Rezension zu Marie Moutier: Liebste Schwester, wir müssen hier sterben oder siegen. Briefe deutscher Wehrmachtssoldaten.

Muss ein weiteres Buch zum Thema Zweiter Weltkrieg wirklich noch sein, mag sich der Leser bei der ersten Betrachtung von „Liebste Schwester, wir müssen hier sterben oder siegen“ vielleicht fragen. Diese Frage erübrigt sich jedoch beim zweiten Blick auf das umfangreiche Buch. Es beleuchtet die Geschehnisse an den Kriegsschauplätzen in Europa, Russland und Afrika aus einer Perspektive, die in der offiziellen Geschichtsschreibung eher eine Randnotiz darstellt.

Quelle: www.randomhouse.de
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Briefe von der Front an die Heimatfront
In einer allgemeinen Einführung schildert die französische Historikerin und Germanistin Marie Moutier ihre Herangehensweise und so manche Problematik, die sich aus der Auswahl der Briefe ergab, als sie aus dem umfangreichen Fundus der Berliner Museumsstiftung Post und Telekommunikation ihre Auswahl an Feldpostbriefen deutscher Soldaten in die Heimat getroffen hatte. Wie die Autorin im Vorwort schreibt, hat sie diese Auswahl unter verschiedenen Gesichtspunkten getroffen. Einerseits sollten die Feldpostbriefe von allen Kriegsschauplätzen aus allen Phasen des Krieges stammen. Andererseits differenzierte sie auch nach den Adressaten der Briefe. Schließlich haben sich die Soldaten in Briefen an die Partnerin anders ausgedrückt als etwa in Briefen an die Eltern. Ergänzt wird das Werk durch ein Vorwort des Historikers Timothy Snyder.

Ein Blick in die Seele der Soldaten
Marie Moutier verzichtet komplett auf eine Wertung der Briefe. Sie schildert lediglich in kurzen Einführungen den Kriegsschauplatz und den zeitlichen Zusammenhang. Dies gibt dem Leser insofern eine Hilfestellung, als viele Soldaten an unterschiedlichen Fronten gekämpft haben und von einzelnen Soldaten mehrere Briefe aus verschiedenen Phasen des Krieges abgedruckt werden.

Durch die Auswahl der Briefe gelingt es der Autorin, ein menschliches Bild von Soldaten zu zeichnen, die allzu oft zu unmenschlichen Taten gezwungen wurden. In einzelnen Fällen lässt sich auch die persönliche Entwicklung der Soldaten nachverfolgen: Die anfängliche Begeisterung für den Krieg und das nationalsozialistische Regime weicht mit zunehmendem Kriegsverlauf der Skepsis über den Ausgang der Schlachten. Mitläufer wurden in vielen Fällen zu stummen Widerständlern, die an der Front einfach nur überleben wollten.

Mein Fazit
„Liebste Schwester, wir müssen hier sterben oder siegen“ gibt einen menschlichen Einblick in die schrecklichsten Jahre, die Europa während des 20. Jahrhunderts durchlebt hat. Das Werk hätte durchaus das Potenzial, im Rahmen des Geschichtsunterrichtes eingesetzt zu werden. Denn obwohl ihre Großeltern noch direkt oder indirekt vom Krieg betroffen waren, wirkt der Zweite Weltkrieg für die nach dem Mauerfall Geborenen als eine andere, ferne, ja fremde Epoche und ist oft zu abstrakt, um die Zusammenhänge wirklich begreifen zu können.

Marie Moutier: Liebste Schwester, wir müssen hier sterben oder siegen
Originaltitel: Lettres de la Wehrmacht. Übersetzt von Michael von Killisch-Horn
Karl Blessing Verlag, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/-Liebste-Schwester-wir-muessen-hier-sterben-oder-siegen–9783896675521
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Roger Cockrell (Hrsg.), Michail Bulgakow – Ich bin zum Schweigen verdammt. Tagebücher und Briefe

Michail Bulgakow erlebte nicht einmal seinen 49. Geburtstag. In seinem kurzen Leben war er erst Arzt, dann Schriftsteller, Feuilletonist, Dramatiker, Schauspieler und Regisseur. In der UdSSR wurde er lebendig begraben – dennoch gab er nie auf. Seine Briefe und Tagebucheinträge zeigen den fortwährenden Kampf des Künstlers gegen Armut, Krankheit und Zensur.

Quelle: www.randomhouse.de
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Nach Russland verbannt, zum Schweigen verdammt

Auf den ersten Seiten des Bandes, welche die Jahre 1921 bis 1925 umfassen, wechseln sich Briefe und Tagebücher chronologisch geordnet ab. Hauptsächlich dokumentiert Bulgakow in diesen Jahren seine finanzielle Notlage, generell den Verlauf der Nachkriegsinflation und die politischen Entwicklungen Europas. Notizen seines Privatlebens sind ausgesprochen rar, nicht einmal die Scheidung von seiner ersten Frau erwähnt er. Im Mai 1926 wurden Bulgakows Tagebücher beschlagnahmt, von da an gibt es nur noch Briefe. Aus Bulgakows Korrespondenz erfahre ich, an welchen Stücken er gerade arbeitete und wie er gegen die vom Zensus gewünschten Umänderungen derselben kämpfte. Ab 1928 spitzt sich die Lage Bulgakows dramatisch zu. Der Künstler bittet wiederholt vergeblich um die Genehmigung einer Auslandsreise. Seine Stücke werden nach und nach verboten, seine Erzählungen nicht mehr gedruckt. Mit der Bitte um Ausweisung aus der UdSSR wendet er sich 1929 an Stalin persönlich und teilt mit: „[Ich] bin mit meinen Kräften am Ende; außerstande, weiterhin zu existieren, abgehetzt, wissend, dass ich innerhalb der UDSSR weder gedruckt noch aufgeführt werde […]“ Bulgakows Gesuch bleibt unbeantwortet. Nach einem langen Brief an die Regierung wird er immerhin zum Regieassistenten und Dramaturg ernannt. Dies bewahrt den Schriftsteller vorm Hungertod, doch da er nun maßgeblich Auftragsstücke verfasst, bleibt er weiterhin „zum Schweigen verdammt“.

Dürftig kommentiert, schlecht lektoriert

Stets mit dem Zeigefinger zwischen den Anmerkungen im Anhang des Buches, stolpere ich stirnrunzelnd durch Bulgakows Briefe und Notizen. Die Namen und Zusammenhänge verwirren mich. Ich verbringe mehr Zeit mit dem Vor- und Rückblättern, als dem eigentlichen Lesen. Mehr als einmal wünsche ich mir eine kurze Erklärung, einen biographischen oder historischen Verweis. Doch Fehlanzeige. Zu den verwirrenden Nachnamen fügen die Anmerkungen lediglich zwei oder mehr verwirrende Vornamen hinzu, sowie die kurze Notiz „Autor“ oder „Regisseur“. Nichts Erhellendes für den Kontext, in dem Bulgakow die Personen erwähnt. Spätere Anmerkungen verweisen gern auf frühere, laufen dabei aber oft ins Leere – vermutlich hat eine letzte unvollständige Überarbeitung alles ein wenig verrutscht. Drastischer der Fehler im Vorwort, das behauptet, Bulgakow habe Alexej Tolstoi einen „dreckige[n] ehrlos[n] Narr[en]“ genannt. Im entsprechenden Brief aber sind dies die zitierten Worte Tolstois über sich selbst. Zum Verständnis der Briefsammlung bietet die unglücklich im Anhang platzierte Kurzbiographie eine magere Hilfe und trumpft mit der Information, dass Bulgakow für sein Medizinstudium von 1911-1916 ungewöhnlicherweise sieben Jahre brauchte.

Mein Fazit

Zugegeben, ich weiß jetzt mehr über den Autor, von dem ich „Meister und Margarita“ sowie „Aufzeichnungen eines jungen Arztes“ im Regal stehen habe. Und wer Bulgakow, sein Werk und die historischen Hintergründe bereits bestens kennt, mag Gefallen an diesen mangelhaft kommentierten Briefen finden. Allerdings frage ich mich: Fehlt Luchterhand neuerdings Geld für ein vernünftiges Lektorat?

Roger Cockrell (Hrsg.), Michail Bulgakow – Ich bin zum Schweigen verdammt
Luchterhand, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Ich-bin-zum-Schweigen-verdammt-9783630874661
Autorin der Rezension: Katja Weber