Die Messe, die keine sein will: Electric Book Fair ebf am 21. Juni in Berlin

Am 21. Juni 2014 findet in Berlin die Electric Book Fair ebf statt, die erste E-Book-Messe Deutschlands. Die Veranstaltung wird organisiert von einem Kuratorium und einem Beirat. Mitwirken können als Aussteller Verlage, die ausschließlich E-Books veröffentlichen, sowie klassische Verlage mit eigenen digitalen Reihen. Ausgewählte Digitalverleger aus anderen Ländern werden per Skype-Konferenz zugeschaltet. Teilnahme und Eintritt sind kostenlos. Ich sprach mit Christiane Frohmann vom gleichnamigen Verlag über Konzept und Erwartungen.

? Die ebf soll eine Ergänzung, aber auch ein bewusstes Gegengewicht zu den Messen in Leipzig und Frankfurt sein. Was denn so zu verurteilen an diesen Messen oder was kann daran verbessert werden?

! Die Bezeichnung „Messe“ ist nicht ernst gemeint. Die Electric Book Fair ist keine Messe. Wir Kuratoren verstehen sie durchaus als eine Ergänzung, allerdings eher noch als ein Anderes der klassischen Buchmessen. Insbesondere in Frankfurt steht das Digitale ja durchaus schon im Fokus, aber die Messe dort kommt nun mal vom Buch her und denkt immer das Buch mit. Genau dieses Abhängigkeitsdenken wollen wir bewusst unterbrechen, um dem E-Book seinen eigenen Raum zu geben. Es geht bei der Veranstaltung auch darum, die von der klassischen Buchkultur entlehnten Begriffe, die in der Anfangszeit des Verlegens und Lesens von E-Books wohl als Vorstellungshilfen nötig waren, jetzt aber zu Denkknebeln geworden sind, zu hinterfragen und wenn möglich auch zu ersetzen.

? Bei einer klassischen Messe gibt es Regale, Tische und die Möglichkeit, Publikationen anzufassen. Das soll wohl auf der ebf anders sein. Wie ist das geplant? Kann ich da auch lesen oder nur reden?

! Die Electric Book Fair ist eine Mischung aus Konferenz und Global Café, aus Expertenaustausch und offener Kommunikation zwischen Verlegern, Autoren und Lesern, zwischen Experten untereinander und zwischen Experten und Laien. Wir wollen barrierefrei arbeiten. Jeder soll mit jedem reden können, und es wird natürlich auch Lesegeräte geben, um E-Books ansehen und lesen zu können. Im Zentrum unserer vom Berliner Senat und der Bundeszentrale für politische Bildung geförderten Veranstaltung steht ganz klar die Literatur, konkret die in und um E-Books herum emergierenden Neuen Literaturen. Die Lesungen und Performances werden deshalb ein besonders wichtiger und wohl auch spektakulärer Teil der Electric Book Fair sein.

? Wie soll das eher alternative Konzept der ebf den „ganz normalen“ Lesern schmackhaft gemacht werden?

! Ich glaube nicht, dass es nötig ist, das Konzept erst schmackhaft zu machen. Das Interesse ist bereits jetzt sehr groß. Ich selbst veranstalte monatlich den Katersalon an der Volksbühne und weiß ganz gut, wie die Menschen, auch die Leser, in Berlin ticken. Eine Veranstaltung mit spannenden Vorträgen, nicht nur für Insider, sondern auch für interessierte Laien, mit Lesungen, Slam-Einlagen und WM-Live-Stream funktioniert hier eigentlich immer. Es kostet ja nicht einmal Eintritt. Gerade dass es nicht so kommerziell, mehr von einer Vision getragen ist, stößt offenkundig auf Sympathie. Es ist eher andersrum: Wir nutzen das bewährte Vehikel einer professionell geplanten und mit Leidenschaft durchgeführten Live-Veranstaltung, um die virtuellen E-Books und die digitale Lesekultur physisch real erleb- und erfahrbar zu machen.

? Die Anmeldefrist ist abgelaufen. Sind Sie ausgebucht? Sind bekannte Verlage darunter oder eher Selfpublisher? Und wie viele Besucher werden erwartet?

! Wir haben sehr viele Anmeldungen mit Themenvorschlägen erhalten und daraus während eines sehr intensiven Kuratoriumsmeetings unseren Programmentwurf destilliert. Self-Publisher und klassische Verlage sind auch dabei. Wir haben Themen bevorzugt, die auf anderen E-Book-Konferenzen eher zu kurz kommen, wie etwa „Piraterie“, außerdem Vorschläge, die nicht das eigene Unternehmen im Zentrum hatten. Die Einladungen sind ausgesprochen und das fertige Programm wird am 15. Mai bekanntgegeben. Ganz wichtig ist uns zu betonen, dass die vom Kuratorium ausgewählten Präsentatoren ’nur‘ eine Initialfunktion haben. Alle Anwesenden sollen reden, diskutieren und auch eigene Projekte vorstellen können – aber eben in lockerer Form, im Gespräch.

Die Electric Book Fair ist ein Modellversuch und eine Probebühne. Sie wird das sein, was am 21. Juni von allen Mitwirkenden aus ihr gemacht wird. Wir rechnen damit, dass die Veranstaltung von mehreren hundert Menschen besucht wird. Ob passionierte E-Book-Leser dafür extra nach Berlin reisen werden, ist auch für uns eine spannende Frage.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg!

electricbookfair.de
verlag.cfrohmann.com | facebook.com/FrohmannVerlag | katersalon.cfrohmann.com |

Rezension: Robin Sloan, Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra. Oder: Typen, Typo und Türen in Parallelwelten.

Die Besessenheit von Google, unsere ganze Welt zu quantifizieren und zu arrangieren. Die fixen Ideen von traditionellen Lesern, mit ihren Visionen aus alten oder neueren Texten verborgene Botschaften fürs eigene Leben herausdestillieren zu können. Die Geschichte vom Beginn der modernen Typografie im Venedig des frühen 16. Jahrhunderts unter besonderer Betrachtung deren akuten Auswirkungen auf die Apple-Politik, Word-Dokumente oder Firmen-Logos. Dazu ein etwas ranziger Fantasy-Autor aus den 80ern mit seinem Eigenleben auf alten Tonbändern, ein Ausflug in den Wahnwitz der digitalen Start-up Szene – garniert von einer kiffenden älteren Dame mit Erwerbsbiografie als Programmiererin – ein sich selbst organisierendes Lager für herrenlose Museums-Artefakte sowie eine Pizzeria, über die ein weltweit gesuchter Hacker konspirative Hardware in Umlauf bringt…

…das alles (und noch einiges mehr) muss man erst mal in ein Buch und eine spannende Handlung auf knapp 360 Seiten packen können. Der Mann, der das kann, heißt Robin Sloan, ist studierter Wirtschaftswissenschaftler und hat nicht nur viel Humor, sondern unter anderem auch in führender Position bei Twitter gearbeitet.

Die sonderbare Buchhandlung des Mr Penumbra von Robin Sloan
Quelle: Karl Blessing Verlag

Die an skurrilen Einfällen und kuriosen Szenen reiche Geschichte wird aus der Ich-Perspektive des einstigen Webdesigners und jetzigen Aushilfsbuchhändlers Clay Jannon erzählt. Klassisch linear, sprachlich sauber, mit Witz, Intelligenz und mit den heute oft üblichen Querversweisen auf die Populärkultur. Aber Achtung! Hier ist längst nicht alles so, wie es den Anschein hat. Wer sich etwa im Internet auf die Suche nach der Schriftart „Griffo Gerritszoon“ machen wird (und die ist für den Plot von zentraler Bedeutung), erfährt keine lexikalische Erklärung, sondern landet bei einer erstaunlichen Anzahl von Blogs und Websites von Lesern rund um dieses Buch. Denn natürlich arbeitet Robin Sloan in bester Tradition von Kollegen wie Robert Anton Wilson oder William Kotzwinkle mit dem Kunstgriff der Halb- und auch Desinformation. Und je eher man als Leser dieses Spiel durchschaut, umso länger hat man das Vergnügen mit diesem Roman. Vor allem: Als Autor Jahrgang 1979 ist Sloan mit den Fallen des Instant-Wissens der Wikipedia-Jünger bestens vertraut. Genau das macht er hier zur Zutat seiner schriftstellerischen Strategie. Generell ist der Tenor des Buches ohnehin von einer ironischen Distanz zu den vermeintlichen Segnungen der IT-Industrie bzw. zu den fanatischen Apologeten einer digitalen Wunderwelt geprägt. Nicht zu vergessen: der Mann ist Insider!

Worum dreht sich aber eigentlich die Geschichte? Nun, viel werde ich hier nicht verraten. Und die Sentenzen zu Beginn dieser Rezension sollten auch nur die Bandbreite der Themen, Orte und Figuren ansatzweise skizzieren. Kurz gesagt: es geht ums Entdecken und Entschlüsseln des Mysteriums einer in vielfacher Hinsicht bizarren Buchhandlung in San Fransisco – die sich aber nur als eine Facette eines sehr alten weltumspannenden Geheimnisses entpuppt. Das Ganze wird spannend, geistreich und humorvoll erzählt. Neben den plastischen Situationsbeschreibungen überzeugt dabei insbesondere auch die Ausarbeitung der einzelnen Charaktere. Zwar nicht ganz auf dem Niveau von Umberto Eco – aber doch schon ganz nah dran.

Und das Ende? Natürlich eine Überraschung! Wer dann von der ganzen Thematik nicht so schnell wieder loslassen will, dem kann ebenfalls geholfen werden: Es gibt ein Prequel zum Roman, in dem die Vorgeschichte steht. Erschienen, genau wie das Hauptwerk, im März 2014 beim Blessing Verlag. „Die Unglaubliche Entdeckung des Mr. Penumbra“ ist eine ca. 80 Seiten umfassende Erzählung – und es gibt sie ausschließlich als eBook. Also noch so ein Trick von Mr. Sloan?

Robin Sloan, Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra
Karl Blessing Verlag, 2014

Autor: Harald Wurst | ph1.de

 

Rezension: Michail Schischkin, Venushaar

Michail Schischkin wird auf dem Buchrücken von „Venushaar“ als der neue Tolstoi bezeichnet. Das ist vor dem Hintergrund des literarischen Schubladendenkens verständlich, wird dem zeitgenössischen Erfindungsreichtum und kompositorischen Mut dieses Werkes aber nicht gerecht.

Michail-Schischkin-Venushaar-e1304004163550Es gibt gleichwohl eine Vielzahl klassischer Elemente, die der Leser der 500seitigen Geschichte des russischen Exilschriftstellers erwarten kann. Die Handlung ist monumental. Sie spielt in drei verschiedenen Hauptsträngen: Der imaginären Antike Xenophons, dem glamourösen Sankt Petersburg des ersten Weltkriegs und der heutigen Schweiz. Dort übersetzt der Dolmetscher eines Asylantenheims im Rahmen von Antragsgesuchen die Lebensgeschichten der Flüchtlinge. Es werden Papirossi geraucht, und die weißen Nächte entstehen vor dem Auge des Lesers. Immer wieder senkt sich die Schwere der russischen Seele herab, etwa wenn die berühmte Sängerin Isabella im vorrevolutionären Russland die Briefe ihres geliebten Soldaten Aljoscha in das gemeinsame Tagebuch legt.

Schischkins Stil verdient Anerkennung, aber nicht weil er sich in der Tradition der russischen Meister bewegt, sondern weil „Venushaar“ etwas furios Neues besitzt. Es schert sich wenig um heutige Normen, wie dem show don’t tell oder der jederzeit nachvollziehbaren Verortung von Charakteren und Handlung. Die Figuren in den Episoden des Dolmetschers sind austauschbar, ihre Dialoge sind in „Frage“ und „Antwort“ unterteilt. Es sind ihre Geschichten und die Not, die sie zu Asylsuchenden machten und das grausame Alleinstellungsmerkmal setzen.

Die Tagebucheinträge Isabellas sind beschreibend und monologisierend, trotzdem sind diese Stellen außergewöhnlich intensiv. Die Einfachheit ihrer Sprache, ganz ohne angestrengte Suche nach neuen Metaphern, wirkt erfrischend. Wir durchleiden Liebeskummer, Verlust, verbotene Begierde und die Schattenseiten des Ruhms mit Isabella, um dann auf Seite 500 eine einfache Lebensformel angeboten zu bekommen:

„Das ist wie mit dem Glück. Alle können unmöglich glücklich sein – wer also kann, sollte seine Chance nutzen.“

Das Buch jongliert frech mit historischen Details und Elementen des magischen Realismus, wechselt dann wieder in die nüchterne Terminologie von behördlichen Prozessen. An einer Stelle fordert uns der Autor sogar auf, Stellen zu überblättern, falls es uns zu langweilig wird.

„Venushaar“ ist keine einfache Lektüre. Es fordert den Leser emotional und intellektuell. Die kapitellosen Wechsel zwischen den Erzählebenen benötigen, einem schwer beladenen Schiff gleich, ihre Zeit, bis sie volle Fahrt ins Leseverständnis aufnehmen können. Doch dann segelt es sich mit Leidenschaft und am Ende geht man traurig von Bord.

Der Buchrücken sollte lauten: „Wir brauchen keinen neuen Tolstoi. Wir haben Schischkin.“

Michail Schischkin, Venushaar
Roman. Aus dem Russischen von Andreas Tretner. btb Verlag München, 2013

Der Autor Miguel Peromingo ist als Sohn spanischer Migranten in Deutschland aufgewachsen und arbeitet als Berater für internationale Organisationen in Brüssel. Dort hat er auch die mehrsprachige Schreibgemeinschaft writingbrussels.com gegründet. 2014 ist sein erster Roman „Fastenzeit“ um den zynischen Antihelden Jorge und seiner ‚Coming of Age Story’ erschienen.

 

Rezension: Arne Dahl, Neid

Der Kapitalismus ernährt uns. Und zugleich verzehrt er uns. Fasziniert und empört in einem Atemzuge sind wir. Die soziale Verantwortung des Unternehmens und der Unternehmer besteht darin, den Wert ihrer Firma zu steigern, am besten zu maximieren. So lehrt es die ultrakonservative Schule, etwa der Ökonom Milton Friedman. Dass freier Markt und Kapitalismus ein zu forderndes Maß an Menschlichkeit, Sittlichkeit und Recht nicht aus sich selbst heraus zu garantieren vermögen, zeigt Arne Dahls neuer Roman „Neid“.

Ermittler aus mehreren EU-Staaten sind auf der Spur eines europäisierten Verbrechens, dessen Monstrosität und Virulenz dem Leser allmählich in eindrücklicher erzählerischer Meisterschaft enthüllt wird. Europa, das wir als Schauplatz des Triumphs von Frieden, Recht und Verständigung kennen, ist bei Dahl Schauplatz des Bösen, Abgründigen, des sittlich-moralischen Niedergangs. Menschenhandel, eine bedrohte EU-Kommissarin und allenthalben die bedrohlich wachsenden Möglichkeiten und Verlockungen der Technik, die den Hütern des Rechts wie seinen Feinden gleichermaßen zu Gebote stehen …

Eine Vielzahl an Handlungssträngen und Dahls virtuose Erzähltechnik, die mit der Virtuosität und Verwickeltheit des Bösen korrespondiert, machen die Lektüre zu einem Erlebnis. Das Neid als Gefühl aber auch gut sein kann, Antriebsfeder sein kann für Aktionen und das Erreichen hochgesteckter Ziele, dass Neid letztlich auch das gemeine Wohl befördern kann, nicht zwingend in Unrecht und Verbrechen umschlagen und entarten muss, vermisst man bei Dahl. Es gilt immer, auch in dunkelster Nacht, die Selbstbeschreibung des Mephistopheles: „Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“

Autor: Moritz Müller, Leipzig

Rezension: Christian Schwetz, mails & love – ein wienerisch-verwirrendes Lesevergnügen

Quelle: ARAVELL Verlag / Covergestaltung: Paul Jaeg

Auf ein spannendes Abenteuer hat sich der österreichische Autor Christian Schwetz, der sich nach einigen literarischen Ausflügen in den 1980er Jahren für den Beruf des Steuerberaters entschieden hat und erst seit 2008 publiziert, mit seinem Roman „mails & love“ eingelassen: Er setzt mit seinem E-Mail-Roman die Tradition des Briefromans mit modernen Mitteln fort. Dabei entführt er den Leser in die chaotisch-verwirrende Gedankenwelt des frisch getrennten Protagonisten F.

F. steckt nach seiner Scheidung in der schwierigen Phase der Neuorientierung, weil ihn Broterwerb, die Halbzeitvaterschaft und seine ersten literarischen Erfolge nicht wirklich erfüllen. Er verliebt sich in schneller Folge, teilweise sogar gleichzeitig, in verschiedene Frauen, bis er die eine trifft, die scheinbar zu ihm passen könnte. Allerdings sucht F. nicht wirklich nach einer neuen Beziehung, sondern genießt vielmehr das rasch wiederkehrende Gefühl des Verliebtseins, welches schnell wieder abflaut.

Christian Schwetz erzählt die Geschichte in Form von E-Mails, die er an eine zunächst mysteriöse M. schickt. Wer hinter dieser Abkürzung steckt, erfährt der Leser erst im Verlauf des Romans. Ergänzt wird der E-Mail-Verkehr durch Gedankensplitter, Ereignisse, die F. widerfahren, und Lyrik. Die einzelnen Textpassagen sind kurz und oft nicht zusammenhängend, was den Leser förmlich dazu aufruft, das Buch nach dem fortlaufenden Durchgang erneut in die Hand zu nehmen und einzelne Passagen mehrfach oder nur Teile dieses kaleidoskopartigen Romans zu lesen.

Experiment geglückt?

Weil die Handlung nicht fortlaufend, sondern nur facettenhaft erzählt wird, verlangt Christian Schwetz ein hohes Maß an Konzentration vom Leser. Insofern hat er mit seinem dritten Werk nach dem Kurzgeschichtenband „Zwischen Brot und Spiel“ sowie dem Roman „Traanbecks Ausnahmezustand“ eine interessante Herausforderung geschaffen.

Allerdings, und das ist der Wermutstropfen im Lesevergnügen, grenzt Schwetz, der eine gelungene Wortakrobatik betreibt, die Leserschaft im deutschsprachigen Raum sehr stark ein. Dass die lyrischen Elemente in „mails & love“ auf Wienerisch geschrieben sind, mag der Leser außerhalb des österreichisch-bayerischen Sprachraums noch verzeihen. Allerdings verwendet Schwetz ohne nähere Erklärung Wiener Lokalkolorit, der so manchen Leser verschrecken könnte. Beispielsweise spricht er von einer Lesung in der VHS Favoriten und meint damit die Bildungseinrichtung im zehnten Wiener Stadtbezirk. Dieses Hintergrundwissen kann Schwetz jedoch von einem Nicht-Wiener nicht erwarten – erst recht nicht von einem Nicht-Österreicher.

Christian Schwetz, mails & love
AROVELL Verlag, 1. Auflage Januar 2014
Link zu Amazon: http://amzn.to/1rzKoOz

Autor: Harry Sochor
www.wildere-welten.de

Zum Welttag des Buches: Ich schenke euch ein Buch!

Dieses Jahr nehme ich erstmals an der Aktion „Blogger schenken Lesefreude“ teil. Gestern kam mein Wunschbuch vom Suhrkamp Verlag an – Danke!

Ich verlose für euch ein Exemplar von „Die Sonnenposition“ von Marion Poschmann. Verlagsinfos zum Buch gibt es hier.

Und so könnt ihr gewinnen:

  • Schreibt als Kommentar bis zum 31. Mai, 23:59 Uhr unter diesen Beitrag, welches Buch ihr gerade lest und was euch daran so gefällt.
  • Falls ihr der glückliche Gewinner seid, schreibt ihr für diesen Blog eine Rezension zum Buch. Sie soll etwa 400 Wörter lang sein, und ihr könnt natürlich einen Link zu eurer Webseite oder eurem Blog setzen.

Weitere Gewinnspielbedingungen:
• Teilnehmen dürfen Personen ab 18 Jahren, wohnhaft in der EU.
• Der Gewinn wird per Post zugesandt. Für verlorene Sendungen übernehme ich keine Haftung.
• Mehrfachkommentare einer Person werden nicht gezählt.
• Es zählen nur Kommentare unter dem Beitrag hier auf dem Blog. Kommentare auf Facebook etc. werden nicht berücksichtigt.
• Der Gewinn kann nicht getauscht oder ausgezahlt werden.
• Der Gewinner wird per random.org ermittelt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
• Der Gewinner wird per E-Mail benachrichtigt und muss sich innerhalb von zehn Tagen nach Gewinnbenachrichtigung per Mail melden. Ansonsten verfällt der Gewinn, es wird ein neuer Gewinner ermittelt.
• Daten, die ich vom Gewinner erhalte, werden ausschließlich dafür verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.

Und jetzt freue ich mich auf eure Kommentare und wünsche viel Glück!

Rezension: Diagnose Mord – fürwahr ein mörderisches Vergnügen

Pünktlich zur jüngsten Leipziger Buchmesse hat der Zwickauer Buchvolk-Verlag seinen neuesten Streich auf den Markt gebracht: Für „Diagnose Mord“ haben die beiden Herausgeberinnen Nessa Altura und Dr. med. Ulrike Blatter eine Reihe hochkarätiger Autoren aus dem deutschsprachigen Raum um sich geschart, die sich in ihren Kurzgeschichten der dunklen Seite der Medizin widmen.

Von Jack the Ripper bis zur Klontechnik

Diagnose MordDie Autoren, darunter Trägerinnen und Träger renommierter Auszeichnungen, beleuchten die Themen Kriminalität und Medizin aus den verschiedensten Blickwinkeln. Die Bandbreite der Motive reicht von Racheaktionen für tatsächlich oder vermeintlich verpfuschte Operationen bis hin zu reiner Neugierde oder der perversen Lust am Töten. Besonders eindrucksvoll bleibt beim Lesen Wolfgang Schülers „Der Aufschlitzer“ im Gedächtnis haften. Der Autor greift das Thema Jack the Ripper, jenes legendären Prostituiertenmörders im viktorianischen England, auf. Es gelingt ihm, die Geschichte – obwohl schon vielfach erzählt – kurzweilig zu präsentieren und in die Storyline gleich mehrere überraschende Wendungen einzubauen.

Genau diese überraschenden Wendungen sind das absolute Markenzeichen der 18 Autoren. Denn in jeder Geschichte gibt es eine davon – sei es bezüglich des Täters oder seines Motivs –, die das Gelesene in einem komplett neuen Licht erscheinen lässt. Teilweise sorgen die Storys für Gänsehaut, teilweise zaubern sie ein Schmunzeln auf das Gesicht des Lesers. Dieses gefriert jedoch schnell, sobald das Essay von Dr. med. Ulrike Blatter, welches jede Geschichte begleitet, erreicht ist. Die Co-Herausgeberin streut darin Informationen aus dem Medizinbetrieb sowie der Kriminalistik ein oder beleuchtet das Thema der Geschichte aus einem anderen Blickwinkel. Dabei wird dem Leser klar: Selbst wenn die Geschichte den hintersten Winkeln der Fantasie entsprungen ist, bewegt sich der Autor näher an der Realität als dem Leser lieb sein kann.

Eine gut servierte Geschmackssache

Inhaltlich sind die einzelnen Geschichten sicher reine Geschmackssache, was angesichts der thematischen und stilistischen Vielfalt nicht ausbleibt. Doch die Figuren, vom perversen Professor, der mit menschlichen Klonen experimentiert, bis hin zur Giftmörderin, die ihre Liebhaber vergiftet, ausstopft und konserviert, entführen den Leser in ihre Welt und ihr Denken und bergen allemal spannenden Stoff zur Unterhaltung. Gut erzählt und handwerklich gut geschrieben sind sowohl die Storys als auch die Essays.

Fazit:

Mit „Diagnose Mord“ hat der Buchvolk-Verlag eine ganz besondere Perle der Kriminalliteratur in seinem Programm. Die Herausgeber und Autoren beweisen: Der Krimi lebt und bleibt spannend – erst recht abseits der ausgetretenen Pfade von Tatort, Agatha Christie oder Sir Arthur Conan Doyle. Den Vergleich mit den Größen des Genres braucht jedenfalls keiner der an „Diagnose Mord“ beteiligten Autoren zu scheuen.

Nessa Altura / Ulrike Blatter (Hrsg.), Diagnose Mord
Buchvolk-Verlag Zwickau, 1. Auflage 2014

Autor: Harry Sochor, www.wildere-welten.de

 

Rezension: Akif Pirincci, Deutschland von Sinnen – ein deutscher Hassprediger oder ein deutscher Patriot?

Sehen Sie sich doch mal an, wer heute einen Kinderwagen durch die Stadt schiebt. Die billigsten Klamotten, abgekaute Fingernägel, eine Zigarette nach der anderen und ein Deutsch, das man nicht mehr als eigene Sprache erkennt – denen steht Hartz IV doch förmlich ins Gesicht geschrieben. Da wird einem Angst und Bange um Deutschlands Zukunft.

Deutschland-von-Sinnen-Stimmen Sie zu? Dann ist Akif Pirinccis Buch die richtige Lektüre für Sie. Hätte er diese Sätze so geschrieben, wären sie noch eines der harmlosen Kaliber. Mit seinem ersten Sachbuch nach liebenswerten Katzenkrimis zündelt Pirincci an Deutschlands demokratischem Konsens. Konstantin Wecker notierte zutreffend, im Vergleich zu Sarrazin sei Pirincci gar ein „feinsinniger Intellektueller“ mit „Stürmer-Deutsch“ in Anspielung auf das antisemitische Hetzblatt der Nazis. Pirinccis Verlag sieht die Provokation, schwächt sie ab als einen „furiosen, aufrüttelnden und brachialen Wutausbruch, ein mutiges Unikat“. Und selbst FOCUS Online identifiziert Pirincci als das „außerparlamentarische Sprachrohr der Frust- und Normaldeutschen, die sich marginalisiert, düpiert, ausgeplündert sehen.“

Ich habe das Buch nicht komplett gelesen. Ich konnte es nicht ertragen. Sie wollen wissen, was darin steht? Eine Reihung himmelschreiender Dummheit, dumpfer Parolen, Sexismus und persönlicher Beleidigungen. Mehr nicht? Mehr nicht. Es gibt wenige Vorschläge, wie etwa den Steuersatz auf fünf Prozent vom Einkommen zu reduzieren. Weil Pirincci schnoddrige, ordinäre, ja vulgäre Passagen zum durchgängigen Stilmittel erhebt, reißen Ansätze von Argumentationslinien ab. So verschenkt der Autor die Chance, wie Sarrazin über Provokation eine Diskussion zu entfachen.

Es ist meine Angewohnheit, erst ein Kapitel komplett zu lesen, um in ein Buch hereinzufinden. Bei Sarrazin war es der Fokus Bildung, bei Pirincci jetzt der Abschnitt „Über die Frauen“. Es ist schlicht widerlich. Pirinccis Idealbild der Frau ist mittelalterlich: ohne Besitz, entrechtet und dem Herrn immer zu Willen, wenn er es wünscht. Zu den jungen Frauen von heute weiß Pirincci zu bemerken, dass die Klitoris während des Geschlechtsverkehrs „nicht zur Gänze stimuliert wird“ und außerdem so tief in der Mulde verborgen sei… Noch ein Blick zu den Homosexuellen: Die gleichgeschlechtliche Ehe ist „ein einziger Witz und peinlich“, denn schließlich sei die Ehe ein Instrument „des Kindermachens in geordneten Verhältnissen.“ Genug. Es reicht.

Mich tröstet: Unsere Gesellschaft erträgt auch frei herumlaufende Geistesgestörte. Um einem „deutschen Intellektuellen die deutsche Wirklichkeit vor Augen zu führen“, empfiehlt Pirincci „eine Eisenstange auf den Kopf mit Schmackes“. Begäbe ich mich auf dieses Niveau, könnte ich mich dieser Tat schuldig machen. Ich bin vorsichtig, Menschen als Nazi oder Neonazi zu klassifizieren. Sarrazin und die AfD sind im Vergleich zu Pirincci jedoch harmlose Kindergärtner.

Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar. Den ersparten Kaufpreis werde ich der Ahmadiyya-Gemeinde in Leipzig für den Bau ihrer Moschee spenden.

Rezension: Kéthévane Davrichewy, Am Schwarzen Meer

Das Buch erschien 2010 unter dem französischen Titel „La mer noire“ und 2011 in deutscher Sprache im S. Fischer Verlag. Übersetzt wurde es von Claudia Kalscheuer, die unter anderem schon Werke von Jules Verne übersetzt hat. Die Autorin wurde 1965 in Paris geboren und ist selbst georgischer Herkunft. Das Buch erzählt die Geschichte ihrer Großeltern und wurde in Frankreich bereits mit vielen Preisen ausgezeichnet.

Quelle: fischerverlage.de
Quelle: fischerverlage.de

Tamuna feiert ihren 90. Geburtstag mit all ihren Lieben und blickt auf ein langes, ereignisreiches Leben zurück. Geboren in Georgien, wuchs sie gemeinsam mit ihrer Schwester Thea als Tochter eines Politikers auf. Als Tamuna 15 Jahre alt ist, muss die Familie wegen politischer Unruhen und der Stellung des Vaters schnell das Land verlassen, was dem pubertierenden Mädchen natürlich nicht gefällt. Sie will weder die geliebten Großeltern noch ihre Cousins und Cousinen verlassen – und erst recht nicht ihre erste große Liebe Tamas. So gelangen Tamuna und ihre Schwester Thea mit den Eltern in einen Vorort von Paris, an dem sich bereits andere georgische Flüchtlinge niedergelassen haben.

Am Anfang ist Tamuna sehr enttäuscht über das neue Leben. Sie hatte sich Paris anders vorgestellt und fühlt sich auch ihr ganzes Leben lang immer als Georgierin, die nur in Paris lebt, weil sie wegen der Unruhen nicht zurück in ihre Heimat gehen kann. Tamuna wird erwachsen, heiratet mehr aus Vernunft denn aus Liebe einen anderen georgischen Mann und bekommt zwei Kinder mit ihm. An jedem Tag ihres Lebens denkt Tamuna an ihre große Liebe Tamas, schreibt ihm Briefe, die sie nie abschickt, und sie malt sich aus, was wohl mit ihm passiert ist und wie es ihm geht. Die beiden haben über die Jahre hinweg mehrere Begegnungen, aber es ist nie der richtige Moment für das große gemeinsame Glück. Trotzdem liebt Tamuna ihren Tamas ihr ganzes Leben lang, und genau diese Liebe gibt ihr die Kraft, alle Schicksalsschläge zu überwinden und nie aufzugeben.

Kéthévane Davrichewy erzählt die Lebensgeschichte ihrer Großmutter aus verschiedenen Perspektiven, zwischen denen sie wechselt. Das Geschehen rund um den 90. Geburtstag wird aus der neutralen Erzähler-Perspektive erzählt, der Leser von oben auf die Situation herab und beobachtet, was in Tamunas Wohnung passiert. Rückblenden in ihr Leben sind dagegen aus der Ich-Perspektive erzählt. Der ständige Wechsel macht es hin und wieder kompliziert, sich tief in die Geschichte einzufinden, und ich hatte auch meine Probleme mit den vielen Personen mit georgischen Vornamen, die von Zeit zu Zeit dazukommen. Wenn man nicht wirklich dem Buch seine volle Aufmerksamkeit schenkt und es nicht in einem Rutsch liest, ist es schwer, sofort zu verstehen, welche Person in welchem Verhältnis zu der Hauptperson Tamuna steht. Es erschließt sich natürlich nach und nach, aber ich fand es nicht ideal.

Zusammenfassend kann ich das Buch trotzdem empfehlen. Es ist die mitreißende Geschichte eines bewegten Lebens und einer großen Liebe in den Wirren des Krieges. Ich habe viel über die Geschichte Georgiens, über den Zweiten Weltkrieg und über das Leben als Flüchtling erfahren.

Es gibt sie also noch – die große Liebe! Und sie ist stärker als alles andere und währt ein Leben lang.

Autorin: Sarah Czerwa

 

Rezension: Stefan Müller, 111 Gründe Bücher zu lieben. Oder: Ein Lese(r)buch.

Der Magdeburger Stefan Müller ist wohl das, was man im bildungssprachlichen Milieu gern als „Homme de lettres“ etikettiert. Geboren 1980, stellte er bereits als 17-jähriger seinen ersten Roman „Vertraute Fremde“ vor. Es folgten ein Studium der Germanistik und Anglistik, parallel dazu Engagements in den Redaktionen von Magdeburger General-Anzeiger bzw. Elbe Kurier und die Berufung zum Internetredakteur beim Landtag von Sachsen-Anhalt.

111 Gründe2013 erschien dann im Berliner Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf der Jugendroman „Tibor und ich“ vom mittlerweile promovierten Literaturwissenschaftler. Ach ja: als Sänger ist Stefan Müller auch unterwegs. Und nun stimmt er – ebenfalls bei Schwarzkopf & Schwarzkopf verlegt – ein vielseitiges Loblied aufs Lesen an. „Oha!“, denkt da womöglich mancher sofort: Schon wieder so ein subjektiver Kanon der empfehlenswerten Literatur.

Ja… teilweise durchaus. Aber „111 Gründe Bücher zu lieben“ ist weit mehr als eine Lese-Liste für mehr oder weniger bewanderte Literaturfreunde. Stefan Müller führt seine Leser hier in mehrfacher Hinsicht „listig“ ans Thema ran. Wie und wo kann die Liebe zu Büchern entstehen? Was sagt uns ein Gedankenstrich bei Kleist? Ist Anna Karenina ein Buch zum Film? Macht Büchersortieren eigentlich kreativ? Ist Hans Henny Jahnn ein sexuell getriebener Revoluzzer? In diesem Spektrum behandelt Müller seinen Themenkreis. Und in 111 Aspekten wird so bei dieser Hommage ans Lesen das Leben mit Büchern betrachtet, beschrieben und auch hinterfragt. Den Doktor der Literaturwissenschaft lässt Stefan Müller dabei eher selten aus dem Text herausdozieren. Erfreulicherweise. Denn der vorherrschende Stil in diesem Buch ist zwar von profundem Wissen geprägt – aber immer mit einer freundlichen Leichtigkeit präsentiert. Wobei mir persönlich manche Ausführungen fast etwas zu leise, zu betulich oder zu zutraulich hinsichtlich der beim Humor nach oben offenen Richterskala präsentiert werden. Insbesondere werden vor allem „Hardcore-Leser“ hier kaum auf bislang ungeahnte Literaturempfehlungen stoßen. Das dürfte allerdings auch nicht die Absicht von Stefan Müller beim Schreiben dieses Buches für die 111-Reihe des Verlags gewesen sein. Wer aber einfach mal eine feine Bestätigung für den sinnstiftenden Gehalt seiner Liebhaberei für Bücher und das Lesen an sich möchte oder an ein Geschenk für hoffnungsvolle Nachwuchsleseratten denkt, bekommt mit „111 Gründe“ von Stefan Müller schon reichlich gute Argumente an die Hand. Und hat womöglich – neben unterhaltsamer Nachttischlektüre – damit auch ein linguistisches Update für so manchen Smalltalk unter Gleichgesinnten genossen.

Autor: Harald Wurst | ph1.de