Frankfurter Buchmesse: Wie wirklich ist Literatur? Das Guerillakonzept von iWright und seine Folgen

Rezensieren ist so einfach: Lesen. Wirken lassen. Strukturieren und schreiben. Bis jemand kommt, der diesen Ablauf in Frage stellt, der mich gar zweifeln lässt, in welcher Realität ich mich befinde, ähnlich wie auf einem Holodeck. Geschafft hat dies auf der Frankfurter Buchmesse der Autor Marc Buhl. Dabei sind Titel und Story seines Buches zunächst Nebensache.

Marc Buhl liest. Foto: Detlef M. Plaisier
Marc Buhl liest. Foto: Detlef M. Plaisier

Eines ist sicher: Der Autor ist real, sitzt in Fleisch und Blut vor mir. Und auch seine angeblich bisher veröffentlichten fünf Romane, davon die letzten vier bei Eichborn, sind nachprüfbar. Für Kenner: Ich fand „Das Billardzimmer“ sehr lesenswert, auch wenn die FAZ-Kritik den Text nahe politischem Kitsch ansiedelte. Nun promotet Marc Buhl seinen Thriller „Die Auslöschung der Mary Shelley“ und hinterlässt Verwirrung. Nicht wegen des Textes, der existiert tatsächlich und ist nach Appetithappen aus den drei ersten Kapiteln auch handwerklich anständig gestrickt. Und genau da liegt der Stolperstein: Wer hat ihn geschrieben? Ins Spiel kommt eine Schreibsoftware namens iWright. Marc Buhl und sein Verleger Uwe Wilhelm vom  Berliner eBook-Startup Blink Books deuten an, die Story rund um die bekannte Frankenstein-Geschichte, angesiedelt in der Gegenwart mit NSA, dem Monster Victor und reichlich Blut, könnte maschinell erstellt worden sein. Könnte. Es bleibt der Mantel des Geheimnisses.

Anonymus? Foto Detlef M. Plaisier
Anonymus? Foto Detlef M. Plaisier

Nun gut, dann schreiben jetzt eben auch Computer schon Bücher. War ja irgendwie zu erwarten. Soll ich mich darüber aufregen? Andere tun es. Im Netz bricht ein Sturm der Entrüstung los ob des Geschäftsmodells von iWright: Aushebelung des Urheberrechts und Anstiftung zu Straftaten stehen im Raum, selbst der Tod von Literatur, Autoren und Büchern wird vorhergesagt. Eine „Sektion Buchmesse Frankfurt“ von Anonymus protestiert mit Flugblättern vor dem Stand und verfolgt Marc Buhl in den Frankfurter Straßen, so ein Facebook-Posting. Ich lese nach, wie einfach iWright Autoren zu potentiellem Erfolg verhelfen will, und stimme zu: Empörend. Ich lasse mich vereinnahmen.

Dann kommt der Virenschleuderpreis. Ich will nachlesen, wer es von der Shortlist aufs Treppchen geschafft hat. Ach, da taucht ja unter den Nominierten der Kategorie „Ansteckendste Idee“ auch iWright auf. Ganz hinten zwar, auf Platz 29 von 30 mit nur drei Stimmen, aber warum? 15 Minuten Recherche, und es ist klar:  Ich bin der Trottel. Ich bin einem genialen Konzept von Guerilla-Marketing voll auf den Leim gegangen. Glückwunsch.

Coup gelungen! Foto Detlef M. Plaisier
Coup gelungen! Foto Detlef M. Plaisier

Das Zauberwort ist „Transmedia Storytelling“. Heißt: Die Story wird über den Roman selber hinaus weiter erzählt, bevorzugt auf Social Media Kanälen wie Instagram, Twitter, WhatsApp, YouTube und anderen, auf denen junge Leser abgeholt werden können. „Hierzu benutzen wir Fake-Accounts, erfinden Figuren, Firmen und Konflikte, die im Roman angelegt sind…“. Die vermeintlich empörten Verteidiger des Urheberrechts sind genauso Teil der Guerilla-Kampagne wie iWright selbst und die Anonymus-Aktivistinnen. Auch das „Aktionsbündnis Stop iWright“ wird von Blink Books lanciert (erkennbar an den übereinstimmenden Adressen im Impressum).

„Im Zentrum steht immer die Geschichte“, betont Uwe Wilhelm.  „Unser Konzept bringt den second und third Screen in die Literatur. Es entsteht ein interaktiver Livingroom, den jeder nach seinen Vorlieben nutzen kann. “  Blink Books kündigt sechs bis acht Publikationen pro Jahr an. „Auf keinen Fall“, so Uwe Wilhelm, „wollen wir Self Publisher-Autoren unter unserem Dach sammeln.“ Mit Marc Buhl habe man einen Autor gefunden, der das Konzept unterstützt und mit entwickelt.

Cleverle: Uwe Wilhelm. Foto Detlef M. Plaisier
Cleverle: Uwe Wilhelm. Foto Detlef M. Plaisier

Wir werden Mary Shelley und Victor also sehr bald nach der Buchmesse im Netz begegnen, wo sie die Geschichte von NSA und Quantencomputer weiter erzählen und auf den dritten Band neugierig machen. Als nächste Veröffentlichungen bei Blink Books sind „Jimmy & Aladina“ von Ralph Caspers (voraussichtlich im Dezember 2014) und „Svynx“ als Coproduktion von Gerlinde Unverzagt und Uwe Wilhelm (Februar 2015) angekündigt.

Ich bin jetzt ein Stück erleichtert. Morgen schreibe ich an iWright und frage an, ob meine Familienbiographie dort umgesetzt werden kann. 50 Euro für die Basisversion mit bis zu drei Rewrites ist doch ein faires Angebot…

Was bleibt: Begegnungen auf der Frankfurter Buchmesse

Was von einer Buchmesse bleibt, sind nur selten Bücher und Präsentationen von Verlagen. Immer erzählenswert sind die Begegnungen mit Menschen: Autoren, Verleger, Besucher. In Frankfurt schien mir dies entspannter und leichter als in Leipzig. Ich traf Horst Lichter und Roger Willemsen, MC Fitti und Tim Mälzer.

Roger Willemsen auf der #fbm14. Foto Detlef M. Plaisier
Roger Willemsen auf der #fbm14. Foto Detlef M. Plaisier

Die schönste Begegnung hat Roger Willemsen in wunderbar poetischen Worten formuliert:

„Ein Mann kommt heran, ich erkenne ihn, wir sehen uns immer nur hier. Wieder öffnet er seinen Rucksack, entnimmt ihm eine in Pappe eingepackte Engadiner Nusstorte und geht schweigend davon. Er macht das seit Jahren. Er fordert nichts. Er erklärt sich nicht. Ich esse seine Torte seit Jahren, dankbar, auch für sein Schweigen.“

Frankfurter Buchmesse: „Iron Buchblogger“ spenden 400 Euro an „Reporter ohne Grenzen“

Die beiden Initiatoren auf der #fbm14. Foto Detlef M. Plaisier
Die beiden Initiatoren auf der #fbm14. Foto Detlef M. Plaisier

„Iron Buchblogger“ – das ist nichts Martialisches oder gar lebensgefährlich. Im August 2013 setzten die beiden Buchaktivisten Charlotte Reimann und Leander Wattig die Idee um, „eiserne“ Buchblogger miteinander zu vernetzen. Vorlage war das Konzept der Ironblogger, das allerdings mehr auf feuchtfröhlichen Grundfesten ruht…

Inzwischen nutzen über 180 Literaturbegeisterte aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Kalifornien das Angebot. Sie werden in ein Blogverzeichnis aufgenommen, binden das Logo auf ihrem Blog ein und treffen sich zu den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt. Weiterer Vorteil: Player am Buchmarkt erhalten so schnell einen Überblick über aktive Buchblogger und können bei Bedarf direkt zugreifen, etwa bei Rezensionsanfragen. Ich bin seit April 2014 dabei.

Die Iron Buchblogger auf der #fbm14. Foto Detlef M. Plaisier
Die Iron Buchblogger freuen sich über die tolle Spende. Foto Detlef M. Plaisier

Die wenigen Regeln für die Iron Buchblogger sind einfach: Jeder schreibt mindestens einen Blogpost pro Woche. Wer das versäumt, zahlt einen Euro in eine gemeinsame Kasse. Zu den Buchmessen wird die Kasse dann auf den Kopf gehauen – nicht so in diesem Jahr: Zur Frankfurter Buchmesse ergab der Kassensturz 200 Euro. Der Betrag wurde nicht schnöde verfeiert, sondern an „Reporter ohne Grenzen“ gespendet. Die Frankfurter Buchmesse verdoppelte den Betrag, so dass 400 Euro weitergegeben werden konnten.

Vielen Dank an die Frankfurter Buchmesse für diese großzügige Geste und die Unterstützung bei der Organisation! Die Zeit bis zur Leipziger Buchmesse 2015 ist verdammt lang. Leander Wattig kündigte an, sich um ein Barcamp-Wochenende für die Iron Buchblogger in Berlin zu bemühen. Bis dahin: Stay strong – keep on reading and blogging!

Rezensionsreihe Finnland zur Frankfurter Buchmesse 2014, Teil 3: Philip Teir, Winterkrieg. Oder: Mittelstand ist Abgebrannt.

Hieno! Das ist Finnisch für in etwa: „Wunderbar“. Und damit will ich gleich mal den besten ersten Satz eines Buches feiern, den ich seit langem gelesen haben: „Den Hamster der Enkelkinder einzufrieren war der erste Fehler, den Max und Katriina in diesem Winter begangen hatten – weitere sollten folgen.“

Quelle: www.randomhouse.de

In diesem Sinne: Willkommen im Winterkrieg! Ein Wort, welches für das finnische Selbstverständnis bis heute einen zentralen Topos darstellt (als Kampf der Finnen gegen die Sowjets 1939 bis 1940 mit Beginn der fatalen Annäherung an Nazi-Deutschland). Auf metaphorischer Ebene wird der Begriff nun zum programmatischen Titel des neuen Romans von Philip Teir. Geboren 1980 in Pietarsaari, studierter Philosoph, praktizierender Journalist und derzeit als einer der bedeutendsten Nachwuchsautoren Finnlands gehandelt. Sein Anspruch ist freilich, dieses Lob deutlich über die Grenzen Skandinaviens hinaus zu rechtfertigen.

Gibt es paneuropäischen Mittelstand? Klar doch, sagt Phillip Teir. Denn er hat ihn ausgesprochen gut beobachtet und beschrieben. Sein Protagonist Max ist Soziologieprofessor und steht kurz vor seinem 60. Geburtstag. Eine unangenehme Aussicht, in jeder Hinsicht. Seine Frau Katriina ist zwar Mutter der gemeinsamen Töchter Helen und Eva, doch weder Gespräche noch Sex führen mittlerweile zu beidseitigem Vergnügen. Diese zwischen beiden schmerzhaft klar gezeichneten Stille oder auch der quälende „Alles-Vorbei- bzw. Was-wäre-wenn-Modus“ wird von Philip Teir für mein Empfinden weniger typisch finnisch als vielmehr schon in angelsächsischer Manier erzählt und fokussiert. Die Töchter sind allerdings ein wenig klischiert angelegt. Helen hat Kinder… und bleibt Finnin. Die schöne Eva dagegen versucht es mit Kunst in London und wird, oh Wunder der dramaturgischen Volte, fast schwanger von ihrem Professor. Als Max dann noch seine absehbare Affäre mit einer Journalistin startet, läuft die Geschichte im bitterkalten Winter von Helsinki auf ihren Showdown zu.

Soweit der grobe Rahmen. Die beachtliche Kunst von Philip Teir zeigt sich aber eindeutig in seiner klaren und so gut wie in jedem Satz folgerichtig schlüssigen, ja fast schon erbarmungslos zielgerichteten Sprache. Hier wird ein grenzübergreifend systemimmanentes Missverständnis des modernen Mittelstands chirurgisch präzise ausgezirkelt und in den Protagonisten gespiegelt. Die Illusion einer alters- wie geschlechtslosen und vom Ort unabhängigen Identität zeigt sich als paradoxes Versprechen, das sich niemals einlösen lässt – dem aber trotzdem jeder auf seine Art gern aufsitzt.

Alles in allem: Ein sehr fein beobachtetes europäisches Sittengemälde unserer Zeit von Meister Teir, das gern auch neben Werken seines britischen Kollegen Ian McEwan in meinem Regal zu stehen kommt.

Philip Teir, Winterkrieg
Karl Blessing Verlag, 2014
Link zu Amazon: http://amzn.to/1EnZyjc

Autor: Harald Wurst | ph1.de

Die Jury hat entschieden

Quelle: blog.inberlin.de
Quelle: blog.inberlin.de

„Unsere Jury hat heute ihr Votum bei der weiteren Auswahl des Burgenbloggers gegeben. Wir hatten Sie zwar unter die letzten 50 Teilnehmer gewählt, leider müssen wir Ihnen aber heute eine Absage erteilen: Zu den zehn verbleibenden Auswahlkandidaten zählt die Jury Sie nicht.

Wir möchten uns für Ihre Bemühungen noch einmal ganz herzlich bedanken. Und wir möchten die Energie, die viele in die Bewerbung für dieses Projekt gesteckt haben, nicht einfach verpuffen lassen, indem am Ende ein einziger Teilnehmer zum Burgenblogger gekürt wird. Eventuell lässt sich manches davon aufnehmen, was auch Sie schon im Vorfeld beigetragen haben. Wir würden uns freuen, wenn wir Ihre Informationen weiterhin behalten dürfen, um bei der einen oder anderen Aktion im nächsten Jahr, wenn der Burgenblogger seine Arbeit aufgenommen hat, auch auf Sie zurückzukommen.“

Auf dem Weg zu den TOP 10: Demut und Selbstbewusstsein

817463Gestern sprach ich mit einem Autorenkollegen aus Österreich, der erst jetzt von der Ausschreibung gelesen hat. Er fragte mich, wie ich das Amt des Burgenbloggers ausgestalten würde. Ich erzählte ihm von meinen Themen und den Besuchern auf der Burg. Nein, entgegnete er, innerlich. Heute habe ich eine Antwort für ihn:

Ich bin nicht perfekt. Ich kann mich für Fehler und Versäumnisse entschuldigen und kann dafür auch die Entschuldigung anderer akzeptieren.

Ich bin nicht spektakulär. Lautes Auftreten liegt mir nicht. Ich überzeuge durch ruhige, sachliche Recherche und Arbeit.

Ich bin nicht allwissend. Aber ich will so viel wie möglich wissen und verwerten. Deswegen nehme ich Kooperationen dankbar an.

Ich kann es nicht jedem Recht machen. Meine Themenauswahl ist subjektiv. Sicher gibt es auch andere Schwerpunkte. Aber ich entscheide, was gebloggt wird.

Ich bin nur begrenzt belastbar. Kopfarbeit kostet Kraft. Auch ich muss durchatmen, und ich werde mir diese Zeit nehmen.

Ich halte Wort. Ja, es gibt ein Geheimnis des Erfolges: Meine Kunden und Mitarbeiter schätzen meine Zuverlässigkeit in Qualität und Zeitmanagement. Das verspreche ich auch als Burgenblogger.

 

Ein wohlverdienter Urlaub – mit Abstecher zur Burg

Wehrturm der Burg Stickhausen. Quelle: www.ostfriesland.de
Wehrturm der Burg Stickhausen. Quelle: www.ostfriesland.de

Den Einzug unter die TOP 50 feiere ich leise mit einem Blanc de Noir Spätburgunder von Prinz Salm aus Wallhausen. Den wird es dort, wo ich die nächste Woche verbringen werde, nicht geben: Ich atme durch in Ostfriesland, der Heimat meiner Ahnen – und dort trinkt man bekanntlich Tee, zehnmal so viel wie im Bundesdurchschnitt, mit Kluntjes und Sahne. Und eiskaltes Jever.

So ganz ohne Burg kann ich im Urlaub natürlich auch nicht. Ich werde die Burg Stickhausen besuchen. Mein UrUrGroßvater wurde 1816 100 Meter von der Burg entfernt geboren. Später trat er in die dortige Bürgerwehr ein. Mehr dazu steht in meiner Bewerbung zum Burgenblogger.

Also auf bald unter den Top 10-Anwärtern!

 

Geschafft!

Nun ist es sicher:

„Freuen! Eventuell hatten Sie mehrere Mails zur Bewerbung geschickt. Sie sind weiter!“

Jetzt danke ich erst recht allen, die an mich geglaubt haben – und natürlich der Jury. Nächster Schritt? Nein, nicht der Sieg. Erstmal die TOP 10. Ruhig Blut. Vielleicht hat es geholfen, dass ich eben kein Aktionist bin.