Wie schreibt man eigentlich eine „gute“ Rezension?

Mein geschätzter Autorenkollege Ruprecht Frieling, von Freunden unbescheiden „Prinz Rupi“ genannt, hat hierzu eine äußerst praktische Anleitung verfasst. Nicht jedes Buch sei zum Rezensieren geeignet: „Wo das Werk stumm bleibt, sollte man deshalb vielleicht auch als Rezensent still bleiben.“ Und da leider auch der Aufbau einer Besprechung von selbst ernannten Rezensenten nicht immer beachtet wird, macht Frieling klare Vorgaben:

Eine klassische Rezension beginnt mit einer kurzen Einführung in Gegenstand und Genre des Werkes und enthält meistens eine kurze Inhaltsangabe… Da es verschiedene Türen gibt, durch die man ein Buch betreten kann, wird bereits ein Kurzinhalt individuell gefärbt sein und möglicherweise im Subtext verraten, welchen Kurs die Rezension einschlägt. Dabei sind jene Rezensionen besonders gelungen, wo es gelingt, die Diktion des Autors des zu besprechenden Buches nachzuempfinden und auch seine Wortwahl berücksichtigt wird. Wichtig ist, verständlich zu formulieren ohne zu vereinfachen…“

Mit welchen Fragen sich eine Rezension auseinandersetzen sollte, hat Frieling in einer Checkliste zusammengefasst. Die gibt’s hier ganz kostenlos zum Nachlesen und Befolgen.

Erstes Treffen mit dem Acabus-Verlag

Schon nach dem ersten Lesen war mir klar: Dies ist mehr als eine Familienbiografie. Dies ist ein Sittengemälde der ausgehenden 1920er und 1930er Jahre, und es rührt an Tabus. Auf der Leipziger Buchmesse 2013 wurde mir von Christian Senft, dem damaligen Geschäftsführer von bilandia.de, der Acabus Verlag empfohlen. Als Imprint der Diplomica Verlag GmbH in Hamburg gibt es hier unter anderem ein kleines feines Biografie-Programm. Ich schickte eine Leseprobe. Nach zwei Monaten bekam ich Antwort:

„Wir haben Ihre Leseprobe geprüft und sie hat uns gut gefallen. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir weitere Seiten schicken würden.“

Das war im Mai 2013, vor zweieinhalb Jahren. Vor drei Wochen durfte ich in Dresden auf der Literaturmesse schriftgut Acabus-Verleger Björn Bedey persönlich kennenlernen. Zwei Norddeutsche, die Plattdeutsch sprechen und sich im Osten treffen. Wir besprachen den Fortschritt des Manuskriptes und neue Ideen nach meiner Ostfriesland-Woche im Oktober. Es tut gut, am Ende des Gespräches mit dem Satz verabschiedet zu werden „Schön, dass du bei uns an Bord bist“. Dass ich nun über zwei Jahre an einer vermeintlich simplen Biografie arbeite, hat natürlich Gründe…

Alles begann 2006 und ist doch wie gestern

„Als mein Vater im März 2006 in Hannover starb, lebte ich gerade einige Monate in Leipzig. Wenige Tage später fuhr ich in meine Geburtsstadt. Ich wusste, es würde eine unangenehme Reise werden. Die zweite Frau meines Vaters hatte ich nie akzeptiert. Sie gehörte für mich nicht zur Familie.

Ich wusste von einem gemeinsamen Testament. So galt es für mich nur, Erinnerungsstücke zu sichern. Und dann war da dieses Manuskript. Ich hatte nichts davon gewusst, mein Vater hatte es nie erwähnt. Vielleicht wollte er mir so erzählen, was in den Jahren vor seinem Tod ungesagt geblieben war. Ich nahm den Text mit, ohne große Worte. Ich sah ihn viele Jahre nicht mehr an. Mit einem Psychologen arbeitete ich die Beziehung zu meinem Vater auf.

2013 entschloss ich mich, ohne es zuvor wieder geöffnet zu haben, zu einer Bearbeitung. Was ich dann las, war wie ein Faustschlag…“

Persönlicher Glückwunsch: Leipziger Tourismuspreis 2015 geht an den Direktor der Leipziger Buchmesse

Oliver Zille liest in der Moritzbastei zur Leipziger Buchmesse 2014. Foto Detlef M. Plaisier
Oliver Zille liest in der Moritzbastei zur Leipziger Buchmesse 2014. Foto Detlef M. Plaisier

Oliver Zille, Direktor der Leipziger Buchmesse, wurde heute mit dem Leipziger Tourismuspreis 2015 in der Kategorie „Persönlichkeiten“ ausgezeichnet.

„Ausgebuchte Hotels, zufriedene Gastronomen, ausgelastete Taxis und glückliche Autoren – über 250.000 Besucher strömen jedes Jahr zur Leipziger Buchmesse. In diesem Jahr waren Aussteller und Autoren aus 42 Ländern vertreten. Dass sich die Buchmesse, die von manchen Mitbewerbern nach der Wiedervereinigung schon totgesagt wurde, so gut entwickelt hat, ist ein großes Verdienst von Oliver Zille“, so die Begründung der Jury.

Die Buchmesse ist für mich einer der Höhepunkte des Veranstaltungsjahres. Ich habe mich dort als Leser und Journalist immer gut betreut gefühlt. Herzlichen Glückwunsch!

Rezension zu Marie Moutier: Liebste Schwester, wir müssen hier sterben oder siegen. Briefe deutscher Wehrmachtssoldaten.

Muss ein weiteres Buch zum Thema Zweiter Weltkrieg wirklich noch sein, mag sich der Leser bei der ersten Betrachtung von „Liebste Schwester, wir müssen hier sterben oder siegen“ vielleicht fragen. Diese Frage erübrigt sich jedoch beim zweiten Blick auf das umfangreiche Buch. Es beleuchtet die Geschehnisse an den Kriegsschauplätzen in Europa, Russland und Afrika aus einer Perspektive, die in der offiziellen Geschichtsschreibung eher eine Randnotiz darstellt.

Quelle: www.randomhouse.de
Quelle: www.randomhouse.de

Briefe von der Front an die Heimatfront
In einer allgemeinen Einführung schildert die französische Historikerin und Germanistin Marie Moutier ihre Herangehensweise und so manche Problematik, die sich aus der Auswahl der Briefe ergab, als sie aus dem umfangreichen Fundus der Berliner Museumsstiftung Post und Telekommunikation ihre Auswahl an Feldpostbriefen deutscher Soldaten in die Heimat getroffen hatte. Wie die Autorin im Vorwort schreibt, hat sie diese Auswahl unter verschiedenen Gesichtspunkten getroffen. Einerseits sollten die Feldpostbriefe von allen Kriegsschauplätzen aus allen Phasen des Krieges stammen. Andererseits differenzierte sie auch nach den Adressaten der Briefe. Schließlich haben sich die Soldaten in Briefen an die Partnerin anders ausgedrückt als etwa in Briefen an die Eltern. Ergänzt wird das Werk durch ein Vorwort des Historikers Timothy Snyder.

Ein Blick in die Seele der Soldaten
Marie Moutier verzichtet komplett auf eine Wertung der Briefe. Sie schildert lediglich in kurzen Einführungen den Kriegsschauplatz und den zeitlichen Zusammenhang. Dies gibt dem Leser insofern eine Hilfestellung, als viele Soldaten an unterschiedlichen Fronten gekämpft haben und von einzelnen Soldaten mehrere Briefe aus verschiedenen Phasen des Krieges abgedruckt werden.

Durch die Auswahl der Briefe gelingt es der Autorin, ein menschliches Bild von Soldaten zu zeichnen, die allzu oft zu unmenschlichen Taten gezwungen wurden. In einzelnen Fällen lässt sich auch die persönliche Entwicklung der Soldaten nachverfolgen: Die anfängliche Begeisterung für den Krieg und das nationalsozialistische Regime weicht mit zunehmendem Kriegsverlauf der Skepsis über den Ausgang der Schlachten. Mitläufer wurden in vielen Fällen zu stummen Widerständlern, die an der Front einfach nur überleben wollten.

Mein Fazit
„Liebste Schwester, wir müssen hier sterben oder siegen“ gibt einen menschlichen Einblick in die schrecklichsten Jahre, die Europa während des 20. Jahrhunderts durchlebt hat. Das Werk hätte durchaus das Potenzial, im Rahmen des Geschichtsunterrichtes eingesetzt zu werden. Denn obwohl ihre Großeltern noch direkt oder indirekt vom Krieg betroffen waren, wirkt der Zweite Weltkrieg für die nach dem Mauerfall Geborenen als eine andere, ferne, ja fremde Epoche und ist oft zu abstrakt, um die Zusammenhänge wirklich begreifen zu können.

Marie Moutier: Liebste Schwester, wir müssen hier sterben oder siegen
Originaltitel: Lettres de la Wehrmacht. Übersetzt von Michael von Killisch-Horn
Karl Blessing Verlag, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/-Liebste-Schwester-wir-muessen-hier-sterben-oder-siegen–9783896675521
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Larry Tremblay, Der Name meines Bruders

Angesichts der jüngsten Terroranschläge des IS in Paris hat Larry Tremblays Roman „Der Name meines Bruders“ eine erschreckende Aktualität: Der Autor zeigt auf, wie leicht sich Menschen verführen lassen, um Rache zu nehmen für ein echtes oder vermeintlich geschehenes Unrecht. Zugleich dokumentiert er, wie die Mechanismen der Manipulation von Menschen auch im 21. Jahrhundert bestens funktionieren.

Quelle: www.chbeck.de
Quelle: www.chbeck.de

Die Handlung
Der Autor erzählt die Geschichte einer Familie, die sich an einem namenlosen Ort – die Beschreibungen lassen auf den Nahen oder Mittleren Osten schließen – im Krieg befindet. Die Großeltern der Zwillinge Amed und Aziz hatten ein Stück Wüste urbar gemacht und damit die Lebensgrundlage für die ganze Familie geschaffen. Eines Nachts zerstört eine Bombe den scheinbaren Frieden. Sie schlägt im Haus der Großeltern ein und tötet beide. Damit endet die Kindheit der Neunjährigen abrupt.

Einer der Zwillinge soll für den Tod seiner Großeltern Rache nehmen und – ausgestattet mit einem Sprengstoffgürtel – ein Selbstmordattentat im nahe gelegenen Munitionslager des Feindes verüben. Da Amed an einem Gehirntumor leidet und ohnehin sterben würde, wird Aziz ausgewählt, um Gott ein möglichst großes Opfer darzubringen. Weil die Mutter nicht beide Söhne verlieren möchte, heckt sie zusammen mit den Kindern einen Plan aus. Doch schließlich kommt alles ganz anders…

Wenn Menschen zu Werkzeugen werden
Larry Tremblay schildert in seinem einfühlsamen Werk, wie einfach es zu sein scheint, Menschen zu manipulieren und für falsche Zwecke zu missbrauchen. Damit gibt Tremblay wohl unvermutet auch einen Einblick in die Seelenwelt potenzieller Selbstmordattentäter und zeigt, dass diese auch nur Menschen mit Träumen und Ängsten sind und vielfach vielleicht einfach nur von falschen Propheten verführt wurden.

Der Autor verzichtet auf actionreiche Elemente und schildert eine Geschichte, wie sie sich in der Vergangenheit genauso zugetragen haben könnte und vermutlich auch zugetragen hat. Doch genau die Normalität im Angesicht des Terrors ist es auch, die mir als Leser zumindest Unbehagen bereitet. Erst recht, wenn sich die Geschichte zum Schluss auflöst und sich zeigt, dass ein geschickter Manipulator ausgereicht hat, um das Leben vieler Unschuldiger wegen einer Lüge zu zerstören.

Mein Fazit
Angesichts der Ereignisse in den vergangenen Jahren wurde „Der Name meines Bruders“ völlig zu Recht in Kanada zur Pflichtlektüre an den Schulen erhoben. Das Werk lässt in die Seele von Menschen blicken, die in der westlichen Welt schnell als Verbrecher abgestempelt werden, obwohl sie es vielleicht nicht sind. Angesichts der jüngsten Entwicklungen im Zuge der Flüchtlingsströme aus Syrien ist das zeitlos angelegte Werk erschreckend aktuell und bietet intellektuellen Zündstoff für Westeuropäer, die sich ernsthaft mit der Thematik auseinandersetzen wollen.

Larry Tremblay, Der Name meines Bruders. Aus dem Französischen von Angela Sanmann.
Verlag C.H. Beck, München 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Der-Name-meines-Bruders-9783406683411
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Christine Wunnicke, Der Fuchs und Dr. Shimamura

Vom Fuchs besessen, und das auch noch in Japan! Klarer Fall für Neurologen mit geschärftem Sinn für Menschen – vorzugsweise Frauen – neben der Spur. Dr. Shimamura (den es wirklich gab) reist in der Abendröte des 19. Jahrhunderts durch die Provinz, wo das burleske Krankheitsbild zur Folklore gehört. Ein liebestoller Student begleitet ihn, geht aber bald verloren, dafür fängt der Doktor sich selbst einen Fuchs ein (den es vielleicht auch gab). Da hilft nur noch Europa, und so flieht Shimamura auf Bildungsurlaub gen Westen, besteht neurologisch aufschlussreiche Abenteuer in Paris, Berlin und Wien. Allein, der Fuchs lässt ihn nicht los – auch nicht Jahrzehnte später zurück in Japan, wo sich dieses seltsame Leben, beäugt von allerhand weiblichem Familienanhang, seinem Ende zuneigt. Und so bleibt der Fuchs der unsichtbare Protagonist dieses fernöstlichen Gegenwartsromans.

Quelle: www.berenberg-verlag.de
Quelle: www.berenberg-verlag.de

Der Klappentext verrät es schon: Hier wird es richtig schräg! In mehreren Rückblenden erzählt der Roman über das Leben des herrlich verschrobenen Nervenarztes Dr. Shimamura und seiner Erforschung der Fuchsbesessenheit. Ob es sich dabei um eine Nervenkrankheit, einen Parasiten oder um einen Parasiten handelt, der eine Nervenkrankheit hervorruft, klärt sich nicht endgültig auf dieser irrwitzigen Reise durch die sommerheiße Provinz Shimane. Zusammen mit seinem verquasselten Assistenten versucht Dr. Shimamura der rätselhaften Krankheit auf den Grund zu gehen. Bei der Behandlung einer schönen Fischhändlerstochter fängt sich der Doktor selbst den Fuchs ein, was ihn nach Europa treibt. Er trifft auf die dort führenden Geisteswissenschaftler Charcot, Breuer und Freud, hospitiert in der Salpetrière und der Charité und wird fast selbst zum Patienten. Schließlich beendet er sein Europa-Abenteuer mit der Erkenntnis, dass das analytische Gespräch für Japan unbrauchbar sei, da es dem Sinn für Höflichkeit widerspricht. Was für ein herrlicher Wirrwarr!

Wer skurrile Geschichten mag, wird diesen Roman lieben. Die Sprache ist teils poetisch, teils komisch und die Handlung beinahe surrealistisch. Einen Vorgeschmack erhält der Leser schon im Vorwort, das mit diesem Satz endet: “Gepriesen sei die Hysterie und ihr Gefolge junger nackter Frauen, die über die Dächer gleiten!“ (André Breton, Zweites Manifest des Surrealismus, 1930)

„Der Fuchs und Dr. Shimamura“ ist das zweite Buch von Christine Wunnicke im Berenberg-Programm. Es war 2015 für den Deutschen Buchpreis nominiert (Longlist). Der Berenberg-Verlag wurde ebenfalls 2015 mit dem Kurt-Wolff-Preis ausgezeichnet „für Bücher, bei deren Lektüre sich dem intellektuellen Reiz und der Lust am Text die Freude an der eleganten Buchgestaltung beigesellt“, so das Kuratorium der Kurt-Wolff-Stiftung. Auch Dr. Shimamura folgt diesem Anspruch in einer attraktiven Halbleinen-Ausstattung mit Fadenheftung.

Christine Wunnicke, Der Fuchs und Dr. Shimamura
Berenberg Verlag, Berlin 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Der-Fuchs-und-Dr-Shimamura-9783937834764
Autoren der Rezension: Petra Gugel / Detlef M. Plaisier

Sonntag. Wetter irgendwie zwischen Herbst und erstem Schnee. Schreibwetter.

Die Biografie soll meine zweite Buchveröffentlichung werden nach einem kulinarischen Einkaufsführer aus dem Jahr 1999. Ich bearbeite einen Text meines Vaters, der es in sich hat. Er schildert seine Zeit in Ostfriesland und dem Emsland in den 1920er und 1930er Jahren bis zur Einberufung an die Ostfront. Ich habe viel Neues über die Familie erfahren, Spannendes, Anrührendes und Schreckliches. Ich war vor Ort, habe ganz viel Hilfe und Wärme erfahren und neue Verwandte kennengelernt. Und auch mit einem Verlag sieht es verdammt gut aus. All das will ich hier erzählen, gewürzt mit einigen Fotos aus Ostfriesland. Ich freue mich über ganz viele Leserinnen und Leser und natürlich Fragen und Kommentare!