Rezension: Susanne Beyer und Martin Doerry (Hrsg.), Mich hat Auschwitz nie verlassen – Überlebende des Konzentrationslagers berichten

Die Flüchtlingskrise spaltet unsere Gesellschaft. Gleichzeitig sterben Zeitzeugen aus, die aus der Zeit des Nationalsozialismus erzählen können. Um Erlebnisberichte für künftige Generationen zu erhalten, besuchten Redakteure und Mitarbeiter des SPIEGEL anlässlich des 70. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz ehemalige Häftlinge und zeichneten ihre Erinnerungen auf.

www.randomhouse.de
www.randomhouse.de

Das Buch beginnt mit einer kurzen Einführung über Auschwitz und dieses Buchprojekt. Einfühlsam wird mit einem kurzen Text und einem Porträtbild in die jeweilige Geschichte eingeleitet. Anschließend kommen die Zeitzeugen zu Wort, die nach der Methode „Oral History“ ohne Zwischenfragen erzählen. Die Berichte geben Zeugnis über die katastrophalen Zustände, die Misshandlungen und Erniedrigungen in Auschwitz. Der Leser wird nicht geschont: Er erfährt von Diebstahl und Prügeleien der Gefangenen untereinander, vom Gefangenenorchester und von der Arbeit an den Verbrennungsöfen. Auch ihre Erfahrungen mit Lagerarzt Josef Mengele muss der Leser noch einmal beklemmend nah durchleben.

Die Erzählungen sind sehr berührend und gingen mir sehr nahe. Doch ich habe auch Hoffnung gefunden: Es gab im Konzentrationslager auch Zusammenhalt und gegenseitige Hilfe zum Überleben bis zur Befreiung. „Mich hat Auschwitz nie verlassen“ gibt das große Dilemma der ehemaligen gefangenen wieder: Auch wenn sie das Leben bis ins hohe Alter gemeistert haben, eine Familie gründeten und sich liebevoll um Enkel kümmern: Die Bilder der Vernichtung werden immer bleiben,Tag und Nacht.

Ich bedaure, dass die einzelnen Erinnerungen nur über wenige Seiten gehen. Einige Berichte, wie etwa bei dem Musiker Coco Schumann, hätte ich gern ausführlicher gelesen. Positiv hervorheben möchte ich, dass nicht nur jüdische Opfer zu Wort kamen, sondern auch Christen, Sinti/Zigeuner und Widerständler. Die Ausstattung des Buches mit alten und aktuellen Fotos, Kurzbiografien der Zeitzeugen, einem Autorenverzeichnis und Literaturempfehlungen wurde mit Liebe zum Detail zusammengestellt.

Mein Fazit
„Mich hat Auschwitz nie verlassen“ ist ein kostbares Zeugnis einer furchtbaren Zeit, berührend und schockierend. Absolut empfehlenswert.

Susanne Beyer und Martin Doerry (Herausgeber): Mich hat Auschwitz nie verlassen – Überlebende des Konzentrationslagers berichten
DVA, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/-Mich-hat-Auschwitz-nie-verlassen–9783421047144
Autorin der Rezension: Sarina Wood
www.sarina-wood.de

Rezensionsreihe Israel zur Leipziger Buchmesse 2015, Teil 4: Crippa/Onnis, Wilhelm Brasse – Der Fotograf von Auschwitz

Die Ausleuchtung des Ateliers ist von besonderer Bedeutung, der Blick durchs Objektiv von Kennerschaft geprägt. Er ist ein Meister im Retuschieren, ein Fotograf mit Leib und Seele. Er ist der Fotograf von Auschwitz.

Quelle: www.randomhouse.de
Quelle: www.randomhouse.de

Wilhelm Brasse, der Häftling mit der Nummer 3444, der die auf Zelluloid gebannte Erinnerung an die Opfer und Peiniger, den demoralisierenden Lageralltag und die grauenvollen Experimente der Lagerärzte vor der Vernichtung bewahrte und somit ihr Vermächtnis bewahrte. Das vorliegende Buch aus der Feder der italienischen Journalisten und Historiker Luca Crippa und Maurizio Onnis erzählt seine Geschichte.

Und nicht nur dies. Über die biographische Dokumentation des Lebens von Wilhelm Brasse, der als deutsch-polnischer politischer Gefangener den Beginn und das Ende des Vernichtungslagers Auschwitz miterlebte, werden die Geschichten der über 50 000 von ihm porträtierten Mitgefangenen sichtbar. Teils hochemotional verdichtet in bedrückenden Einzelschicksalen, teils in der funktional-nüchternen Beschreibung des Funktionierens der Todesmaschine.

Nein, kalt lässt den Leser keine Seite dieses Buches. Und dies, obwohl die Verfasser die Hauptperson Wilhelm Brasse und die um ihn herum platzierten Akteure aus der Distanz der dritten Person zu Wort kommen lassen, mithin einen durch die Beobachtung des Geschehens und der Personen inszenierten Abstand wahren, der das Lesen erträglich macht. Dennoch – und dies ist das Verdienst der beiden Autoren – bleibt dieses Buch nicht unpersönlich. Im Gegenteil: Hier entwickelt die Erzählebene durch das Einbeziehen des lesenden Beobachters die notwendige persönliche Hinwendung zum Geschehen, ohne mit diesem zu überfordern. Das Verstehen des Unverständlichen stellt sich so nicht ein – wohl aber die wahrhaftige Anteilnahme an den vielen Genannten und Ungenannten und ihren Schicksalen.

Die Geschichte des Lagerfotografen Wilhelm Brasse ist ein in höchstem Maße angemessener Blickwinkel, um von Auschwitz zu erzählen. Ein Buch, das selbst im allzu Hoffnungslosen immer wieder Hoffnung aufscheinen lässt. Ein großartiges Werk von der Würde des Menschen inmitten der von ihm errichteten Hölle auf Erden. Verstörend und erhellend zugleich.

Crippa/Onnis, Wilhelm Brasse – Der Fotograf von Auschwitz
Karl Blessing Verlag, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Wilhelm-Brasse-der-Fotograf-von-Auschwit-9783896675316
Autor: Dr. Thomas Feist

Rezensent Dr. Thomas Feist, Jahrgang 1965, studierte Musikwissenschaft, Theologie und Soziologie an der Uni Leipzig und promovierte 2005 zum Dr.phil. mit einer Arbeit über „Musik als Kulturfaktor“. In der 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages vertritt er Leipzig als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter der CDU im Wahlkreis 153 Leipzig II (Stadtbezirke Mitte, Süd, Südost, Südwest und West). Dr. Thomas Feist ist Mitglied der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe und seit 2010 Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Leipzig.

Rezensionsreihe Israel zur Leipziger Buchmesse 2015, Teil 1: Agnes Christofferson, Elsas Stern. Oder: Shoah-Schatten in Manhattan.

Auschwitz, Holocaust, bestialischer Völkermord, traumatisierte Überlebende und selbstvergessene Verbrecher, die sich in einem neuen Leben einzurichten versuchen… das ist alles in allem extrem harter Stoff. Wer sich diesem Thema als Autor stellt, verdient zunächst einmal großen Respekt, denn die Fallhöhe kann hier sehr hoch sein. Die gebürtige Polin Agnes Christofferson hat sich der Herausforderung gestellt. Und – abgesehen von wenigen Abstrichen – legt die Autorin mit ihrem Roman „Elsas Stern“ eine beeindruckende Geschichte vor: über miteinander verwobene Schicksale und die grenzenlose Grausamkeit, zu der Menschen fähig sind.

Quelle: www.acabus-verlag.de
Quelle: www.acabus-verlag.de

Die Handlung beginnt 1979 in New York. Elsa, Jüdin und Auschwitz-Überlebende, trifft sich mit ihrer Tochter Leni in einem italienischen Restaurant. Als ein älterer Mann die Gaststätte betritt, bricht Elsa offensichtlich geschockt zusammen. Im Krankenhaus kümmern sich Elsas Töchter Leni und Salome besorgt um ihre Mutter – diese benimmt sich allerdings zusehends immer seltsamer. Schließlich übergibt Salome das alte Tagebuch von Elsa an Leni. Und damit startet der zentrale Plot des Romans. Sie erfährt aus den Aufzeichnungen der Mutter nicht nur, wie ihre ganze Familie von den Nazis fast ausgelöscht wurde und dass Elsa in Auschwitz als Opfer brutalster Menschenexperimente leiden musste – auch ihre Schwester Salome ist nicht wirklich mit ihr verwandt… und es gibt einen skrupellosen Arzt namens Erich Hauser, der mit dem Schicksal ihrer Mutter auf verschiedenste Weise verknüpft ist.

Klar, der unbekannte Mann in der Pizzeria ist natürlich dieser grausame KZ-Arzt. Und die, übrigens recht knappe und literarisch wie dramaturgisch eher mittelmäßige, Rahmenhandlung, dreht sich um die Enttarnung des Mannes, der im New York der späten 1970er Jahre als Kinderarzt Peter Miller praktiziert. Zu großer Form läuft der Roman bei den Tagebuch-Sequenzen aus der Perspektive von Elsa auf. Dieser Strang macht rund 80 Prozent des Buches aus. Und keine Seite davon ist zu viel. Von der ersten Begegnung und sogar einem Flirt Elsas mit dem jungen „Erik“ Hauser in der Obhut eines versteckten Landsitzes bis zu den fürchterlichsten Beschreibungen des KZ-Alltags und schmerzhaft detaillierten Schilderungen medizinischer „Experimente“ des perversen Arztes in Auschwitz schont die Sprache dieses Buches den Leser nicht. Die realistische Härte der Prosa ist schlichtweg gewaltig. Und die Ambivalenz der Charaktere , ob SS-Männer, Kapos oder KZ-Insassen, gnadenlos in der Schilderung.

Autorin Agnes Christofferson, geboren 1976 in Polen und seit ihrem 12. Lebensjahr in Deutschland lebend, hat mit „Elsas Stern“ ein tatsächlich ergreifendes Buch geschrieben. Die Geschichte ist rein fiktiv – die Szenerie nicht. Und wer glaubt, zum Holocaust sei eigentlich alles schon gesagt, kann sich hier beim Lesen getrost selber fragen: Ist so ein Verbrechen je vergessen – oder heute wieder möglich? In diesem Buch findet der Leser die Antwort zwar nicht, aber es wird nach der Lektüre womöglich schwer sein, nicht danach zu suchen.

Agnes Christofferson, Elsas Stern
Acabus Verlag, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Elsas-Stern-Ein-Holocaust-Drama-9783862823109
Autor: Harald Wurst | ph1.de

Zweiter Tag der Leipziger Buchmesse 2012

Los geht’s in einen sonnigen Frühlingstag!

Mein Tag beginnt auf dem „Blauen Sofa“ in der schon früh überhitzten Glashalle – nein, nicht darauf, (leider) nur davor. Angekündigt ist Olga Grjasnowa mit ihrem Roman „Der Russe ist einer, der Birken liebt“. Vorher lerne ich eine ältere Dame aus Bottrop-Kirchhellen kennen. Sie erzählt mir begeistert von ihrer Arbeit in einer evangelischen Bücherei, wo sie auch die Bücher einkaufen darf – allerdings nicht alles. Bei bestimmten Themen habe das Grenzen – zu ihrem Verdruß: „Ich bin nicht mehr jung, aber schmerzfrei.“ Um die Leser zu begeistern, verfasst die Dame eigene kleine Rezensionen, die sie in einer Kladde liebevoll zusammenfasst. Ich darf hineinschauen – und ich bin begeistert! Die würde ich glatt hier einstellen! Und weil der lesebegeisterten Dame Leipzig so gut gefällt, hat sie mit ihrer kleinen Reisegruppe (ausschließlich Damen) schon bis 2014 die Buchmesse im Motel One an der Nikolaikirche gebucht.

Und das war’s auch schon, was zu den 30 Minuten mit Olga Grjasnowa zu berichten ist. Die Moderation von Barbara Wahlster kippte mit zunehmender Länge in peinliche Verlegenheit. Schade drum, dass die menschliche Seite von Olga Grjasnowa so gänzlich auf der Strecke blieb (Rezension folgt).

Wie schon gestern, nutze ich den frühen Vormittag zu Besuchen bei ausländischen Ständen. 2012 ist die Ukraine gemeinsam mit Polen Ausrichter der Fussball-EM. Grund genug, einmal auf dem Stand der Ukraine vorbeizuschauen. Ich treffe Lidia Lykhach von RODOVID Press (Halle 4 / E 503). Sie ist im ersten Jahr in Leipzig und besucht sonst die Frankfurter Buchmesse. Ja, es gebe große Unterschiede: „Hier wollen die Menschen über Bücher reden. In Frankfurt geht es nur ums Verkaufen.“ Viele Deutsche, so ihr Eindruck, kennen die Ukraine aus dem Urlaub und beklagten in diesem Jahr die hohen Hotelpreise zur Fussball-EM. Die Bücher am Stand werden nach der Buchmesse an die Deutsche Nationalbibliothek und an Leipziger Bibliotheken übergeben.

Überraschend treffe ich auf einen Stand „Arabischer Frühling“. Er wird betreut von zwei jungen Männern aus Syrien, die beide schon mehrere Jahre in Deutschland leben. Auf dem Stand wird über die Freiheitsbestrebungen in der arabischen Welt mit Schwerpunkt Syrien informiert. Dort, so die beiden Männer, finde zurzeit die einzige wirkliche Revolution im arabischen Raum statt. Als Material gibt es Bücher, Zeitschriften und CDs, die überwiegend von Studenten in Deutschland hergestellt werden. Das Interesse sei „groß“, berichten beide erfreut.

Wer Lesen lieben lernen will, muss früh gefördert werden. Dafür gibt es zahlreiche Bestrebungen von Institutionen. Eine der attraktivsten, obwohl erst im vierten Jahr, ist die Aktion „Lesekünstler des Jahres“. Ziel der Initiative des Börservereins ist es, eine Empfehlung für besonders gute Autorenlesungen an Buchhandlungen und Schulen zu geben und gleichzeitig auf Sortimenter einzuwirken, verstärkt Veranstaltungen zur Leseförderung anzubieten.

Lesekünstler des Jahres 2012 ist Ingo Siegner aus Hannover (Grüße in meine Heimatstadt!), bekannt geworden durch seine Figur „Der kleine Drache Kokosnuss“. Der Autor und Illustrator geht etwa zwei Monate im Jahr auf Lesereise. Erstaunlich, wo doch im elterlichen Haushalt kaum Bücher vorhanden waren und der Weg immer zum belesenen Kumpel führte.

Siegner, Jahrgang 1965, überzeugte die Jury durch seine besondere Fähigkeit, sich auf kleine Zuhörer einzustellen. „Seine Lesungen sind lebendiges Kino“, so die Jury-Vorsitzende Irmgard Clausen. Davon konnten sich die Zuhörer bei der Preisverleihung dann selbst überzeugen. Siegner las vor, erzählte, zeichnete und begeisterte jeden erwachsenen Zuhörer. Als Preis erhielt er einen Strickschal, gefertigt von 12 Kindern eines Leseklubs aus einer Grundschule in  Wermelskirchen. Die Zeichnung, die während der Lesung spontan entstanden war, sicherte sich eine Zuhörerin für eine Bibliothek in Südtirol.

Täglich zur Mittagszeit um 13:00 gibt Wolfgang Tischer, Herausgeber von literaturcafe.de, im Forum leipzig.liest.digital (Halle 5, B 600) Autoren gezielte Tipps für ihre Arbeit. Heute berät er zum Umgang mit Journalisten. Seine Tipps, punktgenau und schonungslos ehrlich, hier zusammengefasst:

Wenden Sie sich nicht wahllos an Medien. Recherchieren Sie genau, welches Medium für Ihr Genre und Ihr Anliegen passt.

Jeder Autor sollte in einem Satz sagen können, wer er ist und was er schreibt.

Eröffnen Sie keine Nebenkriegsschauplätze. Konzentrieren Sie sich auf Ihr Kerngeschäft, das Sie beherrschen.

Seien Sie nicht überrascht oder enttäuscht, wenn der Journalist Ihr Buch nicht gelesen hat. Fragen Sie ihn offen danach. Das nimmt beiden Seiten die Spannung.

Sorgen Sie schon vor dem Gespräch dafür, dass ausreichend positive Informationen im Netz über Sie bereit stehen.

Reagieren Sie geduldig auf Standardfragen, die Sie schon hundertmal beantwortet haben.

Seien Sie nicht enttäuscht, wenn es doch nicht zu einer Veröffentlichung kommt. Nutzen Sie den gewonnenen Kontakt für Ihr weiteres Marketing.

In der LVZ-Autorenarena (Halle 5 / A 100) treffe ich Andrea Maria Schenkel. Sie hat nach ihrem Sensationserfolg „Tannöd“ mit „Finsterau“ wieder einen Kriminalfall aus dem hintersten Winkel des Bayrischen Waldes vorgelegt; diesmal nur ein schmales Bändchen von gerade mal 125 Seiten. „Ich packe am Anfang viel rein, blähe es richtig auf, und dann reduziere ich“, erklärt sie dazu.  Die ursprünglichen Versionen werden zur Arbeitserleichterung aufbewahrt, so dass es auf dem Arbeitscomputer viele Finsteraus gibt.

In „Finsterau“ zeigt Andrea Maria Schenkel ihre Sprachgewalt auf ganz besondere Weise: Sie entreißt Wörter dem drohenden Vergessen, die ihre Großmutter verwendet hatte und die nun selbst im abgeschlossenen Sprach- und Kulturraum des Bayrischen Waldes mehr und mehr verschwinden. „Ich habe nun mal Spaß am Klang“, sagt die Autorin, „und zu einer authentischen Sprache meiner Figuren gehören auch deren ganz eigene Worte“. Dafür liest sich Andrea Maria Schenkel die geschriebenen Sätze wieder und wieder laut vor, „denn nur so kann ich erkennen, ob ein Text hohl ist oder stimmig.“ (Rezension folgt)

Der Tagesabschluss in den Hallen lässt mich auf der Heimfahrt noch lange nachdenklich zurück. Henryk M. Broder stellt sein neues Buch „Vergesst Auschwitz!“ vor. Die 30 Minuten in der LVZ-Autorenarena reichen für einen Sack voll Provokationen und ungeschminkter Wahrheiten, die Broder in den letzten Jahren schon so viele Anfeindungen eingebracht haben. Seine Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus sei eine „lebenslange Obsession“, gesteht Broder ein, und er schreibe darüber, „weil ich mir selbst etwas klar machen will, nicht um die Welt zu verändern“.  Das überlasse er gerne anderen „von Willemsen bis Walser“.

Der klassische Antisemitismus, so Broder, sei heute kaum noch verbreitet. Das neue Gewand zeige sich nicht gegenüber den Juden, sondern gegenüber dem Staat Israel. So bleibe Antisemitismus „ein dauernder Karneval“. Auschwitz als Ort des Gedenkens sei zu einem „Rummelplatz verkommen“, an dem man neben den Gaskammern seine Stullen auspacke. „Einfach grauenhaft“.

Der Blick nach Deutschland lässt Broder ratlos zurück. Da erhält der türkische Ministerpräsident Erdogan den Steiger-Award für Toleranz, und Exkanzler „Gazprom- Schröder“ trete als Laudator auf.  Da poste SPD-Chef Gabriel über Facebook bei einem Besuch in Hebron, Israel sei ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gebe. „Hätte ich nicht schon längst aufgehört, SPD zu wählen, das wäre der letzte Grund“, so Broder. Inzwischen wähle er als Bayer CSU.

Ein Tag mit vielen spannenden Begegnungen, für den ich sehr dankbar bin.

Die abendliche Lesung des EPIDU-Verlages wird zusammen mit News zur Entwicklung des Verlages am Sonntag besprochen.

(Alle Fotos: Detlef M. Plaisier)