Jom Kippur 2018 in Aurich: Verlegung von Stolpersteinen und Buchpremiere

Es ist gut, dass Websites und Blogs nicht dem Zwang zur schnellen Berichterstattung unterliegen wie Tageszeitungen. So bleibt, wenn nötig, Zeit zur Besinnung und zum Nachwirken. So wie bei diesem Beitrag.

Die ostfriesische Kleinstadt Aurich ist bundesweit Vorbild bei der Aufarbeitung der jüdischen Vergangenheit vor der eigenen Haustür.  An Jom Kippur fand dort die 13. Verlegung von Stolpersteinen im Stadtgebiet statt. Beachtlich: Jetzt gibt es 339 kleine Denkmäler für vertriebene, verschleppte, deportierte und ermordete Juden im Pflaster. Eine Arbeitsgruppe arbeitet unermüdlich daran, den Entrechteten Namen und Gesicht zurückzugeben. Wie absurd erscheint da doch das „Argument“, Stolpersteine seien zum Gedenken nicht geeignet, weil man die Opfer so mit Füßen trete. Aber das ist eine andere Geschichte…

Geputzt habe ich sie schon mehrmals, doch ich war zum ersten Mal bei einer Verlegung von Stolpersteinen dabei.  Ich kenne keines der Opfer, keine der Opferfamilien. Ich habe keine Juden in meinem Freundeskreis, die ihren Glauben leben und mir davon erzählen. Und doch war ich so betroffen, als stürben dort Mitglieder meiner Familie. Es ist gut, wenn man unter Gleichfühlenden Tränen nicht verbergen muss. Ich lernte in einem kurzen Gespräch Levy (genannt Tito) Wolff kennen, der 1938 als Dreijähriger Aurich noch verlassen konnte und jetzt in Argentinien lebt. Für acht Mitglieder seiner Familie und für ihn selbst wurden an Jom Kippur Stolpersteine vor dem ehemaligen Wohnhaus in der Auricher Wallstraße gelegt. Ich werde ihm nach Buenos Aires schreiben.

Nach einem langen Tag war ich bestärkt: Niemand soll vergessen werden aus der schwärzesten Zeit Deutschlands. Die Arbeit des Erinnerns und Mahnens darf nie nachlassen. In diesem Sinne hat der Eckhaus Verlag Weimar ein Buch mit Stolperstein Geschichten aus Aurich aufgelegt. Der Band versammelt ausgewählte Biografien Auricher Opfer des Nationalsozialismus, die jetzt mit einem Stolperstein geehrt wurden. Die Bücher werden durch das Engagement großzügiger Sponsoren kostenlos an Auricher Schulen verteilt und sind außerdem für alle Leser frei im Handel erhältlich. Der Verlag arbeitet dabei ehrenamtlich ohne Gewinn.

Alle Fotos:  © Detlef M. Plaisier

200 Jahre Hilter Mühle: eine gelungene Familienfeier

Wer sich für den Erhalt einer Mühle engagiert, weiß: An einem alten Gemäuer ist immer etwas zu tun – und es ist immer ein Zuschussgeschäft. Doch wenn es etwas zu feiern gibt, dann darf man das mal getrost beiseite schieben. So feierten alle, die sich für die Hilter Mühle (für Kenner: die Dürkensche Mühle) in Lathen engagieren, am Wochenende ein Familienfest auf dem Hilter Berg. Höhepunkte an zwei sonnigen Tagen waren ein historisches Riesenrad, der Besuch einer Majestät und Buchweizen.

Buchweizen? Auf dem weitläufigen Mühlengelände steht nahe dem Eingang die Gastronomie „Hilter Mühle“, frisch auf Vordermann gebracht und betrieben von Patrick Bruns gemeinsam mit seiner Frau Lisa. Empfehlung von mir: Erst einkehren, dann die Mühle besichtigen. Die Preiselbeer-Buchweizen-Torte ist die beste ihrer Art mindestens im ganzen Emsland – ich schwöre!

Der Jubilar, ein Erdholländer mit zwei funktionstüchtigen Mahlgängen, erwies sich als Magnet für Familien. Mit großer Geduld und viel Herzblut erläuterten die ausgebildeten Freiwilligen Müller die Funktionweise der Mühle. Viele Besucher wagten sich die steile Treppe herauf, um das Mahlen mit Unterstützung des Motorantriebs zu erleben.

Am Sonntag stattete Ihre Majestät Johanna I., ihres Zeiches erste Kornkönigin Deutschlands, dem Mühlenfest einen Besuch ab. Die Tourismusfachwirtin aus Börger amtiert seit 2015 als Teil einer cleveren Marketingstrategie der Edelkorn-Brennerei Josef Rosche aus Haselünne. So gelangt Emsländer Schluck charmant bis zur EU-Kommission nach Brüssel…

Der Heimatbegriff wird in Deutschland wieder öffentlich kontrovers diskutiert. Die Initiatoren des Jubiläums-Mühlenfestes in Hilter haben gezeigt, wie unverkrampft das gehen kann: Ein Festzelt mit Live-Musik für die Großen, ein Riesenrad von 1902 und „Hau den Lukas“ für die Kleinen, dazu Vorführungen traditionellen Handwerks, und mittendrin ein stolzes Stück Heimatgeschichte.

Ich wünsche „Glück zu! Loat de Möhl wäer draien!“ Und als kleinenTrost für die Freiwilligen Müller, wenn das Engagement einmal schwerfällt, ein italienisches Sprichwort: „Bei Mühlen und Frauen fehlt immer irgend etwas.“

Alle Fotos:  © Detlef M. Plaisier
www.hilter-muehle.de
Hilter Mühlenlied: https://www.youtube.com/watch?v=XAA7b-DjEn4
Kopterrundflug: https://www.youtube.com/watch?v=NgA0_5N8XE0
Johanna I.: www.korn-koenigin.de

Mühlentour durchs Emsland: Wasser, Wind und Öl

Noch einmal hatte ich die Gelegenheit, den Ausbildungslehrgang der Freiwilligen Müller auf einer ganztägigen Bustour zu begleiten. Diesmal ging es, von der Sonne begleitet, entlang der Niedersächsichen Mühlenstraße ins Emsland. Aus den ursprünglich drei geplanten Zielen wurden am Ende vier.

Station 1: Wippinger Mühle
Infos zur Mühle: https://www.noz.de/lokales/doerpen/artikel/41027/wippinger-muhle-zu-neuem-leben-erweckt#gallery&0&0&41027

Heinz Schulte begrüßt uns mit einem deftigen Frühstück an der ersten Station der Mühlenrundfahrt. Das am Vortag selbst gebackene Brot ist etwas Besonderes: Das Mehl stammt aus der Naturkost-Mühle Wintering in Börger.  Gerne erinnert sich Heinz Schulte an seinen Lehrgang als Freiwilliger Müller und die Hahnentanger Mühle: Er war 1997 einer der ersten zertifizierten Freiwilligen Müller, unter anderem zusammen mit den vier Wichers-Mädels aus Stapelmoor.  Die Wippinger Mühle, ein Durchfahrtholländer als Sonderform des Galerieholländers, ist heute als Ensemble vielbesuchter Mittelpunkt des Ortsbildes. Das ist maßgeblich den unermüdlichen Bemühungen des Kreisheimatvereins Aschendorf-Hümmling und des 1992 gegründeten Heimatvereins Wippingen zu verdanken. 115.000 Euro wurden aus verschiedenen Quellen zusammengekratzt, bis die Mühle im März 2011 erstmals wieder Korn mahlen konnte. Gibt es noch Wünsche? „Wir hätten gern noch eine Remise mit Werkstatt als Tagungs- und Aufenthaltsraum für die Vereine“, sagt Heinz Schulte. Die Idee, eine historische Schmiede aufzubauen, wurde wieder aufgegeben: „Durch die technischen Vorschriften ginge das Ursprüngliche verloren.“ An jedem ersten Sonntag im Monat von Mai bis Oktober gibts in der Mühle Kaffee und Kuchen. Als wir uns verabschieden und umgeräumt werden muss, weil kurz vor Mittag eine standesamtliche Trauung in der Mühle stattfindet, wird Heinz Schulte noch einmal ernst: „Für Sport und Oldtimer finden sich immer Begeisterte. Um den Erhalt der Mühle müssen wir ständig bangen.“

Station 2: Hüvener Mühle
Infos zur Mühle mit Öffnungszeiten: http://www.huevener-muehle.de/home
Flug um die Hüvener Mühle mit Octocopter zum Dt. Mühlentag 2017 mit drehendem Wasserrad: https://www.youtube.com/watch?v=VZzeUmPEjVo (Länge zehn Minuten)

Unser Besuch beginnt mit einem Einführungsfilm in Infozentrum neben der Mühle. Die Hüvener Mühle ist eine der letzten komplett erhaltenen kombinierten Wind- und Wassermühlen Europas. Im Juni 1852 wurde so erstmals gemahlen. Der damalige Müllermeister hatte auf die vorhandene Wassermühle einfach einen Galerieholländer aufsetzen lassen. Er mahlte das Getreide mithilfe der Wasserkraft des Flüsschens Radde und schaltete bei Bedarf die Windkraft durch eine Kupplung zu. Als 1950 das Stauwehr nicht mehr funktionstüchtig war, wurde der Mahlbetrieb eingestellt. Nach einer Sanierung in den 1950er Jahren wurde zu Beginn des neuen Jahrtausends erneut eine Sanierung notwendig. Die war innerhalb der Dorfgemeinschaft umstritten, nicht wenige plädierten für einen Abriss. Mühlenfreunde sammelten über eine Million Euro, und seit 2006 wird wieder gemahlen. Insgesamt neun Müller betreuen heute die Mühle. Nachwuchssorgen gibt es bei den aktiven Mühlenfreunden in Hüven nicht, Schüler betreuen von März bis Oktober den Tresen im Infozentrum.

Sorry, liebe Hüvener Müller: Für einen gestandenen Zwei-Meter-Mann ist euer Schätzchen einfach zu eng gebaut. So komme ich auf der Bank vor der Mühle mit Günther ins Gespräch. Der kam vor 20 Jahren mit seiner Frau aus Berlin hierher und wußte nichts von Mühlen. Inzwischen hat er mit 82 Jahren fast jeden Handgriff in der Mühle ausgeführt und säubert außerdem mit seiner „Rentnergang“ jeden Mittwoch Friedhof und Kirchplatz in Hüven. Seine Frau kümmert sich um den Brotverkauf an den Backtagen. Darauf einen Hüvener Mühlentropfen!

Station 3: Wasser- und Ölmühle Lage
Infos zur Mühle: https://www.neuenhaus.de/staticsite/staticsite.php?menuid=88&topmenu=11#
Video: https://www.youtube.com/watch?v=kAVkzC1fDHU

Die Chronik der Mühle in Lage gleicht der vieler anderer Mühlen: Eine jahrhundertelange Geschichte, dann stillgelegt. Schließlich bemühen sich Mühlenfreunde um einen Erhalt, sammeln Gelder ein und pflegen den Erhalt ehrenamtlich. In Lage war die Ölmühle bis nach dem Ersten Weltkrieg, die Kornmühle bis zum Tod des letzten Müllers 1957 in Betrieb.

Lage gehört zur Grafschaft Bentheim und ist zu großen Teilen seit Jahrhunderten in niederländischem Besitz. Das trifft auch auf das Ensemble von Burgruine, Herrenhaus, Wassermühle, ehemaligem Müllerhaus und den Landarbeiterhäusern an der Eichenallee zu. Letzte Eigentümerin war Baronin Marie van Heeckeren van Wassenaar, die 1977 im Alter von 96 Jahren auf Schloß Twickel in der Provinz Overijssel verstarb. Ihr Besitz ging auf die Stiftung (Stichting) Twickel über. Für die Freiwilligen Müller in Lage ist diese Verbindung von Vorteil: Notwendige Reparaturen und Instandsetzungen werden bei der Stichting angemeldet und von dort ausgeführt. Den Nachteil der Nähe zu den Niederlanden konnten wir vor Ort erleben: Seit Ende Mai gibt es kein Wasser mehr. Auch die kräftigen Niederschläge der letzten Tage kamen in Lage nicht an: Die Nachbarn machten einfach die Schotten dicht, während ihre eigenen Flussarme überliefen. So blieb den Freiwilligen Müllern auf Reisen das Schauspiel des Ölschlagens verwehrt, das Wasserrad zum Antrieb des Hammers und für den Kollergang stand still.

Station 4: Windmühle Uelsen
Infos zur Mühle: http://www.uelsen.de/staticsite/staticsite.php?menuid=73&topmenu=5
Video: http://sk-fotostyle.de/videos/Menschen/Neue_Videos/Muehle.play

Zwei Mühlenfreunde aus Uelsen baten uns in der Lager Mühle, ob wir ihre „unfertige“ Mühle in Uelsen einmal ansehen und uns dort austauschen könnten. So kam auf der Reise noch eine vierte Station hinzu.

Die Windmühle Uelsen steht als Turmholländer auf einem Erdwall mit Blick auf den Kirchhof (was bei Mühlen nicht selten ist). Die Kappe mit (unbesegelten) Flügeln ist aufgesetzt, Achse und König sind montiert. Es fehlen noch Achsrad, Korbrad, Bunkler, Stochennest und der Mahlgang. Müllermeister Jan Eiklenborg, Dozent des Ausbildungslehrgangs der Freiwilligen Müller, lobte die bisherige Arbeit zum Erhalt der Mühle und bot seine Zusammenarbeit an.

Vielen Dank an alle Mühlenfreunde, bei denen wir auf unserer Reise zu Gast sein durften. 

Glück zu!

Eingetaucht: Besuch auf dem Stammhof meiner Familie

Gestern habe ich für eine Stunde das Rad der Familiengeschichte für mehr als 600 Jahre zurückgedreht. In Bad Zwischenahner Ortsteil Halfstede an der Wiefelsteder Straße steht der Stammhof der Familie Oeltjen. Doch was hat Oeltjen mit Plaisier zu tun?

Es gibt eine Legende um den Namen Plaisier. Sie besagt, dass der Ursprung bei hugenottischen Glaubensflüchtlingen liegt, die nach dem schrecklichen Massaker der Bartholomäusnacht am 24. August 1572 in Deutschland Schutz fanden und sich in Ostfriesland ansiedelten. Zugegeben, eine schöne Legende, die ich aber im Laufe meiner Familienfoschung zerstören musste. Es deuten keine Spuren in Richtung Frankreich – und doch hat der Name Plaisier etwas mit Frankreich zu tun.

Ostfriesland und die Niederlande litten zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter der französischen Besatzungsmacht. Mit kaiserlichem Dekret vom 18. August 1811 verfügte Napoleon für diese Gebiete, dass alle Untertanen, die noch nicht über einen Familiennamen und einen festen Vornamen verfügten, innerhalb eines Jahres an ihrem Wohnort eine entsprechende Erklärung abgeben sollten.

Die Einwohner Ostfrieslands wiedersetzten sich dem kaiserlichen Willen auf ihre Art: Sie wählten nicht den seit Generationen gebräuchlichen Zweitnamen, sondern entschieden sich vielfach für lächerliche Namen oder Fantasienamen. So nannten sich Einwohner im Amt Stickhausen beispielsweise Nett, Hübsch, Liebe oder Snuitje (Schnäuzchen).

„Namensgeber“ des Familiennamens Plaisier ist Johann Oeltjen, geb. am 2. April 1778 in Elmendorf (jetzt Bad Zwischenahn). Dies ist belegt durch den Taufeintrag seines Sohnes Johan Garrelts Oeltien vom 6. Dezember 1799 in Detern. Der Eintrag trägt den Zusatz „später Plaisier“.

Wie es gerade zu den Namen Plaisier gekommen ist, lässt sich nur vermuten. Wahrscheinlich entspringt auch diese Namenswahl der Verärgerung über das Namensdekret, zumal ja bereits mit Oeltien ein fester Familienname bestand; etwa dergestalt: Es ist uns eine große Freude = plesär, plaisi(e)r, dass die Franzosen unsere Besatzer sind.

Die Liste der von Napoleon verfügten Namensannahmen ist vom Amt Stickhausen nicht mehr erhalten. Es existiert aber noch die Liste, in der die Namensannahmen bestätigt werden. Sie stammt aus dem Jahr 1857. Hier bestätigt Wilhelm Plaisier, geb. 16. August 1812, den angenommenen Familiennamen Plaisier. Der Namensgeber, sein Vater Johann Oeltien, war bereits 1833 verstorben.

Der Name Oeltjen kommt im Nordwesten Deutschlands in verschiedenen Schreibweisen vor: Olteke, Oeltien, Öltjen. Die älteste bekannte Urkunde datiert vom 17. März 1423. Hierin bezeugt Graf Dietrich von Oldenburg eine Stiftung, darunter eine Mark aus dem Gut des Frederic Mule in Hallerstede, das bewohnt wurde von dem Meier Olteke und seiner Frau Gheseke. Genau diese Hofstelle habe ich besucht, denn Hallerstede heißt heute Halfstede.

Der älteste bekannte Vorfahr der Ahnenreihe Oltien/Plaisier ist Carsten Oltken, geb. um 1639. Er heirate 1673 in Rastede, siedelte sich aber im Kirchspiel Zwischenahn an. Er und seine Nachkommen waren Heuerleute in den Bauerndörfern am Ufer des Zwischenahner Meeres, in Aschhausen, Aschhauserfeld, Helle, Langebrügge, Elmendorf und Rostrup. Woher Carsten kam, ist in den Kichenbüchern nicht nachvollziehbar. Dass er direkt mit dem Stammhof in Halfstede zusammenhängt, ist unwahrscheinlich, da dort der Vorname Carsten nicht vorkam. Gesichert ist eine Herkunft aus Halfstede zwei Generationen später durch Gesche, Ehefrau des Heuermanns Carsten Oeltjen, geb. 1709 in Aschhauserfeld. Ihr Vater Lüder Oeltjen wurde 1663 auf dem Stammhof geboren.

„Johann Oltken Anno 1695“ weist der Balken über dem großen Eingangstor aus. Einige der Balken in der Scheune sind noch aus dem Originalbaujahr erhalten. Im Spieker, der langsam zerfällt, ist an einem Balken das Jahr 1763 eingeritzt.

Es ist ein besonderes Erlebnis, diese Wurzeln noch sehen zu können. Ich bin dafür sehr dankbar.

Zur ostfriesischen Namensgebung:
www.kulturportalweserems.de/index.php/kulturelleserbeostfriesland/113-ostfrkemenschen/2765-ostfrieslands-aeltestes-kulturgut-namen-und-namengebung-2
Zu den Oeltjes aus Halfstede:
www.familienkunde-oldenburg.de/wp-content/uploads/of/of_39_1-2.pdf

Alle Fotos: Detlef M. Plaisier

Tagesfahrt Bad Zwischenahn: Zwei Mühlen, zwei Konzepte

Auf meiner Tagesfahrt nach Bad Zwischenahn mit Sandra Gräfenstein machte ich einen Ausflug in die Geschichte: Zum ersten Mal besichtigte ich das Stammhaus meiner Familie (siehe gesonderten Bericht). Am frühen Nachmittag ließen wir uns durch zwei Mühlen führen. Deren Konzepte haben nichts gemeinsam und doch beide ihre Berechtigung.

Einer, der sich noch althergebracht Müller nennen darf und weiß, was traditionelles Handwerk bedeutet, so wie Jan Eiklenborg von der Mühle Frisia in Logabirum, wird sich für die Rügenwalder Mühle nur schwer begeistern können. Auch wenn hier Holz in Holz greift, auch wenn hier mit einem funktionierenden Mahlwerk Salz gemahlen werden kann, auch wenn Freiwillige Müller in die Segel klettern und fachkundig durch die Mühle führen – die 20 Meter hohe Turmwindmühle ist ein reines Schauobjekt, strategisch günstig auf dem Gelände des Charlottenhofes zur Straße hin ausgerichtet mit den aus der Werbung bekannten roten Segeln. Ein netter Ort, für Müller und Freiwillige Müller aber , die traditionelles Handwerk pflegen, eher eine ärgerliche Randnotiz.

Zweite Station war die Hüllsteder Mühle auf dem Gelände des Freilichtmuseums direkt am Seeufer. Da geht das Herz auf! Im Verlauf seiner über 200jährigen Geschichte dreimal umgesetzt, wird der zweigeschossige Galerieholländer jetzt vom Zwischenahner Verein für Heimatpflege betreut. In der Mühle gibt es einen funktionsfähigen Mahlgang zum Schroten und einen Kollergang zur Ölherstellung, eine einmalige Kombination Interessierte können viele alte Geräte des Müllerhandwerks besichtigen. Wer sich bis dahin noch nicht mit den Abmessungen einer Mühle auseinandergesetzt hatte, dem wird auf der begehbaren Galerieebene die Dimension des Gebäudes bewusst.

www.ruegenwalder.de/unsere-muehle
www.ammerlaender-bauernhaus.de/

Alle Fotos: Detlef M. Plaisier

Geschärft: Freiwillige Müller treffen sich zur Ausbildung in Hahnentange

Mein Kopf schwirrt von Fachbegriffen rund um historische Mühlen, die jetzt meinen Wortschatz bereichern: Billhammer und Luftfurche, Läuferstein und Bodenstein,  Haue und Schluckloch… Gestern kamen die Teilnehmer am Ausbildungskurs für Freiwillige Müller der Mühlenvereinigung Niedersachsen-Bremen zu einem Übungstag in der Hahnentanger Mühle Westrhauderfehn zusammen. Auf dem Programm stand Steineschärfen. Weil der Bodenstein in Hahnentange in exzellentem Zustand ist und sicher noch eine Generation ohne Nachbearbeitung übersteht, mussten die Teilnehmer mit dem Billhammer nur wenige Furchen ausarbeiten.

Ausruhen war dennoch nicht angesagt: Um den Bodenstein schärfen zu können, musste der darüber liegende Läuferstein mit dem Steinkran angehoben und zum Ablegen um 180° gedreht werden. Da heißt es schon mal eine Etage höher klettern, balancieren und die nötige Kraft mit viel Fingerspitzengefühl dosierenHandwerk im besten ursprünglichen Sinn.

Christian Burchardt und Hartmut Heinen, seit vielen Jahren aktive Freiwillige Müller in Hahnentange, unterstützen den Nachwuchs mit ihrem Praxiswissen. Mit sanfter Hand, nur machmal mit lauter Ungeduld,  gab Müllermeister Jan Eiklenborg den Ton an. Er hat inzwischen mehr als 300 Freiwillige Müller erfolgreich zur Prüfung geführt ein Beitrag zur Kulturgeschichte der Region, der gar nicht hoch genug bewertet werden kann. Glück zu!

Alle Fotos:  © Detlef M. Plaisier

 

 

Fotoausstellung eröffnet: „Wattenflug“ im Fehn- und Schiffahrtsmuseum Westrhauderfehn

Lütje Hörn bei Memmert.  Foto: © Martin Stromann

«Manche Bilder entstehen einfach aus Zufall im richtigen Moment.» Martin Stromann ist Bildredakteur des Ostfriesland Magazins in Norden und seit über zwei Jahrzehnten einer der profiliertesten Fotografen der ostfriesischen Heimat. Bis zu siebenmal im Jahr steigt er in eine Cessna (mit Piloten) und hält die Wattenlandschaft zwischen Ems und Jade in einzigartigen Fotografien fest. Das Fehn- und Schiffahrtsmuseum Westrhauderfehn zeigt jetzt in der Sonderausstellung „Wattenflug“ eine Auswahl davon.

„Eine herausragende Ausstellung!“ urteilte Jörg Furch, ehemaliger (und für immer einziger) Gemeindedirektor von Westrhauderfehn, in seiner Laudatio. Furch weiß, wovon er spricht: Mit acht Jahren machte ihn sein Großvater mit einer Plattenkamera mit doppeltem Bodenauszug bekannt (Kenner werden mit der Zunge schnalzen) und zeigte ihm das Entwickeln und Vergrößern monochromer Aufnahmen mit einem selbstgebauten Gerät. Mit zehn Jahren bekam Jörg Furch seine erste Kamera geschenkt, eine 24×24 mm Bilora Radix Kleinbildkamera, die immer noch funktioniert. Das Sammeln von Fotoapparaten hat Jörg Furch inzwischen aufgegeben. Sein Urteil aber hat sich über Jahrzehnte verfestigt: „Heute kann fast jeder fotografieren, aber Fotografie war und bleibt eine Kunst.“

„Mal eben von oben was fotografieren“ – so einfach ist das nicht, erzählt Martin Stromann. Das Flugzeug startet nur bis Windstärke sechs, „und bei offenem Fenster oder noch besser einer Maschine ohne Tür musst du dich da oben anziehen wie im Winter, mit Mütze und Schal.“ Eine Stunde Flug mit Fotografieren, so Stromann, sei wie eine Stunde Karussellfahrt – kein klarer Gedanke mehr möglich. „Und am schlimmsten ist das Gefühl, wenn du von oben Seehunde zählst – immer schön in Zehnerpaketen.“ Was entschädigt dafür? „Der ostfriesische Indian Summer“, meint Martin Stromann, wenn der Queller der Salzwiesen sich im Herbst rot färbt, oder das Gebiet zwischen Borkum und Juist, dass er liebevoll „ostfriesische Südsee“ nennt.

Himmel und Wolken, Mensch und Tier – die Fotografie von Martin Stromann aus der Luft und „erdverwachsen“ bewegt sich zwischen Reportage, Dokumentation und Kunst. Was heute in der Ausstellung „Wattenflug“ fasziniert, kann morgen bei einem Besuch vor Ort schon wieder ganz anders aussehen.

Die Ausstellung „Wattenflug“ ist bis einschließlich 30. September 2018 im Fehn- und Schiffahrtsmuseum Westrhauderfehn, Rajen 5, während der allgemeinen Öffnungszeiten zu sehen.

Fehn- und Schiffahrtsmuseum
Ostfriesland Magazin

Alle Fotos: © Detlef M. Plaisier

Ehrenamtsmesse Winschoten: … und plötzlich wird daraus ein Politikum

UPDATE 28. Juni 2018
Ich habe in den letzten drei Tagen viele Gespräche geführt.  Ich habe mich über das Thema Konzentrationslager und Polen informiert; so kompakt, wie ich es trotz meiner intensiven Beschäftigung mit der NS-Zeit noch nie zuvor getan habe.

Der Ausdruck „polnisches Konzentrationslager“ in meinem Beitrag war von Beginn an geographisch gemeint. Nie habe ich damit den Bezug zu einem von Polen errichteten oder betriebenen Konzentrationslager herstellen wollen.

Jetzt höre ich die Stimmen: Ah, er knickt ein. Er will doch nur weiter nach Polen einreisen können. Ja, ich ziehe diese Passage zurück, habe sie korrigiert und entschuldige mich dafür. Und das, weil ich einen Fehler gemacht habe. Ja, es gab von Polen betriebene Lager auf polnischem Boden. Dies waren jedoch Internierungslager, z.B. in Lamsdorf/Łambinowice. Es gab jedoch keine polnischen Vernichtungslager. Dieser Terminus ist falsch. Ich bedaure das. Das speziell von mir angesprochene Lager Sobibor wurde Anfang 1942 während der deutschen Besatzung Polens auf polnischem Boden von Deutschen errichtet.

Ich danke dem Polnischen Institut Leipzig für die Aufklärung zur Faktenlage. Eines bleibt für mich jedoch bestehen: Ich verurteile scharf die Einmischung einer regierungsnahen polnischen Organisation über die Grenzen hinweg. Ich habe dies dem deutschen Außenministerium mitgeteilt.


Ich mag Polen. Das Restaurant „Poniatowski“ war in Leipzig mein zweites Wohnzimmer. Mit großem Herzen habe ich mich für den Erhalt des Polnischen Institutes Leipzig eingesetzt. Aber was mir heute widerfahren ist, das behagt mir gar nicht.

Ich erhalte eine Mail mit hoher Dringlichkeit von Mira Wszelaka, Chairman of the Polish League Against Defamation (Polnische Liga gegen Diffamierung). Dort heißt es:

We are writing in order to draw your attention to the fact that the gravely false and highly defamatory statement „polnische vernichtungslager“ is being used in your article.

There were only camps established by Germany in German-occupied Poland.

The proper reference to the German camps therefore is as follows:

  • Deutsche Lager im deutsch besetzten Polen
  • Deutsche Nazi-Lager im von Deutschen besetzten Polen
  • Deutsche Lager im von den Nazis besetzten Polen
  • Nazi-Lager im deutsch besetzten Polen

We do call you for correction.

Also, dass muss man sich mal ganz langsam klarmachen: Da sitzt eine Organisation in Polen und lässt einen Filter über meinen Blog laufen. Der meldet ein Suchwort, und ich bekomme Post. Erinnert ja irgendwie an Geheimdienst.

Und so weit entfernt ist das auch nicht. Die Polish League Againt Defamation steht der nationalkonservativen polnischen Regierungspartei PiS nahe. Verschiedene Organisationen bezeichnen die League Against Defamation als nationalistisch. Schon mehrfach ist die Liga durch spektakuläre Aktionen aufgefallen:

The Polish League Against Defamation recently [June 2017] sent a letter to Jan Grabowski’s employer, the University of Ottawa, to complain that the historian is engaged in ‚anti-Polish activities‘ that ‚defame the Polish nation‘. Grabowski’s research, for which he has been awarded Yad Vashem’s International Book Prize. focuses on crimes committed by Poles against Jews during WWII. The letter (which you can read here goo.gl/yk0zOB) was also sent to all publishers that have issued his books. The letter was signed by 134 academics – not one of whom was a specialist in the history of the Holocaust or related areas.

2010 verwendete die Bundeszentrale für politische Bildung in dem Buch Jüdisches Leben in Deutschland den Begriff „polnische Konzentrationslager“. Auf Intervention des polnischen Außenministeriums sagte die Bundeszentrale zu, die komplette Auflage von 800.000 Exemplaren aus dem Handel zu nehmen.

Wie reagiere ich? Nun, ich nehme das zur Kenntnis und lasse den Artikel weiterhin unverändert bestehen. Die Diskussion ist eröffnet. Wer mag, melde sich zu Wort. Wie ich zu erreichen bin, ist ja leicht herauszufinden. Mal sehen, ob weitere Post aus Polen kommt.

Projekt deutsch-holländische Ehrenamtsmesse: Aller Anfang ist schwer

Nach dem Erfolg der ersten Leeraner Ehrenamtsmesse im November 2017 mit über 70 Ausstellern reifte in der Stabsstelle Ehrenamt des Landkreises Leer die Idee zu einem Pilotprojekt: Gemeinsam mit der jungen Gemeente Oldambt wurde die erste grenzüberschreitende deutsch-holländische Messe für das Ehrenamt konzipiert. Dass am 23. Juni 2018 übersichtliche 30 Vereine und Initiativen in die Sporthalle Winschoten kamen, ist nur auf den ersten Blick enttäuschend.

In den Niederlanden verbringen Menschen durchschnittlich zwei Stunden pro Woche mit unterschiedlichen Formen ehrenamtlchen Engagements für die Gemeinschaft. Seit 2011 absolviert jede Schülerin und jeder Schüler in der niederländischen Sekundarstufe ein Praktikum in der Gemeinwesenarbeit von mindestens 30 Stunden pro Jahr. Der Aufruf von König Willem-Alexander aus dem Jahr 2014, die Bürger mögen angesichts der öffentlichen Haushaltslage mehr Eigenverantwortung übernehmen, hat noch einmal zu einem positiven Schub geführt.
„Wir leben Europa“, sagt Monika Fricke, Leiterin der Stabstelle Ehrenamt beim Landkreis Leer, selbstbewußt und ein bisschen trotzig beim Blick auf die Ausstellertische in der Sporthalle von Winschoten. „Doch das braucht Geduld.“ Und so ist jetzt schon klar, dass mit der Auswertung der ersten Partnermesse die Planungen für die nächste Auflage beginnen werden.
Mich hat beim Rundgang vor allem die Vielfalt der sozialen Projekte des Nachbarn beeindruckt. Das Sociaal Werk Oldambt hilft mit der Stichting Voedselbank (ähnlich den deutschen Tafeln) und der Stichting Azuur Menschen, die auf oder unter der Armutsgrenze leben, und das praktisch im Alltag und bei offenen Gesprächen.  Auch das Alzheimer Café in Westerwolde-Blijham bietet praktische Hilfe kostenfrei. Besonders berührt hat mich das Gespräch mit Miranda von der Stichting Vrijwillige Palliatieve Terminale Zorg. Die ehrenamtlichen Helfer begleiten Menschen in der Endphase ihres Lebens zu Hause in der gewohnten Umgebung und geben Angehörigen ein wenig Freiraum von der eigenen Belastung. „Niemand soll alleine sterben müssen“, so das verbindende Motto der Hospizbewegung. Leider war kein deutsches Pendant anwesend (warum nicht, Hospiz Huus Leer?).
Ruud Swart machte mir Appetit auf eine Stadtführung in Winschoten (unschlagbarer Preis: zwei Euro!) und erzählte mir, dass einmal 500 Juden in Winschoten gelebt haben. Dazu gehörte auch Liesel Aussen, die als zweijähriges Mädchen 1938 von Leer nach Winschoten kam. 1943 wurde die gesamte Familie über Westerbork in das polnische [siehe Update vom 28. Juni 2018] Vernichtungslager Sobibor transportiert, wo sie vergast wurden. Liesel war gerade sieben Jahre alt. In Sobibor starben bis zu 33.000 Juden aus den Niederlanden.

Bis zu einer halben Million Sinti und Roma fielen im nationalsozialistisch besetzten Europa dem Holocaust zum Opfer. Die Vorfahren und älteren Angehörigen der Leeraner Sinti-Familien kamen 1945 aus den befreiten Konzentrationslagern in die Stadt Leer. Auch heute noch sind für viele junge Sinti und Roma, von denen mehrere hundert im Landkreis Leer leben, Ausgrenzung und Misstrauen täglicher Alltag. Der 1. Sinti Verein Ostfriesland und das Projekt „PROFIL“ des Synodalverbandes Leer informierten auf der Ehrenamtsmesse darüber. Zwei der drei Betreuer von „PROFIL“ sind Sinti. Doch warum fehlte hier ein Partner aus den Niederlanden? Dass der klassisch ausgebildete Sinto Sascha Slavicà die Messe auf seiner Geige bravourös begleitete, wurde von den meisten Aktiven gar nicht bewusst wahrgenommen. In der Mittagspause saß er allein in der Kantine, während Vertreter anderer Vereine sich angeregt unterhielten.

Die Gespräche unter Aktiven und Besuchern machen Mut und zeigen: Da geht noch mehr. Europa lebt vom Einsatz der Bürger, nicht duch die europäische Bürokratie, und vor allem durch Beharrlichkeit. Also: Willkommen zur 3. Ehrenamtsmesse!

Palliativbewegung: www.vptzoostgroningen.nl
Sociaal Werk Oldambt: www.sociaalwerkoldambt.nl
Stadtführung Winschoten: von Mai bis August jeden Miitwoch ab 14 Uhr am Bahnhof Winschoten
Auf dem Weg von Liesel Aussen (zweisprachiges Video): www.youtube.com/watch?v=QytgyOY0n9g
PROFIL/Sinti Ostfriesland: www.synodalverband.de / www.sinti-ostfriesland.de

Die Fotos vom einem Bummel durch Winschoten und von der Ehrenamtsmesse machten Sandra Gräfenstein und Detlef M. Plaisier

Rhauderfehn: Offene Gärten in Collinghorst

Überall in Deutschland gibt es in den Sommermonaten die Möglichkeit, private Gärten zu besichtigen. Heute öffneten im Rhauderfehner Ortsteil Collinghorst fünf private Eigentümer ihre Grünanlagen. Schon früh waren die Zufahrtwege besetzt, viele Fahrräder standen vor den Eingängen.  Weil hier noch sechzig Umzugskartons gepackt werden müssen, schauten wir nur in zwei Gärten im Gasteweg vorbei. Wir nahmen viele Anregungen mit und freuen uns in drei Wochen auf unser eigenes Stück Garten. Hier einige Impressionen:

Fotos: Sandra Gräfenstein & Detlef M. Plaisier. Plakat: Marion Lünswilken @ Malix Media Rhauderfehn