Zum Welttag des Buches: Ein Büchergutschein für meine Leser

Quelle: www.boersenblatt.net
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Heute, am 23. April, ist der Welttag des Buches. Erstmals ausgerufen von der UNESCO im Jahr 1995, erinnert der Tag an einen Brauch in Katalonien, wo man zum Namenstag des Schutzheiligen St. Georg Rosen und Bücher verschenkt. Außerdem ist der 23. April der Todestag von William Shakespeare und Miguel de Cervantes.

20 Jahre „Welttag des Buches“ – da beschenke ich meine Leser mit einem Büchergutschein im Wert von 20 Euro, einlösbar in 2.500 Buchhandlungen in Deutschland.

Schreibt mir: Welches Buch würdet ihr euch für 20 Euro kaufen und verschlingen? Oder vielleicht ein E-Book? Oder ein Hörbuch? Ich bin gespannt!

Gewertet werden alle Kommentare auf dem Blog bis 23. April 2015, 23:59:59.

Notwendiger Hinweis: Das Los entscheidet. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Rezension: Heike Guderjahn (Hrsg.), April, Sturm und andere Turbulenzen. Geschichten von der Liebe

Quelle: www.buchergilde.de
Quelle: www.buchergilde.de

Weg mit den Pseudo-Sado-Maso-Schinken. „Fifty Shades of Grey“ ist eine Lachnummer im Vergleich zu diesen Geschichten. Sie stammen aus Zeiten, als Frau noch etwas zu befürchten hatte, wenn sie sich erdreistete, über Herzschmerz zu schreiben. So zum Beispiel Kate Chopin: Die Amerikanerin legte im Jahr 1899 mit „The Awakening“ einen wahrlich skandalöses Buch vor, in welchem sie ihrer Protagonistin ein Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit zustand. In der Folge des Aufruhrs, welchen sie damit in der gutbürgerlichen Gesellschaft auslöste, wurde zu ihren Lebzeiten nie wieder ein Buch von ihr verlegt.

Ihre Erzählung „Der Sturm“ ist eine kondensierte Version ihres Erstlings und wurde erst posthum veröffentlicht. Sie findet sich im wunderbaren Sammelband „April, Sturm und andere Turbulenzen“, jüngst erschienen in der Edition Büchergilde. Herausgeberin Heike Guderjahn hat hier Geschichten von der Liebe zusammen getragen, allesamt geschrieben von intellektuellen und einfühlsamen Frauen. Natalia Ginzburg ist ebenso darunter wie Sylvia Plath und Ingeborg Bachmann. Die Erzählstränge reichen von Erotik bis hin zum wahren Gräuel jeder Romanze: verblassender und erloschener Liebe.

April_vonoben-a096641cDer Herausgeberin gelingt es, Geschichten zu versammeln, die von echten Beziehungen inspiriert sind. Sie sind nicht glatt gebügelt von irgendwelchen Märchenprinz-Fantasien. Und damit entsteht ein Lesebuch für Frauen, die es gelernt haben, Herzweh auszuhalten. Die Illustrationen der Leipziger Zeichnerin Susanne Wurlitzer spiegeln auf Herrlichste die Leere wider, die entsteht, wenn eine brennende Leidenschaft abgekühlt ist. Ein besonderes Lob gilt der Gestaltung: Das Buch wird in einer Wickelbroschur hergestellt. Als besondere Herausforderung an die Druckerei kann der Leser den Umschlag zu einem Tafelbild aufklappen und aufstellen.

Ein bezaubernder Band nur für wahrhaft Erwachsene.

Heike Guderjahn (Hrsg.), April, Sturm und andere Turbulenzen. Geschichten von der Liebe
Edition Büchergilde, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/April-Sturm-und-andere-Turbulenzen-9783864060489
Autorin der Rezension: Eva-Maria Kasimir

Fotonachweis (2): büchergilde.de

Rezension: Damon Galgut, Arktischer Sommer

Der südafrikanische Autor Damon Galgut, Jahrgang 1963, wurde für zahlreiche internationale Literaturpreise nominiert und zählt zu den renommiertesten Autoren seines Landes.

Quelle: www.randomhouse.de
Quelle: www.randomhouse.de

Die Handlung
Der junge Engländer Edward Morgan Forster fühlt sich im viktorianischen England der Jahrhundertwende eingezwängt in starre Konventionen und prüde Borniertheit. Er fühlt seit frühester Jugend, dass er nur Menschen des eigenen Geschlechts sexuell anziehend findet, braucht jedoch lange Zeit, um sich dies auch einzugestehen. Nach dem frühen Tod seines Vaters lebt er bei seiner Mutter, die er verehrt und liebt, deren einengende Bevormundung ihm aber auch zunehmend stört.

Da erscheint die Aussicht, ein halbes Jahr mit Freunden durch die englische Kolonie Indien zu reisen, sehr attraktiv. Auf der Überfahrt lernt er einen Engländer kennen, der in Indien als Soldat stationiert ist, und der ihm in Gesprächen, die nicht über Andeutungen hinaus das Thema Homosexualität berühren, das sinnliche Indien in den verführerischsten Farben schildert.

Schon während seines Studiums in England hatte Forster Freundschaft zu dem Inder Masood geschlossen, den er nun nach Jahren in seiner Heimat besuchen will. Von ihm erhofft er sich die Erfüllung seiner sexuellen Träume. Doch das begehrte Sehnsuchtsobjekt will nicht bis zum Äußersten gehen, und Forster erlebt etwas Innigeres als profanes Ausleben seiner Begierden. Allerdings hat sich der Freund verändert und der Aufenthalt gerät letztlich zum Desaster.

Wieder im kühlen England, wo er einige Männer kennenlernt, denen seine Präferenzen nicht fremd sind, erreicht Forster mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges der Ruf nach Ägypten, wo er sich als Mitarbeiter des Roten Kreuzes nützlich macht, indem er verletzte Soldaten im Hospital besucht und befragt. Dort in Alexandria, das so gar nichts von der erhofften orientalischen Leichtigkeit für ihn bereithält, lernt er den jungen Straßenbahnschaffner Mohammed kennen und lieben. Doch auch diese Liebe ist letztlich nicht von Erfüllung gekrönt, da Mohammed heiratet und später schwer erkrankt und stirbt.

Homosexualität und der Kampf um den perfekten Roman
Der Autor E. M. Forster (1879 – 1970) ist vielleicht manchem Leser bekannt. ich kannte ihn zuvor nicht. Und auch das beherrschende Thema – seine Homosexualität und der Umgang damit – ist nichts, was mich brennend interessiert. Ebenso fand ich die sehr ausführlich geschilderten Kämpfe des Protagonisten um die Entstehung seines Indienromans oder anderer Werke, ebenso wie die Schilderung seines Indien-Aufenthaltes, oftmals langatmig und ebenso wie seine sexuellen Beschwernisse voll mit Redundanzen und Abschweifungen.

Mein Fazit
Empfehlen kann ich den Roman nur denjenigen, die sich explizit für die englische Kolonialherrschaft in Indien und Ägypten, oder für das Thema Homosexualität in der Zeit um den Ersten Weltkrieg interessieren. Kein großer Publikumsroman.

Damon Galgut, Arktischer Sommer
Wilhelm Goldmann Verlag, München 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Arktischer-Sommer-9783442547470
Autorin der Rezension: Cornelia Lotter
www.autorin-cornelia-lotter.de

Rezension: Julia Jessen, Alles wird hell

Quelle: www.kunstmann.de
Quelle: www.kunstmann.de

Die Handlung
Ist es ein Liebesroman, ein Lebensroman, ein Familienroman? „Alles wird hell“ von Julia Jessen ist nichts von alledem und doch von allem ein bisschen. In drei großen Teilen beschreibt Jessen das Leben von Oda. Zuerst das kleine Mädchen, das zu einem Teenager wird und gegen die Familie und Lehrer rebelliert, dann die Frau, die ihren Lebenstraum verwirklich hat, aber in ihrer Beziehung und mit ihrem Leben trotzdem nicht wirklich zufrieden ist. Und schließlich die alte Frau, die ihrem Mann beim Sterben hilft und dann selber stirbt. Doch der Roman beschreibt nicht nur Odas Leben, sondern auch das ihrer eigenwilligen Familie, in der meist die Frauen den Ton angeben.

Abrupte Übergänge
Das Buch beginnt mit dem Ende. Als Leserin sehe ich Oda sterben, nehme Teil an ihren Gedanken und Gefühlen. Erst dann beginnt das Buch mit einem Erlebnis Odas als kleines Mädchen. Das Buch wird also in einer Rückblende erzählt. Gleichzeitig ist diese Aufteilung auch eine gewisse Schwäche, denn beim Übergang von einem Teil zum anderen ist mir nicht immer sofort klar, wo die Handlung plötzlich wieder einsetzt. Besonders im Mittelteil fällt mir dieser Bruch auf und es ist schwer, wieder in den Lesefluss zu finden.

Schwieriger Mittelteil
Überhaupt war der Mittelteil für mich der herausforderndste Teil des Buches, insbesondere die Beschreibung der Schwierigkeiten, die Oda mit ihrem Mann hat, weil sie noch ein Kind will, er aber nicht. Odas Gefühlschaos und die Konsequenzen daraus beschreibt Julia Jessen sehr genau. Das ist einerseits spannend, führt andererseits aber auch dazu, dass mir die Hauptfigur zunehmend unsympathisch wird, auch wenn ich manche Dinge gut nachvollziehen kann. Manchmal möchte ich als Leserin einfach nur ins Buch springen und diese Oda kräftig durchschütteln, damit sie wieder zu Verstand kommt und endlich ihr Leben ohne Selbstmitleid auf die Reihe bringt.

Mein Fazit: Lesenswert
Trotz dieser Herausforderung halte ich das Buch von Julia Jessen für sehr lesenswert. Es ist ein spannend und zieht mich in seinen Bann. Und ich merke nicht einmal, dass ich mitten drin bin in der chaotischen, unberechenbaren Gefühlswelt dieser Oda, die mich so schnell nicht mehr loslässt.

Julia Jessen, Alles wird hell
Verlag Antje Kunstmann, 2015
Julia Jessen liest: https://www.youtube.com/watch?v=QfCwQ42GRuM
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Alles-wird-hell-9783956140242
Autorin der Rezension: Yvonne Giebels

Rezension: Paul Pickering, Die Frau des Leoparden

Der britische Bestseller-Autor Paul Pickering liefert in seinem fünften Roman alles, was man sich von einem unterhaltsamen Buch wünschen kann: Spannung, Liebe, Verrat, Gewalt, traumhafte Bilder und Absurdität, die zur Komik gereicht – und zur Verwirrung.

Quelle: www.randomhouse.de
Quelle: www.randomhouse.de

Ein Mann, eine Frau, ein Klavier und der Kongo
Im Kongo herrscht Bürgerkrieg. Nicht ganz unschuldig daran ist Lola, die „kongolesische Helena von Troja“, Frau des Generalmajors Xavier – auch genannt Chui, „der Leopard“ – und Geliebte von dessem Bruder. Mit ihren gerade mal 17 Jahren hat sie jedoch beide Beziehungen bereits hinter sich gelassen und verliebt sich nun in den Hauptcharakter des Buches: einen britischen Pianisten namens Smiles, welcher ihr freilich auch vom ersten Moment an verfällt. Dabei kam Smiles eigentlich nur in den Kongo, um dort seinem alten Freund und Lehrer Lyman Andrew zu begegnen und gemeinsam mit ihm ein Friedenskonzert zu geben. Dies wird dadurch erschwert, dass beide Pianisten für tot erklärt werden – sie seien einem Bombenanschlag im Konzertsaal zum Opfer gefallen – und sich Lyman Andrew im Dschungel versteckt. Kurzerhand wird der Plan gefasst, das Konzert dann eben im Urwald zu geben und im Radio zu übertragen. Man muss ja nur Smiles flussaufwärts kuttern – ihn und das Klavier: einen Konzertflügel aus dem 18. Jahrhundert. Mit an Bord ist natürlich auch Lola und während sie und Smiles auf den diversen Zwischenstopps der Reise turteln, heiraten und immer wieder flüchten (vor wem genau, ist nie ganz klar), liest Lolas kleiner Bruder Smiles‘ Briefe über seine Internatszeit in England und seine damalige Freundschaft mit Lyman Andrew…

Zwei Geschichten, eine Moral
Obwohl ich bis zum Schluss des Buches nicht wirklich schlau daraus werde, wer hier eigentlich gegen wen kämpft, genieße ich diese abenteuerliche und wundervoll bildhafte Reise durch den Kongo – man merkt, dass Pickering hier als Augenzeuge berichtet. Ich fiebere mit den beiden Protagonisten Lola und Smiles, die sich ganz offensichtlich in höchster Gefahr befinden, wenngleich auch hier nicht ganz klar ist, warum und wovon diese Gefahr ausgeht. Vieles in Pickerings Roman schert sich nicht um ein „Warum“ und ist dennoch nicht weniger real. Ich begegne menschlichen Abgründen und unfassbaren Gewaltakten, sowohl im Reich der Mosquitos und Krokodile, als auch an Smiles‘ noblem Freimaurer-Internat in England. Was sich dort abspielt bildet eine eigene Geschichte, die den Ereignissen im Kongo an Heftigkeit in nichts nachsteht. Die Moralität der Romanfiguren lässt sich nicht so einfach bestimmen wie deren Hautfarbe. Nicht einmal beim Hauptakteur Smiles, der neben Lola vor allem zwei Dinge liebt: Das Klavier und die Quitte seiner Mutter.

Mein Fazit
Pickering hat mir mit dieser turbulenten und abstrusen Erzählung mehr als ein Stirnrunzeln entlockt. Auch den Prolog verstand ich erst, als ich ihn als Epilog las. Kurzum: Das Buch war für mich ein Abenteuer – in jeder Hinsicht.

Paul Pickering, Die Frau des Leoparden
Bertelsmann, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Die-Frau-des-Leoparden-9783570102107
Autorin der Rezension: Katja Weber

Rezension: Christina Baker Kline, Der Zug der Waisen

Christina Baker Kline wuchs in England und in den USA auf. Sie unterrichtete Literatur und Kreatives Schreiben und wurde als Buchautorin und Herausgeberin von Anthologien bekannt. Ihr Roman „Der Zug der Waisen“ war in den USA ein großer Erfolg und führte viele Monate die Charts der New York Times an.

Quelle: www.randomhouse.de
Quelle: www.randomhouse.de

Eine ganz besondere Freundschaft
Im Mittelpunkt des Romans stehen zwei Frauen, die auf den ersten Blick nicht gegensätzlicher sein könnten: Die 17jährige Halbwaise Molly hat schon ein turbulentes Leben in verschiedenen Pflegefamilien hinter sich und ist so auf die Gothik-Schiene geraten. Auch in ihrer neuen Pflegefamilie läuft es nicht gut. Eines Tages gerät sie in Schwierigkeiten und wird zu Sozialstunden verurteilt, die sie dank ihres Freundes bei der 91jährigen Vivian ableisten kann. Sie soll der alten Dame helfen, ihren Dachboden zu entrümpeln. Sind beide zunächst nicht sehr angetan von der Aufgabe, wird eines doch schnell klar: Entrümpelt werden soll gar nichts. Vielmehr scheint es so, als ob Vivian all ihr Habe noch einmal – ein letztes Mal? – genau sehen möchte. Beim Betrachten der „Schätze“ erinnert sich Vivian an die nicht immer leichten Stationen ihres Lebens: Langsam und vorsichtig wird aus dem Erinnern ein Erzählen und ein Austausch. Begegnen sich Molly und Vivian zunächst voller Vorsicht, entwickelt sich doch langsam aber sicher eine wundervolle Freundschaft zwischen ihnen, bei der sie sich einander öffnen und zu vertrauen lernen. Denn eines ist klar: So verschieden, wie es auf den ersten Blick scheint, sind die beiden Frauen dann doch nicht. Sie sind einander eher viel ähnlicher, als man je zu vermuten gewagt hätte.

Ein vergessenes Kapitel amerikanischer Geschichte wird neu geschrieben
Denn beide Frauen teilen eine Gemeinsamkeit: Eine sehr harte Vergangenheit, die sie nachhaltig prägen sollte. Molly verlor den Vater und die Mutter war nicht mehr in der Lage, sie zu versorgen. Auch Vivian wurde nach einem verheerenden Brand zur Waise. Gemeinsam mit vielen anderen Kindern wurde sie 1929 in einen so genannten „Orphan Train“ verfrachtet und in den Mittleren Westen geschickt, wo sie auf einer Farm ein neues Zuhause finden sollte. Ein liebevolles Heim erwartete dabei aber nur die wenigsten Kinder, und auch Vivian hatte schwere Bewährungsproben zu erdulden, bevor ihr Leben in geordneten Bahnen verlief.

Mein Fazit
Christina Baker Kline greift mit dieser Thematik ein bisher kaum bekanntes Kapitel der US-amerikanischen Geschichte auf und vermischt es mit der Geschichte einer ganz besonderen Freundschaft. Präzise recherchiert bringt sie die Fakten über die „Orphan Trains“, die zwischen 1854 und 1929 über 200.000 Waisen in den Mittleren Westen brachten, in ihr Buch ein und überzeugt dabei mit einer eingängigen Sprache und einem gefühlvollen Stil. Präzise Beschreibungen, die neben der Recherche auch auf Zeitzeugenberichten basieren, geben der ernsten Thematik die nötige Tiefe. Die tiefgründige Erzählung lebt von viel Gefühl, einer großzügigen Prise Humor und großem schriftstellerischem Talent.

Christina Baker Kline, Der Zug der Waisen
Goldmann, 2014
Trailer zum Buch: https://www.youtube.com/watch?v=NC2zHfUiOvQ
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Der-Zug-der-Waisen-9783442313839
Autorin der Rezension: Julia Groß

Rezension: Erik Lindner, Auf der Suche nach dem Nudossi-Äquator

Erik Lindner, geboren 1964, ist promovierter Historiker und beschäftigt sich besonders mit deutsch-jüdischer Geschichte. Er ist als Geschäftsführer der Axel-Springer-Stiftung tätig.

Quelle: www.murmann-verlag.de
Quelle: www.murmann-verlag.de

Als ehemalige DDR-Bürgerin waren mir vor Lektüre dieses Buches nicht nur einige Marken gut im Gedächtnis geblieben, sondern ich verwende sie auch bewusst weiter, sofern sie hier, im Südwesten Deutschlands, in den Regalen der Supermärkte zu finden sind. So spüle ich mein Geschirr aus Prinzip mit fit, creme meine Haut mit Florena, bestreiche alles, was sich dazu eignet, mit Bautz‘ner Senf, trinke, wenn ich etwas zu feiern habe, nur Rotkäppchen Sekt und esse grundsätzlich keine anderen Gurken als die aus dem Spreewald.

Die Überlebenden der Wende
Das Buch, in dem die Geschichte von ca. 100 Marken und Produkten aus den Bereichen Lebensmittel, Körperpflege, Technisches und Schönes nachgezeichnet wird, hat mir nun gezeigt, dass noch viele andere Marken der ehemaligen DDR überlebt haben, wenn auch nicht immer unter dem Dach der ehemaligen Gründer der Marke und leider nicht immer am alten Standort. In dieser Menge war das für mich eine echte Überraschung.

Die Nachwendezeiten sind mir noch gut in Erinnerung, als vor jedem Kaff auf der grünen Wiese ein Zelt aufgestellt wurde, in dem von der holländischen Gurke bis zum Waschmittel alles verkauft wurde – Hauptsache, es kam aus dem Westen. Und die endlich konsummündigen Bürger kauften, was das Portmonee hergab. Irgendwann jedoch, als leider viele der DDR-Betriebe ihre Produktion mangels Nachfrage eingestellt hatten, stellten sie fest, dass der selbst gezogene Salat aus dem Garten wesentlich besser schmeckte als das Grünzeug aus Holland und dass Spee genauso sauber wusch wie Persil, vom Preis ganz abgesehen.

Im Buch wird für viele Produkte dieser Weg von der einstigen DDR-Marke, die mangels Alternativen eine Monopolstellung hatte, über das zeitweise Verschwinden bis hin zur glanzvollen Wiederauferstehung nachgezeichnet. Auch ehemalige Betriebsangehörige oder mutige West-Investoren werden mit ihrer Leistung bei der Erhaltung eines Teils der DDR-Warenkultur gewürdigt. Ebenso bleibt nicht unerwähnt, dass es viele Glücksritter und Heuschrecken gab, die für einen schnellen Profit durchaus lebensfähige Betriebe herunterwirtschafteten und abwickelten. Auch das Handeln der Treuhand war dabei nicht immer von Weitsicht und Fairness geprägt.

Umso erfreulicher ist es, dass mittlerweile viele ehemalige DDR-Bürger wieder zu „ihren“ Marken als einem Teil ihrer Identität zurückgefunden haben. Viele Verbraucher in den alten Bundesländern kennen jetzt Produkte aus der ehemaligen DDR und haben sie schätzen gelernt. Das Potential ist sicher noch lange nicht ausgeschöpft. Und auch ich werde mich, sobald ich meinen Wohnsitz nach Leipzig verlegt habe, verstärkt auf die Suche nach „Ostprodukten“ begeben, um die Firmen, die immer noch ihren Sitz und ihre Produktionsstätten dort haben, zu unterstützen.

Mein Fazit
Ein informatives und interessantes Buch für all jene, die einmal hinter die Kulissen von Markenrecht und Produktentwicklung unter den besonderen Bedingungen der geschichtlich einmaligen „Eingliederung“ schauen wollen. Und ein Muss für jeden, der mit Halloren Kugeln, f6 oder Schwalbe schöne Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend in der DDR verbindet.

Erik Lindner, Auf der Suche nach dem Nudossi-Äquator
Murmann Publishers GmbH, Hamburg 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Auf-der-Suche-nach-dem-Nudossi-quator-9783867744225
Autorin der Rezension: Cornelia Lotter
www.autorin-cornelia-lotter.de

Rezension: Roger Cockrell (Hrsg.), Michail Bulgakow – Ich bin zum Schweigen verdammt

Quelle: www.randomhouse.de
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Autor und Werk
Michail Afanassjewitsch Bulgakow wurde am 15. Mai 1891 in Kiew geboren und zählt zu den bedeutendsten Satirikern der russischen Literatur. Nach dem Abitur absolvierte er zunächst erfolgreich ein Medizinstudium, bevor er im Oktober 1921 nach Moskau ging und dort zu schreiben begann. An dieser Stelle setzt das Werk „Ich bin zum Schweigen verdammt“ an. Es umfasst die Briefe und einige Tagebucheintragungen Bulgakows aus den Jahren 1921 bis 1940 und wurde im März 2015 zu seinem 75. Todestag veröffentlicht.

Schreiben unter schwersten Bedingungen – Opfer der Zensur
Ließen sich die ersten Moskauer Jahre noch gut an (Bulgakow schrieb und publizierte in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften und veröffentlichte auch einige Prosastücke), wendete sich das Blatt im Jahr 1929 gravierend. Bei einer Hausdurchsuchung wurden Bulgakows persönliche Tagebücher sowie seine satirische Erzählung „Hundeherz“ beschlagnahmt und erste Verbote seiner Bücher und Theaterstücke auf den Weg gebracht.

Ab 1930 wurden die Werke Bulgakows endgültig nicht mehr veröffentlicht und seine Stücke verschwanden von den Spielplänen des Theaters. Eine unwürdige Existenz und ein Kampf ums Überleben begannen für den Mann, dessen Leben allein die Schriftstellerei war. In seinen Briefen beklagt er dies bei Freunden und Bekannten, sucht nach Rat und bittet um Hilfe – auch bei staatlichen Instanzen. Solle es keine Arbeit für ihn geben, dann wolle er wenigstens kurz das Land verlassen, um neue Kraft zu tanken oder Aufträge zu finden.

Gefangen im eigenen Land
Doch auch die Ausreise, und sei sie auch nur zu Urlaubszwecken, wurde Bulgakow verwehrt. Er war somit gezwungen, in Moskau zu bleiben, bei unveränderter Arbeitssituation und immer schlechterer Gesundheit. Bulgakow arbeitete als Dramaturg und schrieb, immer mit dem Wissen, nie veröffentlicht zu werden oder erneut dem Verriss und der Zensur zum Opfer zu fallen. Der Kampf gegen die Windmühlen setzte sich unerbittlich fort und sollte bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1940 nicht enden.

Politik und Schriftstellerei
Neben seinen Problemen als Schriftsteller wird in seinen Briefen und Tagebüchern auch das große Interesse am Zeitgeschehen deutlich. So beschäftigt er sich gerade in den ersten Jahren stark mit den politischen Geschehnissen in der UdSSR und der internationalen Situation außerhalb des eigenen Landes, die er mit scharfem Blick verfolgt.

Mein Fazit
Für mich sind Briefromane und Tagebuchaufzeichnungen immer ein besonderer Lesegenuss, schildern sie die Geschehnisse doch immer aus einer authentischen und persönlichen Sicht. „Ich bin zum Schweigen verdammt“ ist eine klare Buchempfehlung für jeden Leser, der biografische Lektüre zu schätzen weiß und dabei noch ein großes Interesse für den Menschen Bulgakow, Russland, das Theater und die geschichtlichen und politischen Ereignisse der Zeit hat. Ergänzt werden die Briefe und Aufzeichnungen durch einen ausführlichen biographischen und bibliographischen Anhang, sodass das Buch in seiner Gesamtheit zu einem unverzichtbaren Zeugnis des Lebens Bulgakows wird.

Roger Cockrell (Hrsg.), Michail Bulgakow – Ich bin zum Schweigen verdammt
Luchterhand, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Ich-bin-zum-Schweigen-verdammt-9783630874661
Autorin der Rezension: Julia Groß
https://zimttraeumereien.wordpress.com/

Rezension: Helle Helle, Färseninsel

Quelle: www.doerlemann.com
Quelle: www.doerlemann.com

Die Handlung
Die Ich-Erzählerin strandet in einem kleinen Kaff an der dänischen Küste. An einer Bushaltestelle trifft sie auf John und Putte, ein Ehepaar, das in der Nähe der Bushaltestelle wohnt, und wird von ihnen kurzerhand aufgenommen. Die beiden machen keinen großen Aufwand um ihren Gast und schon bald gehört Bente, wie sie von Putte spontan getauft wird, einfach dazu, als sei das schon immer so gewesen.

Poesie von Handlung und Worten
Was in der Zusammenfassung vielleicht etwas langweilig klingt, ist alles andere als monoton. Die Handlung des Buches zieht mich als Leserin sofort in ihren Bann, ohne dass ich so recht beschreiben könnte, warum das so ist. Denn nüchtern betrachtet ist die Geschichte gar nicht besonders aufregend oder spannend. Aber das ist vielleicht genau das Geheimnis. Denn die Autorin Helle Helle schildert ihre einfache Geschichte in einfachen Worten und Sätzen, die dennoch wie Poesie sind. Ich muss mich nicht durch Wortungetüme kämpfen oder durch undurchsichtige Handlungsstränge, um zum wahren Kern des Buches vorzudringen. Es ist einfach alles schon da und wird so leichtfüßig erzählt, dass ich schon zusammen mit Putte, John und Bente in ihrem Haus lebe.

Kurze Irritation durch Rückblicke
Was mich als Leserin in den ersten Kapiteln zunächst etwas irritiert, sind die Rückblicke. In diesen erzählt Bente, wie und warum sie an die dänische Küste gekommen kam, warum sie ihren Mann verließ und welche psychischen Probleme sie in der Vergangenheit plagten. Beim ersten Mal ist für mich nicht sofort erkennbar, dass es sich um ein „Rückblickkapitel“ handelt und so bin ich kurz verwirrt, weil die Handlung nicht nahtlos an das vorher Geschilderte anschließt. Sobald aber klar wird, dass es sich um einen Rückblick handelt, bin ich wieder im Lesefluss. Auch in den Rückblenden bleibt Helle Helle ihrem Stil treu. Sie erzählt auch hier leichtfüßig mit viel Poesie und ohne große Dramatik. Manches ahne ich mehr als dass es ausgesprochen wird.

Mein Fazit: Sehr lesenswert
„Färseninsel“ von Helle Helle kann ich uneingeschränkt zur Lektüre empfehlen. Es ist ein Buch in einer wunderbaren Sprache, mit echten Menschen, mancher Tragik und einigen skurrilen Aktionen, die ich selbst aus meinem Alltag kenne. Schon nach ein paar Seiten ist dieses Buch wie ein guter Freund, an dessen Seite ich mich wohlfühle.

Helle Helle, Färseninsel
Dörlemann Verlag AG, Zürich 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Faerseninsel-9783038200147
Website der Autorin: http://www.hellehelle.net/english/
Autorin der Rezension: Yvonne Giebels

Rezension: John Burnside, Haus der Stummen

John Burnsides prosaisches Erstlingswerk ist von morbider Spannung. Die Sprache ist intelligent, der Stil durchdacht, die Gedanken philosophisch. Dennoch bin ich froh, als ich das Buch endlich zuklappen kann.

Quelle: www.randomhouse.de
Quelle: www.randomhouse.de

Ohnegleichen
„Niemand kann behaupten, es hätte mir freigestanden, die Zwillinge zu töten, so wenig wie es mir freistand, sie auf die Welt zu bringen.“ Ich wüsste nicht, welchem Genre ich den Roman des schottischen Lyrikers zuordnen sollte, der mit diesem Satz beginnt. Er ist schauerlich, doch kein Horror – obwohl man ihn sicherlich horrorhaft à la Shining verfilmen könnte. Er ist packend und doch kein Thriller. Der Ich-Erzähler wird zum mehrfachen Mörder, doch steht dies weder im Mittelpunkt der Geschichte, noch muss er je fürchten, dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Suche nach der Seele
Der Roman fingiert die Memoiren eines Psychopathen: Luke ist von Kindesbeinen an vom Forscherdrang gepackt und seziert Tiere bei lebendigen Leib, um zu sehen, wo ihre Seele sitzt. Als er nicht fündig wird, überlegt er, dass die Seele vornehmlich in der Sprache zu finden sein müsste und also beim Menschen. Seine Mutter, zu der er eine krankhaft enge Bindung hegt, hat ihm vom Mogulherrscher Akbar erzählt, der einst eine Gruppe Neugeborener von stummen Ammen aufziehen ließ, um zu sehen, ob Sprache angeboren oder erlernt sei. Dieses Experiment will Luke nun nach strengen wissenschaftlichen Richtlinien wiederholen. Die stumme Amme spielt er selbst, seine Probandenanzahl beschränkt sich auf zwei: Zwillinge, die ihm von der obdachlosen Lillian geboren werden. Er sperrt das Geschwisterpaar in seinen Keller – fernab jeglicher menschlicher Stimme…

Methodische Redundanz
Der Charakter Lukes ist ausgetüftelt: Statt eines seelenlosen Monsters, zeichnet Burnside hier das Bild eines Mannes, der menschliche Emotionen durchaus kennt und versteht, diese aber mit Bedauern ausblendet, sobald sie drohen, seine Forschung zu gefährden. Alles was er tut, hat Methode, folgt Ritualen – dieser Charakterzug spiegelt sich auch im Stil der Erzählung, die an vielen Stellen redundant ist: Immer wieder geht es mit der Mutter allmählich zu Ende, immer wieder ist es, als wäre sie noch immer da, immer wieder scheint das Experiment gescheitert – um dann doch wieder fortgesetzt zu werden. Obgleich anscheinend gewollt, empfand ich diese psalmartigen Wiederholungen als störend; vielleicht aber auch nur, weil sie den Fortgang der Erzählung aufhielten und mich damit umso mehr auf die Folter spannten.

Mein Fazit
Philosophische Tiefgründigkeit gepaart mit eiskalter wissenschaftlicher Methode erzeugt eine subtile Spannung, die mich zwei Tage lang in Atem hält. Mehr als einmal muss ich den Bleistift zücken, um mir die interessanten Gedanken zur Bedeutung der Sprache anzustreichen. Dennoch kann ich mich nicht dazu durchringen, das Buch zu empfehlen. Bei aller Brillanz war die Geschichte so grausam, dass ich mich allein durch die Lektüre eines Verbrechens an meinem eigenen Kind schuldig fühlte.

John Burnside, Haus der Stummen
Albrecht Knaus Verlag, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Haus-der-Stummen-9783813506129
Autorin der Rezension: Katja Weber