Von einem Propheten, der ein neunjähriges Mädchen fickt, Analhuren und Schwanzlutschern

Geht’s noch? Durchatmen und bitte weiterlesen. Das ist natürlich nicht meine Sprache. Das sind Formulierungen auf einer Facebook-Seite. Warum man diese Seite beachten sollte? Weil sie inzwischen von knapp 8.000 Personen abonniert wird. Und damit Sie so richtig tief eintauchen können, hier einige Auszüge aus den letzten zwei Wochen:

„Das gestrige Spiel Brasilien gegen Deutschland hat der Welt erneut vor Augen geführt, in welch desolatem Zustand die deutsche Mannschaft sich gegenwärtig befindet, eine verhängnisvolle Entwicklung, die allerdings bereits vor Jahren abzusehen war. Kein Wunder, wenn man schon auf türkische Gastarbeiter und Spätaussiedler zurückgreifen muß…“

„Der Islam ist keine Religion, sondern eine kollektivistische Sex- und Gewaltsekte, die im Allgemeinen geborenen Versagern ein Überlegenheitsgefühl verschaffen, im Besonderen jedoch die sexuelle und existenzielle Selbstbestimmung der Frau unterbinden soll. Er ist völlig diesseitig orientiert und entbehrt jeglicher Spiritualität. Sein Begründer Mohammed war keineswegs ein Prophet, so wir es im christlichen oder theologischen Sinne verstehen, sondern ein Kriegsherr, Massenmörder, cleverer Geschäftsmann und ein Lustmolch, der unter anderem ein sechsjähriges Mädchen geheiratet und es mit 9 Jahren gefickt hat. Also ein Pädophiler…“

„Noch vor dreißig Jahren hätte man so eine Alte in den Knast gesteckt und sie solange dort behalten, bis sie verrottet wäre. Heute werden die Eltern der Kinder, welche diese Arschfick-Affine ganz offiziell verderben darf, von unserer ebenfalls arschgefickten Regierung gezwungen, mit ihren Steuergeldern ihr monatlich einen Gehalt in Höhe eines Chefarztes zu zahlen – sonst kommen nämlich sie ins Gefängnis. Sie finden meine Worte zu hart? Aber mitnichten. Die kann was vertragen, diese Berufsperverse…“

„Daß die Arschficker, Schwanzlutscher, Alkoholiker und Perverse vom SPIEGEL sehr gerne an der Wahrheit rumdrehen, bis sie ihren zerknitterten Arschgesichtern gleicht, ist allseits bekannt…“

Und jetzt möchten Sie wissen, wer so etwas schreibt?

Es ist Akif Pirinçci, deutsch-türkischer Schriftsteller, der mit seinen Katzenkriminalromanen rund um Felidae bekannt wurde. Sein Machwerk „Deutschland von Sinnen“ mit dem Untertiel „Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“ (Rezensionen hier und hier) steht in der aktuellen Amazon-Bestsellerliste „Deutsche Politik“ zwischen Roger Willemsens Beobachtungen im „Hohen Haus“ und Anne Frank auf Platz 2. Ist dies wirklich ein Indiz dafür, wie sehr Hetze gegen Schwule und Lesben in unserer Gesellschaft schon unterschwellig salonfähig ist? In der Neonazi-Szene soll Pirinçci zu einer Gallionsfigur aufgestiegen sein. Ein Dementi habe ich bisher von ihm dazu nicht gelesen.

In seiner widerlichen Fäkalsprache mäht Pirinçci alles hinweg, was nicht in sein Bild von gesundem Volksempfinden passt. Selbst für das Mittelalter wäre er noch zu fortschrittlich. Sarrazin ist dagegen ein Vorlesebuch für Zweijährige und wohltuend intellektuell.

Aber machen Sie sich selbst ein Bild. Stöbern Sie mal ein wenig im Netz und schreiben Sie mir hier einen Kommentar, was Sie von ihm halten.

Rezension: Anne-Kathrin Behl, Matze vor, tanz ein Tor! Oder: Von der Großartigkeit des Unangepassten

Gestern ist die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 zu Ende gegangen. Und wie sehr sie uns alle begeistert hat – die Großen wie die Kleinen. Da kommt das neue Bilderbuch der preisgekrönten Illustratorin Anne-Kathrin Behl genau richtig! Gerade erst wurde die Leipzigerin in Frankreich für die französische Version ihres 2013 erschienenen Kinderbuchs „Tobi und die Alten“ mit dem Prix Chronos de littérature ausgezeichnet. Und ihr neuestes Werk „Matze vor, tanz ein Tor!“ – ein Bilderbuch für Vierjährige – birgt ebenfalls Preispotential.

Quelle: Atlantis Verlag
Quelle: Atlantis Verlag

Im Gegensatz zu den anderen Jungs in seinem Kindergarten spielt der kleine Matze nicht gerne Fußball. Nein, seine Leidenschaft ist das Ballett! Doch darüber weiß nur sein bester Freund Emil Bescheid, denn die anderen Jungen finden Ballett eher doof. Und so trainiert Matze heimlich als einziger Junge in einer Gruppe von Mädchen. Doch plötzlich ändert sich alles: Beim Fußballspiel der Rummelsdorfer Raufbolde gegen die Kleinmunzheimer Kampfbolzer muss dringend ein Ersatz für den gestürzten Star der Raufbolde her – und die Wahl fällt ausgerechnet auf Matze. Und der hat es drauf: Mit Pirouetten und anderen tänzerischen Finessen verhilft er seiner Mannschaft zum Sieg und verblüfft damit alle: seine Mitspieler, die gegnerische Mannschaft, die Zuschauer.

Anne-Kathrin Behl erzählt eine Geschichte, in der klar wird, dass jedes Talent etwas Besonderes ist und niemand Angst davor haben sollte, dafür ausgelacht zu werden. Die Botschaft ist klar: Auch wenn Du die Gruppe, die Dir gegenübersteht, nicht einschätzen kannst, und Du Angst davor hast, dass man dich für Dein Hobby verspottet – geh´ raus und mach´ Dein Ding! Unangepasstheit birgt nichts Negatives in sich. Ganz im Gegenteil: Sie zeigt Authentizität und ist eine Quelle der Überraschungen für die anderen, die letztlich sogar von dieser „Andersartigkeit“ profitieren können. So, wie es auch bei Matze passiert ist, der es geschafft hat, dass am Ende alle sehr glücklich sind – und sich mit ihm für sein Talent freuen.

Der eine oder andere Leser mag zunächst etwas skeptisch sein, denn die Illustrationen zeugen nicht von Perfektion und Grazilität, sondern erinnern in ihrem Stil an das spielerische Gekritzel von Kindern. Doch schnell wird klar: Die Autorin trifft mit ihren Bildern den Nagel auf den Kopf, denn sie sind wie die Geschichte selbst einfach nah dran an den kleinen Bücherwürmern. Der schnelle Strich wirkt nicht etwa stümperhaft, sondern geradezu liebevoll. Seite für Seite tun sich den Betrachtern wahre kleine Wimmelbilder auf, man findet in der einen großen Geschichte rund um Matze noch ein paar weitere – so etwa die von dem Elefantenmädchen im rosafarbenen Kleid, das in den Spieler mit der Trikotnummer 1 verliebt ist. Anne-Kathrin Behl lässt den Kindern somit die Möglichkeit, Geschichten selbst zu „finden“. Dadurch stellt sie sicher, dass das Buch stets spannend bleibt und sicherlich oftmals aufgeschlagen wird – denn wer will schon etwas verpassen? Auch die Aufmachung von „Matze vor, tanz ein Tor!“ fällt positiv auf. Die Seiten sind dick und robust, die Schriftgrößen variieren und passen zu den jeweiligen Situationen.

Im Gesamtbild strahlt das Buch über den kleinen ballettbegeisterten Matze Lebendigkeit und Spaß aus, lädt zum Staunen ein und ist rundum zauberhaft. Ich drücke Anne-Kathrin Behl die Daumen, dass sie auch mit diesem Werk die eine oder andere Siegestrophäe abräumen kann!

Anne-Kathrin Behl, Matze vor, tanz ein Tor!
Atlantis Verlag, 1. Auflage 2014
Link zu Amazon: http://amzn.to/1mzU25q
Link zur Illustratorin: http://www.22forestlane.com/

Autorin: Kathrin Demuth

Rezension: Hannah Winkler, Fe-Male. Oder: Geschlecht spielt eine Rolle

Was passiert, wenn der eigene Körper nur eine Maske und ein Käfig zu sein scheint? Wie weit geht man, um der Gesellschaft zu beweisen, was sich hinter der Fassade befindet? Wer hat die Kraft und den Mut, um sich damit auseinanderzusetzen, wenn der Selbstzweifel wie ein Teufel auf jedermanns Arm sitzt?

Hannah Winkler, Fe-Male Cover
Quelle: Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag

Hannah Winkler, eine hübsche transsexuelle Frau, beschreibt in „Fe-Male“ eindringlich ihren Weg der Verwandlung. Sie spricht davon, wie sehr sie das unnötige Teil zwischen ihren Beinen gehasst hat, weil es nie wirklich zu ihr gehörte. Seit dem sechsten Lebensjahr wusste sie schon ganz genau, dass sie sich nicht im richtigen Körper befindet. Die gesamte Umgebung zwingt sie, Familie und Schulkameraden dies zu beweisen, weil niemand der vermeintlich abnormalen Erscheinung ein Recht auf unabhängige Existenz in der Gesellschaft gibt. Selbst der Vater, der sie seit dem sechsten Lebensjahr allein erzieht, kommt mit ihrer tatsächlichen Identität nicht zurecht. Die verständnisvolle und kluge Mutter lebt in Hannas Erinnerung dagegen als Schutzheilige und beste Freundin.

Kurz bevor Hannah in die Pubertät eintritt, im Alter von 13 Jahren, gerät sie nach dem Tod ihrer Mutter in eine tiefe Depression, die das Gefühl des Selbstzweifels stärkt. Dennoch entscheidet sich das Mädchen, den schwierigen Weg zu gehen. Für Hannes, den Vater des transsexuellen jungen Mädchens, ist die Situation unvorstellbar schwer. Er kann die besondere Sexualität seiner Tochter nicht begreifen. Schnell überlässt er die Sorge für Hannah den Ämtern. Das deutsche Jugendamt schickt das Mädchen nach Perugia in Italien zu einer Pflegefamilie. Es kommt zum ersten selbstdestruktiven Impuls bei dem noch sehr jungen und emotionalen Mädchen. Der hilflose Versuch, “die verhaltensauffällige Jugendliche zurück ins normale Leben zu führen”, endet mit einer Flucht in die grünen Wiesen eines dem Mädchen unbekannten Landes. Getrieben von Angst geht Hannah weiter ihren Weg. Sie begegnet Menschen, die sie zum weiteren Kampf ermutigen, und anderen, die ihre langsam sich ausbreitenden Flügel wieder abschneiden.

Hannah bleibt Siegerin. Schließlich beteiligt sich der Staat an den Kosten ihrer Geschlechtsumwandlung. In der Tagesklinik, in der Schule und bei der Therapie begegnen ihr Menschen, die ihr Schicksal teilen und verstehen. Von nun an wird Angst nicht mehr ihre Motivation sein. Treibende Kraft ist jetzt die Vorfreude und die Zustimmung ihrer guten Freundinnen, die den Ekel der Gleichaltrigen und die schmerzhafte Abneigung der jungen Männer lindert. Hannah hat den Mut zu träumen und ihre Träume zu verfolgen. Nun im richtigen, ihr bestimmten Körper leben zu können und nicht mehr gefangen zu sein, gibt ihr nie gekannte Selbstsicherheit. Geschlecht spielt eine Rolle.

Hannah Winkler zeichnet in ihrem Buch ihre eigene Traumwelt nach – eine Traumwelt, die schließlich Wirklichkeit wurde und sie zu ihrem neuen, glücklichen Leben führte. Das Buch ist mit einem persönlichen Bildteil ausgestattet, der den Eindruck des Textes noch verstärkt. „Fe-Male“ ist ein außergewöhnliches autobiographisches Werk, das unterhaltsam zu lesen ist und allen Mut machen kann, die ihre wirkliche verborgene Identität suchen.

Hannah Winkler, Fe-Male – Hinein in den richtigen Körper
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, 1. Auflage 2014
Link zu Amazon: http://amzn.to/1zr87Hs
www.hannah-winkler.de

Autorin: Jolanta Drywa

Rezension: Mel Wolfen, Vaterliebe

Cover Mel Wolfen, Vaterliebe„Was tun, wenn einem die Werkzeuge, die man fürs Leben braucht, nicht in die Wiege gelegt werden? Wohin kann die Reise dann gehen und wird sie zwangsläufig in einer Irrfahrt münden? Die Erzählung „Vaterliebe – Eine Reise in die Vergangenheit“ ist mein Versuch, diese Fragen zu beantworten…“ (Mel Wolfen)

Der Klappentext des Autors gibt einige Rätsel auf. Ist es ein Buch über das Leben eines Versagers? Oder eine Art Roadmovie über die Irrwege eines Orientierungslosen? Leider erklärt der Text nicht genauer, was den Leser erwartet. Denn die Geschichte, die Mel Wolfen erzählt, ist lesenswert.

Die Reise, die darin angedeutet wird, ist nicht nur ein Ausflug in die Vergangenheit. Es ist hauptsächlich eine Reise in die Gefühlswelt von Max Engel, dessen Leben aus der Ich-Perspektive erzählt wird. Die Geschichte beginnt an dem Tag, an dem er sich nach jahrelangem Zögern mit seinem Vater trifft. In einer längeren Rückblende erfährt der Leser, wie es zu dieser Entfremdung kam. Max verbrachte eine trostlose Kindheit bei seiner alleinerziehenden Mutter und deren wechselnden Lebensgefährten. Danach folgten Alkohol- und Drogensucht und die mühsame Suche nach einem Platz in der Gesellschaft. All das wird in einer knappen und anschaulichen Sprache erzählt, die glücklicherweise nicht in den Sozialkitsch abgleitet.

Den meisten Raum in dieser Novelle nimmt das Fehlen des leiblichen Vaters ein. Als Mutter einer Tochter kann ich die Beziehung zwischen Vater und Sohn nur erahnen. Mel Wolfen gelingt es jedoch, mir diese Gefühlswelt näherzubringen. Mit klaren, manchmal auch poetischen Worten schildert er Max Engels‘ Suche nach seinen Wurzeln und den Schmerz über das Fehlen der Vaterfigur. Schade ist nur, dass es der Autor bei so wenigen Seiten bewenden ließ (wenn man Vorwort, Impressum, Anmerkungen und Danksagung weglässt, bleiben 162 Seiten Text). Ich hätte gern mehr über Max Engels‘ bewegtes Leben erfahren.

Mel Wolfen, Vaterliebe – Eine Reise in die Vergangenheit
MM Felis Self Publishing, 2014

Autorin: Petra Gugel

Rezension: Harald Gilbers, Germania. Oder: Ein Krimi erklärt den Krieg

Das Buch tanzt Pogo mit dem Leser. Zumindest ging’s mir so bei der Lektüre. Denn die Aufs und Abs inhaltlicher wie stilistischer Art haben hier eine hohe Frequenz. Da folgen Passagen von eindringlichster Intensität und Dichte auf leider oft arg schlichte Dialoge oder innere Monologe – da werden bestialische Grausamkeiten detailverliebt geschildert und ein paar Seiten später Sentenzen wie aus einer Seifenoper präsentiert – und da stehen teilweise brillant gezeichnete Charaktere im einer vollkommen durchschnittlichen „Whodunit-Handlung“, die vom Autor eben kurzerhand in eine Welt mit in jeder Hinsicht extremen Konditionen transferiert wurde. Die Gesellschaft ist nicht nur korrupt, es sind Nazis. Der Underdog ist nicht einfach ein Außenseiter, er ist Jude. Das tägliche Leben ist nicht nur eine Zumutung, es hagelt Bomben.

Quelle: Droemer Knaur
Quelle: Droemer Knaur

Worum handelt es sich konkret? Nun, den Plot kann man relativ kurz abhandeln. Und weil das Werk als „Thriller“ firmiert, will ich auch nicht allzu viel verraten. Die Handlung spielt im Berlin des Jahres 1944, zwischen dem 7. Mai und dem 25. Juni. Die Stadt zerbröselt zusehends unter den andauernden Angriffen alliierter Bomber. Ein Serienmörder geht um und verstümmelt und ermordet nicht nur junge Frauen – er legt die Leichen auch noch an Mahnmalen zum Gedenken an den 1. Weltkrieg ab. Die Behörden sind ratlos, erinnern sich dann aber an den Juden Richard Oppenheimer, der früher mal Kriminalkommissar war. Oppenheimer leidet zwar unter der Verfolgung durch die Nazis, sieht sich aber immer noch als pflichtbewusster preußischer Beamter und macht sich unter dem Schutz der SS auf die Tätersuche. Sein Problem dabei: wenn er den Täter hat, dürfte seine Gandenfrist abgelaufen sein.

Nun gut. Krimis, die ins Berlin der 20er, 30er und 40er Jahre verlegt werden, kennt man. Nicht zuletzt durch den Gereon-Rath-Zyklus von Volker Kutscher. Harald Gilbers geht allerdings härter zur Sache. Der Autor ist Jahrgang 1969, studierte Anglistik und Geschichte und arbeitete erst als Feuilleton-Redakteur, bevor er Theaterregisseur wurde. Das macht sich in der nicht immer gelungenen Dialogdichte des Romans bemerkbar – aber erfreulicherweise eben auch in seiner akribischen Recherche zu den Rahmenbedingungen des Lebens in Berlin zur Endzeit der Naziherrschaft. Sprachliche Wendungen, Witze, U-Bahnverbindungen, Wetter, Nachrichten… all das ist stimmig in die Handlung integriert. Und Gilbers kann durchaus ergreifend schreiben. Die Sequenz über einen Bombenangriff, den der Held Oppenheimer zusammen mit seinem SS-Partner Vogler im Bunker übersteht, gehört für mich zu den stärksten Stellen des ganzen Buchs. In seiner ganzen expressiven Wucht durchaus vergleichbar mit der Beschreibung des Bombardements von Dresden im Roman „Schlachthof 5“ von Kurt Vonnegut. Trotzdem: die Fallhöhe danach ist dann wieder entsprechend hoch. Und schmerzt.

„Germania“ ist der erste Roman von Harald Gilbers und für die Kenner der Szene offenbar ein ausgezeichneter Start in die Krimiautor-Karriere: nämlich prämiert mit dem Glauser-Preis 2014 für das beste Debüt. Mir hat’s im Ganzen nicht ganz so gut gefallen.

Harald Gilbers, Germania. Knaur TB, 2013.

Autor: Harald Wurst | ph1.de

Rezension: Cornelia Lotter, Elstertränen

Elstertränen: sensibel, schockierend, intim… einfach nur gut!

Wer ist eigentlich die Hauptfigur in Cornelia Lotters Krimi „Elstertränen“? Ist es Martin Bender, der die Ermittlungen der Sonderkommission „Elster“ leitet und den Mord an einem kleinen Mädchen aufklären soll, während alle Spuren scheinbar ins Leere laufen? Ist es seine Partnerin Kirsten Stein, die ihn mit ihren oft unorthodoxen Ermittlungsmethoden unterstützt? Oder ist es gar der Unbekannte, der die Mädchenleiche aus der Elster fischt, ihre Blöße mit einem Weißdornzweig bedeckt und schließlich verschwindet?

Bender und Kirsten, kurz Ki genannt, stehen ebenso wie die Beamten der Mordkommission vor einem schier unlösbaren Rätsel: Die kleine Ilka war auf dem Weg zum Spielplatz, hat diesen jedoch nicht erreicht und ist scheinbar spurlos verschwunden, bis ihre Leiche am Elsterufer gefunden wird. Das ist bereits der vierte Mord an einem kleinen Mädchen in Leipzig und Umgebung. Das Mädchen wurde sexuell missbraucht und starb vermutlich an einer Überdosis K.-o.-Tropfen.

… doch der Unbekannte schweigt

Der unbekannte Finder der Leiche gibt sich zunächst nicht zu erkennen. Er hat Angst, als Täter abgestempelt zu werden, weil er selbst pädophil veranlagt ist, jedoch immer verzweifelter gegen seine Neigungen ankämpft. Dass er schließlich doch mit der Polizei zusammenarbeitet, ist lediglich einem Zufall zu verdanken: Er ist beim selben Therapeuten in Behandlung wie Ki, die einige unschöne Kapitel aus ihrer Vergangenheit aufarbeiten möchte und sich von Martin sehnlichst ein Kind wünscht. Schließlich gelingt es diesem ungleichen Trio, einen Pädophilen-Ring zu sprengen, der Kinderpornos produziert und in der Szene verbreitet.

Einfühlsam und trotzdem temporeich

Die Story von „Elstertränen“ ist in mehrfacher Hinsicht ein Wettlauf gegen die Zeit: Martin Bender will den Täter fassen, ehe noch weitere Morde passieren oder sich die wenigen Spuren endgültig im Nichts verlieren. Ki spürt ihre biologische Uhr in rasantem Tempo ticken und hat ihre eigene Vergangenheit – vor allem eine Abtreibung – noch nicht richtig aufgearbeitet. Und der Unbekannte schließlich fürchtet, dass er irgendwann seinen unterdrückten Neigungen nachgehen könnte. Erst recht, als eine neue Nachbarin im Mietshaus einzieht, deren Tochter genau in dem Alter ist, das zu seinem Beuteschema passt.

Das Tempo macht Cornelia Lotter mit kurzen Kapiteln und raschen Szenewechseln, die stilistisch etwas an die Arbeitsweise des Regisseurs Quentin Tarrantino erinnern. Trotzdem nimmt sie sich die Zeit, um die Protagonisten tiefgründig zu charakterisieren. Darüber hinaus geht sie das Thema Pädophilie äußerst sensibel an.

Trotz des direkten Einstiegs in die Thematik verzichtet die Autorin auf jegliche Effekthascherei und darauf, die betreffenden Szenen unnötig auszumalen. Durch ihre einfühlsame Charakteristik des Unbekannten macht sie deutlich, dass pädophil veranlagte Menschen nicht zwangsläufig Täter oder Monster werden müssen, sondern sich unter Umständen selbst in einer Opferrolle befinden.

Cornelia Lotter wagt mit der Thematik einen äußerst schwierigen Spagat, den sie mit Bravour meistert. Sie verpackt die schwierige Thematik in eine spannende und gut erzählte Geschichte. Mögen ihre Leser dazu animiert werden, genauer hinzuschauen, wenn in seiner eigenen Nachbarschaft etwas seltsam erscheint.

Cornelia Lotter, Elstertränen – Ki und die verlorenen Kinder.
Ein Krimi um Privatdetektivin Kirsten Stein
Link zu Amazon: http://amzn.to/1swoZM2

Autor: Harry Sochor

Torjubel, Thunfisch und Tofu: Das Kochbuch zur Fußball-WM in Brasilien

Sie steht bei Hannover 96 mit dem Fanschal in der Kurve. Sie sammelt seit über 30 Jahren Kochbücher (nicht nachrechnen…). Im Urlaub fragt sie den Koch des Hotels immer nach seinen Rezepten. Und sie kann schreiben. Alles in einen Topf, gut durchgerührt, und das Ergebnis ist ein Kochbuch mit Rezepten aus den 32 teilnehmenden Nationen der Fußball-WM 2014 in Brasilien, gewürzt mit Infos rund um das Leder, das die Welt bedeutet. Ich habe Autorin Katrin Roßnick auf der Leipziger Buchmesse getroffen.

Autorin Katrin Roßnick. Quelle: www.hannover-schnitte.de
Autorin Katrin Roßnick. Quelle: www.hannover-schnitte.de

„Ich bin da schon ein bißchen verrückt“, lacht die Frau mit dem festen Händedruck. 2006, als Hannover Spielort der Fußball-WM war, entstand die erste Buchidee. Mit dem Konzept „32 Mannschaften – 32 Spiele – 32 Rezepte“ fuhr Katrin Roßnick vor der Fußball-WM 2010 auf die Frankfurter Buchmesse, um einen Verlag zu suchen – damals noch zu blauäugig und ohne Gefühl für die Vorlaufzeit einer Buchproduktion. Was jetzt mit dem Titel „Kick and Cook“ in einer Startauflage von beachtlichen 6.000 Exemplaren vorliegt, ist professionell: Jede Teilnehmernation wird mit einem Rezept vorgestellt, das jeweils eine landestypische Zutat enthält. „Alle Zutaten sollen im Supermarkt um die Ecke erhältlich sein.“ Das ist zum Beispiel im Iran der Safran und für Kroatien Rosenwasser. Die Rezepte stammen aus dem Fundus der Autorin (es mögen wohl mehrere Zehntausende sein) und von Freunden aus den WM-Ländern.

Kick and Cook Cover„Natürlich habe ich alles selbst gekocht“, betont Katrin Roßnick. Die Gegenkontrolle gab es durch den Foodfotografen Andreas Keudel, Freunde, Familie und Kollegen. Für Deutschland gehen Berliner Buletten mit Kräuter-Kartoffelsalat an den Start, Nachbar Niederlande serviert zwei Sorten Tartar vom Matjes, und beim Außenseiter Bosnien und Herzegowina kommen Hackfleischröllchen vom Grill auf den Tisch.

Und nach der WM? Na klar: Nach dem Turnier ist vor dem Turnier. Katrin Roßnick wird die Qualifikationsspiele zur WM 2018 in Russland verfolgen und schon mal die passenden Rezepte heraussuchen…

Katrin Roßnick, Kick and Cook. Das Kochbuch zur Fussball-WM 2014. Verlag Die Werkstatt, 1. Auflage 2013.

Leipziger Buchmesse 2014: Die roten Schweizer Lesebänke sind wieder da

Zurück: Eine Schweizer Lesebank im Clara-Zetkin-Park. Foto Detlef M. Plaisier
Zurück: Eine Schweizer Lesebank im Clara-Zetkin-Park. Foto Detlef M. Plaisier

Sie waren Gastgeschenk und Blickfang zur diesjährigen Leipziger Buchmesse: Die roten Schweizer Lesebänke prägten das Stadtbild an zentralen Orten vor Buchhandlungen und in Parks – und genauso schnell waren sie wieder verschwunden. Nach fast drei Monaten Abwesenheit kommt jetzt ein Teil der literarischen Sitzgelegenheiten zurück.

Zehn der ursprünglich 40 Bänke wurden der Stadt Leipzig jetzt vom Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband (SBVV) übereignet. Fünf von ihnen sind bereits im Lesegarten des Clara-Zetkin-Parks südlich des „Schachhäuschens“ dauerhaft aufgestellt. Sie verbleiben in der kleinen Anlage bis zur geplanten Sanierung in den nächsten Jahren. Mit der Aufstellung wird die Tradition des Lesegartens an dieser Stelle aus den 1950er Jahren wiederbelebt. Die anderen fünf Bänke bleiben zunächst in einem Depot der Stadt, um eventuell durch Graffiti beschädigte Bänke schnell austauschen zu können. „Diese Gegend ist dafür aber weniger anfällig“, ist Gerald Biehl vom Amt für Stadtgrün und Gewässer zuversichtlich.

Um die literarische Freundschaft zwischen Leipzig und der Schweiz zu untermauern, hat der SBVV zusätzlich eine Mini-Handbibliothek mit 100 Ausgaben Schweizer Literatur gestiftet. Die Bücher können im Schachhäuschen während der Öffnungszeiten ausgeliehen werden (Mai bis September jeweils montags, mittwochs und freitags von 14 bis 18 Uhr). Für das Schweizer Buchgeschenk haben städtische Tischler eigens Regale angefertigt.

Rezension: Jan-Philipp Sendker, Herzenstimmen

Der Titel des Romans von Jan-Philipp Sendker klingt zunächst nach einem schnulzigen Liebesroman. Doch schon nach den ersten Seiten wird klar: „Herzenstimmen“ ist alles andere als das.

Hauptperson des Buches ist Julia Win, Anwältin in New York und bestens durchorganisiert. Spontan ist bei Julia nichts, noch nicht einmal ein Treffen mit ihrer besten Freundin. Doch dann erhält Julia unerwartet einen Brief von ihrem Halbbruder U Ban aus Burma, den sie zehn Jahre zuvor kennengelernt hatte. Von dieser Reise erzählt der Vorgängertext „Herzenhören“. Und doch ist „Herzenstimmen“ mehr als eine bloße Fortsetzung, denn auch wer das erste Buch nicht gelesen hat, ist von Julias Geschichte gefesselt.

Nachdem Julia den Brief ihres Bruders gelesen hat, hört sie plötzlich die Stimme einer Frau in ihrem Kopf, die offensichtlich sehr verängstigt ist. Wie jeder „normale“ Mensch geht Julia zu einem Psychotherapeuten, doch der kann ihr nicht helfen. Erst durch die Intervention ihrer besten Freundin wird Julia klar, dass sie zurückkehren muss nach Burma, in das Land ihres Vaters, um herauszufinden, was es mit dieser geheimnisvollen Stimme auf sich hat – und das, obwohl die Stimme versucht, sie mit allen Mitteln von dieser Reise abzuhalten.

Julia fliegt nach Burma. Hier sieht sie nicht nur ihren Bruder wieder, sondern findet auch ein völlig verändertes Land vor, das auch mich als Leser fasziniert. Jan-Philipp Sendker gelingt es, in seinem zweiten Roman nicht nur eine spannende Geschichte zu erzählen, sondern dem Leser auch die Geschichte Burmas näherzubringen. Das geschieht nicht mit dem Holzhammer, sondern ist so geschickt in die Geschichte eingebettet, dass man es als Leser kaum bemerkt. Besonders deutlich empfindet der Leser dabei die allgegenwärtige Macht des Militärs und die Ohnmacht der Bevölkerung, sich gegen das Militär zu wehren. Romantisch-verklärende Blicke auf die ostasiatische Lebensweise, wie sie im Westen vielerorts bis heute Konjunktur haben, haben hier keinen Platz. Und trotzdem ist der Roman keine Generalabrechnung oder Anklage – im Gegenteil: Er beschreibt sehr behutsam die Verhältnisse in Burma und entfaltet gerade dadurch eine ungeheure Wucht.

In Burma angekommen, wird Julia mit Hilfe ihres Bruders schnell klar, dass auch die Stimme in ihrem Kopf unmittelbar mit der brutalen Militärherrschaft über Burma zu tun hat. Für Julia beginnt eine gefährliche Spurensuche, an deren Ende sie durch ihre Beharrlichkeit die berührende Geschichte von Nu Nu (der Stimme in ihrem Kopf), ihrem Mann Maung Sein und den gemeinsamen Söhnen Ko Gyi und Thar Thar kennt. Vor allem aber weiß sie, was im Leben wirklich zählt.

„Herzenstimmen“ ist ein tief-bewegender Roman über die Geschichte Burmas und darüber, dass das Leben oft vielschichtiger ist, als es auf den ersten Blick scheint. Es lohnt sich, diese Vielschichtigkeit aus der Sicht von Jan-Philipp Sendker zu erforschen.

Jan-Philipp Sendker, Herzenstimmen
Karl Blessing Verlag (2012)

Autorin: Yvonne Giebels

Rezension: Ulrike Sosnitza, Ein Klick zu viel

Die letzte Hausfrau des neuen Jahrtausends“, so wird Emmy genannt. Dabei wäre sie doch viel lieber erfolgreich und berühmt. Emmy möchte einen Roman schreiben, um endlich zu beweisen, dass sie mehr kann als kochen und Kinder hüten. Allerdings fehlen ihr Talent und Ausdauer, um ein ordentliches Manuskript zu Papier zu bringen.

Eher zufällig als geplant kopiert sie einen Text aus dem Internet und gibt ihn als ihren eigenen aus. Eigentlich wollte sie damit nur eine Bekannte beeindrucken. Als das Manuskript jedoch einem Verleger in die Hände fällt, nimmt das Unheil seinen Lauf. Das Buch wird ein großer Erfolg und sogar für einen Literaturpreis nominiert. Als die wahre Autorin Mere dahinterkommt, nimmt sie den Kampf nach ihren eigenen Regeln auf.

Der Klappentext verspricht eine bitterböse Komödie, in der nicht alles ernst gemeint ist, was in rasantem Tempo geschildert wird. Leider ist der Anfang des Buches nicht unbedingt rasant. Nur allmählich entwickelt sich die Story um die Protagonistinnen Emmy und Mere, die ich zudem beide nicht besonders sympathisch fand – wobei Mere in ihrer Kompromisslosigkeit immerhin ein interessanter Typ ist. Obwohl sie nach der Trennung von ihrem Mann obdachlos ist, schreibt sie ein hervorragendes Manuskript. Emmy lebt dagegen in ihrem Villenhaushalt und wird schlimmstenfalls von Minderwertigkeitsgefühlen geplagt.

Dass ich das Buch dennoch nicht weglegen konnte, lag am Thema. Das Buch widmet sich einer aktuellen Problematik, auf die mich eine befreundete Autorin aufmerksam machte. Viele unbekannte Schriftsteller veröffentlichen ihre Texte auf Internetplattformen, um Verlage darauf aufmerksam zu machen. Einige von ihnen mussten jedoch feststellen, dass jemand ihren Text kopiert, geringfügig verändert und dann als eigenes E-Book zum Download angeboten hat.

Fazit: Wer die dahinplätschernden ersten zehn Kapitel (insgesamt sind es 47) durchgehalten hat, wird mit einer spannenden Story belohnt. Die Autorin findet zu einem flotteren Schreibstil und die Geschichte nimmt richtig Fahrt auf. Im letzten Teil des Buches überschlagen sich die Ereignisse und das Tempo wird tatsächlich so rasant wie im Klappentext versprochen. Der Roman überrascht mit einigen unerwarteten Wendungen und hinterlässt eine interessante Frage: Wie weit würde ich selbst gehen, um ein Ziel zu erreichen?

Ulrike Sosnitza, Ein Klick zu viel
(Verlag Königshausen und Neumann, 2013)

Autorin: Petra Gugel