Rezension: Roy Jacobsen, Die Farbe der Reue

„Die Farbe der Reue“ ist ein Roman des norwegischen Autors Roy Jacobsen aus dem Jahr 2011. Gabriele Haefs übersetzte das Buch ins Deutsche, 2012 erschien es im Berliner Osburg Verlag.

Das Buch erzählt die Geschichte des 72 jährigen Hans Larsen, der nach einer langen Haftstrafe vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wird. Er war, ist und bleibt ein Eigenbrötler. Es war es immer am liebsten, wenn er unsichtbar und unerkannt leben konnte.

Die zweite Hauptperson des Buches ist Hans Larsens Tochter Marianne. Sie ist alleinerziehende Mutter der kleinen Greta, arbeitet im Waschsalon, ist ständig knapp bei Kasse und wirkt auch psychisch labil. Jeden Tag stellt sie To Do- Listen für sämtliche zu erledigende Kleinigkeiten des Alltags auf, und jeden Abend wird der Tag kurz in ihrem Tagebuch analysiert und mit Plus- und Minuszeichen versehen. Zu ihrem Vater hat sie seit Jahren keinerlei Kontakt.

Hans arbeitet nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis schwarz bei seinem ehemaligen Chef im Hafen als Tagelöhner. Nach einem Unfall lernt er im Krankenhaus seinen wohlhabenden Bettnachbarn Arthur Almlie und dessen Frau Agnes besser kennen und tritt trotz seines hohen Alters bei ihnen eine Stelle als Gärtner und Hausmeister an. Seine Beziehung zu Agnes Almlie wird bald inniger und intimer. Agnes recherchiert ohne sein Wissen in Hans‘ Vergangenheit. Sie versucht auf eigene Faust mehr über Marianne und die kleine Greta herauszufinden und tut ihnen auch unbemerkt Gutes.

Ich fand es sehr schwierig, mich in das Buch hinein zu finden. Der Autor lässt sehr lange offen, warum das Verhältnis zwischen Vater und Tochter so zerrüttet ist. Es gibt immer wieder Hinweise auf die Kindheit von Marianne, aber was genau zwischen beiden geschah, erfährt der Leser erst gegen Ende des Textes. Vieles scheint mir einfach nur Füllmaterial zu sein ohne Bedeutung für den Fortgang der Handlung. Erst im letzten Drittel des Romans zeigt sich dann wieder eine einigermassen nachvollziehbare Handlung, die allerdings den zähen und langweiligen ersten Teil nicht mehr aufwerten kann.

Ich hätte das Buch am liebsten zur Seite gelegt und es nicht weiter gelesen. Die Geschichte wird lange nicht wirklich spannend und fesselt mich nicht. Der Autor selbst ist einer der meistgelesenen Schriftsteller Norwegens. „Die Farbe der Reue“ ist nicht sein herausragendster Roman. Von mir gibt es keine Empfehlung für dieses Buch.

Roy Jacobsen, Die Farbe der Reue
Osburg Verlag, 1. Auflage 2012

Autorin: Sarah Czerwa

Rezension: Owen Matthews, Winterkinder – ein intimes Stück Zeitgeschichte

Was ist Owen Matthews‘ Roman „Winterkinder“? Ein historischer Roman? Eine Familiensaga? Ein Stück persönlicher Vergangenheitsbewältigung? Vermutlich eine gut gelungene Mischung aus allen dreien. Der Autor begibt sich in „Winterkinder“ auf eine Spurensuche in die eigene Vergangenheit und erzählt die Geschichte der verzweifelten Liebe seiner Eltern, eingebettet in die politische Weltlage und den Alltag in der Sowjetunion während des Kalten Krieges.

Quelle: Ullstein Buchverlage
Quelle: Ullstein Buchverlage

Die Geschichte beginnt mit der Verhaftung seines Großvaters Boris Bibikow an einem Mittsommertag des Jahres 1937. Der glühende Sozialist hatte nach der sozialistischen Revolution eine steile Karriere gemacht und es bis zum Leiter einer Traktorenfabrik gebracht. Hochmotiviert war es ihm gelungen, mit seinen Arbeitern die Fabrik in Rekordzeit aus dem Boden zu stampfen und das Soll des ersten Fünfjahresplans zu erfüllen. Doch dann wird Boris Bibikow zum Opfer der stalinistischen Säuberungswelle. Seine Familie, die zuvor bescheidene Privilegien genossen hatte, stürzt ins Elend. Die Töchter Mila und Lenina erleben eine Odyssee durch sowjetische Waisenhäuser.

Als Erwachsene hat sich Mila weitgehend mit dem System arrangiert, bewegt sich jedoch in subversiven Kreisen, die das System in Frage stellen. Sie lernt den jungen Briten Mervyn Matthews kennen. Mervyn Matthews ist auf dem besten Weg, eine akademische Karriere in Oxford zu machen und hat ein Stipendium für den Aufenthalt in der Sowjetunion erhalten. Dort bewegt er sich gern am Rande der vom britischen Außenministerium erlaubten Pfade und eckt deshalb mehrfach an. Mervyn widersteht den Anwerbungsversuchen des KGB und verliebt sich in Mila.

Schachfiguren der Weltpolitik

Als die Behörden von dieser Affäre erfahren, muss Mervyn schnellstmöglich ausreisen, während Mila versetzt wird. Doch das junge Paar hat sich geschworen, um seine Liebe zu kämpfen. Mervyn geht in die Medien und setzt alle Hebel in Bewegung, um für Mila die Ausreiseerlaubnis zu erwirken. Er zahlt jedoch einen hohen Preis, weil er darüber seine akademische Karriere komplett vernachlässigt, die Stellung in Oxford verliert und an eine drittklassige Universität versetzt wird.

Schließlich gelingt es ihm, die Ausreise Milas zum Teil eines Agentenaustausches zu machen und das junge Paar kommt nach Jahren der Trennung endlich zusammen. Doch Mila hat in der Fremde zunächst Schwierigkeiten, sich anzupassen. Zunehmend entfremdet sich das Paar, und sowohl Mila als auch Merwyn wird klar, dass sie in erster Linie nur der schier unmögliche Kampf gegen übermächtige Gegner zusammengeschweißt hat.

Moskau, Bolschoi-Theater. Quelle: Postkartenarchiv Plaisier
Moskau, Bolschoi-Theater. Quelle: Postkartenarchiv Plaisier

Owen Matthews schildert einfühlsam und fesselnd das Schicksal zweier Menschen, deren Leben von den Interessen der großen Politik massiv beeinflusst und fast zerstört wird. Er verzichtet dabei auf eine moralische Wertung, sondern stützt seine Geschichte auf Archivmaterial. Gerade durch diese nüchterne Darstellung wird die Perversion der Machtverhältnisse in der früheren Sowjetunion offensichtlich. Phasenweise erinnern die radikalen Kurswechsel der Machthaber an Passagen aus Orson Welles‘ „1984“, der ebenfalls den Kalten Krieg als Ausgangspunkt für seine Dystopie gewählt hatte. Unsympathisch wirken eher die Vertreter des britischen Polit-Establishments, die sich über Jahre hinweg weigern, dem verzweifelten Paar zu helfen, um nur ja das fragile Verhältnis zwischen Ost und West nicht zu gefährden.

Owen Matthews hat angesichts der aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion ein Werk von fast erschreckender Aktualität geschaffen. Vor allem Lesern der Generation, die den Mauerfall miterlebt hat, dürften so manche Szenen aus „Winterkinder“ vertraut erscheinen.

Owen Matthews, Winterkinder
Graf Verlag, 2014

Autor: Harry Sochor

Rezension: Carlos Ruiz Zafón, Der Schatten des Windes

„Bücher sind Spiegel: Man sieht in ihnen nur, was man schon in sich hat.“

Quelle: Suhrkamp Verlag
Quelle: Suhrkamp Verlag

Dieses Zitat aus „Der Schatten des Windes“ beschreibt am besten, was man von diesem Roman erwarten kann. Viele Rezensionen wurden darüber bereits geschrieben, und fast alle sind gleichlautend mit meiner Meinung: Es ist eine Geschichte voller Romantik, Tragik und Mystik, geschrieben in poetischer Sprache und bevölkert von einem Sammelsurium liebevoller Protagonisten. Joschka Fischer schwärmte nach der Lektüre: „Anderthalb Tage – Sie werden die Nacht durchlesen. Sie können es nicht weglegen, bevor Sie nicht am Ende sind.“ Einige Leser fanden das Buch etwas düster und den Anfang zu langatmig, was ich jedoch nicht nachvollziehen kann. Ich habe das Buch inzwischen fünfmal gelesen und schmökere auch zwischendrin immer wieder in meinen Lieblingsstellen.

Der Autor Carlos Ruiz Zafón versetzt den Leser in ein bedrückendes Barcelona zur Zeit der Franco-Diktatur. Als der junge Daniel Sempere zum ersten Mal den geheimnisvollen Friedhof der vergessenen Bücher betritt, darf er gemäß der Tradition ein Buch aus dem Bestand mitnehmen. Daniel entscheidet sich für den Roman „Der Schatten des Windes“, geschrieben von einem unbekannten Schriftsteller namens Julián Carax. Daniel möchte mehr von diesem Carax lesen und macht sich auf die Suche nach weiteren Romanen. Doch der Autor ist verschwunden, und seine Bücher scheinen allesamt von einer unheimlichen Person vernichtet worden zu sein.

Barcelona, Park Güell (Gaudi). Quelle: Postkartenarchiv Plaisier
Barcelona, Park Güell (Gaudi). Quelle: Postkartenarchiv Plaisier

Während Daniel älter wird, kommt er dem Geheimnis von Carax allmählich näher. Bei seinen Nachforschungen begleiten Daniel zwei Personen: Bea, der Schwester eines Freundes, und Fermín Romero de Torres, dem Zafón Dialoge voll sprühenden Wortwitzes in den Mund legt. Mit der Zeit entdeckt Daniel eine unheilvolle Verstrickung von Liebe, Gewalt und Politik, deren Auswirkung bis in die Gegenwart reicht. Gleichzeitig entspinnt sich zwischen ihm und Bea eine zarte Liebesgeschichte, die der verhängnisvollen Romanze zwischen Carax und dessen Jugendliebe gleicht. In einer verlassenen Villa trifft Daniel dann auf die Geister der Vergangenheit. Die Ereignisse spitzen sich zu, und Carax‘ unseliges Schicksal scheint sich bei Daniel zu wiederholen. Wobei die Betonung auf „scheint“ liegt, denn das Ende möchte ich natürlich nicht verraten.

„Der Schatten des Windes“ ist der Auftakt einer bisher dreibändigen Barcelona-Reihe, ein viertes Buch soll noch folgen. Die Geschichten der beiden Folgebände „Das Spiel des Engels“ und „Der Gefangene des Himmels“ spielen teils vor und teils nach den Ereignissen des ersten Teils. Zwar können die Fortsetzungen mit ihrem Vorgänger nicht ganz mithalten, sie sind aber dennoch ebenso lesenswert.

Carlos Ruiz Zafón, Der Schatten des Windes
Suhrkamp Verlag, 2005

Autorin: Petra Gugel

Buchmesse in Teheran: Laut, bunt – und was bitte ist Urheberrecht?

Buchmesse Teheran 2014. Foto: Steffen Meier
Buchmesse Teheran 2014. Foto: Steffen Meier

Zugegeben: In Teheran hatte ich eine Buchmesse nicht erwartet. Dabei ist sie mit fast fünf Millionen Besuchern eine der größten der Welt. Und es ist (fast) alles anders als in Leipzig und Frankfurt: Der Kaffee ist ungenießbar, man kann Bücher direkt vor Ort kaufen, und Raubkopien werden offen gehandelt.

Steffen Meier, Ideengeber im Marketing von Readbox, war dort und hat für uns Daheimgebliebene seine Eindrücke aufgeschrieben. Ein bisschen neidisch bin ich schon. Aber ich weiß jetzt auch, was ich an meinem Leipzig habe.

 

Rezension: Wolfgang Herles, Susanna im Bade – ohne Zugang

„Ein Buch ist ein Spiegel. Wenn ein Affe hineinsieht, so kann kein Apostel herausgucken.“
(Georg Christoph Lichtenberg)

Warum ich meine Rezension mit diesem Zitat beginne? Weil ich mir immer noch nicht sicher bin, ob es an mir liegt oder an dem Buch, dass ich so gar keinen Zugang gefunden habe. Daher rezensiere ich auch zum ersten Mal in meinem Leben ein Buch, das ich nicht beendet habe. Bis Seite 114 (von 276) habe ich ausgeharrt, durchgehalten, mich durchgekämpft. Es zwischendurch weggelegt, wieder hervorgeholt … und schließlich gemerkt, dass es einfach für mich nicht lesbar ist.

Cover: S. Fischer Verlag
Cover: S. Fischer Verlag

Das Buch Susanna im Bade von Wolfgang Herles handelt von einem Kunsthändler, der süchtig nach Kunst und schönen Frauen ist. Er verliebt sich Hals über Kopf, zuerst in ein Bildnis, dann in eine Frau. Finanziell sieht es schlecht für ihn aus, da er sich von einmal erworbenen Stücken nie mehr trennen kann und ihm so das Geld auszugehen droht. Beim Versuch, Geld von schwarzen Konten in der Schweiz zu holen, kommt plötzlich eine Erpresserin ins Spiel.

So weit habe ich gelesen, die Umschlagklappe verrät noch ein wenig mehr, sogar Mord. Klingt spannend? Ja, fand ich auch. Aber die Art, in der Wolfgang Herles schreibt, ist für mich einfach unerträglich. Zuerst war es eine milde Irritation, dann bemerkte ich, dass ich längere Sätze zwei Mal lesen musste, bis ich sie in einen Zusammenhang bringen konnte. Und schließlich fiel mir auf, woran das liegt: Herr Herles vermeidet jegliche Anführungszeichen für direkte Rede. Und so schwamm ich von Satz zu Satz, ständig im Hinterkopf die Frage: „Wer sagt das denn gerade nun zu wem?“

Auch Gedanken der Personen stehen äußerlich ungekennzeichnet da. Für mich wurde das zunehmend zu einem durchgehenden Teppich aus für sich stehenden Sätzen und machte es mir unmöglich, das Buch weiterzulesen. Ich habe nie einen echten Bezug zu den handelnden Personen aufgebaut, sie blieben für mich merkwürdig blass, konstruiert, gefühllos. Und so hat es mich letztlich schlichtweg nicht mehr interessiert, wie es nun weiter geht im verworrenen Leben von Hans Achberg oder wer ihn warum erpresst.

Herles beschreibt Kunstwerke auf eine Weise, die in mir den beständigen Wunsch weckt, dieses Kunstwerk irgendwo nachzuschlagen, um mir eine Vorstellung davon machen zu können. Da ich nicht während des Lesens dauernd aufspringen und an den Computer rennen mag, hinterließ auch dieses Nichtwissen ein zunehmend frustrierendes Gefühl in mir.

Fazit: Susanna im Bade ist einfach kein Buch für mich. Ja, es mag durchaus sein, dass Leserinnen und Leser mit mehr Kunstverstand und mehr Bildung in diesem Buch schwelgen und es kaum weglegen möchten. Denn letztendlich kann nicht jedes Buch jedem Leser gefallen. Und da sind sie wieder, der Affe und der Apostel…

Wolfgang Herles, Susanna im Bade
S. Fischer Verlag, 1. Auflage 2014
Link zu Amazon: http://amzn.to/1hLQQxk

Autorin: Dorothee Bluhm
www.wortparade.de

 

Rezension: Bruno Jaschke, Im Arsch daheim – ein tierisches Vergnügen

Wer bösen, trockenen und schwarzen Humor mag, wird „Im Arsch daheim“ von Bruno Jaschke lieben. Der Wiener Schriftsteller und Journalist fordert zwar die Konzentration des Lesers ordentlich, aber wenn man erst einmal in den Kosmos der Hauptfigur eingetaucht ist, will man das Buch kaum noch weglegen.

Jaschke, der in der Wiener Literaturszene als Satiriker bekannt ist, dessen Werke vor Sarkasmus nur so triefen, schildert in „Im Arsch daheim“ einen Ausschnitt aus dem Leben eines bösen Menschen. In seinem Kosmos leben beispielsweise die frisurheikle Nachbarin, die von den Alimenten ihres Exmannes lebt und mit ihrer Freundin Gerda einen inoffiziellen Wettbewerb am Laufen hat, wer aktuell den besseren und leistungsfähigeren Bettgefährten an der Angel hat. Jaschke erzählt ein Jahr in Form von 366 Episoden, die als Kurz- und Kürzestgeschichten ebenso funktionieren wie als Erzählung, deren Handlungsstrang sich aus den nur locker miteinander zusammenhängenden Episoden ergibt.

Ein Hundebesitzer macht seltsame Sachen

Der Protagonist besitzt einen bösen Hund, von dem er im Lauf des Jahres eine ganze Serie von Tierportraits anfertigt. Den Hund hat er eigentlich nur zufällig, denn er war beim Spazierengehen einem Hund mit Migrationshintergrund begegnet, den er mit einem Stock vertreiben wollte. Der Hund mit Migrationshintergrund fasste das jedoch als Aufforderung zum Spiel auf, wich fortan nicht mehr von der Seite des bösen Menschen, passte sich an und wurde zum bösen Hund. In den folgenden Monaten sollte der böse Hund seinem Herrchen allerdings gute Dienste bei dessen Lieblingsbeschäftigung leisten: seine Umwelt zu trietzen. Er richtet den Hund darauf ab, autobiographische Schriftsteller aufzustöbern und diese beim Gassigehen anzupinkeln.

Das Lieblingsopfer des bösen Menschen ist der Alleinerziehende, der im selben Haus lebt. Auch die Liebschaften des bösen Menschen haben es nicht einfach. Mit schöner Regelmäßigkeit stößt er beispielsweise seine Hauptliebschaft, die 100-Kilo-Frau, vor den Kopf, nur um hinterher ganze Tage damit zuzubringen, sich wieder bei ihr einzuschmeicheln. Eine weitere Figur, die immer wieder durch das Buch geistert, ist der Wirtschaftskammerfunktionär Oktavian Laroche, der hinter alles und jedem eine rote Verschwörung wittert. Und dann ist da noch der Förster, der regelmäßig seine Frau schlägt und sich das Schweigen der Ärzte und des Personals im Krankenhaus mit satten Trinkgeldern erkauft, wenn er zu fest zugeschlagen hat. Das geht so lange gut, bis ein neuer, unbestechlicher Arzt im Dienst ist…

Fazit: Eine bitterböse Satire

Bruno Jaschke gelingt es, die schlechten Eigenschaften der Menschen so zu präsentieren, dass sie komisch wirken. Trotz ihrer menschlichen Abgründe wirken die Protagonisten charmant, fast liebenswert. Auch wenn es laut Jaschke nicht in seiner Absicht lag, darf „Im Arsch daheim“ durchaus als gesellschafts- und medienkritisch gesehen werden. So beschreibt er beispielsweise, wie ein landesweiter Medienhype entsteht, nur weil der böse Mensch durch das Treppenhaus gelaufen war und dabei lautstark gerufen hatte, dass die deutsche Bundeskanzlerin die Intendanz am Burgtheater übernehmen werde. Das wiederum teilt der Alleinerziehende einem befreundeten Kulturredakteur mit, der daraus einen Aufmacher strickt und sich auf eine zuverlässige Quelle beruft. Nachdem die Nachricht landesweit erschienen ist, gibt es erwartungsgemäß ein Dementi aus dem Bundeskanzleramt und die deutsch-österreichischen Beziehungen kühlen ab. Köstlich!

Jaschke schreibt aus dem, aber nicht für das Wiener Milieu. Er nutzt konsequent Ausdrücke, die lediglich im Großraum Wien bekannt sind und unterstreicht damit den Typus des grantelnden Österreichers. In dieser Hinsicht lässt sich „Im Arsch daheim“ durchaus mit Ludwig Thomas´ Lausbubengeschichten vergleichen. Dass der Autor gelegentlich aus seiner eigenen Perspektive schreibt und den Leser direkt anspricht, mag Anfangs etwas verwirrend sein, trägt aber insgesamt sehr gut zu einer gelungenen Melange des schwarzen Humors bei.

Bruno Jaschke, Im Arsch daheim
AROVELL Verlag, 1. Auflage 2014
Link zu Amazon: http://amzn.to/1jGMrke

Autor: Harry Sochor

Die Messe, die keine sein will: Electric Book Fair ebf am 21. Juni in Berlin

Am 21. Juni 2014 findet in Berlin die Electric Book Fair ebf statt, die erste E-Book-Messe Deutschlands. Die Veranstaltung wird organisiert von einem Kuratorium und einem Beirat. Mitwirken können als Aussteller Verlage, die ausschließlich E-Books veröffentlichen, sowie klassische Verlage mit eigenen digitalen Reihen. Ausgewählte Digitalverleger aus anderen Ländern werden per Skype-Konferenz zugeschaltet. Teilnahme und Eintritt sind kostenlos. Ich sprach mit Christiane Frohmann vom gleichnamigen Verlag über Konzept und Erwartungen.

? Die ebf soll eine Ergänzung, aber auch ein bewusstes Gegengewicht zu den Messen in Leipzig und Frankfurt sein. Was denn so zu verurteilen an diesen Messen oder was kann daran verbessert werden?

! Die Bezeichnung „Messe“ ist nicht ernst gemeint. Die Electric Book Fair ist keine Messe. Wir Kuratoren verstehen sie durchaus als eine Ergänzung, allerdings eher noch als ein Anderes der klassischen Buchmessen. Insbesondere in Frankfurt steht das Digitale ja durchaus schon im Fokus, aber die Messe dort kommt nun mal vom Buch her und denkt immer das Buch mit. Genau dieses Abhängigkeitsdenken wollen wir bewusst unterbrechen, um dem E-Book seinen eigenen Raum zu geben. Es geht bei der Veranstaltung auch darum, die von der klassischen Buchkultur entlehnten Begriffe, die in der Anfangszeit des Verlegens und Lesens von E-Books wohl als Vorstellungshilfen nötig waren, jetzt aber zu Denkknebeln geworden sind, zu hinterfragen und wenn möglich auch zu ersetzen.

? Bei einer klassischen Messe gibt es Regale, Tische und die Möglichkeit, Publikationen anzufassen. Das soll wohl auf der ebf anders sein. Wie ist das geplant? Kann ich da auch lesen oder nur reden?

! Die Electric Book Fair ist eine Mischung aus Konferenz und Global Café, aus Expertenaustausch und offener Kommunikation zwischen Verlegern, Autoren und Lesern, zwischen Experten untereinander und zwischen Experten und Laien. Wir wollen barrierefrei arbeiten. Jeder soll mit jedem reden können, und es wird natürlich auch Lesegeräte geben, um E-Books ansehen und lesen zu können. Im Zentrum unserer vom Berliner Senat und der Bundeszentrale für politische Bildung geförderten Veranstaltung steht ganz klar die Literatur, konkret die in und um E-Books herum emergierenden Neuen Literaturen. Die Lesungen und Performances werden deshalb ein besonders wichtiger und wohl auch spektakulärer Teil der Electric Book Fair sein.

? Wie soll das eher alternative Konzept der ebf den „ganz normalen“ Lesern schmackhaft gemacht werden?

! Ich glaube nicht, dass es nötig ist, das Konzept erst schmackhaft zu machen. Das Interesse ist bereits jetzt sehr groß. Ich selbst veranstalte monatlich den Katersalon an der Volksbühne und weiß ganz gut, wie die Menschen, auch die Leser, in Berlin ticken. Eine Veranstaltung mit spannenden Vorträgen, nicht nur für Insider, sondern auch für interessierte Laien, mit Lesungen, Slam-Einlagen und WM-Live-Stream funktioniert hier eigentlich immer. Es kostet ja nicht einmal Eintritt. Gerade dass es nicht so kommerziell, mehr von einer Vision getragen ist, stößt offenkundig auf Sympathie. Es ist eher andersrum: Wir nutzen das bewährte Vehikel einer professionell geplanten und mit Leidenschaft durchgeführten Live-Veranstaltung, um die virtuellen E-Books und die digitale Lesekultur physisch real erleb- und erfahrbar zu machen.

? Die Anmeldefrist ist abgelaufen. Sind Sie ausgebucht? Sind bekannte Verlage darunter oder eher Selfpublisher? Und wie viele Besucher werden erwartet?

! Wir haben sehr viele Anmeldungen mit Themenvorschlägen erhalten und daraus während eines sehr intensiven Kuratoriumsmeetings unseren Programmentwurf destilliert. Self-Publisher und klassische Verlage sind auch dabei. Wir haben Themen bevorzugt, die auf anderen E-Book-Konferenzen eher zu kurz kommen, wie etwa „Piraterie“, außerdem Vorschläge, die nicht das eigene Unternehmen im Zentrum hatten. Die Einladungen sind ausgesprochen und das fertige Programm wird am 15. Mai bekanntgegeben. Ganz wichtig ist uns zu betonen, dass die vom Kuratorium ausgewählten Präsentatoren ’nur‘ eine Initialfunktion haben. Alle Anwesenden sollen reden, diskutieren und auch eigene Projekte vorstellen können – aber eben in lockerer Form, im Gespräch.

Die Electric Book Fair ist ein Modellversuch und eine Probebühne. Sie wird das sein, was am 21. Juni von allen Mitwirkenden aus ihr gemacht wird. Wir rechnen damit, dass die Veranstaltung von mehreren hundert Menschen besucht wird. Ob passionierte E-Book-Leser dafür extra nach Berlin reisen werden, ist auch für uns eine spannende Frage.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg!

electricbookfair.de
verlag.cfrohmann.com | facebook.com/FrohmannVerlag | katersalon.cfrohmann.com |

Rezension: Robin Sloan, Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra. Oder: Typen, Typo und Türen in Parallelwelten.

Die Besessenheit von Google, unsere ganze Welt zu quantifizieren und zu arrangieren. Die fixen Ideen von traditionellen Lesern, mit ihren Visionen aus alten oder neueren Texten verborgene Botschaften fürs eigene Leben herausdestillieren zu können. Die Geschichte vom Beginn der modernen Typografie im Venedig des frühen 16. Jahrhunderts unter besonderer Betrachtung deren akuten Auswirkungen auf die Apple-Politik, Word-Dokumente oder Firmen-Logos. Dazu ein etwas ranziger Fantasy-Autor aus den 80ern mit seinem Eigenleben auf alten Tonbändern, ein Ausflug in den Wahnwitz der digitalen Start-up Szene – garniert von einer kiffenden älteren Dame mit Erwerbsbiografie als Programmiererin – ein sich selbst organisierendes Lager für herrenlose Museums-Artefakte sowie eine Pizzeria, über die ein weltweit gesuchter Hacker konspirative Hardware in Umlauf bringt…

…das alles (und noch einiges mehr) muss man erst mal in ein Buch und eine spannende Handlung auf knapp 360 Seiten packen können. Der Mann, der das kann, heißt Robin Sloan, ist studierter Wirtschaftswissenschaftler und hat nicht nur viel Humor, sondern unter anderem auch in führender Position bei Twitter gearbeitet.

Die sonderbare Buchhandlung des Mr Penumbra von Robin Sloan
Quelle: Karl Blessing Verlag

Die an skurrilen Einfällen und kuriosen Szenen reiche Geschichte wird aus der Ich-Perspektive des einstigen Webdesigners und jetzigen Aushilfsbuchhändlers Clay Jannon erzählt. Klassisch linear, sprachlich sauber, mit Witz, Intelligenz und mit den heute oft üblichen Querversweisen auf die Populärkultur. Aber Achtung! Hier ist längst nicht alles so, wie es den Anschein hat. Wer sich etwa im Internet auf die Suche nach der Schriftart „Griffo Gerritszoon“ machen wird (und die ist für den Plot von zentraler Bedeutung), erfährt keine lexikalische Erklärung, sondern landet bei einer erstaunlichen Anzahl von Blogs und Websites von Lesern rund um dieses Buch. Denn natürlich arbeitet Robin Sloan in bester Tradition von Kollegen wie Robert Anton Wilson oder William Kotzwinkle mit dem Kunstgriff der Halb- und auch Desinformation. Und je eher man als Leser dieses Spiel durchschaut, umso länger hat man das Vergnügen mit diesem Roman. Vor allem: Als Autor Jahrgang 1979 ist Sloan mit den Fallen des Instant-Wissens der Wikipedia-Jünger bestens vertraut. Genau das macht er hier zur Zutat seiner schriftstellerischen Strategie. Generell ist der Tenor des Buches ohnehin von einer ironischen Distanz zu den vermeintlichen Segnungen der IT-Industrie bzw. zu den fanatischen Apologeten einer digitalen Wunderwelt geprägt. Nicht zu vergessen: der Mann ist Insider!

Worum dreht sich aber eigentlich die Geschichte? Nun, viel werde ich hier nicht verraten. Und die Sentenzen zu Beginn dieser Rezension sollten auch nur die Bandbreite der Themen, Orte und Figuren ansatzweise skizzieren. Kurz gesagt: es geht ums Entdecken und Entschlüsseln des Mysteriums einer in vielfacher Hinsicht bizarren Buchhandlung in San Fransisco – die sich aber nur als eine Facette eines sehr alten weltumspannenden Geheimnisses entpuppt. Das Ganze wird spannend, geistreich und humorvoll erzählt. Neben den plastischen Situationsbeschreibungen überzeugt dabei insbesondere auch die Ausarbeitung der einzelnen Charaktere. Zwar nicht ganz auf dem Niveau von Umberto Eco – aber doch schon ganz nah dran.

Und das Ende? Natürlich eine Überraschung! Wer dann von der ganzen Thematik nicht so schnell wieder loslassen will, dem kann ebenfalls geholfen werden: Es gibt ein Prequel zum Roman, in dem die Vorgeschichte steht. Erschienen, genau wie das Hauptwerk, im März 2014 beim Blessing Verlag. „Die Unglaubliche Entdeckung des Mr. Penumbra“ ist eine ca. 80 Seiten umfassende Erzählung – und es gibt sie ausschließlich als eBook. Also noch so ein Trick von Mr. Sloan?

Robin Sloan, Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra
Karl Blessing Verlag, 2014

Autor: Harald Wurst | ph1.de

 

Rezension: Michail Schischkin, Venushaar

Michail Schischkin wird auf dem Buchrücken von „Venushaar“ als der neue Tolstoi bezeichnet. Das ist vor dem Hintergrund des literarischen Schubladendenkens verständlich, wird dem zeitgenössischen Erfindungsreichtum und kompositorischen Mut dieses Werkes aber nicht gerecht.

Michail-Schischkin-Venushaar-e1304004163550Es gibt gleichwohl eine Vielzahl klassischer Elemente, die der Leser der 500seitigen Geschichte des russischen Exilschriftstellers erwarten kann. Die Handlung ist monumental. Sie spielt in drei verschiedenen Hauptsträngen: Der imaginären Antike Xenophons, dem glamourösen Sankt Petersburg des ersten Weltkriegs und der heutigen Schweiz. Dort übersetzt der Dolmetscher eines Asylantenheims im Rahmen von Antragsgesuchen die Lebensgeschichten der Flüchtlinge. Es werden Papirossi geraucht, und die weißen Nächte entstehen vor dem Auge des Lesers. Immer wieder senkt sich die Schwere der russischen Seele herab, etwa wenn die berühmte Sängerin Isabella im vorrevolutionären Russland die Briefe ihres geliebten Soldaten Aljoscha in das gemeinsame Tagebuch legt.

Schischkins Stil verdient Anerkennung, aber nicht weil er sich in der Tradition der russischen Meister bewegt, sondern weil „Venushaar“ etwas furios Neues besitzt. Es schert sich wenig um heutige Normen, wie dem show don’t tell oder der jederzeit nachvollziehbaren Verortung von Charakteren und Handlung. Die Figuren in den Episoden des Dolmetschers sind austauschbar, ihre Dialoge sind in „Frage“ und „Antwort“ unterteilt. Es sind ihre Geschichten und die Not, die sie zu Asylsuchenden machten und das grausame Alleinstellungsmerkmal setzen.

Die Tagebucheinträge Isabellas sind beschreibend und monologisierend, trotzdem sind diese Stellen außergewöhnlich intensiv. Die Einfachheit ihrer Sprache, ganz ohne angestrengte Suche nach neuen Metaphern, wirkt erfrischend. Wir durchleiden Liebeskummer, Verlust, verbotene Begierde und die Schattenseiten des Ruhms mit Isabella, um dann auf Seite 500 eine einfache Lebensformel angeboten zu bekommen:

„Das ist wie mit dem Glück. Alle können unmöglich glücklich sein – wer also kann, sollte seine Chance nutzen.“

Das Buch jongliert frech mit historischen Details und Elementen des magischen Realismus, wechselt dann wieder in die nüchterne Terminologie von behördlichen Prozessen. An einer Stelle fordert uns der Autor sogar auf, Stellen zu überblättern, falls es uns zu langweilig wird.

„Venushaar“ ist keine einfache Lektüre. Es fordert den Leser emotional und intellektuell. Die kapitellosen Wechsel zwischen den Erzählebenen benötigen, einem schwer beladenen Schiff gleich, ihre Zeit, bis sie volle Fahrt ins Leseverständnis aufnehmen können. Doch dann segelt es sich mit Leidenschaft und am Ende geht man traurig von Bord.

Der Buchrücken sollte lauten: „Wir brauchen keinen neuen Tolstoi. Wir haben Schischkin.“

Michail Schischkin, Venushaar
Roman. Aus dem Russischen von Andreas Tretner. btb Verlag München, 2013

Der Autor Miguel Peromingo ist als Sohn spanischer Migranten in Deutschland aufgewachsen und arbeitet als Berater für internationale Organisationen in Brüssel. Dort hat er auch die mehrsprachige Schreibgemeinschaft writingbrussels.com gegründet. 2014 ist sein erster Roman „Fastenzeit“ um den zynischen Antihelden Jorge und seiner ‚Coming of Age Story’ erschienen.

 

Rezension: Arne Dahl, Neid

Der Kapitalismus ernährt uns. Und zugleich verzehrt er uns. Fasziniert und empört in einem Atemzuge sind wir. Die soziale Verantwortung des Unternehmens und der Unternehmer besteht darin, den Wert ihrer Firma zu steigern, am besten zu maximieren. So lehrt es die ultrakonservative Schule, etwa der Ökonom Milton Friedman. Dass freier Markt und Kapitalismus ein zu forderndes Maß an Menschlichkeit, Sittlichkeit und Recht nicht aus sich selbst heraus zu garantieren vermögen, zeigt Arne Dahls neuer Roman „Neid“.

Ermittler aus mehreren EU-Staaten sind auf der Spur eines europäisierten Verbrechens, dessen Monstrosität und Virulenz dem Leser allmählich in eindrücklicher erzählerischer Meisterschaft enthüllt wird. Europa, das wir als Schauplatz des Triumphs von Frieden, Recht und Verständigung kennen, ist bei Dahl Schauplatz des Bösen, Abgründigen, des sittlich-moralischen Niedergangs. Menschenhandel, eine bedrohte EU-Kommissarin und allenthalben die bedrohlich wachsenden Möglichkeiten und Verlockungen der Technik, die den Hütern des Rechts wie seinen Feinden gleichermaßen zu Gebote stehen …

Eine Vielzahl an Handlungssträngen und Dahls virtuose Erzähltechnik, die mit der Virtuosität und Verwickeltheit des Bösen korrespondiert, machen die Lektüre zu einem Erlebnis. Das Neid als Gefühl aber auch gut sein kann, Antriebsfeder sein kann für Aktionen und das Erreichen hochgesteckter Ziele, dass Neid letztlich auch das gemeine Wohl befördern kann, nicht zwingend in Unrecht und Verbrechen umschlagen und entarten muss, vermisst man bei Dahl. Es gilt immer, auch in dunkelster Nacht, die Selbstbeschreibung des Mephistopheles: „Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“

Autor: Moritz Müller, Leipzig