Rezension: Jan Guillou, Die Brückenbauer

Knapp 800 Seiten entführen den Leser nach Norwegen, Deutschland und Afrika zu Anfang des 20. Jahrhunderts.

Drei Brüder, Fischersöhne einer westnorwegischen Insel, erleiden das gleiche Schicksal wie so viele von ihnen: Ihr Vater kommt beim Fischfang ums Leben. Da sie überdurchschnittlich intelligent und handwerklich begabt sind, nimmt sich eine Stiftung ihrer an. Sie kommen über Umwege an das renommierte Polytechnikum in Dresden, um zu den besten Ingenieuren des Landes ausgebildet zu werden. Die Brüder verpflichten sich, die Ausbildungssumme durch ihre Arbeit und Expertise zurückzuzahlen und nach Beendigung des Studiums nach Norwegen zurückzukehren. Dort sollen sie die „unmögliche Brücke“ über die Herdangervidda, die höchste und unwirtlichste Hochebene Europas, bauen.

Quelle: www.randomhouse.de
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Anders als geplant
Natürlich sind auch Ingenieurstudenten nicht gegen Liebe gefeit. Einer der Brüder flieht nach einem Liebesdebakel nach Deutsch-Ostafrika, der andere folgt seiner verbotenen Liebe nach England. So bleibt die Last der Rückzahlung auf dem ältesten Sohn hängen, der sich in die Pflicht fügt. Auch er kämpft um seine Liebe und will durch seine Arbeit dem voreingenommenen reichen Vater seiner deutschen Freundin beweisen, dass er für sie sorgen kann. Von hier an teilt sich der Roman in zwei Handlungsstränge – dem Bruder in England ist der zweite Teil der Trilogie gewidmet – und nimmt den Leser mit in die eisigen Höhen Norwegens und die heiße Wildnis Deutsch-Ostafrikas.

Reizvoller Wechsel
Diese Gegensätze in Natur und Menschen, die Parallele des Eisenbahnbaus – denn der mittlere Bruder ist am Bau der Tanganjikabahn beteiligt – und der Hintergrund des vibrierenden neuen Jahrhunderts mit all seinen technischen Möglichkeiten zieht den Leser in den Lesefluss hinein. Der Einfluss, den der technische Wandel auf die Gesellschaft und die Stellung der Frauen hat, die scheinbar unbekümmerte Zeit, in der alles möglich ist, wenn man es nur will, werden von Guillou in beeindruckenden Bildern beschrieben. Kleiner Clou: Sein Großvater und dessen Brüder haben 1901 das Technikum in Dresden abgeschlossen. Guillou hat die Rede des damaligen Dekans fast 1:1 in seinem Roman übernommen. Diese Verknüpfung von familiärem Hintergrund und Fantasie in historischem Rahmen hat einen großen Reiz. Doch was der Leser im Gegensatz zu den jungen und ungestümen Protagonisten weiß: Europa befindet sich am Rande des ersten Weltkrieges und Freunde werden bald zu Feinden…

Längen und Klischees
Ab diesem Zeitpunkt schwächelt das Buch dann auch. Generell beschreibt Guillou vieles sehr detailliert, aber gerade im letzten Drittel wird es extrem. Anfangs ist es noch interessant zu sehen, wie sich der beginnende Krieg auf die beiden Brüder auswirkt. Doch gerade der in Afrika spielende Teil greift arg tief in die Klischeekiste der Kolonialzeit. Das vorläufige Ende, als sich beide Brüder nach langer Zeit wieder begegnen, ist merkwürdig ungerührt und steif.

Mein Fazit
Die Brückenbauer ist der erste Teil einer Trilogie und lässt sich gefällig lesen. Er bietet interessante und auch mitreißende Einblicke in Brückenbau unter extremen Bedingungen vor dem Hintergrund des beginnenden 20. Jahrhunderts. Die Themen Familie, Verpflichtungen, Liebe, Historie und großartige Landschaften sind Garanten für ein unterhaltsames Buch. Die Charaktere sind ansprechend gestaltet, die Protagonisten bleiben allerdings oft merkwürdig flach und neutral. Im letzten Drittel habe ich häufiger quergelesen, da die detaillierten Beschreibungen strategischer Kriegskünste in diesem Rahmen einfach zu langweilig wurden. So wirkt auch das gesamte Ende etwas hastig zusammengestrickt. Alles in allem aber ein empfehlenswertes Buch für ein verregnetes Wochenende.

Jan Gulliou, Die Brückenbauer
Heyne Verlag, 2012
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Die-Brueckenbauer-9783453268258
Autorin dieser Rezension: Dorothee Bluhm
www.wortparade.de

Rezension: Steven Galloway, Der Illusionist

Was in unserer Erinnerung Fakt oder Fiktion ist, kann niemand so genau sagen. Allzu schnell werden unangenehme Erlebnisse verdrängt und nur die schönen Momente mit einer Person hervorgehoben. Schon wenn man drei Augenzeugen eines Vorgangs befragt, erhält man vier verschiedene Versionen der Ereignisse, einfach weil jedes Gedächtnis anders funktioniert. Dennoch verlässt sich der Mensch auf seine Erinnerungen mehr als auf Erzählungen anderer – was aber, wenn das Gehirn nicht mehr zwischen Erinnerung und erfundenen Geschichten unterscheiden kann?

Quelle: www.randomhouse.de
Quelle: www.randomhouse.de

Am Anfang ist die Krankheit
Martin Strauss erfährt von seinem Arzt, dass er an einer seltenen neurologischen Krankheit leidet, dem sogenannten Konfabulismus. Davon Betroffene erzählen objektiv falsche Dinge, bilden sich aber fest ein, diese wären wahr und sie hätten sie genau so erlebt. Martin Strauss wird also seine Erinnerungen verlieren und schon bald nicht mehr unterscheiden können, was wahr ist und was sich sein Gehirn nur ausgedacht hat. Dabei blickt Martin auf ein langes und wie er meint auch sehr ereignisreiches Leben zurück, hat er doch den weltberühmten Magier und Entfesselungskünstler Harry Houdini getötet – gleich zweimal. Zumindest glaubt er das und möchte seine Geschichte unbedingt aufschreiben, bevor er sie für immer vergisst. Sein Grund: Er möchte Alice, von der er glaubt, dass sie Houdinis Tochter ist, unbedingt die Wahrheit über ihren Vater und über sich selbst sagen.

Drei Handlungsstränge, zwei Leben, eine Geschichte?
Steven Galloway verwebt in seinem Roman drei Handlungsstränge miteinander. Zum einen die gut recherchierte und realistisch dargestellte Biographie des weltberühmten und bekannten Zauberers und Entfesselungskünstlers Harry Houdini. Zum zweiten das Leben des jungen Martin Strauss als Student in Montreal, wo er auf Houdini trifft und in dessen Verwirrspiele verstrickt wird. Das wiederum führt dazu, dass Martin den Zauberer gleich zweimal töten kann. Der dritte Erzählstrang behandelt die Gegenwart, als Martin auf einer Parkbank vor dem Krankenhaus sitzt und über seine Erinnerungen und sein Leben sinniert, bevor er diese beiden aus seinem Gedächtnis verliert. Oder hat er das vielleicht schon?

Mein Fazit
Unsicherheit ist faszinierend, zumindest im Fall dieses Buches. Die Houdini-Biographie ist gespickt mit korrekten Fakten, wie zum Beispiel der Bekanntschaft mit Sir Arthur Conan Doyle. Auch Martins Biographie und seine Version der Ereignisse beim Zusammentreffen mit Houdini in der Vergangenheit scheinen mehr als realistisch. Wenn, ja wenn da nicht die Gegenwart wäre und seine Krankheit. Denn in der Gegenwart tauchen bei Martin immer wieder Erinnerungsfetzen auf, die so nicht stattgefunden haben können, wenn er Houdini wirklich getötet hat. Bis zum Schluss bleibt offen, welche der Erinnerungen real sind und welche aufgrund des Konfabulismus erfunden wurden, um die Erinnerungslücken zu schließen. So bleibt es jedem selbst überlassen, zu entscheiden, was real in Martins Leben passiert ist. Genau das macht den Reiz des Buches aus. Denn seien wir ehrlich: Haben wir uns nicht selbst schon manchmal gefragt, ob ein Ereignis wirklich genauso stattgefunden hat, wie wir uns daran erinnern?

Steven Galloway, Der Illusionist
Luchterhand, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Der-Illusionist-9783630874579
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Martin Compart, Die Lucifer-Connection

Mit einer scheinbaren Bagatelle beginnt für den Privatdetektiv Gill eine kriminalistische Reise in die Abgründe der menschlichen Seele: Ein Junge, Michael Heimkann, sitzt weinend in seinem Büro und möchte den privaten Ermittler engagieren, weil sein kleiner, schwarzer Kater plötzlich verschwunden ist. Eigentlich möchte der ehemalige Geheimagent und Söldner ablehnen, doch er hat ein weiches Herz und liebt Katzen, weshalb er den Fall doch annimmt.

Quelle: evolver-books.at
Quelle: evolver-books.at

Wer hat die Kinder ermordet?
Gill gelingt es schließlich, die Katze zu finden. Diese wurde von professionellen Fängern aufgegriffen. Die Katze befindet sich in einem hervorragend geschützten Lagerhaus zusammen mit Hunderten von Artgenossen. Gill erfährt, dass die Tiere bei satanischen Ritualen geopfert werden sollen, was der Detektiv aber zu verhindern weiß.

Zwischenzeitlich hat ein Schatzjäger mit seiner Wünschelrute einen grausigen Fund gemacht: Er ist auf ein Massengrab mit Dutzenden von Kinderleichen gestoßen. In diesem Fall ermittelt Polizeidirektorin Alexa Bloch, Gills beste und wohl einzige Freundin. Sie hat ihm einmal das Leben gerettet, weshalb Gill für sie durch die Hölle und wieder zurück gehen würde.

Eine Nummer zu groß?
Bei einem Treffen sprechen die Polizistin und der Detektiv über ihre aktuellen Fälle und beschließen, den Stand der Ermittlungen abzustimmen. Denn sie sind unabhängig voneinander offensichtlich einem international agierenden Netzwerk von Satanisten auf die Spur gekommen. Diese Abstimmung soll schließlich Alexas Leben retten. Denn sie verspricht sich beim Satanisten-Beauftragten der katholischen Kirche, mit dem sie sich zu einem privaten Abendessen verabredet hat, weitere Erkenntnisse. Bei diesem Treffen stellt sich jedoch heraus, dass ausgerechnet der Mann der Kirche der Kopf der Satanisten ist.

Er entführt Alexa und verschleppt sie auf eine Sklavenfarm, auf welcher ein liberianischer Warlord Frauen als Gebärmaschinen hält, um die Kinder an die Satanisten zu verkaufen. Doch es gelingt Gill, sich an die Spur zu heften, eine kleine Privatarmee aufzustellen, die Farm dem Erdboden gleichzumachen und die Freundin zu befreien. Auch der Kopf der Satanisten entkommt ihm nicht. Weil dem Detektiv der Tod für dieses Monster in Menschengestalt als zu human erscheint, verdammt er ihn zu einem Schicksal, das schlimmer scheint als die Hölle…

Einfach fesselnd
Stellenweise badet der Autor regelrecht in Klischees, die der Leser aus Groschenromanen der 1960er Jahre kennt. Etwa, wenn er den Bordellbetreiber Klaus beschreibt, genannt „Karibik-Klaus“, der Gill den Rücken mit Geld und logistischer Unterstützung freihält. Geht es um die Schilderungen der grauenhaften Taten, zieht er sich jedoch auf die Rolle eines objektiven und neutralen Berichterstatters zurück, sodass ekel- und grauenhafte Details erst im Kopf des Lesers entstehen.

Mein Fazit
Martin Compart gelingt es meisterhaft, die Bilder der einzelnen Szenen nicht nur zu beschreiben, sondern im Kopf des Lesers zu erzeugen. Die Lucifer-Connection macht neugierig auf mehr, ist aber kein Lesestoff für schwache Nerven.

Martin Compart, Die Lucifer-Connection
EVOLVER BOOKS, Wien 2011
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Die-Lucifer-Connection-9783950255843
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Zoё Angel und Charly Blood, Morbus Band 2 – Im Prater tanzt der Sensenmann

Quelle: www.evolver-books.at
Quelle: www.evolver-books.at

Wien ist anders…
Dass die Stadt an der Donau ein wenig anders ist, besagt schon ein Werbeslogan. Wie anders das Wien im Jahre 1984 wirklich ist, lernen der Privatdetektiv Bernd Waidmann und das Gruftie-Girl Petra Jesselmaier im Zuge ihrer Erlebnisse. Da gibt es das lebende Skelett Grimm, einen Teenager namens Sebastian, der über telekinetische Kräfte verfügt, eine lebende Puppe namens Maxi und noch viele weitere Gestalten, die eigentlich nur in den Sagen und Mythen der Stadt existieren sollten und doch mehr als real sind. Und dann wäre da noch Bernds Kontaktmann Harry, der irgendwie zwielichtig erscheint, denn er weiß mehr, als er anfangs zugibt, ist aber im Falle des Falles immer zur Stelle.

…und Clowns sind böse
Als Ergebnis des ersten Teils bekommen Petra und Bernd eine seltsame Einladung zum Stock-im-Eisen-Platz, der Petra auch nachkommt, Bernd jedoch nicht. Erwartet wird sie dort von Harry, der sich als Anführer einer Gruppe namens „Basilisk“ entpuppt. Deren Mitglieder kümmern sich bereits seit Jahrhunderten mit teilweise übersinnlichen Fähigkeiten darum, dass jene anderen Wesen, die die Stadt heimsuchen, entweder friedlich bleiben oder aber unschädlich gemacht werden. Diese Organisation will nun Petra, die selbst Visionen hat, und Bernd anwerben. Als Bernd nicht auftaucht, wird Petra vereidigt und die Organisation macht sich auf die Suche nach dem verschwundenen Fast-Mitglied.

Dabei entdeckt die Gruppe, dass Bernd in dem Fall eines Buben ermittelt hat, der im Wiener Prater verschwunden und nach ein paar Tagen wieder aufgetaucht ist. Merkwürdig: Ihn ergreift plötzlich Panik beim Anblick von Clowns. Das Ermittler-Team folgt den Spuren des Privatdetektivs, kommt ihnen dieses Vorgehen doch bekannt vor. Auf Petras Nachfrage wird ihr erklärt, dass solche Fälle schon mehrfach vorgekommen seien. Die Clowns kämen aus einer Parallel-Dimension und ernährten sich von den Emotionen der Kinder, die sie entführen und schlussendlich meist töten. Nun gilt es also neben Bernd auch den Clown zu finden.

Bernd jedoch hatte Glück. Er wurde zwar vom Clown angegriffen, jedoch von zwei Frauen im Prater entdeckt und gerettet. Sie nahmen ihn auf, pflegten ihn und stellten ihm Grimm, das lebende Skelett aus der Geisterbahn, vor. Grimm seinerseits hat Kontakte zu Basilisk, und als sein Freund Sebastian verschwindet, wendet er sich an die Organisation. Die Jagd ist eröffnet und kein böses Wesen entkommt den Fängen von Basilisk.

Mein Fazit
Die sehr morbide Handlung könnte nirgendwo anders spielen als in Wien, wo es durchaus möglich scheint, dem Donaufürsten, der Loreley oder anderen Mythen an der nächsten Straßenecke zu begegnen. Wer ohnehin schon Horror-Fan ist, wird begeistert in diesen Geschichten schwelgen, aber auch all jene, die einfach nur gruslige Unterhaltung mögen. Ich jedenfalls möchte jetzt auch alle anderen hefte lesen und eintauchen in das ganz andere Wien.

Zoё Angel und Charly Blood, Morbus Band 2 – Im Prater tanzt der Sensenmann
EVOLVER BOOKS, Wien 2013
Online bestellen: http://www.evolver-books.at/buchshop.php
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Diskussion: Preis der Leipziger Buchmesse für Literaturblogger

Dieser Beitrag richtet sich an alle Leser, besonders aber an Literaturblogger und Autoren.

In der Bloggerlounge der Leipziger Buchmesse 2015 hat Oliver Zille auf meine Frage, ob es denn auch bald einen Preis der Leipziger Buchmesse für Literaturblogger geben könne, geantwortet: „Wir haben das stark im Blick.“

Ich möchte diese Diskussion gern fördern und der Leipziger Buchmesse ein breites Meinungsbild von Betroffenen an die Hand geben. Mögt ihr mich unterstützen?

Ich frage euch:
Wann ist für euch ein Literaturblog preiswürdig?
Welche Kriterien sind für euch wichtig: Genre, Alter, Stil, Reichweite…?
Welche Blogs kommen gar nicht in Frage?
Wie sollte so ein Preis dotiert werden: mit Anerkennung oder mit Preisgeld?
Und wer sollte darüber entscheiden: Jury, Voting der Blogger…?

Ich habe schon viele Blogger und Autoren persönlich angeschrieben. Bitte sagt es auch weiter.

Vielen Dank für eure Mühe.

Lob für das Bloggerportal von Random House

logo_bloggerportalViele Buchblogger kennen es schon: Am 2. März hat die Verlagsgruppe Random House ihren Service bloggerportal.de vorgestellt. Buchblogger erhalten nach einmaliger Anmeldung Buchvorschläge, Materialien zum Buch und Rezensionsexemplare, nach Wahl auch E-Tickets für Reader. Für die Bewertung auf dem eigenen Blog stehen Zusatzmaterialen wie das Widget, Lese- und Hörproben, Buchtrailer und Cover zum Download bereit. Die Auswahl umfasst aktuell über 30.000 Titel, darunter mehr als 5.000 Hörbücher und 11.000 E-Books. Rezensionen können im Portal und auf randomhouse.de hochgeladen werden. Die Verlagsgruppe hat das Portal im eigenen Haus entwickelt „aufgrund der praktischen Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Buch-Bloggern“, so der Originalton des Hauses.

Auf meinem Blog stehen inzwischen über 100 Rezensionen. Da habe ich mich getraut und die Höchstzahl von zehn Rezensionsexemplaren angefordert. Unter der gequälten Freundlichkeit meiner Zustellerin kam nach zehn Tagen das letzte Buch an. Ich habe alle Exemplare auf meine Rezensenten verteilt und bin gespannt. In der Zwischenzeit lese ich die Rezensionen von Bloggerkollegen und informiere mich in den News des Portals über Gewinnspiele, Literaturpreise und Lesungstermine.

Fazit: Großes Lob für das Bloggerportal! Ich freue mich, dass Blogger immer mehr wahrgenommen und geachtet werden. Auch die Entwicklung bei den Verantwortlichen der Leipziger Buchmesse lässt auf weitere Fortschritte hoffen.

Rezension: Donna Tartt, Der Distelfink

Theo Decker erlebt als Kind den Supergau: Bei einem Bombenangriff auf ein New Yorker Museum kommt seine Mutter ums Leben. Er begleitet den tödlich verletzten Antiquitätenhändler Welton Blackwell bei dessen Sterbeprozess, anschließend gelingt es dem Jungen, aus dem zerstörten Gebäude zu gelangen. Dabei lässt er das Gemälde „Der Distelfink“, ein Werk des niederländischen Malers Carel Fabritius, mitgehen – eine Tat, die schicksalsträchtiger nicht sein könnte. Mit diesem umfangreichen Werk, das Theo Deckers bewegten Weg hin zum Erwachsenen erzählt, sorgt die US-amerikanische Autorin Donna Tartt dafür, dass ihre Leser regelrecht an den Seiten festkleben.

Quelle: www.randomhouse.de
Quelle: www.randomhouse.de

Ein Drama, ein Thriller…
Theos Eltern sind seit kurzer Zeit getrennt, der alkoholkranke Vater lebt mit seiner neuen Freundin in Las Vegas. Nach dem Tod der Mutter kommt Theo zunächst zu den reichen Barbours, der Familie seines Freundes Andy. Doch bald holt sein Vater ihn zu sich nach Arizona, wo Theo den gewitzten Ukrainer Boris kennenlernt, der zu seinem besten Freund und Gefährten bei diversen Drogenabenteuern wird. Nach dem Tod des Vaters zieht es Theo zurück nach New York. Hier lebt er bei Hobie, dem ehemaligen Geschäftspartner des verstorbenen Welton Blackwell. Theo lernt nicht nur die Kunst der Restauration, er sieht bei Hobie auch Pippa wieder, die Nichte von Blackwell. Sie war am Tag des Anschlags ebenfalls im Museum und wurde schwer verletzt. Pippa wird die Liebe seines Lebens – doch bleibt sie für Theo unerreichbar. Andys Tod, die glücklose Verlobung mit dessen Schwester, das immer tiefere Abdriften Theos in die Illegalität und der ewige Nervenkrieg um das gestohlene Gemäldes schaffen mehr und mehr Dramen. Als Leser bin ich zerrissen: Bemitleide ich den jungen Mann, der sich immer mehr in Lügen verstrickt, oder hoffe ich darauf, dass Theos Geheimnisse auffliegen und er eine gerechte Strafe erhält?

… und eine moderne Quest
Die einzelnen Stationen werden nicht nur durch Theo selbst, sondern auch durch das Gemälde zusammengehalten. In jeder Phase seines jungen Lebens liegt Theos gedanklicher Fokus auf dem Bild: War es Unrecht, es zu entwenden? Wie verwahrt er es am besten? Ist es an einem sicheren Ort? Und vor allen Dingen: Welche Möglichkeiten hat er, es zurückzugeben und straffrei auszugehen? Oder ist er bereit, für seine naive Tat ins Gefängnis zu gehen? Die philosophische Komponente hinter all diesen Fragen wird auf den finalen Seiten eingehend aufgegriffen. Wo man vielleicht einen klassischen Showdown erwarten würde, trifft der Leser auf einen gänzlich unerwarteten Schluss, der viele Fragen offen lässt und zumindest mir noch eine ganze Weile nachhing.

Mein Fazit
Ich habe schon lange nicht mehr ein derart mitreißendes Buch in meinen Händen gehabt: Donna Tartt schickt ihr Publikum auf eine Reise mit Tiefgang. Das durch ein Attentat aus seinen eigentlich sicher erscheinenden Fugen geratene Leben eines jungen Amerikaners wird in all seinen Facetten beleuchtet. Der mitreissende, dramatische und bisweilen auch verwirrende Anfang der Geschichte bringt Theo für den Rest des Buches in arge Schwierigkeiten – und das geich auf mehreren Ebenen. Donna Tartt schreibt eindringlich und bildhaft, man fühlt sich ihrem Protagonisten wirklich nah. Nach einem packenden Einstieg erwarten den Leser ab und an auch mal kleinere und tatsächlich quälende Durststrecken nach dem nächsten Wendepunkt. Doch sind diese auf ihre Art auch wieder faszinierend, da sie sich so real anfühlen. „Der Distelfink“ ist ein Buch, das so schnell nicht mehr loslässt, ein Buch mit „Wow!“-Effekt.

Donna Tartt, Der Distelfink
Goldmann Verlag, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Der-Distelfink-9783442312399
Mehr zur Autorin: http://www.randomhouse.de/Autor/Donna_Tartt/p59218.rhd
Autorin der Rezension: Kathrin Demuth

Begegnung mit Karen Köhler bei Lehmanns: „Ich arbeite wie ein Handwerker“

Lesung Karen Köhler Lehmanns 26. März 2015. Foto Detlef M. Plaisier (6)
Karen Köhler bei Lehmanns Media Leipzig. Foto: Detlef M. Plaisier

Um sieben Uhr morgens ist nicht ihre Zeit. Um acht auch nicht. Um halb neun vielleicht. Aber um zehn ganz sicher. Dann beginnt nach Tee und Mailcheck die produktive Zeit von Karen Köhler. Jetzt, da sie nicht mehr im weitläufigen Atelier zwischen Leinwänden, Stoffen und Illustrationen arbeitet, steht der Laptop auf einem winzigen IKEA-Klapptisch in der Küche. So etwa bis um zwei reicht die Energie, ein Überbleibsel aus der Theaterzeit. In den Erholungsphasen wird gesurft. „In der Schreibzeit bin ich aber zuverlässig wie ein Handwerker“, beschwichtigt Karen Köhler. Nächtliche Schreibepisoden gibt es nur, wenn eine Deadline naht.

50 Lesungen seit Erscheinen ihres Debuts „Wir haben Raketen geangelt“ zwingen zu endlosen Bahnfahrten. Auch die wollen genutzt werden. „Aber Prosa im Zug geht nicht“, hat Karen Köhler festgestellt. „Ich brauche Raum um mich und die Möglichkeit, mich zu konzentrieren. Aber Dramatisches und Reden klappen ganz gut.“ Immerhin entstanden auf Reisen Fragmente zu einer Auftragsproduktion für das Nationaltheater Weimar und zu einer Erzählung für den SWR, die auf der Leipziger Buchmesse Premiere hatte.

Karen Köhler lebt in Hamburg. Ja, in St. Pauli. Sie liebt die Offenheit des Hafens, die bunte Mischung zwischen Alten, die hier seit ihrer Geburt leben, jungen Kreativen und jungen Familien. Dass die Menschen hier, wie in ihren Geschichten, eher ein vielseitiger denn ein geradliniger Lebenslauf kennzeichnet, findet Karen Köhler ganz normal: „Wer hat denn heute noch eine straighte Karriere? Das betrifft doch höchstens alle, die erst nach 11/9 jung waren.“

Zwei Fragen kann Karen Köhler nur noch schwer ertragen: Ob denn das alles autobiografisch sei und wann denn als nächstes Buch komme. Ihr Verlag Hanser hat diese Frage bisher nicht gestellt. Man lässt sie einfach in Ruhe. „Cool“, sagt Karen Köhler. „Ich liebe mein Rudel.“ Und signiert mit entwaffnendem Lächeln das letzte von 40 Büchern mit einer schwungvollen Rakete.

Rezension: r.evolver, The Nazi Island Mystery

Der Autor r.evolver entführt den Leser in „The Nazi Island Mystery“ in ein Paralleluniversum, welches gegenüber der Gegenwart des Lesers 20 Minuten in der Zukunft liegt. In diesem Paralleluniversum wurde das Dritte Reich nicht von den Alliierten besiegt. Die Heldin Kay Blanchard, Agentin des britischen Geheimdienstes, muss ins Herz des Vierten Reiches eindringen, um das Verschwinden eines Wissenschaftlers aufzuklären. Garniert wird diese Pulp-Geschichte von plötzlich auftauchenden Ufos, die für intergalaktische Reisen werben, sowie von außerirdischen Kommunisten und Imperialisten, die ihren Kampf der Ideologien auf der Erde austragen.

Quelle: www.evolverbooks.com
Quelle: www.evolverbooks.com

Abgefahren

Kate Blanchard gelingt es in Wien, eine Spur aufzunehmen, die sie auf eine geheimnisvolle Insel im Mittelmeer führt. Dort betreiben die Nazis ein geheimes Forschungslabor, in dem genetische Experimente durchgeführt werden. Für ihre Ermittlungen tarnt sich Kate Blanchard als Wissenschaftlerin. Wenige Tage nach ihrem Eintreffen geraten die Experimente außer Kontrolle und menschenfressender, grüner Schleim übernimmt die Anlage. Schließlich gelingt es der Agentin, das Rätsel um den verschwundenen Wissenschaftler zu lösen. Jener hat nämlich seinen Tod lediglich inszeniert, weil er dem kindlichen Klon von Pol Pot das Schicksal ersparen wollte, als Anschauungsobjekt in einer nationalsozialistischen Freakshow zu enden.

Tempo, Tempo, Tempo

So durchgeknallt wie sich der Handlungsstrang liest, peitscht r.evolver den Leser durch die Handlung in „The Nazi Island Mystery“. Dieser Pulp-Roman war bereits in den 1990er Jahren als Fortsetzungsroman im Netzmagazin evolver erschienen, lange bevor literarische Größen wie Stephen King das Internet als neues Medium entdeckt hatten. In Buchform erschien der Roman zum zehnjährigen Jubiläum, nachdem sich die Verantwortlichen des Netzmagazins dazu entschlossen hatten, künftig auch einen „richtigen Verlag“ mit „richtigen Büchern“ zu betreiben. Im Zuge der Neuauflage wurden einzelne Passagen ausgeweitet und das Gesamtwerk insgesamt geschliffen.

Sex, Drugs & Rock´n´Roll sind die Elemente, auf denen r.evolver seine Geschichte aufbaut. Er bringt damit den Leser, zusammen mit den zahllosen wirren Details und irren Wendungen, an die Grenzen seiner Vorstellungskraft. Trotzdem gelingt es ihm, eine runde und in sich schlüssige Story zu präsentieren, zumindest wenn der Leser bereit ist, den abgesteckten Handlungsrahmen für die Dauer der Geschichte als solchen zu akzeptieren.

Mein Fazit

Pulp-Literatur wird vom literarischen Establishment gern als Schund abgetan. Wer sie dennoch mag, wird „The Nazi Island Mystery“ lieben. Dass ausgerechnet eine Fortsetzung des Nationalsozialismus den Hintergrund für eine unterhaltsam aufgebaute Geschichte bildet, ist sicher Geschmackssache, doch insgesamt hat der Autor seine wichtigste Aufgabe hervorragend gelöst: den Leser ein paar Stunden lang richtig gut zu unterhalten.

r.evolver, The Nazi Island Mystery
EVOLVER BOOKS, 2010
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/The-Nazi-Island-Mystery-9783950255805
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Ryan Bartelmay, Voran, voran, immer weiter voran

Amerikanischer Mittelwesten, 1950-1998: Über fast ein halbes Jahrhundert begleitet der Leser die Brüder Chic und Buddy Waldbeeser. Ihr Vater hat sich früh umgebracht, die Mutter ist mit einem neuen Mann nach Florida gegangen, aber sie beeinflussen immer noch das Leben der Brüder. Der Älteste, Buddy, geht fast am Selbstmord seines Vaters zugrunde. Ihm fehlt jemand, der seinem Leben eine Richtung gibt. Chic sehnt sich nach einem großen Bruder, zu dem er aufschauen kann, doch das kann Buddy nicht leisten. Die Sehnsucht nach Emotionen, nach Verbindung und Verlässlichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben der Brüder. Ihnen bei der Suche nach einem Ziel, einer Bestimmung und der Erfüllung des kindlichen Wunsches nach bedingungsloser Liebe zuzusehen, ist manchmal fast schmerzhaft.

Quelle: www.randomhouse.de
Quelle: www.randomhouse.de

Verzweifelte Suche nach Halt
„Sein Wunsch nach einer Verbindung zu einem Menschen oder einer Sache war so stark, dass er sich fühlte, als würde in seinem Inneren ein Mixer rotieren und ständig seine Sehnsucht umrühren“, so Chic im Jahre 1971. Während der knapp 50 Jahre passiert nicht wirklich viel, das Leben der vier Protagonisten plätschert so dahin, durchbrochen von einer Tragödie und aneinander gekettet durch ein Geheimnis. Resigniert fasst Chic mit gerade mal 40 Jahren seine bisherige Lebenserfahrung in einem Monolog zusammen: „Wenn Sie Glück haben, wird jemand Sie lieben. Diesen Menschen werden Sie enttäuschen. Der Mensch, der Sie liebt, wird Sie eines Tags vielleicht hassen, und Sie können nichts dagegen machen. Auch wenn Sie es versuchen. Und Sie werden es versuchen. (…) Das Schlimmste ist, dass Sie es nicht aufhalten können. Nichts davon. Das Leben hat seine eigene Dynamik. Voran, voran, immer weiter voran.“ Und das ist die Tragik: Nicht das Leben der Waldbeesers geht voran, sondern das Leben um sie herum, unerbittlich und rücksichtslos.

Voran. Zum neuen Anfang oder zum Ende.
In ständigen Sprüngen zwischen den Jahrzehnten verfolgt der Leser, wie Chic gnadenlos altert und wie er sich sein Leben im Jahr 1998 eingerichtet hat. So weiß der Leser bereits, wie es Chick im Alter ergehen wird, während er als Neunzehnjähriger frisch verheiratet sein Leben beginnt. An vielen Stellen des Buches möchte ich Chic an den Schultern nehmen und schütteln, ihm zurufen: „Siehst du nicht, was passiert?“. Ich werde zum ohnmächtigen Augenzeugen und weiß schon lange vor den Protagonisten, welche Auswirkungen ihre Handlungen (oder Handlungsunfähigkeiten) haben. Chic, Buddy und ihre Frauen sind wie Planeten, die – gefangen auf ihrer eigenen Umlaufbahn – unermüdlich umeinander kreisen. Manchmal kommen sie sich auf ihrer Reise sehr nahe, dann wieder sind sie Lichtjahre voneinander entfernt. Und jeder Versuch, aus ihrer Umlaufbahn auszubrechen, scheitert.

Mein Fazit
Voran, voran, immer weiter voran ist das Romandebüt des 39jährigen Ryan Bartelmay, der mit seiner Familie in Chicago lebt. Seine klare und schnörkellose Sprache kommentiert und seziert das Leben der beiden Brüder schonungslos und lakonisch. Der leise Humor, der an vielen Stellen hervorblitzt, bewahrt das Buch davor, depressiv oder frustrierend zu werden. Es bleibt stets ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass sich alles zum Besseren wenden könnte. Ryan Bartelmay schafft es durch seine Schreibweise allerdings immer wieder, dass diese Hoffnung schal schmeckt und dass der Humor zum Galgenhumor wird. Ich hatte gehofft, dass die Geschichte um Liebe und Verlust, Schuld und Versöhnung, Sprachlosigkeit und Resignation für alle Beteiligten ein gutes Ende haben wird – und wusste doch schon früh, dass ich nur ohnmächtiger Zuschauer sein würde.

Ryan Bartelmay, Voran, voran, immer weiter voran
Blessing Verlag, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Voran-voran-immer-weiter-voran-9783896675262
Autor: Dorothee Bluhm
www.wortparade.de