Ich lerne auch etwas über die Wandlung der Schrift über die Jahrhunderte. Im Text wird ein bekannter Azt vom Fehn erwähnt. Doch wie war die Schreibweise: Visher oder Visser? Heinz J. Giermanns, Journalist in Westrhauderfehn, schreibt mir dazu:
„Bis etwa 1840 war es Aufgabe der Pastoren, die Geburt von Kindern zu registrieren. Das geschah handschriftlich in der altdeutschen Schrift. Diese Schrift kennt kein doppeltes „s“. Deshalb wurde das zweite „s“ als „Pastoren-S“ notiert, das dem „h“ unserer heutigen Schrift entspricht. Über viele Jahrzehnte wurde es also als „h“ geschrieben; daher „Visher“ und nicht „Visser“. Heute gibt es nur noch „Visser“, aber der Arzt hieß immer „Visher“ und sollte deshalb auch so geschrieben werden.“
Danke für diese Erklärung, die auch für mich als Familienforscher interessant ist.
Dr. Visher ist übrigens bei alten Fehntjern bekannt, weil er fünf Jungen eines Patienten zu sich in seine Villa nahm und adoptierte. Die Mutter war gestorben, der Vater konnte nicht alle Kinder ernähren. Vom Ehepaar Visher mit den fünf Buben gibt es ein Foto, eines meiner Lieblingsfotos (Danke an Heini Albers aus Bockhorst).
Mein ältester Testleser, Follrich Poelmann, Jahrgang 1928, aus Westrhauderfehn. Er begegnet Personen aus seinem Leben und wird selbst im Text erwähnt. Eine wunderbare Reise in die Vergangenheit. Und verwandt sind wir auch…
Heute sind die Leseexemplare bei den (meisten) deutschen Testlesern angekommen. Drei Tage für ein Päckchen – na ja. Und ich habe schon die erste Nachricht: Ich habe schon 100 Seiten gelesen, rufen Sie mich doch mal an. Ganz toll! Danke!
Der Beruf des Notarztes zählt nicht zu den Top 10 der Wunschberufe junger Menschen. Der Alltag ist stressig, und im Einsatz können Bruchteile von Sekunden über Leben und Tod entscheiden. Jeder Handgriff muss sitzen, auch wenn der Notarzt im Vorfeld oft nicht weiß, unter welchen Bedingungen er arbeiten muss. Einblicke in den Alltag eines Notarztes gibt Falk Stirkat in seinem Buch „Ich kam, sah und intubierte“.
Zwischen Irrsinn und Wahnsinn
Falk Stirkat, selbst Mediziner und Leiter einer Notfallstation, schildert die Einsätze thematisch geordnet. Dadurch kann er auf medizinische Details verzichten und die Situationen in den Vordergrund stellen. Diese sind oft komisch, oft hektisch und manchmal auch tragisch. Beispielsweise das Schicksal eines jungen Paares, das in seinem Auto verbrennt, weil der Motor plötzlich Feuer fängt. Oder das Drama der jungen Mutter, die zusammen mit ihrem Kind bei einem Verkehrsunfall stirbt, was der zugedröhnte Unfallverursacher sogar noch komisch findet. In allen Fällen verzichtet der Autor auf unnötigen Voyeurismus oder übertriebenes Fachchinesisch, was das Buch auch für den medizinischen Laien sehr gut lesbar macht.
Ein gutes Buch mit Schwächen
Weil Falk Stirkat den erzählerischen Aspekt in den Vordergrund stellt, lässt sich das Buch zügig lesen. Durch den Verzicht auf unnötige Details lässt sich erahnen, welche Einsätze auch das Rettungsteam emotional berührten. Schwächen offenbaren sich jedoch in einzelnen Details, die über weite Strecken nicht stören. So wirkt der handelnde Notarzt gelegentlich etwas arrogant, was unter dem psychischen Druck eines Notfalleinsatzes aber durchaus verzeihlich ist und bis zu einem gewissen Grad auch erwartet wird. Lediglich das letzte Kapitel, in dem Stirkat die Erfahrungen als Reisearzt schildert, der Patienten zurück nach Deutschland begleitet, wirkt im Vergleich zu den vorhergehenden Kapiteln etwas lieblos.
Was mich ernsthaft stört, ist der mehrfache Hinweis auf die Gefahren des Rauchens, verbunden mit einem Appell an den Leser, das Rauchen aufzugeben. Die Art der Darstellung lässt vermuten, dass der Autor – wenngleich er vielleicht ein hervorragender Notfallmediziner sein mag – wenig bis keine Erfahrung mit Suchterkrankungen hat. Die Schilderung eines Einsatzes mit Lungenmaschine, verbunden mit dem Hinweis, dass dies das offensichtliche Schicksal eines jeden Rauchers ist, wird Nikotinsüchtige ebenso wenig vom Rauchen abhalten können wie die plakativen Warnhinweise auf Zigarettenschachteln.
Mein Fazit
Insgesamt ist „Ich kam, sah und intubierte“ ein empfehlenswertes und spannend geschriebenes Buch. Der Unterhaltungswert ist allerdings eher zwiespältig zu betrachten. Schließlich geht es um menschliche Tragödien, die nur allzu oft tödlich enden.
Mit dem Satz „Ich habe etwas über deinen Großvater herausgefunden…“ leitet die Journalistin Sabine Rennefanz eine autobiographisch angehauchte Reise in eine persönliche Vergangenheit ein. Die Geschichte einer Familie hat sich bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zugetragen. Jedoch sind die Folgen bis ins 21. Jahrhundert hinein zu spüren, wenngleich sie sich oft nicht artikulieren lassen.
Der Vergangenheit auf der Spur
Die Hauptfigur des Romans ist Großmutter Anna. Sie musste im Alter von 14 Jahren mit ihrer ungeliebten Stiefmutter und drei Brüdern aus der polnischen Heimat in den Westen flüchten. Die historische Patchworkfamilie nahm in Kosakendorf, einem Flecken in der späteren DDR, Zuflucht. Anna fand eine Anstellung als Magd auf einem Bauernhof. Ihr Leben änderte sich schlagartig, als 1949 der 20 Jahre ältere Friedrich Stein aus der sowjetischen Gefangenschaft zurückkehrt. Er hatte zuvor auf dem Hof gearbeitet. Anna jedoch meidet den Mann, weil sie Angst vor seinen traurig wirkenden Augen hat. Trotzdem wird sie gezwungen, ihr Leben an seiner Seite zu verbringen: Er überfällt sie eines Nachts und vergewaltigt Anna, woraufhin diese schwanger wird. Die Dorfbevölkerung, die Anna Zeit ihres Lebens fremd sein wird, zwingt sie zur Heirat. Sie fügt sich und gebiert drei Töchter, vor denen sie ihr düsteres Geheimnis in jedem Fall verbergen möchte.
Das Knäuel wird entwirrt
Sabine Rennefanz erzählt die Familiengeschichte in der Ich-Perspektive aus der Sicht der Enkelin. Das wirkt in einigen Passagen etwas verwirrend, weil die Geschehnisse aus unterschiedlichen Zeiten oft parallel und in einer Rückblende geschildert werden. Die Autorin bedient sich in ihrer Erzählung jedoch eines sachlich neutralen, fast schon emotionsbefreiten Stils. Das wiederum bewirkt, dass die eigentliche Tragödie und deren Folgen umso eindrucksvoller erscheinen.
Fazit
Sabine Rennefanz ist ein grandioses Werk über die Folgen des verheerenden Krieges in Europa gelungen, die vermutlich in allzu vielen Familien bis in die Gegenwart hinein totgeschwiegen werden. Für manchen Leser kann das Werk Anregung sein, sich auf die Suche nach der eigenen Vergangenheit zu machen. Wer jedoch einige Bruchstücke aus der Kriegsgeschichte der Großeltern kennt, die schreckliche Ereignisse vermuten lassen, entscheidet sich vielleicht eher dazu, endgültig mit der Vergangenheit abzuschließen. Wer Mut gefasst hat, dem sei die Trilogie zu Kriegskindern und Kriegsenkeln von Sabine Bode als Einstieg empfohlen.
Am Freitag sind die Leseexemplare aus dem Druck gekommen, gestern habe ich sie zur Post gebracht. Erst war der Mann von UPS begeistert, das er 25,9 Kilo in den dritten Stock wuchten durfte. Dann hat sich die nette Dame auf der Post gefreut. Ist das nun ein Päckchen oder ein Maxibrief? Ach herrje, und dann auch noch zwei nach Österreich. Bei der Summe des Portos kam dann ihr Lächeln zurück.
Ich habe die Testleser in zwei Gruppen aufgeteilt:
Gruppe A wohnt direkt auf dem Fehn in Ostfriesland und kann mir etwas sagen zu Personen und Orten. Es ist ja schon eine Herausforderung, eine Regionalbiografie über die Entfernung von 500 Kilometern zu verfassen.
Gruppe B besteht aus Autoren, Journalisten, Buchhändlern und Verlegern. Da hoffe ich dann auf ein fachliches Urteil zu Sprache und Aufbau.
Dazu kommen dann noch die Fachkommentare zu einigen Kapiteln, etwa zum Geschehen im Konzentrationslager und zur Problematik der Kriegsenkel.
Bis die ersten Rückläufe da sind, werde ich die Fotos auswerten und aussuchen.
Die Bemühungen, das aktuelle Wissen der Menschheit kurz und prägnant zu präsentieren, sind vermutlich noch älter als die schriftliche Form der Wissensübermittlung. Und die Gier nach Allgemeinbildung scheint im Zuge von Erfolgssendungen wie „Wer wird Millionär?“ sogar noch gestiegen zu sein. Diesen Anspruch überträgt Oliver Kuhn mit seinem Werk „Alles, was man wissen muss in 140 Zeichen“ auf eine erfrischende Weise in die Gegenwart. Darauf weist auch der Untertitel „Umfassende Allgemeinbildung in Twitter-Länge“ hin, weil in diesem Kurznachrichtendienst maximal Posts mit einer Länge von 140 Zeichen verschickt werden können.
Von Pontius bis Pilatus und noch viel weiter
Oliver Kuhn präsentiert in seinem Buch kurze Informationshäppchen über die Geschichte der Menschheit, die hellen und dunklen Kapitel der vergangenen 2.000 Jahre und kulturelle Errungenschaften des Menschen. Dabei erhebt der Autor nicht den Anspruch, den Leser selbst umfassend informieren zu wollen. Vielmehr will er seinem Gegenüber Anregungen geben, den persönlichen Wissensschatz in Eigenregie zu erweitern. Dabei fällt wohltuend auf, dass Oliver Kuhn sich vom Kanon der europäischen Geschichtsschreibung entfernt und beispielsweise auch die Wiege der Menschheit oder die Neue Welt mit ihrer Vorgeschichte in eigenen Kapiteln würdigt.
Der Stil: Kurz und prägnant
Der Autor präsentiert seine Informationshäppchen gemäß der Absicht, Wissen in 140 Zeichen präsentieren zu wollen, eher im Stil von Schlagzeilen. Das mag zwar zunächst etwas gewöhnungsbedürftig erscheinen, regt den Leser aber dennoch dazu an, sich tiefergehend mit dem einen oder anderen Thema des Buches auseinanderzusetzen. Kuhn ergänzt seine Häppchen durch einführende Vorworte zu den einzelnen Kapiteln. Dadurch wird es dem Leser erleichtert, den Inhalt in einen größeren Zusammenhang einzuordnen, sich weitergehend zu informieren oder – bei Desinteresse – das jeweilige Kapitel zu ignorieren.
Mein Fazit
Mit „Alles, was man wissen muss in 140 Zeichen“ ist Oliver Kuhn eine amüsante Parodie auf die angeblich notwendige, breit gefächerte Allgemeinbildung gelungen. Es macht Spaß, immer wieder in dem Werk zu schmökern und die eine oder andere Information weitergehend zu recherchieren. So entstand ein kurzweiliges Werk für Leser, die ihr Allgemeinwissen testen oder erweitern wollen.
Natürlich nicht im wirklichen Leben, sondern im Text meines Vaters. Er war ein ostfriesischer Einsiedler, der allen Annehmlichkeiten des Lebens entsagte und in einer Moorkate lebte. Erst in seinen letzten Lebenstagen, in den 1960er Jahren, zog er in ein festes Haus, schlief aber weiter nicht im Bett. Sein Großneffe hat auf seinem Blog einige wunderbare Fotos von ihm veröffentlicht.
Ist es ein Schelmenroman? Oder vielleicht ein Sittengemälde über das New York des 21. Jahrhunderts? Oder vielleicht doch eine Neuinterpretation des American Dream? All das mag man in Boris Fishmans Debüt auf der großen literarischen Bühne hineininterpretieren. Doch im Grunde macht er nur eines: eine mit Komik und skurrilen Situationen gespickte Geschichte mit einem Schuss Realität zu garnieren, sodass der Leser nur ungern das Wort ENDE am Schluss liest.
Wie aus einem Loser ein Betrüger wird
Eigentlich ist Slava Gelman ein kompletter Loser: Trotz aller Bemühungen schafft er es nicht, aus dem Nachwuchs-Pool der Zeitschrift Century in den erlesenen Kreis der Stammautoren aufzusteigen. Und auch der Kontakt zur Familie im jüdisch geprägten Teil Brooklyns beschränkt sich auf ein Minimum, sodass Slava Gelman auch keine allzu erfüllte Freizeit hat. Das ändert sich erst, als seine Großmutter Sofia stirbt. Bedauerlicherweise hat just ein paar Tage zuvor die Konferenz für jüdische Schadensersatzansprüche gegen Deutschland die Familie angeschrieben. Die Kommission will herausfinden, ob Sofia möglicherweise eine Entschädigung für die Zeit des Nationalsozialismus zusteht. Und weil der Enkel ja schließlich so etwas wie ein Schriftsteller ist, bittet Slavas Großvater ihn darum, die Geschichte der jüdischen Familie aufzuschreiben, um eine Entschädigung zu erhalten.
Slavas Brief ist zwar herzzerreißend und erregt Mitleid, entspricht aber in keiner Weise den Tatsachen. In den folgenden Tagen kann sich Slava vor Anfragen aus der Bekanntschaft – allesamt russische Juden – nicht mehr retten. Doch dann droht der Schwindel aufzufliegen. Slava entschließt sich zu einer Lüge, welche die vorherigen Unwahrheiten relativiert, jedoch sein Leben aus den Fugen geraten lässt.
Ein Feuerwerk an skurrilen Situationen
Boris Fishman gibt in seinem ersten Roman einen facettenreichen Einblick in den von russischstämmigen Juden geprägten New Yorker Stadtteil Brooklyn. Dabei bedient der Autor auch so manche klischeehafte Vorstellung, jedoch stets mit einem Augenzwinkern. Damit wird das Lesen über die kleinen Tricksereien, die das Leben etwas einfacher machen, zu einem Vergnügen. Der Leser erhält so einen heiter-leichten Zugang zu einem dunklen Kapitel der jüngeren Geschichte.
Fazit
Mit „Der Biograf von Brooklyn“ präsentiert der Autor das zentrale Thema, die Verfolgung der Juden durch Nazis und Stalinisten, aus einem gänzlich anderen Blickwinkel als die meisten Autoren. Dass er trotzdem authentisch bleibt, verdankt er der eigenen Biographie: Boris Fishman wurde in Minsk geboren und kam als Neunjähriger in die USA. Insgesamt ist das Werk eine der wohl interessantesten Neuerscheinungen zu diesem sensiblen Thema.