Ich habe gestern bei einer Mitbewerberin gelesen, sie wolle erkunden, wie der Mittelrhein riecht, und sie wolle die Orte der Stille suchen und sie markieren.
Das finde ich gut. Darauf sollten wir uns alle besinnen. Ob wir dann feststellen, was wir verlernt haben?
Während der sechs Monate Aufenthalt des Bloggers könnte Leben auf der Burg Sooneck einziehen. Das bringen schon die Besucher, die sich führen und gar schauerliche Geschichten erzählen lassen. Ziel sollte jedoch eine Begeisterung sein, die über einen einmaligen Besuch hinausgeht.
Dazu drei Anregungen:
Kinder lieben Ritter und Burgen. Auf einer Schnitzeljagd mit mehreren Etappen sind verschiedene Aufgaben zu lösen. Andere Burgen im Mittelrheintal werden einbezogen. Das Abschlussfest findet auf Burg Sooneck statt.
Konferenzen, Tagungen und andere Veranstaltungen verdienen einen außergewöhnlichen Rahmen – wie eine Burg. Um die Resonanz zu testen, werden ein Start up-Meeting für junge Gründer und ein Speed Dating auf Burg Sooneck durchgeführt. Die Kosten tragen die privaten Veranstalter.
Mittelrhein bedeutet Wein und Essen mit einer großen Auswahl regionaler Produkte. Auf Burg Sooneck wird zu einem Gourmettag mit Produzenten und Gastronomen eingeladen. Alte Rezepte werden dabei kombiniert mit den typischen Zutaten der Gegenwart vom Mittelrhein. So entsteht ein „Burgenschmaus Burg Sooneck„. Das Rezept kann in das Regionalmarketing einfließen.
Frida ist ‚Geräuschemacherin‘, sie liefert Töne zu Filmen und hört mehr als andere Menschen. Sie weiß, wie es klingt, eine Jacke zu schließen, aus einem Sessel aufzustehen, eine Zigarette zu rauchen. Denn sie ist die Beste ihres Fachs. Zusammen mit Robert hat sie sich in ihrem Leben eingerichtet und alles könnte so weitergehen. Doch nun liegt ein Film auf ihrem Tisch, den ihr ein junger Regisseur ungefragt geschickt hat. Das Problem: Der Tontechniker ist mitsamt der Tonspur verschwunden, und der Film spielt in Japan.
Fremdes Land und fremde Geräusche
Nach langem Zögern schaut Frida den Film und sieht eine futuristische, apokalyptische Szenerie. Mit widerwilliger Faszination stimmt sie zu, in Japan auf Geräuschejagd zu gehen. Der Regisseur stellt ihr in Japan einen jungen Mann zur Seite. Takeshi soll sie an die Orte des Films bringen. In Kyoto ist Frida schnell begeistert von der Umgebung, den Menschen und den vielen neuen Tönen und Geräuschen – doch etwas stimmt nicht. Sie hört ein für sie neues Geräusch im Hintergrund aller Aufnahmen, ein Dröhnen, das sie sich nicht erklären kann. Während sie immer tiefer einsinkt in die Kultur und Faszination des fremden Landes, taucht Frida auch tiefer ein in ihre Gefühle für Takeshi.
Ein Beben in beiden Welten
Je länger Frida in Japan ist, desto mehr wird ihr bisheriges Leben erschüttert. Deutschland ist nun ein ferner Traum, die Anrufe und SMS von Richard stören, die Anziehung zu Takeshi bestimmt ihr Handeln. Als dann am 11. März 2011 aus dem Dröhnen ein Erdbeben wird, dem ein gigantischer Tsunami folgt, spiegelt die Katastrophe außen Fridas innere Katastrophe wieder. Ein paar Sekunden nur, und nichts ist mehr, wie es war. Dass der Tsunami das Kernkraftwerk in Fukushima beschädigt hat, erfährt Frida nur über die internationalen Medien, und über Richard, der sie anfleht, das Land zu verlassen. Frida ist hin- und hergerissen zwischen ihrem alten Leben und ihren Gefühlen für Takeshi.
Ein kleines, großes Buch
Selten hat mich ein Buch so berührt, zum Lachen und Nachdenken, fast zum Weinen gebracht. Keine 200 Seiten umfasst Takeshis Haut, und jede einzelne Seite ist wunderbar in Sprache, Aussage und Bildern. Als Leser weiß man kaum, welches Beben erschütternder ist: Das äußere in Japan, oder das innere in Frida. Trotz des schweren Themas ist das Buch voller Leichtigkeit, Trost und Zuversicht. Ein sehr empfehlenswertes Buch, das ich sicher noch öfter lesen werde.
Nachdem ich mich auf mehreren Social Media-Kanälen platziert und das Blog sooneck.com ins Leben gerufen habe, sage ich nun „Ja“, nach drei Wochen des Wägens und Hinterfragens der eigenen Motive. Ich werde mich bewerben.
In den letzten Tagen stellten sich mir immer wieder Alternativfragen: Hauptjob oder Hobby? Konferenz oder Kochshow? Dies hat mich zu der Einsicht geführt: Die Burg Sooneck ist eine trügerische Fährte. Sie ist Stützpunkt und Heim auf Zeit. Aber sie darf während des Aufenthaltes nie Mittelpunkt der Arbeit werden. Der Burgenblogger darf nicht in eine Wagenburgmentalität verfallen. Vielmehr soll er sich aufs Schild schreiben: Raus aus dem Turm! Ab in die Niederungen des Tals! Und natürlich: Offene Burg!
Inzwischen betrachte ich die feinfühligen Beschreibungen des Minnesangs, der Burghistorie und der Ausflüge zur Burg einschließlich der ausführlichen Kopien von fragwürdigen, weil wieder und wieder ungeprüft zitierten Wikipedia-Einträgen als nett, aber nicht zielführend. Es geht um Größeres. Es geht um eine mediale Revolution, die nach meiner Überzeugung viele Bewerber noch nicht erfasst haben. Das Trio der Initiatoren öffnet ein komplett neues Format im Regionalmarketing. Für das Mittelrheintal ist eben kein klassischer Reiseführer gewollt, der die Burgen mit präziser Stromkilometerangabe einschließlich vorhandener gastronomischer Angebote und der durchschnittlichen Steigung der Wanderwege auflistet. Es wäre so einfach, einen geübten Reisejournalisten zu beauftragen. Stattdessen wird auf einen Menschen gesetzt, der sich mit der gebotenen Distanz begeistern, mit anderen Menschen reden und sich in sie hineinfühlen kann. Kritische Worte sind ausdrücklich erwünscht. Das bedeutet: Viel Freiheit im Denken und Schreiben, abgeschmeckt mit einer Prise klassischem Journalismus und einem Teelöffel Bildungsbürgertum.
Ich werde nach einem halben Jahr auf der Burg Sooneck etwas hinterlassen. Neben dem Entwurf eines Marketingkonzeptes für das Mittelrheintal entsteht ein Manuskript mit den geführten Interviews. Dies wäre ein wunderbarer Beitrag zur Initiative der Rhein-Zeitung, in Zusammenarbeit mit epubli E-Books am Markt zu platzieren.
Ich meine: Wer die Zielsetzung gemeinsam mit den Initiatoren verwirklichen und gleichzeitig seinem Profil ein einmaliges Projekt hinzufügen will, der muss klare Kante zeigen. Von Burgfrolleins dargereichte Törtchen haben da nichts zu suchen.
Ulrike Draesner, geboren 1952 in München, lebt als Romanautorin, Lyrikerin und Essayistin in Berlin. Sie studierte Anglistik, Germanistik und Philosophie. Mit dem vorliegenden Roman steht sie auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2014.
Vertreibung & Erinnerung
Das große Thema des Romans ist die Vertreibung im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges. Draesner lässt den Leser aus verschiedenen Perspektiven diesem Trauma folgen. Die Lebenslinien zweier Familien begegnen sich in den Nachgeborenen. Die Familie des Affenforschers Eustachius Grolmann wird aus Oels in Schlesien nach Bayern vertrieben, die Familie des Psychologen Boris Nienaltowski – Spezialgebiet: Traumata der Nachgeborenen der Flüchtlinge – von Ostpolen nach Wroclaw. Neben den aufwühlenden Schilderungen der letzten Kriegswochen steht immer die Frage im Raum: Wie wahr ist Erinnerung? Einerseits ist sie die Verklärung des Verlorenen, durch die auch all das den Wert verliert, das die Zwangsvertriebenen in der „neuen Welt“ umgibt, einschließlich der eigenen Kinder. Andererseits bedeutet Erinnerung auch die Frage nach dem Anteil der persönlichen Schuld. So plagt sich Eustachius Grolmann bis zum Tod mit Schuldgefühlen, weil er seinen behinderten Bruder Emil im Feuersturm von Breslau nicht davon abgehalten hatte, sich der SS anzuschließen.
Forschergeist & Affenhirn
Eustachius Grolmanns Lieblingssatz lautet: „Gott schuf den Menschen, weil er vom Affen enttäuscht war. Seither verzichtet er auf weitere Experimente.“ (Mark Twain). Die Frage, ob der freie Wille nur eine Illusion ist und inwieweit Affen überhaupt über freien Willen verfügen, bleibt bis zum Schluß unbeantwortet. „Wir forschen mit Menschenaffen auf der Suche nach uns selbst.“ (S. 118). Der Affenforscher Grolmann ist gewitzt und schlau genug, um nicht nur Tochter Simone und Enkelin Esther, sondern auch Boris über seinen eigentlichen Plan zu täuschen: Er will sich ein Paradies an der Seite zweier Bonobo-Affen schaffen und in diesem Kokon weiter an den Fragen forschen, die ihn umtreiben. Seine Tochter meint, ihr Vater habe sie nur im Zusammenhang mit den Affen bemerkt. Vielleicht wurde sie deshalb selbst zur Affenforscherin.
Väter
Ein Thema, das sich ebenfalls durch den ganzen Roman zieht, ist das Thema der Väter. Hier im Buch sind es Vater und Tochter (Eustachius und Simone) sowie Vater und Sohn (Hannes und Eustachius). Der eine kann seiner Tochter nicht zeigen, dass er sie liebt. Sie tut deswegen alles, um sich über das, was er liebt – die Affen – näher an ihn und in sein Blickfeld zu schieben. Dieser Vater, Eustachius, spürt viele Jahre zuvor, dass sein Vater, Hannes, den älteren behinderten Bruder mehr liebt als ihn, den er bestenfalls durch Schläge wahrnimmt. Die Erfahrung, ignoriert zu werden, überträgt sich vom Vater Eustachius auf die Tochter Simone.
Fazit
Dieses Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung eines lange tabuisierten Themas. Doch etwa ab der Mitte des Buches mochte ich die Geschichten, erzählt aus neun verschiedenen Perspektiven in elf Abschnitten, all diese Geschichten von Vertreibung, Zerstörung und Tod, nicht mehr lesen. Hier wäre weniger mehr gewesen. So schienen mir sowohl die Kapitel von Jennifer, Boris‘ Tochter, als auch von Halka relativ entbehrlich zu sein. Dass am Ende im Esther-Kapitel noch einmal das Thema Migration in der heutigen Zeit auf eine doch sehr bizarre Weise erneut aufkommt, wirkt auf mich zu bemüht, so als müsse die Autorin mit Macht einen aktuellen Bezug herstellen. Für Leser mit einem starken Interesse an diesem historischen Thema ist der Roman jedoch zu empfehlen.
Ulrike Draesner, Sieben Sprünge vom Rand der Welt
Luchterhand Literaturverlag, 2014
Link zu Amazon: http://amzn.to/1xoA8kp
Gestern habe ich mit Rainer Zeimentz von der Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz e.V. telefoniert. Ich hatte eine Frage zur Ausgestaltung des Werkvertrages.
Ich war überrascht zu hören, dass der Burgenblogger diese Tätigkeit für sechs Monate nicht als Hauptberuf ausüben solle. Es sei gewünscht, dass er auch seine bisherige Tätigkeit fortführe. Dies hatte ich bisher nicht so verstanden. Meine Lesart war bisher, dass er dies fortführen „könne“, was ja weniger restriktiv ist.
Praktisch gesehen: Ich werde nur sehr beschränkt Artikel meiner Autoren lektorieren, an den Auftraggeber weiterleiten, mit dem Auftraggeber telefonieren, Honorare an meine Autoren anweisen, die Abrechnungen erstellen …. können, wenn ich mich in das Kennenlernen des Mittelrheins hineinknie. Ist das wirklich so gewollt?
Gibt es einen ruhigeren Job als den einer Friedhofsgärtnerin auf dem Zentralfriedhof von Frankfurt am Main? Für Alice ist er genau richtig, und keiner der anderen Mitarbeiter ahnt, dass die ungelernte Hilfskraft Alice, die meist still und zurückhaltend daherkommt und sich für keine Arbeit zu schade ist, ein ganz anderes Leben hinter sich hat. Alice leitete früher erfolgreich eine Künstleragentur, bis sie dem Neid und der Missgunst einiger Kollegen zum Opfer fiel. Sogar Selbstmordgedanken hatte sie gehegt, bis der Hilfsjob auf dem Friedhof kam, der ihr wieder neuen Lebensmut gab – auch und gerade weil sie sich in der Mitte ihrer ausländischen Kollegen sehr wohl fühlt.
Kriegsgräber als Wendepunkt
Alles könnte also so schön sein, wäre da nicht der Kollege Kollbrand. Er wählt stramm rechts und die ausländischen Kollegen sind ihm ein Dorn im Auge. Seine Stunde schlägt, als Alice und ihre Kollegen sich freiwillig melden, um ein Ehrenmal für die Gefallenen der beiden Weltkriege wieder auf Vordermann zu bringen. Sie finden dort einige Haschischpflanzen, was Kollbrand zufällig mitbekommt. Er schwärzt die Kollegen bei der Verwaltung an. Der fristlosen Kündigung folgt eine Medienhetze. Doch während die anderen kämpfen, zieht Alice sich in ihr Schneckenhaus zurück, verlässt die Wohnung kaum noch und fällt wieder in ein schwarzes Loch. Schließlich hatte sie all das schon einmal erlebt. Erst ihr Vermieter, der ihr auch finanziell unter die Arme greift, schafft es, ihr wieder neuen Lebensmut zu geben. Schließlich arbeitet Alice wieder als Gärtnerin. Einer ihrer früheren Kollegen hat mittlerweile eine erfolgreiche Firma gegründet. Statt in den Gärten der Toten arbeitet Alice nun in den Gärten der Lebenden. Fast scheint dies am Ende des Buches ein Symbol dafür zu sein, wie Alice wieder ins Leben zurückfindet. Und Kollbrand? Er gewinnt am Ende deutlich weniger als erhofft und ist geschlagen.
Prädikat: Unbedingt lesenswert
Für mich ist „Die Friedhofsgärtnerin“ ein unbedingt lesenswertes Buch. Eingebettet in eine wunderbare Geschichte über Freundschaft, Solidarität und Lebensmut wird der Leser immer wieder dazu veranlasst, sich Gedanken über die Gesellschaft und die eigene Rolle darin zu machen. Dabei kommt das Buch von Monika Carbe nicht als moralinsaure Epistel mit erhobenem Zeigefinger daher, wie es bei deutschen Autoren sonst oft der Fall ist. Schmunzeln und Mitfiebern ist hier durchaus erlaubt, und wer sich ein wenig in Frankfurt auskennt, der wird sogar manche Schauplätze wiedererkennen.
Monika Carbe, Die Friedhofsgärtnerin
Größenwahn Verlag Frankfurt am Main, 2014
Link zu Amazon: amzn.to/1rIztIj
Link zur Autorin: http://monika-carbe.de/
Heute frage ich Menschen aus meinem Adress- und Telefonbuch. Bedingung: Nicht googeln!
Harry, Autor, Tulln/Österreich: Rheinland-Pfalz, denk ich. So die Ecke Trier?
Antje, Journalistin, Leipzig: Ich bin eine topographische Niete. Vielleicht bei Bonn? Auf jeden Fall gibt’s da Wein.
Andreas, Versicherungsspezialist, Leipzig: In der Nähe der Loreley? Auf jeden Fall südlich von Köln!
Frank, Gastronom, Vigo/Spanien: Vielleicht bei Köln?
Silvia, Immobilienmaklerin, Hannover: Geht auf jeden Fall bei Assmannshausen lang…… Von wo bis wo weiß ich nicht genau….. Aber NRW!
Kathrin, Autorin und Übersetzerin, Allendorf/Eder: Zwischen Köln und weiter oben?
Andreas, Fotograf, Leipzig: NRW? Oder ist es doch schon Elsass?
Hanno, Journalist, Leipzig: Zwischen Koblenz und Mainz (außer Konkurrenz… kommt aus Köln und hat Geographie studiert)
Fazit, wenn auch nicht repräsentativ: Für die Marke „Mittelrheintal“ ist noch einiges aufzuholen. Der Burgenblogger könnte Teil eines abgestimmten Marketingkonzeptes sein.