Leipziger Buchmesse 2014 auf Facebook: Kein Dank an Journalisten

Zum Frühstückskaffee lese ich folgenden Eintrag der Leipziger Buchmesse auf Facebook:

„Müde Füße, hungrige Mägen, WirrWarr im Kopf aber Glück und auch ein bisschen Stolz sind die Dinge, die uns im Moment am Meisten bewegen. Wir sind überwältigt von der positiven Resonanz und bedanken uns bei allen Ausstellern, Besuchern, Autoren und Mitarbeitern, die auch die Leipziger Buchmesse 2014 zu einem unvergesslichen Erlebnis für uns gemacht haben. Ihr seid einfach toll!“

Ich vermisse den Dank an die Journalisten aller Medien, die den Ruf der Buchmesse in die Welt tragen und auch in das Wohnzimmer um die Ecke. Oder ist das selbstverständlich und bedarf keiner Erwähnung, weil es ja unser Job ist?

Gegenwind für Amazon und Co.: Jetzt mit der mobilen App LChoice direkt lokal einkaufen

Die Idee ist so naheliegend, und doch ist die Markteinführung ein hartes Stück Arbeit. Mit der LChoice QR-Code Shopping App kann jeder Konsument die lokalen Händler unterstützen und unkompliziert einkaufen. Auf der Leipziger Buchmesse habe ich mit Vorstand Robert Bintig über das Modell „App locally“ gesprochen. 

LChoice LBM 2014David gegen Goliath? Noch sieht es so aus. Der Umsatz der deutschen Buchhandelsbranche steht kurz vor der 10 Milliarden-Grenze, einen Großteil davon schöpft der Internethandel mit Amazon und Co. ab. Die Idee, Käufer ausgerechnet über den digitalen Weg einer App zum lokalen Händler zurückzuholen, scheint zunächst widersinnig. Tatsächlich könnte dies in den nächsten Jahren der Königsweg für die Wiederbelebung des stationären Handels werden.

LChoice, eine kostenlose App des Münchener StartUp-Unternehmens MChoice im Apple-App-Store oder Google-Play-Store, ermöglicht es Usern, ihr Wunschbuch über das Smartphone zu suchen und zu erwerben. Nach der Registrierung mit Passwort und Postleitzahl werden die lokale Lieblingsbuchhandlung, Bezahldaten und Liefermethode ausgewählt. Für eine Bestellung wird der QR-/Barcode eingescannt oder die ISBN-Nummer vom Buchrücken eingegeben. Auch eine direkte Titelsuche ist möglich. Amazon und andere Webshops bleiben dabei außen vor, es nehmen ausschließlich lokale Händler an dem Programm teil. So werden Grenzen überwunden: Der stationäre Handel stellt sich auf die wachsende Mobilität der Konsumenten ein, Kunden können weiter bequem mobil bleiben und doch am Ort einkaufen. Es werden mit der App keine weiteren Produktdaten geliefert, die Beratung bleibt somit Aufgabe der Händler vor Ort. Daher steht das „L“ in LChoice für „Local“ (nicht für Leipzig, wie einige Besucher auf der Buchmesse vermuteten).

App locally LogoDie Ansage von Robert Bintig ist eindeutig: „Wir wollen die große universelle Einkaufs-App werden für viele Branchen und Millionen Produkte. Jede Stelle in der Welt ist ein Point of Sale.“ Zentrale Distribution wie bei Amazon projiziere die alte Welt ins Internet. Anstelle von Webshop und Warenkorb sei eine verlängerte Ladentheke gefragt. Andere Branchen zusätzlich zum Buchhandel sind bei MChoice im Visier, die Märkte in Österreich und der Schweiz werden gerade erschlossen. Vorrangig wird jetzt ein strategischer Partner gesucht, um den QR-Code als Marke zu etablieren.

Der Weg dahin mit bislang zehn Mitarbeitern ist noch weit. Leipzig appt bisher sehr verhalten. Drei Buchhandlungen haben sich dem Programm angeschlossen, als größte LUDWIG im Hauptbahnhof. Hugendubel und Lehmanns fehlen. Rolf Hammann, Unternehmenssprecher bei Lehmanns, teilte auf telefonische Anfrage mit, man prüfe dort Anfragen von mehreren Anbietern. Eine generelle Entscheidung über eine Beteiligung gebe es noch nicht. In der Zentrale von Hugendubel ist LChoice bisher nicht bekannt. Das Unternehmen nutzt MyeBooks als reine Lese-App.

Gastkommentar: Mein Buchmessefreitag 2014 / Von Sandra Gräfenstein

Autorin Sandra Gräfenstein. Foto: Detlef M. Plaisier
Autorin Sandra Gräfenstein. Foto: Detlef M. Plaisier

Einfach mal so einen Tag auf die Buchmesse? Geht nicht. Ich habe mich schon seit Tagen darauf vorbereitet, im Programmheft wichtige Veranstaltungen markiert und genau kalkuliert, wann ich wo wie am schnellsten hinkomme. Zur Einstimmung war ich gestern schon zur Lesung von Jens Lange „Stahlbetone, Kenotaphe – Brauttruhen von Mooreiche“ im Poniatowski.

Mein Buchmessefreitag beginnt pünktlich um neun in der Glashalle. Nur kurz umschauen, wie das Blaue Sofa dieses Jahr gestaltet ist, und schon geht’s auf zum Schweizer Forum, um einen guten Platz zum „Weckruf“ zu 9:30 Uhr zu ergattern. Der Weckruf ist laut (davon wird jeder wach, der mittlerweile in der Glashalle ist) und bringt mich ein wenig in die Schweizer Berge. Darauf folgt eine Fragerunde zur Schweiz… wunderbar und wissenswert. Die Schweizer spielen nicht „Mensch ärgere dich nicht“ sondern „Eile mit Weile“…

Schweizer Weckruf mit "Doppelbock". Foto: Detlef M. Plaisier
Schweizer Weckruf mit „Doppelbock“. Foto: Detlef M. Plaisier

Danach mache ich mich auf in Richtung CCL mit kurzem Abstecher in Halle 2, ich habe ja noch etwas Zeit… und so sehe ich zuerst bei der Bundesregierung vorbei und bekomme wieder ganz viel Material fürs Studium. Dieses Jahr veranstaltet die Bundesregierung eine Quizshow für Schüler mit Fragen zur deutschen Regierung und zur Welt. Puuuh… manche Fragen kann ich auch nicht beantworten. Danach geht’s noch zur Bundesbank, wo es Material zu Geld und Geldpolitik gibt und auch viele Fragen dazu beantwortet werden. Es gibt auch Papiergeld geschreddert und eingeschweißt zum Mitnehmen, ein schönes Dekostück.

Quelle: zdf.de
Quelle: zdf.de

Nun muss ich mich aber sputen. Um 11 Uhr gibt’s einen Vortrag im CCL von der EZB. Der Weg ins CCL ist leicht von Halle 2 aus – und nun? Keine Sorge, an den Treppen im CCL ist alles perfekt ausgeschildert. Seminarraum 13: Ebene +2. Super gefunden. Der Seminarraum ist angenehm klimatisiert und gut vorbereitet. Die Dozentin Kristin Gruner-Ziegler kommt von der Filiale der Deutschen Bundesbank Leipzig. Der Vortrag „Die Geldpolitik der EZB seit Ausbruch der Krise“ sollte 30 Minuten dauern. Es wurden spannende 45 Minuten daraus. Für weitere Fragen wurden alle Zuhörer an den Stand der Bundesbank in Halle 2 eingeladen, was ich auch für Fragen zum Material nochmals genutzt habe.

Das schnellste Fortbewegungsmittel auf der Buchmesse. Foto: Archiv Detlef M. Plaisier
Das schnellste Fortbewegungsmittel auf der Buchmesse. Foto: Archiv Detlef M. Plaisier

Nächster Treffpunkt: 13:30 Uhr am Blauen Sofa. Endlich Zeit, um mich in den Hallen genauer umzusehen. In Halle 2 gab es ganz viele Leseinseln für Kinder, Halle 4 war mit ganz viel Schweiz und etwas Fantasy belegt. Halle 5 brachte mir als erstes eine kleine Stärkung in Form einer großen Auswahl an Gummibärchen und zeigte mir dann alles Wichtige, um Karriere zu machen. Fragen zu Bewerbungen und Vorstellungsgesprächen wurden nach Anmeldung beim Karrieretag beantwortet. In Halle 3 gab es wieder Infos pur zur Uni Leipzig, dem ARD Hörbuchforum und dem ARD TV-Forum.

Vor der Öffnung der Hallen. Foto: Archiv Detlef M. Plaisier
Vor der Öffnung der Hallen. Foto: Archiv Detlef M. Plaisier

Nun wieder auf zur Glashalle. Eine kurze Verschnaufpause im Eingangsbereich, um die Manga-Kostüme zu sehen. Dann zum ZDF-Stand, um Kuli, Mainzelmännchen-Figur DET und Pin einzusammeln, und dann direkt zum Blauen Sofa: Autorengespräch um 13:30 Uhr mit Julia Enke zu ihrem Buch „Charisma und Politik“. Das Buch scheint aufklärend zu sein, welchem unserer Politiker Charisma fehlt… Es kommt auf meine bisher recht kurze Liste der Bücher, die ich gern lesen möchte.

Mein Gefühl sagt: Mittagszeit – dabei ist es schon nach 14 Uhr. Also einmal umschauen, was es alles so gibt in der Glashalle. Crêpes, Pizza, Hotdogs, Suppen, Kuchen. Ich entscheide mich für asiatische Nudeln mit Gemüse für fünf Euro.

Manga-Comic-Convention LBM 2014. Foto: Detlef M. Plaisier
Manga-Comic-Convention LBM 2014. Foto: Detlef M. Plaisier

Nach der Stärkung habe ich mir nochmals Halle 3 etwas genauer angeschaut und dann einen kurzen Abstecher in Halle 1 zur Manga-Comic-Convention gemacht. Die Halle 1 ist voller schöner Kostüme mit einer riesigen Bühne, auf der gerade ein Kampf der Jedi-Ritter nachgestellt wird. Manga und Comic ist nicht gerade meins, aber den Kampf der Jedi musste ich mir anschauen. Die Lichtschwerter waren einfach Klasse!

Jetzt wieder zurück in Halle 3 zur Uni Leipzig. Die Sitzplätze sind leider genauso hart und ungepolstert wie im letzten Jahr, die Themen aber genauso spannend. Thema um 16 Uhr ist die Eurokrise. Die einen Reden nur darüber, die anderen leben damit. Interessant, wie das in Portugal gesehen wird und wie man dort damit umgeht.

Leider kann nicht bis zum Schluss bleiben. Da wartet nämlich um 17 Uhr der Schweizer Ausklang in der Glashalle auf mich. Und es war die richtige Entscheidung: Christian Uetz, Performer und Autor, stellt sein „Schweizer Requiem“ vor. Ein gelungener Ausklang mit viel Humor.

So, nun habe ich all meine Stationen mitgenommen, die ich mir ausgesucht hatte, bin voll und ganz zufrieden und freue mich schon jetzt … auf die nächste Buchmesse vom 12. – 15.03.2015. Der Urlaub ist schon im Kalender vorgemerkt – genau wie die freien Tage zum WGT…

Zehn Uhr morgens auf der Buchmesse: Wie frühstücken unsere Nachbarn?

In Halle 4 liegen das Österreichische Kaffeehaus und die Bücherpräsentation der Schweiz mit einer kleinen Restauration in Sichtweite voneinander. Es ist Sonntagmorgen, zehn Uhr. Die Hallen haben gerade geöffnet. Grund genug, einmal nachzufragen, was bei unseren Nachbarn zum Sonntagmorgen-Frühstück auf den Tisch kommt.

„Kipferl mit Butter und Marillenmarmelade“. Die Antwort im Österreichischen Kaffeehaus kommt prompt. Dazu gibt’s Kaffee in verschiedenen Variationen nach Geschmack. In der Südsteiermark mag man deftiges Fleisch oder Speck auf dem Frühstückstisch, in den Alpenregionen werde Käse bevorzugt, und die Städter mögen es am liebsten süß.

Die Schweiz ziert sich: „Ich frühstücke nicht.“ Die Kollegin weiß Rat. Man isst Kipferl mit Milchkaffee. In den ländlichen Regionen wird zum Sonntagmorgen oft Rösti zubereitet. Was alle Landsmannschaften vereint, ist der Butterzopf.

Anmerkung für die Leipziger: Ein Kipferl ähnelt einem Croissant, wird aber aus einem anderen Teig hergestellt.

Die Ukraine auf der Leipziger Buchmesse 2014: Mit den Gedanken in der Heimat

Olga Filipova am Stand der Ukraine. Foto: Detlef M. Plaisier
Olga Filipova am Stand der Ukraine. Foto: Detlef M. Plaisier

Ich komme mehrmals am Stand der Ukraine vorbei. Immer stehen dort Menschen und diskutieren. Nur wenige nehmen ein Buch zur Hand. „Wir haben mehr Besucher als in den vergangenen Jahren“, bestätigt mir Olga Filipova. Am Stand hängt ein zwei große Bögen Papier, auf denen Besucher ihre Wünsche für die Menschen in der Ukraine notieren können. „Durchhalten und die Faschisten loswerden!“ steht da, „Unrecht bleibt nicht“ oder ganz schlicht „Frieden!“. Olga Filipova sagt mir, die Leipziger Wünsche für die Ukraine sollen später in Lviv oder Kiev ausgestellt werden. Heute, am Tag des Referendums auf der Krim, sind ihre Gedanken in der Heimat: „Wir verfolgen immer die Nachrichten, und am liebsten wäre ich dort.“

Nachtrag: Am Ende der Messe haben 500 Besucher ihre Botschaften hinterlassen. Sie wurden in Deutsch, Englisch, Georgisch, Armenisch, Belorussisch und Russisch geschrieben.

Buchmesse kontrovers: Leipzig applaudiert Thilo Sarrazin

Wie tolerant ist Leipzig? Kann Thilo Sarrazin seine Thesen ungestört erläutern? In den letzten Wochen war ihm nicht bei allen Auftritten das Recht der freien Rede vergönnt gewesen. Sollte er klammen Herzens auf das „Blaue Sofa“ gekommen sein, so konnte er gestärkt mit sechs Mann Begleitung zum nächsten Buchmesse-Termin eilen. Leipzig war nicht nur tolerant: Großer Applaus bei der Vorstellung und nach 25 Minuten Sendung, kein Zwischenruf, keine Empörung. Sarrazins Gegenpart mit dem journalistischen Schwergewicht Wolfgang Herles konnte den umstrittenen Gast nur kurzfristig verunsichern.

Umlagert: Thilo Sarrazin signiert auf der Leipziger Buchmesse. Foto: Detlef M. Plaisier
Umlagert: Thilo Sarrazin signiert auf der Leipziger Buchmesse. Foto: Detlef M. Plaisier

Auch Herles versuchte Sarrazins Axiome durch den Erfolg des Buches ad absurdum zu führen. Sarrazin wankte kurz, beharrte aber darauf, dass der Kreis des „Denkbaren und Sagbaren“ in Deutschland kleiner werde. Das Buch sei trotz großer persönlicher Opfer und Einschränkungen keine „Causa Sarrazin“. An der Medienschelte hielt Sarrazin unbeirrbar fest: Die Medienmehrheit zwinge den Bürgern mit gezielter Desinformation eine bestimmte Weltsicht auf. Und auch die Richtung hat Sarrazin, der seit 1973 SPD-Mitglied ist, klar ausgemacht: Die meisten Medienschaffenden, so Sarrazin, stünden in ihrer politischen Einstellung erheblich weiter links als die Mehrheit der Bevölkerung, was Wahluntersuchungen bestätigten.

Sarrazin argumentiert auch in Leipzig mit seinem Lieblingssektor Bildung. Alle bestehenden Unterschiede sollten ideologisch eingeebnet werden, natürliche Begabungsunterschiede würden ignoriert und ein Leistungsrabatt bei Schwachen sei schon selbstverständlich. „Man muss doch zugestehen, dass es manche auch bei intensiver Förderung nicht schaffen.“ Unvermeidlich, dass Sarrazin Leistungsunterschiede nach Nationalitäten gegeneinander aufrechnet: Vietnamesen und Russen zeigten die höchste Bildungsleistung, Türken und Araber stünden am Ende der Skala.

Niemand widerspricht oder ruft dazwischen. Beim Signieren seiner Bücher erhält Sarrazin in Gesprächsfetzen viel Zustimmung, und das nicht nur aus der Kriegsgeneration.

Buchmesse im Poniatowski I: Paulina Schulz bleibt fremd

Muss es sein, dass eine um 19 Uhr angekündigte Veranstaltung wie selbstverständlich ohne Erklärung 20 Minuten später beginnt? Ich habe andere Maßstäbe gelernt, gehöre damit wohl zu einer im Aussterben begriffenen Spezies Mensch. Als Zuhörer verärgert mich so ein Verhalten zutiefst. Daher verzichte ich auf das übliche Autoreninterview.

Leseatmosphäre im Poniatowski. Foto: Detlef M. Plaisier
Leseatmosphäre im Poniatowski. Foto: Detlef M. Plaisier

In der für Lesungen so wunderbaren Atmosphäre im Kellergewölbe des Poniatowski stellt Paulina Schulz ihre Erzählung „Das Eiland“ vor. Angekündigt ist ein Text „über Liebe, Schmerz und unerträgliche Sehnsucht“, übernommen aus dem Prospekt des Freiraum-Verlages. Einleitend stellt die Autorin klar, dies erwecke den falschen Eindruck einer Liebesgeschichte. Vielmehr gehe es um die „Suche nach Identität“, verkörpert durch die pubertären Erlebnisse des Protagonisten John und die Fortsetzung einige Jahre später.

Paulina Schulz liest Passagen, die mir teilweise schon aus dem Internet bekannt sind. Mein Eindruck verfestigt sich: Die detailreiche und zugleich nicht greifbare Schilderung von Charakteren und Handlungen bleibt mir fremd. Es entstehen keine Bilder. Ich habe mich an vielen Stellen gefragt: Wann passiert denn nun endlich etwas? Und gibt es hier eigentlich gar keine direkte Rede? Völlig verstörend war für mich die ausschweifende und belehrende Schilderung verschiedener Formen des Zwillingskultes mit Ausflügen zum Voodoo, ohne dass ein direkter Zusammenhang zu den vorherigen Passagen erkennbar war.

Vielleicht lag es ja nur an der Auswahl der Textstellen. Mich hat dieser Appetithappen nicht neugierig gemacht. Es waren lange 40 Minuten.

Paulina Schulz, Das Eiland. freiraum-verlag, 2014.

www.paulinaschulz.de 

Hallo, Franz Hohler: „Eine gute Idee kommt öfter zu mir“

Schon eine halbe Stunde vor seinem Gespräch im Schweizer Forum sitzt Franz Hohler gemütlich am Rand, hört zu und signiert erste Bücher von Besuchern. Mit „Gleis 4“ hat Hohler einen Text vorgelegt, der mich in den Bann gezogen und eine Nacht gefesselt hat. Die Geschichte ist so einfach: Eine junge Frau wird am Bahnhof Oerlikon von einem älteren Herrn gefragt, ob er ihr den Koffer tragen könne. Sie willigt ein, und wenige Augenblicke später bricht der freundliche Helfer mit der Last ihres Gepäcks tot zusammen. Was sich aus dieser Situation entwickelt, war für mich vielschichtig, spannend und überraschend. Übermorgen, wenn die Buchmesse vorbei ist, werde ich das Buch noch einmal beginnen, und ich bin sicher, ich werde weitere Facetten der handelnden Personen entdecken.

Franz Hohler im Gespräch. Foto: Detlef M. Plaisier
Franz Hohler im Gespräch. Foto: Detlef M. Plaisier

„Wenn man als Autor lebt und erzählt, findet man überall Anfänge von Geschichten. Ich vertraue darauf, dass eine Idee, die etwas von mir will, auch öfter zu mir kommt“,  sagt Franz Hohler. Es habe keinen konkreten Anlass für die Handlung von „Gleis 4“ gegeben. Als er aber auf demselben Bahnhof Oerlikon einer behinderten Frau geholfen und die ihn erkannt habe, wusste er, es sei nun an der Zeit, das Eingangsmotiv auszuarbeiten.

Nach dem Gespräch signiert Franz Hohler weitere Bücher und liest im kleinen Kreis einige seiner bezaubernden Kinderverse. Da ist das Getümmel der Buchmesse für einige Minuten vergessen.

Franz Hohler, Gleis 4. Luchterhand, 2014.

Hallo, Martin Suter: „Ich mag Hochstaplerfiguren“

Martin Suter im Schweizer Forum. Foto: Detlef M. Plaisier
Martin Suter im Schweizer Forum. Foto: Detlef M. Plaisier

In den Büchern von Martin Suter lebt Johann Friedrich von Allmen seit 2011. Jetzt, mit dem vierten vorgelegten Band „Allmen und die verschwundene Maria“, ist der Charakter eingeführt. „Er ist gewachsen, kann sein Leben führen; und doch überrascht er mich immer wieder“, erzählt Autor Martin Suter im Schweizer Forum. Allmen, der Mann mit den zwei Gesichtern, entdeckt jetzt einen neuen Charakterzug an sich: Er erlebt und fühlt Empathie, fast schon beängstigend. Beinahe geht er sogar unrasiert aus dem Haus; undenkbar in den Bänden eins bis drei. „Diese Hochstaplertypen liegen mir“, gibt Suter verschmitzt zu – und lüftet eine Schwäche von sich: „Ich bin ein ungeduldiger Leser, lege schnell was weg. Deswegen sollen meine Leser auch rasch in den Stoff hineinfinden.“ Sein Rezept: „Ich lasse weg, suche gezielt Stichworte aus. Wenn ich fünf Dinge in einem Raum beschreibe, sollen dann beim Leser dieselben Bilder entstehen wie bei mir.“

Martin Suter, Allmen und die verschwundene Maria. Diogenes, 2014.

Hallo, Henryk M. Broder: Wie soll es mit Europa weitergehen?

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken“ heißt das neue Buch von Henryk M. Broder. Er analysiert klar und schonungslos, wie die Idee Europa als moderne Tragödie zugrunde gerichtet wird. Doch was schlägt er vor? Im Café Europa sagte er dazu:

Henryk M. Broder im voll besetzten Café Europa. Foto: Detlef M. Plaisier
Henryk M. Broder im voll besetzten Café Europa. Foto: Detlef M. Plaisier

„Ich kann keine Vorschläge machen. Jeder kommt ja kaum mit seinem eigenen Leben zurecht. Ich unterstütze  das, was der britische Ministerpräsident David Cameron vorgeschlagen hat. Dafür ist er unheimlich gebasht worden. Martin Schulz und seine Jungs haben es geschafft, die Europäische Union mit Europa gleichzusetzen. Wer den Betrieb der Europäischen Union kritisiert, ist gleich ein Europagegner, wenn nicht sogar ein Europafeind. Schulz hat neulich gesagt: Die wollen Europa zerstören. Nun gut: Was Hitler und Stalin nicht geschafft haben, werden ein paar Kritiker wie ich bestimmt auch nicht schaffen. Ich finde den Vorschlag von Cameron sehr gut, ein Moratorium einzurichten, also innezuhalten, die EU nicht zu erweitern, nicht zu vertiefen, zwei, drei Jahre, und in den Medien und in den Parlamenten eine Diskussion stattfinden zu lassen, wie es weitergehen soll, statt mit dieser Wahnsinnshektik einfach weiterzumachen. Jacques Delors hat einmal gesagt: Europa ist wie ein Fahrrad. Wenn es stehenbleibt, fällt es um. Wenn es tatsächlich so ist, dann soll es meinetwegen umfallen. Wenn es nicht so ist, wird Europa die Krise überstehen.“