Rezension: Kressmann Taylor, Adressat unbekannt – Dieses Buch sollte Pflichtlektüre werden

In dem Buch geht es um die Freundschaft des Deutschen Martin und des Juden Max. Diese haben in den USA gemeinsam einen florierenden Handel von Kunstwerken aufgebaut. Anfang der 1930er Jahre geht Martin zurück nach Deutschland. Während er erst dem neuen System sehr misstrauisch gegenübertritt, ändert sich dies innerhalb weniger Monate. Er wird zu einem glühenden Verfechter der Naziideologie und lässt dies auch seinen jüdischen Freund spüren. So bittet er diesen, die Geschäftspost nicht mehr zu ihm nach Hause, sondern direkt an die Firma zu senden. Als die Schwester von Max bei Martin Zuflucht sucht und ihr diese verwehrt wird, beschließt Max, sich an seinem früheren Freund auf ganz raffinierte Weise zu rächen. Wie die Geschichte ausgeht, wird hier natürlich nicht verraten, denn Sie sollen das Buch ja schließlich selbst lesen.

Während andere bekannte Bücher über die Nazizeit, beispielsweise „Die Blechtrommel“ oder „Die Welle“, erst Jahrzehnte später geschrieben wurden, verfasste Katherine Kressmann Taylor dieses Buch bereits im gleichen Jahrzehnt, genauer gesagt im Jahr 1938. Sie konnte dabei auf reelle Briefe zurückgreifen. Das Buch „Adressat unbekannt“ wurde in den USA zu einem absoluten Kassenschlager. Sicher haben sich auch einige Leser dieses Buch zu Herzen genommen und sich ebenfalls an so manchem deutschen Nazimitläufer gerächt. Verübeln könnte man es ihnen nicht.

Da das Buch gerade einmal 62 Seiten hat, eignet es sich hervorragend als Lektüre für den Schulunterricht. Auch „lesefaule“ Schüler, die nicht gerne dicke Wälzer lesen, sollten mit der Lektüre dieses Buches nicht überfordert sein. Absolut lesenswert ist auch das Nachwort von Elke Heidenreich. Sie bringt den Inhalt des Buches noch einmal kurz und prägnant auf den Punkt.

Mein Mann arbeitet als Lehrer bei der Bundeswehr. Irgendwann kam dort das Gespräch auf die Umerziehung von Menschen. Viele seiner Schüler konnten es sich nicht vorstellen, wie sich das Gedankengut eines einzelnen Menschen binnen weniger Monate so grundlegend wandeln kann. Bis sie dann dieses Buch gelesen haben …

Autorin: Susann Heinze-Wallmeyer

Rezension: Kressmann Taylor, Adressat unbekannt – Es gibt auch heute noch diesen Keim

Adressat unbekannt – so der Titel – der sichtbar, auf dem unscheinbaren Bild, mit einem Brief an eine deutsche Adresse gerichtet ist. Der Brief verrät durch seinen Stempel, dass sein Schreiber aus San Francisco kommt und dass der Brief schon sehr alt ist. 12. November 1932. 1932? Ein, zwei Gedanken weiter… also ein Buch über Antisemitismus. Ich fange an zu lesen.

Nach kurzer Orientierung stelle ich fest, dass hier ein sich wiederholender Schriftwechsel abgedruckt ist. Ist das spannend? Ich kenne weder die Leute noch habe ich von diesen je etwas gehört. Ich bin aber trotzdem neugierig und will die Briefe lesen, sind sie doch so voll Zuneigung zwischen zwei Menschen. Die ersten Briefe geben Orientierung. Ich weiß nun, wer was macht und wo wer wohnt. Jetzt könnte aber was passieren und in der Tat, der Tonfall ändert sich von jetzt auf gleich in den Briefen. Plötzlich stößt er durch die Erde, der Keim, von dem wir alle wissen, dass er zu einem Monster, ja zu einer Fratze des Bösen herangewachsen ist. Eine Fratze, die bis heute noch Leute in ihren Bann zieht, welche den Holocaust leugnen und damit wieder Mitläufer aus allen Gesellschaftsschichten findet. Dieser Keim scheint vor Kraft nur zu strotzen und er scheint auf nahrhaftem Boden zu stehen.

Jeder Brief wird schärfer. Wo ist die Zuneigung der Briefeschreiber geblieben? Sie waren doch Freunde, Geschäftspartner, die sich blind vertrauten. Nicht mal Belege über Buchungen wollte man voneinander sehen. Die Geldeingänge stimmen schon… und plötzlich will man keinen Kontakt mehr? Nicht nur, weil die Gefahr droht, entdeckt zu werden, wenn man mit einem Juden etwas zu tun hat, nein – aus Überzeugung! Welch ein Wandel, den der Leser hier über sich ergehen lassen muss und gegen den er nichts unternehmen kann. Ich selbst bin gefesselt, will aufschreien, warnen und meine Entrüstung öffentlich bekannt geben und kann und muss einfach das Buch doch einfach nur zu Ende lesen. Bis das Ende eingeleitet wird – Adressat unbekannt – ein Brief kommt zurück. Und doch wird es hier genau noch einmal spannend. Denn es wird noch ein weiterer Brief mit dem Stempel „Adressat unbekannt“ zurück gesendet in das freie Amerika. Der Brief, der an Martin gerichtet war, die Person, die mit einem Juden sehr gut und eng befreundet war und gute Geschäfte machte und dann nicht mehr liberal auftrat, sondern die NS-Zeit gelebt hat und voller Überzeugung war.

Zu viele haben damals weg geschaut. Doch hätte ich meine Stimme zu dieser Zeit damals erhoben? Wäre ich mutig genug gewesen?

Es gibt auch heute noch diesen Keim, der in der Erde schlummert und nur auf etwas Wasser wartet, um dann empor zu sprießen. Darum: Wehret den Anfängen und tauscht den Samen aus! Denn nur wer Liebe sät, wird diese mit Gerechtigkeit gekreuzt ernten.

Autor: Holger Micklitza Graf von Andechs

Rezension: Kressmann Taylor, Adressat unbekannt – Geschichte darf sich nicht wiederholen

Eines der bekanntesten Werke, die an die Zeit des Zweiten Weltkrieges erinnern, ist zweifelsohne “Das Tagebuch der Anne Frank”. Ein erschütterndes Werk, welches in 55 Sprachen übersetzt wurde und heute eine Auflage von sagenhaften 20 Millionen Exemplaren erreicht hat.

Es ist nicht nur ein Mahnmal an die Gräueltaten des Holocaust, den propagierten Antisemitismus und den Völkermord an mindestens 5,6 bis 6,3 Millionen Juden – darüber hinaus ist es auch über 60 Jahre später noch ein Zeichen gegen das Vergessen.

Dass gerade die Erinnerung so wichtig ist, dokumentieren immer wiederkehrende sowie bestehende rechtsextremistische Strömungen, aber auch die Unwissenheit heutiger Jugendlicher und die damit verbundene Gleichgültigkeit.

So liest Birge Tramontin

Aber auch das Unverständnis, wie es dazu kommen konnte, wirft viele Fragen auf. Antworten darauf gibt es im Werk von Kressmann Taylor “Adressat unbekannt”. In dem fast unscheinbaren, kleinen Buch wird auf nur 62 Seiten der Briefwechsel zwischen dem amerikanischen Juden Max Eisenstein und dem Deutschen Martin Schulse in der Zeit von 1932 bis 1934 beschrieben. Ohne näher auf geschichtliche Fakten einzugehen, wird von Brief zu Brief mit einer eindrucksvollen Dynamik die veränderte Beziehung bis hin zum Ende der einstigen Freundschaft geschildert.

Auf der einen Seite ist Max Eisenstein, der mit wachsender Sorge die politischen Veränderungen in Deutschland beobachtet. Auf der anderen Seite steht Martin Schulse, welcher nach seiner Rückkehr schnell in den Einfluss von Hitlers Politik gerät und dadurch nicht nur zum Mitläufer, sondern auch zum Verfechter antisemitischen Gedankengutes wird.

Auf die Frage, wer eigentlich Adolf Hitler ist, antwortet der deutsche Geschäftsmann: “Um die Wahrheit zu sagen, Max, glaube ich, dass Hitler in einiger Hinsicht gut für Deutschland ist, aber sicher bin ich nicht.” Er beschreibt ihn als elektrischen Schock, anfangs noch mit verhaltenen Zweifeln an der Entwicklung und der Leitidee. Doch bereits der nächste Brief entlarvt ihn als treuen Mitläufer, der völlig eingenommen von der Ideologie des Nationalsozialismus ist und die Juden als Schandfleck tituliert. Martin ist keine Einzelperson dieser Zeit – für den Leser steht er als Symbol für Millionen Deutscher.

Obgleich die Freundschaft längst zerbrochen ist und der Kontakt nur noch auf geschäftlicher Ebene basiert, appelliert der einstige Freund Max aus dem fernen Amerika im November 1933 voller Angst an Martin, sich um seine Schwester Griselle zu kümmern. Diese trat in einem Berliner Theaterstück auf, wurde als Jüdin enttarnt und war seither auf der Flucht.

Die Antwort von Martin beginnt nicht nur mit “Heil Hitler” – in einer schockierenden Gleichgültigkeit, aber auch Schonungslosigkeit berichtet er in wenigen Sätzen fern jeder Anteilnahme vom Tod Griselles. Diese hatte Zuflucht bei ihm, dem einstigen Freund sowie Geliebten gesucht und wurde gleich im Anschluss an sein Wegschicken durch dessen Mitschuld von der SA ermordet. Der Brief an sie kehrt mit dem Vermerk “Adressat unbekannt” an den Bruder zurück, an diesem Punkt dringt das Motiv erstmals durch.

Obwohl ich nur einen kurzen Blick in das Buch werfen wollte, habe ich es seit dem Zeitpunkt nicht mehr aus den Händen gelassen. Nach einer kontinuierlich ansteigenden Dramaturgie erreicht es einen neuen Höhepunkt. Denn Max rächt sich auf sehr subtile Weise: Die weiteren Briefe adressiert er entgegen Martins Weisung an dessen Privatadresse und versieht sie mit geschickten Zahlen sowie verschwörerischen Aussagen. Sehr wohl wissend, dass er damit die Aufmerksamkeit der Zensur erregt.

Es mutet schon unerträglich an, als Martin voller panischer Angst daraufhin an die alte Freundschaft appelliert und um Verständnis für sein Handeln bettelt. Vergebens – schon der zweite Brief danach wird mit dem Vermerk “Adressat unbekannt” zurückgesandt.

62 Seiten, die bewegen und zum Nachdenken anregen.

62 Seiten, die eindrucksvoll vermitteln, wie Millionen Deutsche als Mitläufer oder indem sie die Augen verschlossen ebenfalls zu Tätern wurden.

62 Seiten mit einer Botschaft: Die Geschichte darf sich nicht wiederholen!

Autorin: Birge Tramontin

Rezension: Kressmann Taylor, Adressat unbekannt – Die Freundschaft war nur ein Trugschluss

Am Anfang der Geschichte schreiben sich die beiden Freunde Max und Martin sehr liebevolle Briefe, die den Leser auf eine innige Freundschaft zwischen den beiden Männern schließen lassen. Doch am Ende der Geschichte haben sie sich und ihre Freundschaft verraten. Wie konnte es dazu kommen? Zu einfach wäre es, ausschließlich die äußeren Umstände dafür verantwortlich zu machen. Vielmehr wirft die Entwicklung von einer liebevollen Freundschaft zu einem feindseligen Umgang miteinander die Frage auf, ob es sich wohl jemals um echte Freundschaft zwischen Max und Martin gehandelt hat. Denn für sowohl Max als auch Martin war ihre Freundschaft von gegenseitigem Nutzen geprägt. Max, der ansonsten vielleicht eher einsam war, fühlte sich bei Martins Familie heimisch. Martin hatte eine Affäre mit der Schwester von Max, und schließlich waren die zwei erfolgreiche Geschäftspartner. Vordergründig fühlte sich die Verbindung zwischen Max und Martin vielleicht an wie eine Freundschaft, doch in Wahrheit war sie nur ein Trugschluss. Nach dem Umzug Martins aus den USA nach Deutschland hebt sich der Nutzen der Freundschaft zwischen den beiden Männern auf. Die scheinbar intimen Briefe sind nur noch ein schönes Nachgeplänkel ohne Substanz. Denn als es darauf ankommt, sind sie nicht füreinander da.

Autorin: Eva Rakel

Rezension: Kressmann Taylor, Adressat unbekannt – ein Buch, das mich in den Bann zieht

Als ich das Buch „Adressat unbekannt“ in den Händen hielt, war mein erster Gedanke: „Och nee, nicht schon wieder ein Holocaust-Buch“. Doch dann habe ich angefangen zu lesen und dieser Gedanke war schnell verflogen. Das Buch zog mich in seinen Bann, obwohl es nur knapp 55 Seiten lang ist.

Anfang der 1930er Jahre kehrt ein Deutscher aus den USA nach Deutschland zurück und tauscht mit seinem jüdischen Geschäftsfreund, ebenfalls ein Deutscher, der in den USA geblieben ist, um die gemeinsame Galerie weiterzuführen, Briefe aus. Briefe, die von einer tiefen Freundschaft und Vertrautheit erzählen. Auch die Veränderungen in Deutschland kommen in den Briefen nach und nach zur Sprache und werden von dem Rückkehrer zunächst sehr skeptisch beurteilt. Doch dann lässt er sich in die braune Gedankenwelt hineinziehen, bis er sich ihr schließlich mit großer Begeisterung anschließt. Die Freundschaft zu seinem ehemaligen Geschäftspartner verleugnet er. Er beschimpft ihn und verbietet ihm sogar, weiter Briefe zu schreiben. Nichts bleibt mehr von der heiteren und sorglosen Freundschaft.  Ein Wandel, den der Leser in erschreckender Weise miterlebt. Als die Schwester des jüdischen Geschäftspartners in Deutschland auf der Flucht vor der SA Hilfe braucht, verweigert der Rückkehrer  diese, rechtfertigt sich mit selbstgerechten Sprüchen und hat die Stirn zu behaupten, sie sei als Jüdin schließlich selbst schuld an ihrem Schicksal. Spätestens an dieser Stelle ist man versucht, durch die Seiten in das Buch zu springen und ein paar kräftige Ohrfeigen auszuteilen.

Nun könnte man glauben, dass die Geschichte so ausgeht, wie man es von Büchern mit diesem Thema gewohnt ist, doch weit gefehlt. Der jüdische Geschäftspartner in den USA verzeiht seinem ehemaligen Freund diesen ultimativen Verrat nicht und rächt sich. Er fängt an, seinem ehemaligen Geschäftspartner Briefe und Telegramme mit wirrem Inhalt zu schreiben, die darauf hinzudeuten scheinen, dass der deutsche Rückkehrer in eine Verschwörung verstrickt ist. Die Briefe werden von der Zensur abgefangen, und es kommt, wie es kommen muss. Der neue Nazi verliert den Rückhalt seiner neuen Freunde und verliert alles. Jetzt aber erinnert er sich plötzlich an die alte Freundschaft und appelliert an den ehemaligen Freund, ihn zu verschonen. Der denkt jedoch gar nicht daran. Der letzte Brief aus den USA kann schließlich nicht mehr zugestellt werden, weil der „Adressat unbekannt“, also vermutlich verhaftet ist.

Obwohl es so kurz ist, geht dieses Buch weit mehr unter die Haut als dickere Bücher und kluge Abhandlungen, denn „Adressat unbekannt“ erzählt die bekannte Geschichte sehr verdichtet. Gleichzeitig wird auf diese Weise deutlich, was die braune Ideologie alles zerstört hat. Und trotzdem ist man als Leser am Ende des Buches zufrieden, weil wenigstens einer der Mitläufer für seine Taten büßen musste und seine gerechte Strafe bekommen hat.

Autorin: Yvonne Giebels