazon.de

Bekannte Motive und unbekannte Geschichten
In einem einleitenden Kapitel gibt das Autorenduo einen persönlich angehauchten Einblick in die Welt der Märchen und schildert einige Hintergründe zu diesem literarischen Sujet. Die bekannten Märchensammler wie die Brüder Grimm haben die Märchen nicht frei ersonnen, sondern Geschichten gesammelt, die seit Generationen im Volksmund erzählt wurden, oft um der einfachen Bevölkerung moralische Werte und Tugenden zu vermitteln. Und nicht selten reichen die Geschichten der Märchen zurück bis in die römische, griechische oder keltische Mythologie.

Anschließend erzählen Rupert Dance und Lillian A. Darling abwechselnd 17 Geschichten. Als Vorlage dienen größtenteils Märchenmotive, die der Leser aus den Werken von Hans Christian Andersen oder den Brüdern Grimm kennt. Aber auch moderne Märchen, etwa ein Drehbuch, werden märchenhaft interpretiert. Dance und Darling konzentrieren sich dabei größtenteils auf die eher unbekannteren Geschichten der großen Märchenerzähler. Märchen-Evergreens wie „Dornröschen“ oder „Schneewittchen“ dürfen natürlich nicht fehlen, diese werden jedoch in Gedichtform verarbeitet.

Alte Geschichten im modernen Gewand
Die Sprache der beiden Autorinnen ist märchenhaft und zugleich modern. Dieser nicht einfache Spagat gelingt ihnen durch alle Geschichten hindurch bestens. Da vor jedem Märchen die ursprüngliche Quelle oder das jeweilige Märchenmotiv genannt wird, kann der interessierte Leser nachvollziehen, welche Details einer vielleicht schon bekannten Geschichte abgewandelt wurden und inwieweit die Handlung vom scheinbaren Original abweicht. Für den Kenner ergibt sich dabei so manch überraschende Wendung.

Mein Fazit
Mit „Blaue Feen & Weiße Königinnen“ ist eine rundum gelungene Märchensammlung entstanden. Diese richtet sich eher an ein erwachsenes Publikum, welches die Vorlagen kennt und gewiss Spaß daran hat, die Unterschiede aufzuspüren. Man mag sich fragen, ob ein neues Märchenbuch nun wirklich noch sein muss. Im Fall von „Blaue Feen & Weiße Königinnen“: Eindeutig Ja! Hier wird nicht nacherzählt, sondern neu interpretiert. Und das ist verdammt spannend.

Rupert Dance und Lillian A. Darling, Blaue Feen & Weiße Königinnen – die Essenz der Märchen
Kindle Edition, 2015
Online bestellen: http://amzn.to/1MOgTTW
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Wolf Schmid, Pedalpilot Doppel-Zwo

Pedalpilot Doppel-Zwo ist der Ritter der Straße. Als Radkurier in Hamburg bringt Johannes jeden Tag Sendungen auf die Asphaltbahn. Bis ein Bruch ihn aus derselben wirft. Also muss Walter ran, sein Vater. Der tut sich anfangs schwer, ist er doch – als einer der letzten verbeamteten Postzusteller – gerade in Pension gegangen. Und er ist ein schüchterner Kauz. Aber Walter fällt ausnahmsweise mal das Glück zu.

Quelle: www.liesmich-verlag.de
Quelle: www.liesmich-verlag.de

Wolf Schmid legt mit Pedalpilot Doppel-Zwo einen wunderbaren Erstlingsroman vor. Schmids Sprache ist klar und spiegelt seinen Ideenreichtum wider. Und damit erzählt er eine Geschichte, die subtil politisch ist: Es ist die vom Sonderling Walter, der im heutigen Raubtierkapitalismus verloren wäre. Walter gehört noch zu einer Generation, in der Postboten und Paketzusteller verbeamtet waren und es zu bescheidenem Wohlstand bringen konnten: ein Haus, eine Eigentumswohnung, ein kleiner Weinberg. Das zählt Walter, der den Mund nicht aufbrächte, selbst wenn es um sein Leben ginge, zu seinem Besitz. Plus Pension.

Johannes wird das wohl nie erreichen. Ungleich gewandter und mit höherem Bildungsabschluss ausgestattet, schlägt er sich in einem ähnlichen Job als Kurierfahrer durch. „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“, rät sein Vater. „Spar du dir lieber deine Sprichworte. Mir bleibt am Ende des Monats nichts zum Sparen. Das ist heute nicht mehr wie zu deiner Zeit, als jeder popelige Briefträger sich Mitte zwanzig den Traum vom Eigenheim erfüllen konnte“, entgegnet Johannes und bringt den Generationsunterschied auf den Punkt. Johannes muss sein Leben ganz anders auf die Reihe bekommen als sein Vater. Und das bald.

Wolf Schmid erzählt von der Prekarisierung einer Bevölkerungsschicht, verpackt in eine liebevolle Geschichte, die den Leser hoffnungsfroh zurücklässt. Bravo!

Wolf Schmid, Pedalpilot Doppel-Zwo
Liesmich-Verlag, 2015
Autorin der Rezension: Eva Maria Kasimir

Hallo, Wolf Schmid: Der Pedalpilot zu Hause in der Leipziger Radkneipe

Der Charme des Abends sprudelt aus zwei Quellen: Der Lesung von Autor Wolf Schmid. Und dem Ambiente der Kneipe Dr. Seltsam. Sie bildet den passendsten Rahmen, den es für einen Roman über Fahrradkuriere wohl geben kann, denn sie ist tagsüber eine Selbsthilfewerkstatt für Radfahrer und abends eben Kneipe. Folglich hängen Fahrräder von der Decke des heruntergekommenen Gebäudes. Die Wand mit den Werkzeugen, mit warmem Licht angestrahlt, wird zum Hintergrund für Schmids Geschichte, wie es sich kein Fotograf besser wünschen könnte.

Autor Wolf Schmid im Dr. Seltsam. Foto: Eva Maria Kasimir
Autor Wolf Schmid im Dr. Seltsam. Foto: Eva Maria Kasimir

Schmids Fangemeinde ist bereits vor Ort: Die Radkuriere Leipzigs, welche die Veröffentlichung des Buches im Herbst vergangenen Jahres bereits ersehnt hatten. „Wir wussten aus einem Internetforum davon, in dem Schmid Hamburger Kuriere darum bat, zu checken, ob die Orte in der Hansestadt noch so stimmen“, erzählt einer, der bis vor drei Jahren noch selbst Kurier war. Und auch Schmid ist ein Ex-Kurier: „Ich fuhr während des Studiums in Hamburg und danach noch eine Weile professionell in München“, so der 39-Jährige. Schmid hat beim Eichborn-Verlag volontiert, Ethnologie und Allgemeine Rhetorik studiert und war unter anderem Buchhändler und Messebauer. Seit 2009 lebt er in Lissabon und arbeitet in einem Call-Center, wo die Kunden eines Schweizer Telekommunikations-Unternehmens betreut werden. Er weiß also, wovon er schreibt, wenn es um prekäre Jobs geht.

Auch sein Verlag ist – noch – eine prekäre Angelegenheit. Der Liesmich-Verlag ist frisch gegründet, der Pedalpiloten-Roman ist die erste Veröffentlichung überhaupt. „Ich freue mich, dass das Interesse immer noch anhält. Seit Herbst bringen wir uns immer wieder ins Gespräch“, so Verleger Karsten Möckel, der hart am PR-Rad dreht und alle möglichen Medien dazu gebracht hat, auf den Wagen aufzuspringen. Die Verkäufe sind dem Aufwand allerdings noch nicht nachgekommen. Bisher sind etwa 800 Stück verkauft. Klingt wenig. Ist aber für einen doppelten Erstling ein beachtlicher Erfolg. „Ich habe mich bewusst für diesen Verlag entschieden, weil ich nicht an große Verlage schreiben und ein halbes Jahr auf Antwort warten wollte“, sagt Schmid. Nun boxen sie sich eben zusammen durch, der Autor und der Neuverlag.

Fahrräder auf der Messe Touristik und Caravaning Leipzig 2014. Foto Detlef M. Plaisier
Fahrräder auf der Messe Touristik und Caravaning Leipzig 2014. Foto Detlef M. Plaisier

Schmid hat im Rahmen der Buchmesse eine Reihe von Lesungen absolviert. Aber richtig zu Hause ist er im Dr. Seltsam, wo das Buch zur Veröffentlichung präsentiert wurde. Schmid erntet viele Lacher und Zwischenrufe. Ihm gelingt es, bei der Lesung  nur wenig von der Geschichte preiszugeben. Und Schmid erklärt den Kurier-Slang: „Beim offenen Funk muss man die Touren ersteigern und sich gegenseitig in der Zeit, in der man die Tour fahren kann, unterbieten. Gibt´s so was in Leipzig?“ Gibt es nicht.

„Hier gibt es zwei große Kurierbuden, und die fahren meist feste Touren“, erzählt der Ex-Kurier. Er sah es immer so, dass er für das Radfahren bezahlt wurde. „In seinem Kopf klackerte permanent eine Zähluhr, die Monats- und Tagesumsatz, den gegenwärtigen Stundenlohn und Gewinn anzeigte, Ausgaben aufaddierte und Alarm schlug, wenn er vom Haben ins Soll rutschte“, heißt es im Roman. Die Leipziger Kuriere kennen das nur zu gut. Verleger Möckel versucht derweil Bücher zu verkaufen. „Es kostet 15 Euro. Das ist verdammt viel Geld für einen Kurier. Das hat mir damals den Kühlschrank voll gemacht“, erzählt der Ex-Fahrer. Und so bleibt Möckel an diesem Abend auf den Romanen sitzen.

Vielen Dank für den Text an Eva Maria Kasimir!

Rezensionsreihe Israel zur Leipziger Buchmesse 2015, Teil 8: Yali Sobol, Die Hände des Pianisten

Der Beginn einer Militärdiktatur wirft seine Schatten auf Tel Aviv. Am Beispiel eines jungen Paares entsteht eine Parabel von Machtmissbrauch und Menschlichkeit.

Zum Autor
Mit seiner Band „Monica Sex“ feierte Yali Sobol, geboren 1972 in Haifa als Sohn des Dramatikers Jehoschua Sobol, in Israel und später in New York große Erfolge. Nach einem Soloalbum sowie einer Kolumne in der Wochenzeitung Tel Aviv wandte er sich dann dem Schreiben von Romanen zu. Mit „Die Hände des Pianisten“ erscheint erstmals einer seiner Romane in deutscher Übersetzung.

Quelle: www.kunstmann.de
Quelle: www.kunstmann.de

Leben unter dem ÜOK
Der Krieg in Israel ist vorbei, ein großer Teil von Tel Aviv zerstört. Anstelle der alten Regierung hat das Übergangsoberkommando (ÜOK) unter der Leitung von General Meni Shamai den Notstand ausgerufen. In dieser Zeit der Ungewissheit versuchen die Bewohner Tel Avivs zu ihrem Alltag zurückzukehren. Unter ihnen sind der Pianist Joav Kirsch und seine Frau Chagit, die als Cutterin in einem lokalen Nachrichtensender arbeitet. Vor allem für Joav bedeuten die neuen Gesetze und die verstärkte Kontrolle ein Hindernis in seiner beruflichen wie künstlerischen Entfaltung. Für seine Tournee wird keine Ausreiseerlaubnis erteilt, er wird verhört und die wenigen Auftritte werden kaum bezahlt. Dann trifft er zufällig auf einen reichen Förderer, der ihm sogar anbietet, ihn außer Landes zu schmuggeln – aber ohne seine Frau.

Auch Chagit bekommt die strengen Auflagen des Regimes in ihrer Arbeit zu spüren. Im Nachrichtensender spiegelt sich die immer dichter werdende Atmosphäre von Überwachung und Verrat wider und auch die Beziehung zu Joav beginnt zu bröckeln. Als ein Kollege ihr einen USB-Stick mit brisantem Material anvertraut, kann sie die Konsequenzen ihrer Hilfe noch nicht erahnen.

Eine Frage der Prinzipien
Der Roman liest sich wie ein Prequel einer politischen Dystopie und nimmt sich viel Zeit, um die Figuren und Umstände zu beschreiben. Zu Beginn steht Joavs Kampf um seine Kunst, die durch die Beschränkungen des Militärregimes und später auch den Geschmack seines Mäzens immer stärker beeinflusst wird, bis er sich beinahe in zwei Persönlichkeiten splittet. Gleichzeitig zieht sich Chagit immer mehr in ihre kühle Berechnung zurück, versucht ihren Mann aus allem raus und ihre Prinzipen für sich zu erhalten. Sobol richtet den Blick auch auf die Seite der Machthaber und beschreibt, wie eine kleine Abteilung langsam zu einer straff organisierten Behörde gegen „politische Umtriebe“ ausgebaut wird, Polizisten langsam abstumpfen, korrumpieren.

Mein Fazit
Mit einer klaren Sprache malt Sobol ein dunkles Szenario, wie sich Menschen unter politischen Druck verhalten und verändern. Trotz eines recht ruhigen Einstiegs bleibt das Buch bis zur letzten Seite packend. Ich hoffe darauf, dass auch die anderen Bücher des Autors bald ins Deutsche übersetzt werden.

Yali Sobol, Die Hände des Pianisten
Verlag Antje Kunstmann, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Die-Haende-des-Pianisten-9783888979262
Autorin der Rezension: Jasmin Beer