Leipzig liest polnische Literatur

LIPSK_filia_LOGO_140Im Rahmen der Leipziger Buchmesse 2015 präsentieren polnische und deutsche Schriftsteller Neuerscheinungen – und die haben nicht alle mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte zu tun.

Tadeusz Dąbrowski stellt seinen Lyrikband „Die Bäume spielen Wald“ vor. Piotr Paziński erzählt in seinem Roman „Die Pension“ über das jüdische Leben in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg. Witold Szabłowski berichtet in „Weil ich dich liebe, Schwester“ (polnischer Titel: Der Attentäter aus der Aprikosenstadt) in spannenden Reportagen über die Türkei. Kabarett-Star Steffen Möller bringt sein neues Buch „Viva Warszawa“ mit.

Die Veranstaltungen werden unter anderem getragen vom Polnischen Institut Leipzig, dem Polnischen Buchinstitut und dem Poniatowski Polski Bar & Restauracja.

2015-03-12 LITERATUR Steffen Möller - Viva Warszawa - Cover_120Donnerstag, 12.03.2015, 19:00, im Polnischen Institut, Markt 10
Viva Warszawa – Polen für Fortgeschrittene
Warschau: eine Stadt zum Niederknien
Show mit Steffen Möller

Donnerstag, 12.03.2015, 20:30, im Polnischen Institut, Markt 10
Weil ich dich liebe, Schwester – Der Attentäter aus der Aprikosenstadt
Lesung & Gespräch mit Witold Szabłowski
Moderation: Dr. Martin Pollack
(auch am Freitag, 13.03.2015, 13:00 in der Messehalle 4, Stand E505)

Freitag, 13.03.2015, 18:30, im Polnischen Institut, Markt 10
Zelle Nr. 18. Eine Geschichte von Mut und Freundschaft
Lesung mit Lars Skowronski und Simone Trieder

Freitag, 13.03.2015, 20:00, im Polnischen Institut, Markt 10
Die Pension. Lesung mit Piotr Paziński und dem Übersetzer Benjamin Voelkel
Moderation: Dr. Martin Pollack & Andreas Rostek
(auch am Samstag, 14.03.2015, 13:00 in der Messehalle 4, Stand E505)

Samstag, 14.03.2015, 15:00, im Polnischen Institut, Markt 10
Von Polen her. Europa denken
Buchvorstellung mit den Herausgebern Roland Hirte und Friedrich von Klinggräff sowie Katarzyna Wielga-Skolimowska und Basil Kerski
(auch am Samstag, 19:00, im Poniatowski Polski Bar & Restauracja, Kreuzstr. 15)

Samstag, 14.03.2015, 17:00, im Zeitgeschichtlichen Forum, Grimmaische Str. 6
22. Leipziger Europaforum: Droht ein neuer Kalter Krieg?
mit Piotr Buras, Dr. Andrew B. Denison, Dr. Marie Dumolin, Wolfgang Templin und Dr. Stefan Meister
Moderation: Prof. Dr. Eckart D. Stratenschulte

Samstag, 14.03.2015, 19:30, im Polnischen Institut, Markt 10
Die Bäume spielen Wald. Lesung mit Tadeusz Dąbrowski
Moderation: Dr. Hans-Christian Trepte (Universität Leipzig)

Samstag, 14.03.2015, 21:00, im Polnischen Institut, Markt 10
Leipzig liest Kraków – UNESCO City of Literature
Lesung und Gespräch über die Literaturstadt Kraków mit Dr. Martin Pollack

Sonntag, 15.o3.2015, 13:00, im Polnischen Institut, Markt 10
Gedenkorte in Berlin – Ein deutsch-polnischer Ausstellungsführer
Die Erinnerung an den Totalitarismus im öffentlichen Raum Berlins
Präsentation mit den Herausgeberinnen Maria Czaputowicz, Urszula Cyrynger und Emilia Jankiewicz
Moderation: Detlef W.Stein (Verleger)

20496_419979414786672_313083710_nSonntag, 15.03.2015, 19:00, im Poniatowski Polski Bar & Restauracja, Kreuzstr. 15
Deutsch-Polnischer Literatursalon
Der Verein Städtepartnerschaft Leipzig-Krakau eröffnet feierlich eine neue Bühne für die Deutsch-Polnische Freundschaft. Ein Transfer der besten Schriftwerke aus der UNESCO-Stadt der Literatur nach Leipzig. Mit Roman Israel, ehemal. Stipendiat der “Villa Decius” und der Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit in Kraków/Polen, Elia van Sciourovsky und Multitalent Jolanta Drywa.

www.verlagshaus-roemerweg.de
www.leipzig-krakau.de
www.romanisrael.de

Rezension: Karen Köhler, Wir haben Raketen geangelt

Karen Köhler wurde 1974 in Hamburg geboren. Sie arbeitet als Schauspielerin, Illustratorin, Performance-Künstlerin, Theaterautorin und Schriftstellerin. Für den vorliegenden Erzählband erhält die Autorin 2015 den Schubart-Literaturförderpreis der Stadt Aalen.

Emotion pur

Quelle: hanser-literaturverlage.de
Quelle: hanser-literaturverlage.de

Schon auf Seite 23 schossen mir die Tränen in die Augen, verwandelte sich das anfängliche Lachen über einen Satz des Rollstuhlfahrers („You will die for sure, Baby. We all will… My name ist Cesar, and I am happy to have met you before you died.“) in ein Weinen; derselbe Vorgang, den die Autorin zuvor schon bei ihrer krebskranken Protagonistin beschrieben hatte.

Und das haben wir: Geschichten von tiefer Weisheit, zum Weinen schön. Geschichten, bei denen sich ein Verlust im Nachhinein oft als Gewinn darstellt. Geschichten, die von überwältigender Menschlichkeit durchdrungen sind. Und bei denen ich mich frage: Wie kann ein so junger Mensch über die ewigen Grundthemen des Lebens, über Tod, Verlust, Vergänglichkeit und Liebe und über das, was trotz allem bleibt, so schreiben?

Hatte ich mich gerade eingerichtet in einer Geschichte, die so vor sich hinmäandert, da kam plötzlich und unerwartet der Punkt, da ich durch einen Satz wie die Raketen aus dem Titel hinauskatapultiert wurde aus der Normalität. Und das geschieht völlig en passant, ohne großes Aufhebens. Der Tod ist immer präsent. Und es sind die ganz einfachen Worte, die so sehr zu Herzen gehen. „Könntest du nicht sein wie Jesus und bald wieder auferstehen? An einem Freitag, ja, ich fänd das nur anständig.“ So schreibt Karen Köhler in der Erzählung, die dem Buch seinen Titel gab (S. 135).

Die stärkste Geschichte ist für mich gleich die erste im Band – „Il Comandante“, weil sie ohne jegliche Larmoyanz beschreibt, wie eine junge Frau mit ihrer Krebserkrankung umgeht. Diese Geschichte hätte Karen Köhler im letzten Jahr bei den „Tagen der deutschsprachigen Literatur“ in Klagenfurt lesen sollen. Da sie krankheitsbedingt verhindert war, wurde diese Geschichte am Klagenfurter Lendhafen gelesen und im Internet per Livestream übertragen. Der ergreifendste der neun Texte ist „Wild ist scheu“. Er erinnert mich an den Siegertext in Klagenfurt 2006 von Kathrin Passig „Sie befinden sich hier“, in der die einzelnen Stationen des Erfrierens beschrieben werden.

Ton und Form
Der Erzählton von Karen Köhler ist lakonisch; sie kommt mit wenigen Worten der Alltagssprache aus. Da ist nichts Gekünsteltes oder Affektiertes, sondern allein das Vertrauen auf die Stärke dessen, was zu erzählen ist. Und das ist einiges. Karen Köhler schreibt im Präsens in der Ich-Form, was es dem Leser ermöglicht, sehr nah an ihre Figuren heranzutreten, mit ihren Augen zu sehen, mit ihrem Herzen zu fühlen.

Mein Fazit
Diese neun Kurzgeschichten sind unbedingt empfehlenswert. Uneingeschränkt.

Am 26. März, 20:15 Uhr liest Karen Köhler bei Lehmanns Leipzig in der Grimmaischen Straße. Karten gibt es hier.

Karen Köhler, Wir haben Raketen geangelt
Carl Hanser Verlag, 2014
Link zur Autorin: http://www.karenkoehler.de/
Autorin der Rezension: Cornelia Lotter
www.autorin-cornelia-lotter.de

Das Trio zur Buchmesse: Schmecken. Lesen. Lauschen.

Buchmesse schmeckt – das sind auch in diesem Jahr im Vorfeld der Buchmesse 30 Minuten Lieblingslesekost von Leipziger Prominenten, serviert zur Mittagszeit mit zwei Suppen in der Moritzbastei. Ich freue mich auf Oliver Zille, Direktor der Leipziger Buchmesse (23. Februar), den Kabarettisten Meigl Hoffmann (24. Februar), Martin Hundertmark, Pfarrer an der Thomaskirche (26. Februar), OB Burkhard Jung (2. März), den städtischen Jubelbeauftragten Torsten Bonew (5. März) und Wirtschaftsbürgermeister Michael Faber (6. März).  Das komplette Programm kann hier angeklickt werden.

Die Leipziger Buchmesse ist ohne das Lesefestival Leipzig liest undenkbar. Über 3.000 Veranstaltungen mit mehr als 3.200 Mitwirkenden an 400 Veranstaltungsorten – das ist weltweit einmalig. Auf http://www.leipziger-buchmesse.de/ll steht das Programm online zur Verfügung. Die gedruckte Fassung wird voraussichtlich ab 2. März vorliegen. Meine persönlichen Empfehlungen habe ich hier zusammengestellt.

Leipzig lauschtLeipzig lauscht ist neu. Mehr als 50 Studierende der Buchwissenschaft an der Universität Leipzig haben den gleichnamigen Blog ins Leben gerufen, der seit dem 12. Februar online ist. Partner sind die Messe Leipzig und der Kreuzer. Seit Oktober letzten Jahres wurde an dem Konzept getüftelt. „Wir wollen Lesern helfen, bei der Vielfalt des Angebotes den Überblick zu behalten“, erläutert Mitinitiatorin Alisa Hoven. Dazu werden auf dem Blog Autoreninterviews und Porträts, Buchbesprechungen und Texte zu den Leseorten eingestellt. Während der Buchmesse werden die Studierenden zahlreiche Lesungen besuchen und auf dem Blog zeitnah darüber berichten. Auch Facebook und Twitter werden als Social Media Kanäle bespielt. Mein Tipp: Reinschauen unter www.leipziglauscht.de.

Rezension: Boris Pofalla, Low

Meine Buchhändlerin beklagt, dass mindestens die Hälfte der Käufer nach „Loof“ fragt. Richtig ist die englische Aussprache; low wie niedrig, unterer Level. Boris Pofalla wählt drei Buchstaben für das Lebensgefühl und die Ausstrahlung einer ganzen Generation. Leider strahlt diese Einschätzung auch auf den Stil des Buches aus.

Vordergründig beschreibt der Autor die Suche seines Protagonisten nach seinem spurlos verschwundenen Freund und Mitbewohner Moritz, auf einer eher unterschwelligen Erzählebene die eigene Suche nach dem Sinn seines Lebens. Diese Geschichte erzählt Pofalla lakonisch unaufgeregt, sodass sie auf manchen Leser langweilig wirken mag, zumal er seine Charaktere ohne besonderen Tiefgang zeichnet. Dass die Story eher vor sich hin plätschert als dass sie gezielt vorangetrieben wird, dürfte der Kunstkritiker und journalistische Autor aber durchaus bewusst als Stilelement eingesetzt haben.

Quelle: www.metrolit.de
Quelle: www.metrolit.de

Auf der Suche

Der Ich-Erzähler, dessen Namen der Leser nicht erfährt, verspürt ein Gefühl von Einsamkeit und Verlorenheit, als sein bester – und in Berlin wohl einziger – Freund Moritz plötzlich spurlos verschwunden ist. Er macht sich an den bekannten Plätzen und auf Partys auf die Suche. Dort trifft der Erzähler zahlreiche gemeinsame Bekannte, die zwar Mutmaßungen über Moritz Verbleib anstellen, aber nichts konkretes Wissen.

Eines Tages entdeckt sieht der Suchende plötzlich einen alten BMW am Straßenrand. Es ist das Auto von Moritz, für das er einen Zweitschlüssel besitzt. Er fährt ziellos durch die Stadt und erinnert sich dabei an einen gemeinsamen Ausflug an die Ostsee. Schließlich hält der Erzähler irgendwo im brandenburgischen Niemandsland, zündet das Auto an und trampt in die Stadt. Anschließend beginnt er damit, sein Leben zu ändern, schickt seine Exmatrikulation ab und schließt sich dem Freundeskreis eines aufstrebenden Künstlers an.

Die Leere der Stadt

Boris Pofalla beschreibt in Low das Gefühl, das vielen jungen Neu-Berlinern nicht unbekannt ist: Das vielfältige Angebot der Metropole macht es für sie unmöglich, mehr als nur flüchtige Bekanntschaften zu schließen, die sich genauso schnell wieder aus dem Leben verabschieden, wie sie gekommen sind. Die Akteure wollen sich den Normen des Alltags entziehen, feiern Partys und konsumieren Drogen. Das Marihuana der Eltern und Großeltern wird ersetzt durch Koks, Speed und andere unbekannte Substanzen. Die Partypeople sind nicht auf der Suche nach Frieden, Erlösung oder Erleuchtung, sondern nur nach der besten Location für das nächste Abfeiern. Ein höheres Ziel, sei es die Vision für eine bessere Welt oder ein persönlicher Zukunftstraum, fehlt den Akteuren jedoch komplett. Der Titel Low kann also als Anspielung auf die niedrige Erwartungshaltung der jungen Generation verstanden werden.

Mein Fazit

Boris Pofalla beobachtet und schildert präzise und kaschiert damit, dass in Low nicht wirklich etwas passiert. Handwerklich zählt Boris Pofalla zu den besseren jungen Autoren. Auch wenn Low kein herausragendes Werk ist, so hat Boris Pofalla doch eine gelungene Milieustudie einer Lost Generation im Großstadtdschungel vorgelegt; einer Generation, die nichts zu sagen hat.

Boris Pofalla, Low
Metrolit Verlag, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Low-9783849303655
Autor: Harry Pfliegl

Rezension: Jens Steiner, Carambole – ein Roman in zwölf Runden

Der Autor wurde 1975 in Zürich geboren und studierte Germanistik, Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaft. Der vorliegende Roman stand 2013 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises und erhielt ebenfalls 2013 den Schweizer Buchpreis.

Langeweile und Resignation
Jens Steiner schildert in Momentaufnahmen das Geschehen weniger Tage aus der Sicht mehrerer Personen einer Dorfgemeinschaft. Das erste Drittel des Buches atmet diese Ereignislosigkeit, die sich auch beim Lesen als Anflug von Langeweile bemerkbar macht, am deutlichsten. Minutiöse Schilderungen von ereignislosen Tagesabläufen, jeder beobachtet jeden, niemand findet einen Ausweg aus der Lethargie und seinem selbstverschuldeten Gefängnis – diese Monotonie überträgt sich auf den Leser, findet den Weg von den Buchseiten in das Hirn des Rezipienten und wird zu lähmender Langeweile. Die Unfähigkeit der Figuren, miteinander zu kommunizieren, könnte als ein durchgehender Topos bezeichnet werden. Manche Dialoge sind aberwitzig und völlig sinnfrei.

Quelle: www.doerlemann.com
Quelle: www.doerlemann.com

Die Figuren
Da sind drei pubertierende Jungen, die apathisch der bevorstehenden Sommerferien harren. In denen wieder nichts geschehen wird. Igor, der sich um seine, durch einen Schlaganfall der Sprache beraubten Mutter kümmern muss, Manu, der die Leidenschaft seiner Mutter für die Züchtung von Orchideenmantiden, einer Heuschreckenart, teilt und Fred, der für die unerreichbare Renate schwärmt.

Da sind Ehepaare, die einander nichts mehr zu sagen haben. Männer, die sich einmal wöchentlich zum Heulen in ihren Schuppen zurückziehen oder Gruben im Garten ausheben, deren Sinn sich weder ihnen selbst noch dem Leser erschließt. Ein Vater, der nicht verhindern kann, dass seine Frau mit dem siebenjährigen Sohn einfach wegzieht.

Da ist eine Mutter, die nicht mehr an ihre pubertierende Tochter herankommt. Die wiederum spukt in den heimlichen Träume von drei Schulbuben. Einer von ihnen wird bei einer Flucht Ohrenzeuge der Vergewaltigung der Angebeteten, kann das Geschehen aber nicht einordnen, weil er schlicht unerfahren ist.

Da sind zwei Brüder, die nicht mehr miteinander reden, die ihre Eltern durch einen Verkehrsunfall verloren haben und deren Onkel mit ihrer Schwester und dem Erbe auf und davon ist.

Und da ist der Geschichtenerzähler Schorsch, von dem niemand so recht weiß, woher er gekommen ist und den niemand aus dem Dorf ernst nimmt. Schorsch, der von sich selbst sagt: „Ich war schon damals längst der Normalität abhandengekommen.“ Über das Dorf sagt Schorsch, und das klingt wie eine Zusammenfassung der erzählten Geschichten: „Dies ist kein Dorf. Sondern eine Prärie….Wir sind alle längst schon weg. Uns gibt es gar nicht mehr.“

Eigentlich alles ganz besondere und tragische Schicksale, die Jens Steiner jedoch quasi nebenbei erwähnt und denen er mit seiner Art, sie zu behandeln, nicht gestattet, Spannung aufkommen zu lassen. Auch das ist eine Kunst. Eine, die ich nicht mag.

Am besten gelungen waren für mich die Szenen, die aus der Sicht einer der drei Jungen erzählt wurden. Da hat der Autor mit viel Einfühlungsvermögen und poetischer Sprache die Unsicherheit und Zerrissenheit in der Pubertät wunderbar nahebringen können. Aus dieser Perspektive hätte ich gern einen ganzen Roman gelesen.

Form und Sprache
Manche Kapitel erinnern eher an Miniaturen als an Teile eines Romans. Einige Geschichten sind dabei durch die handelnden Personen untereinander verbunden. Die Perspektive der zwölf „Runden“ wechselt zwischen dem Ich-Erzähler und der dritten Person. Die einzelnen Abschnitte fügen sich für mich nicht zu einem Ganzen zusammen. Es sind lediglich Augenblicksbeschreibungen erstarrter oder gescheiterter Lebensentwürfe ohne Ausweg, ohne Rettung. Als ich bereit war, einer der Figuren zu folgen, stand dort bereits die nächste Schachfigur. So bleibt durch den abrupten Wechsel nur kühle Distanz.

Die Sprache von Jens Steiner ist bildhaft, poetisch und direkt. Manchmal schießt er mit seinen Bildern übers Ziel hinaus und wird unfreiwillig komisch. „Wütend warf die Sonne ihr Licht von sich, und das Dorf ließ einzelne Geräusche hören, spitz wie ein Fingerknacken…“ (S. 78)

Mein Fazit
So war für mich das Leseerlebnis ambivalent. Teilweise langatmige detailreiche Zustandsbeschreibungen behinderten oft die Lust am Weiterlesen. Den großen Bogen, in dem alle Personen zu einem Ganzen zusammengefügt werden, konnte ich nicht erkennen. Zu einer eindeutigen Empfehlung des Buches von Jens Steiner kann ich mich deshalb nicht durchringen. Wer gern literarische Experimente begleitet, dem wird dieser Roman sicher gefallen.

Jens Steiner, Carambole
Dörlemann Verlag AG Zürich, 2013
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Carambole-9783908777922
Autorin: Cornelia Lotter
www.autorin-cornelia-lotter.de

Rezension: Lutz Schebesta, Pappnase

Für mich als jecke Rheinländerin gibt es nichts Schöneres als die „fünfte Jahreszeit“, den Karneval am Rhein. Max, der Protagonist des Buches „Pappnase“ von Lutz Schebesta, sieht das leider ganz anders. Max hasst Karneval. Verkleiden findet er ja noch okay, aber ansonsten fallen ihm zu den jecken Tagen nur Begriffe ein wie „saufen, kotzen, anbaggern, schlechte Luft, schlechte Witze und schlechte Musik“. Seine Kölner Freunde können das allerdings, genau wie ich, so gar nicht verstehen und versuchen, Max mit allen Mitteln vom Karneval zu überzeugen. Das finde ich als Leserin ganz lustig, denn solche Diskussionen habe ich auch schon oft mit „Nicht-Jecken“ geführt – wortwörtlich.

Quelle: www.lutzschebesta.de
Quelle: www.lutzschebesta.de

Einmal Prinz zu sein…
Dieser Traum steht also definitiv nicht ganz oben auf der Wunschliste von Max. Und doch muss er sich auf einmal ganz schnell damit befassen. Der Grund: Sein Onkel ist gestorben und hat ihm eine Millionen Euro hinterlassen – allerdings nur, wenn Max es schafft, Karnevalsprinz in Köln zu werden. Wer weiß, dass die Kölner ihren Karneval und damit auch ihren Prinzen sehr ernst nehmen, der weiß auch, dass dies geradezu ein hoffnungsloses Unterfangen ist – eigentlich. Max hat allerdings nicht mit seinen Freunden gerechnet, die, nicht ganz uneigennützig, alles daran setzen, dass Max die Million bekommt. Als Max auf einer Karnevalsveranstaltung das Funkenmariechen Anne kennenlernt, findet er die Vorstellung auf einmal auch gar nicht mehr so schrecklich. Schließlich gibt sich Anne nur jemandem hin, der dem Karneval ebenfalls verfallen ist.

Zu sehr konstruiert
Es könnte also eine ganz witzige Geschichte sein, genau passend als Lektüre auf dem Weg zur nächsten Karnevalsparty – wenn, ja wenn Lutz Schebesta am Schluss nicht allzu sehr in die Trickkiste griffe, um die Geschichte zum Ende zu bringen. Schließlich soll es ja eine happy ending story sein. Gut, dagegen habe ich grundsätzlich nichts. Dass sich der Vater des Funkenmariechens Anne dann als Vorsitzender des Karnevalsvereins entpuppt und im Vorstand den Weg frei macht für einen „Prinz Max“, das ist mir doch ein bisschen zu dick aufgetragen. So wirkt der Schluss des Buches sehr konstruiert und der Text endet mit einer leisen Enttäuschung bei mir als Leserin. Ich hatte mir mehr von diesem Thema versprochen.

Eingeschränkt empfehlenswert
Für Karnevalsjecken ist das Buch, trotz seines kostruierten Schlusses, eine gute Lektüre zur Einstimmung auf die kommende Session. Mit rund 200 Seiten ist es zudem nicht zu dick und lässt sich leicht lesen. So manche Situation im Buch hat mich zum Schmunzeln und zu heftigem Kopfnicken gereizt. Für Karnevalsignoranten ist das Buch nicht zu empfehlen. Die sollten – gerade in den tollen Tagen – zu einer anderen Lektüre greifen.

Lutz Schebesta, Pappnase
CreateSpace Independent Publishing Platform, 2015
Link zum Autor: http://www.lutzschebesta.de/
Autorin: Yvonne Giebels

Rezension: Carlos Maria Dominguez, Das Papierhaus

Der Autor wurde 1955 in Buenos Aires geboren und gilt als einer der schillerndsten Autoren Lateinamerikas. Dominguez lebt in Montevideo, wo er als Journalist, Kritiker und Schriftsteller arbeitet.

Quelle: www.suhrkamp.de
Quelle: www.suhrkamp.de

Inhalt
Beim Überqueren einer Straße ist die junge Literaturdozentin Bluma Lennon in einen Gedichtband von Emily Dickinson vertieft. Sie wird von einem Auto erfasst und ist sofort tot. Ein junger Kollege, der Ich-Erzähler der Geschichte, mit dem die Tote eine kurze Liaison hatte, erhält ein zementverschmiertes Buch, das eigentlich an Bluma adressiert war. Es ist „Schattenlinie “ von Joseph Conrad. Der Ich-Erzähler, ebenso ein bibliophiler Sammler wie andere Personen in der Geschichte, versucht nun, dem Geheimnis dieses Buches auf den Grund zu gehen.

Sprache und Stil
Wie man bei einer Erzählung dieses Themas erwartet, beherrscht der Autor eine artifizielle, mit Anspielungen und Zitaten durchsetzte Sprache. Teilweise hat die Erwähnung der verschiedenen Dichter und deren Werken etwas von Namedropping. Hieraus wird wohl nur der fachspezifisch studierte und in der Literatur aller Länder beheimatete Leser einen Lustgewinn ziehen.

Mein Eindruck
Es war teilweise lehrreich und stellenweise auch amüsant, vom unterschiedlichen Umgang der Buchliebhaber-Typen mit Büchern zu lesen. So lässt der Autor zum Beispiel Brauer, die Hauptfigur der Erzählung, als Begründung für seine Angewohnheit, Notizen im Buch anzubringen, sagen: „Ich vögele mit jedem Buch, keine Markierung bedeutet für mich kein Orgasmus“ (S. 41). An anderer Stelle macht Dominguez klar, wozu Bücher für ihn dienen: „Denn Papier war und blieb… ein organischer Abfall, der am Ende mit einem leisen, vernichtenden Krachen wie die Kiefern an der Straße vom Schlund des großen Meeres verschluckt wurde.“

Fazit
Ein Buch, bei dessen Lektüre sich mir der Verdacht aufdrängte, dass es in erster Linie dazu dienen soll, dem Leser die Gelehrtheit des Autors vor Augen zu führen. Denn außer der – zugegeben originellen – Tatsache, dass ein verrückt gewordener Büchernarr ein Haus statt aus Ziegeln aus Büchern bauen lässt und einiger Anekdoten über den verheerenden Einfluss von Büchern vermochte mir die Erzählung keinen Zugewinn zu verschaffen. Das Büchlein liest sich schnell und flüssig, doch am Ende bleibt eine unterschwellige Unzufriedenheit. Deshalb von mir nur eine bedingte Leseempfehlung. Die gilt insbesondere für Menschen, die sich sehr gut mit der Weltliteratur auskennen.

Carlos Maria Dominguez, Das Papierhaus
Insel Verlag, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Das-Papierhaus-9783458176152
Autorin: Cornelia Lotter
www.autorin-cornelia-lotter.de

Rezension: Andreas Hock, Bin ich denn der Einzigste hier wo Deutsch kann?

Ist es eine kurze Geschichte der deutschen Sprache? Ist es eine Abhandlung, warum die Sprache im Wandel ist oder zwangsläufig sein muss, um den Anschluss an die Moderne nicht zu verlieren? Oder ist es eine Generalabrechnung mit dem Deutschunterricht, der Schülern mit Tonnen von Arbeitsblättern die Lust und Leidenschaft für ihre Muttersprache nimmt, bevor sie diese überhaupt entwickeln können? Bei „Bin ich denn der Einzigste hier, wo Deutsch kann“ handelt es sich wohl um eine Art Experiment, eine gelungene Mischung aus allem.

Quelle: www.m-vg.de
Quelle: www.m-vg.de

Darum geht es in „Bin ich denn der Einzige hier, wo deutsch kann?“
Der Autor erteilt allen Kulturpessimisten, die den Niedergang der Sprache und den damit einher gehenden Untergang des Abendlandes vermutlich schon seit den Zeiten der Weimarer Klassik beklagen, eine klare Absage. Er schildert in 40 anschaulichen Kapiteln die Entwicklung der Sprache von der fruchtbringenden Gesellschaft bis in die jüngste Vergangenheit. Dabei konzentriert er sich im Wesentlichen auf zwei Aspekte, nämlich die Versuche, die deutsche Sprache in ein Regelwerk zu bringen und die Einflüsse aus anderen Sprachen. Handelte es sich dabei bis ins ausgehende 19. Jahrhundert hinein um das Französische, beeinflussten im 20. Jahrhundert Englisch, in späteren Jahrzehnten auch Russisch und Türkisch die deutsche Sprache.

Dem Leser wird schnell klar: Der gelernte Journalist, Autor und Ghostwriter Andreas Hock beschäftigt sich tiefgreifend mit Sprache und schöpft aus fundiertem Hintergrundwissen. Selbiges präsentiert er in einem locker-flockigen, mit einem humoristischen Unterton versehenen Plauderton, gespickt mit bitterbösen Pointen. Dabei braucht der einstige Parteisprecher und Chefredakteur in seinen besten Passagen den Vergleich mit den Größen des bitterbösen Humors gewiss nicht zu scheuen. Nicht umsonst steuerte der Literaturpapst Hellmuth Karasek ein begeistertes Vorwort bei. Abgerundet wird „Bin ich denn der Einzigste hier, der wo Deutsch kann“ von einer Liste an nicht mehr verwendeten Worten und schlägt vor, wie sie sich in die aktuelle Jugendsprache einfügen ließen.

Was schade ist
Andreas Hock gelingt es, eine kurze und knackige Geschichte der deutschen Sprache witzig zu erzählen. Er streut reichlich Kritik an linguistischen Lachnummern wie dem Bahn-Sprech, dem Kevinismus, dem Abkürzungswahnsinn oder der Rechtschreibreform, die nach seiner Meinung eher für eine babylonische Verwirrung als für mehr Klarheit gesorgt hat. Auch der herkömmliche Deutschunterricht, der für viele Schüler mit zu den langweiligsten Fächern überhaupt gehört, kommt nicht ungeschoren davon. Was mir fehlt: Ein ausführliches Gedankenspiel des Autors, wie er denn den Unterricht aufbauen würde, um die Schüler mit seiner offensichtlichen Leidenschaft für die Sprache anzustecken, würde das Buch gelungen abrunden. Zumindest lässt Hock entsprechende Ideen ansatzweise durchblicken. Statt Klassikern wie „Iphigenie auf Tauris“ würde er beispielsweise lieber Karl May oder Disney-Comics in den Übersetzungen von Erika Fuchs in den Lehrplan integrieren. Gute Idee!

Mein Fazit
„Bin ich denn der Einzigste hier, wo Deutsch kann“ ist ein rundum gelungener Streifzug durch die deutsche Sprache und regt zum Nachdenken über den eigenen – oft allzu flapsigen – Umgang mit Sprache an. Wer bissigen Humor mit Niveau mag, wird an dem Buch seinen Spaß haben.

Andreas Hock, Bin ich denn der Einzigste hier wo Deutsch kann
Riva Verlag, 2014
Link zum Autor: http://www.andreas-hock.de/neues.html
Online hier bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Bin-ich-denn-der-Einzigste-hier-wo-Deuts-9783868834437
Autor: Harry Pfliegl

Rezension: Simone Lappert, Wurfschatten

„Wurfschatten“ ist der Erstlingsroman der Schweizerin Simone Lappert, in dem die Heldin Adamine, die verständlicherweise lieber Ada genannt werden will, mit ihren Ängsten kämpft. Dabei beobachtet sie die Wurfschatten der Passanten, die unter dem Fenster ihrer Wohnung vorbei ziehen.

Quelle: www.metrolit.de
Quelle: www.metrolit.de

Die Angst vor der Angst
Wovor die 25-jährige Ada wirklich Angst hat, findet der Leser nicht heraus. Zwar gibt es in ihrer Wohnung eine Angst-Tapete im von ihr so genannten Therapiezimmer, auf der alle Dinge von A wie Attentat bis Z wie Zyste abgebildet sind, und doch, die eigentlichen Angstauslöser sind nicht dabei. Vielmehr bekommt man als Leser den Eindruck, es ist Adas Angst vor der Angst, die sie lähmt. Vielleicht ist es aber auch nur eine bequeme Ausrede, die Ada benutzt, um von ihren eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken. Ada hat sich dafür nur leider die falsche Generalentschuldigung ausgesucht, in die sie sich hineinsteigert – diese macht sich nämlich selbstständig, und überfällt Ada immer dann, wenn sie es am wenigsten gebrauchen kann. Mit feiner Sprache zeichnet Simone Lappert Adas Angstanfälle, die selten echte Panikattacken sind, und sie doch am Leben hindern. Dabei gibt die Autorin den Situationen meist noch einen komischen Anstrich, der verhindert, dass ihre Hauptfigur mitleidheischend und überdreht wirkt.

Meistens kommt es anders
Frischer Wind kommt in Adas Leben, als ihr Vermieter, dem sie mehrere Monatsmieten schuldet, sie aus Mitgefühl nicht auf die Straße setzt, sondern stattdessen seinen Enkel Juri bei ihr einquartiert. Obwohl Ada dies nie zugeben würde, tut ihr der andere Mensch in der Wohnung gut. Sie stellt ihre Ängste zurück und konzentriert sich nun darauf, den Mitbewohner hinauszuekeln. Daraus entwickelt sich eine Freundschaft, und es droht sich sogar eine zaghafte Liebesgeschichte anzubahnen. Droht, weil Ada das um jeden Preis verhindern will, denn sie findet, Liebe ist nur dazu da, um in Schmerz zu enden und damit ein Grund, Angst zu haben. Dennoch, durch Juri kommt Ada zu einer veränderten Sicht der Welt, die Ängste werden immer häufiger zurückgedrängt und es zeigt sich ein Ausweg aus ihrer lähmenden Situation.

Mein Fazit
Ein bisschen Ada steckt irgendwo in jedem von uns. Jeder steckt einmal in einer vermeintlichen Sackgasse. Die Beschreibung der Angstanfälle lässt Spielraum für Phantasie und wirkt bisweilen komisch, ist allerdings nicht so gestaltet, dass sich Menschen mit Panikattacken ins Lächerliche gezogen fühlen. Beim Lesen fällt Mitgefühl mit Ada leicht und gleichzeitig möchte ich ihr gerne einen Schubs geben: Na los, Mädchen, ändere doch endlich etwas! Teilweise beschleicht mich der Eindruck, dass sich Ada sogar gefällt in ihrem Leben, dass sie gar nichts ändern will, und dass sie nur der Druck von außen dazu zwingt – noch etwas, das sie mit fast allen Menschen gemein hat.

Mit „Wurfschatten“ ist es Simone Lappert gelungen, ein tragikomisches Bild zu zeichnen, dessen Lektüre für all jene zu empfehlen ist, die sich selbst nicht immer ganz ernst nehmen und mit Humor auf jene Schwellen im Leben zurückblicken, an denen sie nicht mehr Kind, aber auch noch nicht erwachsen waren.

Simone Lappert, Wurfschatten
Metrolit Verlag, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Wurfschatten-9783849300951
Autor: Harry Pfliegl