1. Internationale Autorenmesse in Frankfurt/M am 4. Juni 2016 (II): Zwischen Ablehnung und Hoffnung

www.scherer-academy.com
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Das Hörsaalzentrum auf dem Uni Campus im Frankfurter Westend ist am 4. Juni Schauplatz der „1. Internationalen Autorenmesse“.  Die Tagesveranstaltung von 10 bis 17 Uhr richtet sich an „alle Autoren und die, die es werden wollen“. Versprochen wird „die Chance, sich umfassend zu informieren sowie inspirieren zu lassen.“ Schreibende, so die Ankündigung, könnten mit Lektoren, Grafikern, Illustratoren, Verlagsvertretern, Marketingfachleuten und Medienanwälten in Kontakt treten. Eine Lektoratssprechstunde ist ebenso angekündigt wie eine Erstberatung für Autoren, Schreibtraining sowie „Top-Referenten“ und Workshops. Der Eintrittspreis für Vollzahler beträgt ambitionierte 44 Euro, es gibt zahlreiche Rabatt- und Gratisaktionen. Veranstalter der Autorenmesse ist kein Akteur der Buchbranche, sondern die „Unternehmen Erfolg AG“ im bayerischen Freising. Dahinter steht Hermann Scherer, einer der gefragtesten und bestdotierten Motivationscoaches und Top-Speaker.

Was meinen Profis der Buchbranche und Autoren zu dem neuen Format? Ich habe mich umgehört.

Frieling Bild
http://www.ruprechtfrieling.de/

Seine Anhänger aus der Selfpublishing-Szene nennen ihn ehrfurchtsvoll „Prinz Rupi“: Wilhelm Ruprecht Frieling schreibt, inszeniert, moderiert, bloggt und berät. Zur Autorenmesse in Frankfurt hat er eine knackige klare Meinung: „Eine Veranstaltung mit drittklassigem Personal. Da ist keiner dabei, der im Selfpublishing wirklich Erfolg hat.“ Die Messe sei nicht mehr „als ein Abklatsch des Self-Publishing-Days in München.“

„Drittklassig“ ist Karla Paul dann doch zu hoch gegriffen. Die Verlegerin (Edel eBooks, edel & electric), Bloggerin, Buchtuberin und Kolumnistin hatte zuletzt auf der Leipziger Buchmesse 2016 durch eine provokative Keynote Aufsehen erregt, als sie Literaturblogger aufforderte, mehr Selbstbewusstsein zu zeigen und die „Emo-Flauschzone“ zu verlassen. Auch ihr Urteil zur Frankfurter Autorenmesse ist eindeutig: „Ich sehe für mich persönlich keinen Grund, sie als Privatperson zu besuchen oder aber als Verlegerin dort mit meinen Projekten zu präsentieren. Sie bietet keinen Mehrwert zu den bereits existierenden Messen und Cons, die mit sehr viel Liebe und Leidenschaft organisiert werden.“

Karla Paul
http://wasmitbuechern.de / Karla Paul

Die Preise der Frankfurter Autorenmesse seien, gerade für die erste Veranstaltung, sehr hoch. Größter Kritikpunkt ist für Karla Paul die Werbung mit unternehmen-erfolg.de: „Das hat ja nun rein gar nichts mehr mit Literatur zu tun, sondern wirkt auf mich billig und unseriös.“ Den Frankfurter Machern empfiehlt die Ikone der neuen Digitalgeneration einen Blick auf das Publishers’ Forum in Berlin: „Das sieht von der Webseite bis zur tatsächlichen Umsetzung ganz anders aus und beweist Kenntnis und Interesse des Buchmarkts bis ins Detail.“ Da überrascht das Endurteil von Karla Paul nicht mehr: „Ich würde von der Autorenmesse eher Abstand nehmen. Vielleicht irre ich mich auch – das ist immer der beste Fall, wenn man positiv überrascht wird.“

http://leanderwattig.com
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Versöhnlicher urteilt Leander Wattig. Sein Name ist verbunden mit Projekten wie #wasmitbuechern, #pubnpub und dem Virenschleuderpreis. Leander Wattig sieht das gesamte Thema Professionalisierung und Marketing für Autoren in Deutschland als noch unterentwickelt an und begrüßt deshalb Initiativen, die das adressieren: „Es gibt da großen Bedarf und großes Potenzial, weshalb so eine Autorenmesse grundsätzlich sicher gute Chancen hat.“ Allerdings kritisiert er, dass weder bei den Referenten noch bei den Ausstellern die Internationalität zu erkennen sei, welche der hochgestochene Name suggeriere, und dass inhaltlich bisher auch ein Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu Events ähnlicher Ausrichtung fehle.

www.autorentag.com
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Caroline Funke betreut im Hause Ullstein seit Oktober 2015 als Lektorin die beiden Imprints Midnight und Forever an der Schnittstelle zwischen traditionellem Verlegen und Self-Publishing. Auf der Frankfurter Autorenmesse wird sie in einem Vortrag erläutern, wie digitales Publizieren im Verlag abläuft und als Jurorin im Buchcontest mitwirken.  „Wir schätzen den  direkten Austausch mit Autoren“, so Caroline Funke, „und sind deshalb immer wieder bei Events auch abseits der beiden großen Buchmessen in Frankfurt und Leipzig vertreten“, so in diesem Jahr als Sponsor bei der LoveLetter Convention in Berlin und bei der Electric Book Fair. Für den Buchcontest der Frankfurter Autorenmesse hat Ullstein als Preis ein Beratungsgespräch zum Manuskript ausgelobt. Caroline Funke unterstützt das Konzept, Autoren bei ihren ersten Schritten von der Buchidee bis zur Veröfffentlichung zu begleiten. Dass der Veranstalter keiner der „üblichen Verdächtigen“ der Buchbranche ist, stört sie nicht: „Hermann Scherer ist selbst Autor verschiedener Bücher. Ich vertraue auf seine Expertise und ein atraktives Programm.“ Allerdings bliebe auf Messen über den Erstkontakt hinaus wenig Zeit für tiefe Beratungsgespräche. Deswegen ihr Rat an Autoren: „Bringen Sie Ihre Buchidee im Kopf mit, aber bitte keine Exposés, Leseproben und Manuskripte.“

Claudia Strobl. Quelle: privat
Claudia Strobl. Quelle: privat

Claudia Strobl wird zur Frankfurter Autorenmesse mit vier Personen im Auto aus Österreich anreisen: „Meine Family und Helfer, alles tolle Leute“. Sie hat im vergangenen Jahr ihr erstes Buch fertiggestellt, ein sehr emotionales Buch über das späte Kennenlernen des Vaters. Ein weiteres Jahr beanspruchten dann Lektorat und Korrektorat. Mit dem überarbeiteten Text will Claudia Strobl zum Buchcontest der Frankfurter Autorenmesse antreten. Das Buch liegt bisher nur als Onlinedruck vor. Kontakte zu Verlagen hat Claudia Strobl noch nicht geknüpft, auch eine Buchmesse hat sie noch nie besucht: „Schließlich habe ich fünf Jahre selbst geschrieben.“ Claudia Strobl setzt große Hoffnungen auf die Autorenmesse: „Das ist genau das, was ich brauche. Ich suche einen Verlag, der zu mir passt. Und ich denke, dass die Messe eine Superchance ist, um mit Fachleuten und Gleichgesinnten zu sprechen.“

Im kommenden Teil werde ich mit dem Veranstalter der Autorenmesse sprechen. Wie entstand die Idee, und wie geht man mit dem Gegenwind aus der Buchbranche um?

1. Internationale Autorenmesse in Frankfurt/M am 4. Juni 2016 (I): Ich bin dabei – Freikarten!

1. Internationale Autorenmesse-FreikartenSamstag, den 4. Juni findet in Frankfurt/M. die 1. Internationale Autorenmesse statt (Tagesmesse von 10 bis 17 Uhr). Bestandteil ist ein Buchcontest. Autoren können in einem Vortragswettbewerb ihr Manuskript vor Publikum und einer Jury vorstellen. Ich habe mich mit der Biografie „Bubis Kinnertied“ (nachzulesen unter https://www.facebook.com/autor.detlefplaisier) beworben, die erste Auswahl bestanden und stehe in der Vorschlussrunde.

Für alle, die an der Autorenmesse Interesse haben und mich bei einer Teilnahme im Finale unterstützen möchten, kann ich Freikarten im Wert von jeweils 44 Euro zur Verfügung stellen (solange Vorrat reicht). Bitte einfach hier oder auf den anderen Social Media Kanälen kommentieren „Ich will!“ – und mir die Daumen drücken!

Ich werde auf dem Blog in mehreren Tranchen über die Autorenmesse berichten und habe dafür mit Beteiligten gesprochen. Was sind die Erwartungen  von Autoren? Was meinen Akteure der Buchbranche? Und kann das wirklich funktionieren, wenn ein Privater eine Autorenmesse anbietet?

Rezension: Chris Nolde, Eigentlich ist mein Leben gar nicht so übel

Der Autor Chris Nolde hat in Bonn und Berlin u.a. Literatur und Philosophie studiert. In seinem Roman „Eigentlich ist mein Leben gar nicht so übel“ beschreibt er auf humorvolle Weise das Leben eines Schriftstellers in Berlin.

www.keinundaber.ch
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Der Inhalt
Max Baum ist Autor und Lebenskünstler, wohnt in Berlin und tritt seinen Problemen mit Witz und Ironie entgegen. Davon hat er genug. Mit seiner Art zu leben und seinen Panikattacken kann er keine Frau halten. Mit seinem veröffentlichten Roman hat er den Hass seiner Leser provoziert und muss täglich mit Beschimpfungen und Bedrohungen leben. Das Schreiben des nächsten Romans fällt schwer. Er verliert seine Arbeit. Doch dann begegnet er Emma, die seinen Humor nicht versteht und Max den Kopf verdreht. Kann er sich selbst treu bleiben ohne Emma zu vergraulen?

Meine Beurteilung
Der Leser begleitet den Schriftsteller Max ein Jahr lang auf seinem Lebensweg und bei der Entstehung seines neuen Romans. Zu Beginn hatte ich Schwierigkeiten, den Protagonisten sympathisch zu finden. Doch im Laufe des Romans verstand ich ihn immer besser und erkannte sogar einige seiner Eigenschaften in mir wieder.

Chris Nolde versteht es, seine Leser einerseits mit seiner humorvollen Geschichte zu amüsieren, andererseits zum Überdenken des eigenen Lebens anzuregen. Dieser Tiefgang ist zu Beginn der Geschichte noch nicht ersichtlich, nimmt jedoch in dessen Verlauf stetig zu. Auch das Verständnis für Max wächst, der trotz aller Widrigkeiten an seinem Lebenstraum, als Schriftsteller zu leben, festhält.

Die Figuren sind liebevoll gezeichnet, manchmal vielleicht etwas überzeichnet, wie beispielsweise der Verleger, der Bauchkrämpfe bekommt, wenn er die neuen Texte von Max liest. Doch dies ist der Situationskomik geschuldet und daher verzeihbar. Sehr gelungen fand ich die Ausdrucksweise, Metaphern und Beschreibungen, durch die sich der Roman sehr flüssig liest und der Geschichte Leben einhaucht.

Offen bleibt, was Max Baums Erstling so schrecklich macht, dass er nicht nur beschimpft, sondern auch bedroht wird. Ebenso vermisse ich die Entwicklung des Protagonisten, der am Ende noch immer seinen Lebenstraum lebt, ohne sich den Anforderungen seiner Familie und der Gesellschaft zu beugen. Doch gerade dadurch erhält der Roman seine tiefere Bedeutung, durch die man über sein Leben und seine Träume nachdenkt.

Mein Fazit
„Eigentlich ist mein Leben gar nicht so übel“ ist eine humorvolle Geschichte über das Schreiben, die Liebe und das Leben in Berlin. Empfehlenswert für Leser, die Humor und Geschichten über das Schreiben mögen.

Chris Nolde, Eigentlich ist mein Leben gar nicht so übel
Kein & Aber Zürich, 2016
Website des Autors: www.chris-nolde.de
Der Autor liest: https://keinundaber.ch/de/literary-work/eigentlich-ist-mein-leben-gar-nicht-so-ubel/
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Eigentlich-ist-mein-Leben-gar-nicht-so-uebel-9783036957364
Autorin der Rezension: Sarina Wood
www.sarina-wood.de

Rezension: Susanne Beyer und Martin Doerry (Hrsg.), Mich hat Auschwitz nie verlassen – Überlebende des Konzentrationslagers berichten

Die Flüchtlingskrise spaltet unsere Gesellschaft. Gleichzeitig sterben Zeitzeugen aus, die aus der Zeit des Nationalsozialismus erzählen können. Um Erlebnisberichte für künftige Generationen zu erhalten, besuchten Redakteure und Mitarbeiter des SPIEGEL anlässlich des 70. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz ehemalige Häftlinge und zeichneten ihre Erinnerungen auf.

www.randomhouse.de
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Das Buch beginnt mit einer kurzen Einführung über Auschwitz und dieses Buchprojekt. Einfühlsam wird mit einem kurzen Text und einem Porträtbild in die jeweilige Geschichte eingeleitet. Anschließend kommen die Zeitzeugen zu Wort, die nach der Methode „Oral History“ ohne Zwischenfragen erzählen. Die Berichte geben Zeugnis über die katastrophalen Zustände, die Misshandlungen und Erniedrigungen in Auschwitz. Der Leser wird nicht geschont: Er erfährt von Diebstahl und Prügeleien der Gefangenen untereinander, vom Gefangenenorchester und von der Arbeit an den Verbrennungsöfen. Auch ihre Erfahrungen mit Lagerarzt Josef Mengele muss der Leser noch einmal beklemmend nah durchleben.

Die Erzählungen sind sehr berührend und gingen mir sehr nahe. Doch ich habe auch Hoffnung gefunden: Es gab im Konzentrationslager auch Zusammenhalt und gegenseitige Hilfe zum Überleben bis zur Befreiung. „Mich hat Auschwitz nie verlassen“ gibt das große Dilemma der ehemaligen gefangenen wieder: Auch wenn sie das Leben bis ins hohe Alter gemeistert haben, eine Familie gründeten und sich liebevoll um Enkel kümmern: Die Bilder der Vernichtung werden immer bleiben,Tag und Nacht.

Ich bedaure, dass die einzelnen Erinnerungen nur über wenige Seiten gehen. Einige Berichte, wie etwa bei dem Musiker Coco Schumann, hätte ich gern ausführlicher gelesen. Positiv hervorheben möchte ich, dass nicht nur jüdische Opfer zu Wort kamen, sondern auch Christen, Sinti/Zigeuner und Widerständler. Die Ausstattung des Buches mit alten und aktuellen Fotos, Kurzbiografien der Zeitzeugen, einem Autorenverzeichnis und Literaturempfehlungen wurde mit Liebe zum Detail zusammengestellt.

Mein Fazit
„Mich hat Auschwitz nie verlassen“ ist ein kostbares Zeugnis einer furchtbaren Zeit, berührend und schockierend. Absolut empfehlenswert.

Susanne Beyer und Martin Doerry (Herausgeber): Mich hat Auschwitz nie verlassen – Überlebende des Konzentrationslagers berichten
DVA, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/-Mich-hat-Auschwitz-nie-verlassen–9783421047144
Autorin der Rezension: Sarina Wood
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Rezension: Jennifer Niven, All die verdammt perfekten Tage

Auf den ersten Blick ist „All die verdammt perfekten Tage“ eine typische Teenager-Lovestory. Doch dieser Eindruck täuscht gewaltig: Jennifer Niven erzählt in dieser eindringlich düsteren Geschichte von einem Mädchen, das von einem Jungen mit Todessehnsucht lernt, das Leben zu lieben und zu genießen.

www.randomhouse.de
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Der Inhalt
Jennifer Niven präsentiert zwei Protagonisten: Da ist Finch, ein Junge, dessen Gedanken sich nur allzu oft um den Tod drehen. Eigentlich ist er hochintelligent, literarisch bewandert und schreibt selbst Songs. Doch leider hat er Depressionen, die scheinbar bis in die früheste Kindheit zurückreichen. Diese Krankheit führt ihn eines Tages auf einen Glockenturm, wo er sich fragt, ob heute ein guter Tag zum Sterben sei. Jedoch ist Finch nicht allein an diesem Ort. Oben auf der Spitze des Turmes steht Violet, die zu den beliebtesten Mädchen in der Schule gehört. Sie denkt über die gleiche Frage nach wie Finch. Bald entsteht zwischen diesen beiden unterschiedlichen Charakteren eine ganz besondere Verbindung. Gemeinsam führen sie den Kampf gegen die Dunkelheit ihres Lebens.

Mehr als nur die typischen Klischees
Zugegeben: Die Autorin spielt gekonnt mit den typischen Klischees, die Leser von einem Teenagerroman erwarten. So ist Violet das beliebteste Mädchen in der Schule, während Finch eher für den geheimnisvollen Außenseiter steht. Jedoch verleiht Jennifer Niven ihren Figuren ein hohes Maß an Individualität, etwa durch das Stilmittel, ihre Protagonisten abwechselnd aus der Ich-Perspektive erzählen zu lassen. Dadurch werden die Emotionen und inneren Konflikte, die Violet und Finch quälen, offensichtlich.

Obwohl Jennifer Niven ein ernstes Thema aufgreift, mit dem zahlreiche Jugendliche kämpfen, erzählt sie die Geschichte mit leichter Feder. Es gelingt ihr meisterhaft, die oft sehr ernsten und tiefgründigen Gespräche der Protagonisten mit witzigen Dialogen aufzulockern, sodass Violet und Finch mir als Leser schnell ans Herz wachsen.

Mein Fazit
„All die verdammt perfekten Tage“ ist ein absolut lesenswerter Roman. Jennifer Niven greift nicht allein ein schwieriges Thema äußerst sensibel auf, sondern stellt auch die Liebesgeschichte – die innerhalb der Handlung aber eher eine untergeordnete Rolle spielt – einfühlsam dar.

Jennifer Niven, All die verdammt perfekten Tage
Limes Verlag München, 2015
Die Autorin Jennifer Niven ist Gründerin und Betreiberin von „Germ“, einem Online-Magazin für Bücher und Lifestyle-Themen. Klick hier: www.germmagazine.com
Interview mit der Autorin: http://www.randomhouse.de/webarticle/aid62865.rhd
Trailer zum Buch hier
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/All-die-verdammt-perfekten-Tage-9783809026570
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

1. Internationale Autorenmesse in Frankfurt/M

Samstag, den 4. Juni findet in Frankfurt/M. die 1. Internationale Autorenmesse statt (Tagesmesse von 10 bis 17 Uhr). Bestandteil ist ein Buchcontest. Autoren können in einem Vortragswettbewerb ihr Manuskript vor Publikum und einer Jury vorstellen. Ich habe mich mit der Biografie beworben, die erste Auswahl bestanden und stehe in der Vorschlussrunde. Für alle, die an der Buchmesse Interesse haben und mich bei einer Teilnahme im Finale unterstützen möchten, kann ich Freikarten im Wert von jeweils 44 Euro zur Verfügung stellen. Bitte einfach unten kommentieren „Ich will!“.
Link zur Autorenmesse: http://www.autorentag.com/

Rezension: Majgull Axelsson, Ich heiße nicht Miriam

Ist wirklich noch ein weiteres Buch über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust nötig, nachdem das Thema seit mehr als fünf Jahrzehnten in der belletristischen Literatur dauerpräsent zu sein scheint? Diese Frage lässt sich nach der Lektüre von „Ich heiße nicht Miriam“ eindeutig mit Ja beantworten. Die Autorin beleuchtet das Thema aus einem völlig neuen Blickwinkel und gibt dem Schrecken des Krieges ein Gesicht und einen Namen.

www.ullsteinbuchverlage.de
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Erinnerung als Roma an die Naziherrschaft
Majgull Axelsson erzählt die Geschichte der Miriam Guldenberg. Sie bekommt an ihrem 85. Geburtstag von der Familie einen silbernen Armreif geschenkt, in den ihr Name eingraviert ist. Miriam kommentiert das Geschenk mit den Worten, dass ihr Name nicht Miriam sei. Jetzt brechen sich Erinnerungen Bahn und die Familie erfährt die wahre Geschichte der Protagonistin. Miriam erzählt sie zum ersten Mal davon, wie ihr Leben als Roma unter nationalsozialistischer Herrschaft verlief und wie sie später unter jüdischem Deckmantel in Schweden lebte.

Weil den brutalen Aufseherinnen im Konzentrationslager zerlumpt erscheinende Häftlinge ein Dorn im Auge waren, hatte die Protagonistin kurzerhand die eigenen Kleider abgestreift und war in die saubere Kleidung einer Toten geschlüpft, womit die Zigeunerin Malinka auch ihre Identität gewechselt hatte. Es gelingt ihr mit eisernem Willen, die Konzentrationslager in Auschwitz-Birkenau und Ravensbrück zu überleben. Nach Kriegsende gelangt die vermeitliche Miria schließlich nach Schweden, wo sie versucht, sich unter falschem Namen und mit falscher Religion zu integrieren.

Sensibel und aktuell
Majgull Axelsson schlägt mit „Ich heiße nicht Miriam“ einen sensiblen Bogen von den Schrecken und den Folgen der Naziherrschaft zur aktuellen Flüchtlingsproblematik. Auch damals stellte die Integration der zahllosen Flüchtlinge ein massives Problem für die einheimische Bevölkerung dar. Die Autorin schildert die Schrecken ihrer Protagonistin sensibel und stilsicher. Sie schildert herausragend, wie die Annahme einer fremden Identität immer mehr zur Realität wird, sodass die eigentliche Herkunft zu einem fernen Schimmer in der Erinnerung verblasst.

Mein Fazit: „Ich heiße nicht Miriam“ ist ein empfehlenswerter Roman, der den Überlebenskampf in unmenschlichen Zeiten glaubhaft schildert. Majgull Axelsson ist ein fesselnder Roman über entwurzelte Menschen in dunklen Epochen der Geschichte gelungen.

Majgull Axelsson, Ich heiße nicht Miriam
List, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Ich-heisse-nicht-Miriam-9783471351284
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Tag der Kriegsenkel (II): Matthias Lohre liest zum Elbe Day in Torgau

Matthias Lohre liest in Torgau. Foto Detlef M. Plaisier

Und wieder stehen mir Tränen in den Augen. Wenn ich es nicht schon seit der Beschäftigung mit der Biografie meines Vaters und der Lesung von Matthias Lohre auf der Leipziger Buchmesse wüsste, so wäre mir spätestens jetzt klar: Die Last als Kriegsenkel hat mein Handeln über Jahrzehnte bestimmt, die Befreiung bewirkt jetzt eine späte Wende in meinem Leben.

Matthias Lohre liest die ersten beiden Kapitel seines Buches. Dabei wählt er einen anderen Weg als Sabine Bode, die das Thema Kriegsenkel in Deutschland ins Bewusstsein rief. Statt Theorie und konstruierter Lebensbeispiele wagt er das Private. Er erzählt vom Tod seines Vaters als Geisterfahrer, lässt weitere Einblicke in sein Leben zu. Doch genau das verlangt Lohre auch seinen Lesern ab. Wer sich einlässt, wird auf einen Weg geführt, der fordert: Sich erinnern, Schmerz und Trauer zulassen, schließlich Ballast abwerfen und neues Lebensglück finden. Lohre versteht es journalistisch geschickt, schon früh im Text Betroffenheit auszulösen und dem Leser die Entscheidung zu überlassen, ob er ihm folgen will.

Impression aus dem Reichsarbeitsdienst 1943. Foto: Archiv Detlef M. Plaisier
Impression aus dem Reichsarbeitsdienst 1943. Foto: Archiv Detlef M. Plaisier

Rund zwanzig Gäste in der Stadtbibliothek Torgau waren dazu bereit. Lohres Weg der Traumabewältigung trägt schnell Früchte: Auch die Zuhörer öffnen ihr Privatleben. Einer erzählt von der Vertreibung mit der Familie 1944 aus Ostpreußen, damals drei Jahre alt. Seine Generation sei um die eigene Jugend komplett betrogen worden, und doch wurde keiner der Mitschüler und Kommilitonen aus der Lebensbahn geworfen. Wir packen das, nur dieses Motto galt, und unsere Kinder sollen es einmal besser haben. Null Bock? Undenkbar. Gibt es Unterschiede in der Aufarbeitung zwischen Ost und West? Schon Sabine Bode hatte Probleme, im Osten Deutschlands Gesprächspartner zu finden. Die Menschen im Osten, so ein Zuhörer, seien von einer Diktatur in die andere gerutscht; da sei es doch nicht verwunderlich, dass man persönliche Verletzungen nicht gerne preisgebe.

Die Verdrängung als Kraftquell, um das äußerliche Leben zu meistern – Matthias Lohres Analyse trifft offenbar das Lebensgefühl vieler. Man könne mit der Verdrängung sein Leben beenden, so eine Stimme, doch wer aufarbeite, dem gehe es deutlich besser. Und genau dazu will Matthias Lohre ermutigen: Man kann erkennen, dass eine traumatisierte Generation die kommende zeugt und die Kultur der Untertanen fortlebt. Man kann betrauern, was in der Kindheit so furchtbar schief gelaufen ist. Und dennoch kann man umkehren und die Verursacher des eigenen Leids lieben. Ich habe es durch die Beschäftigung mit dem Thema gelernt.   

www.matthiaslohre.de

© Lesungsfoto: Detlef M. Plaisier