Rezension: Christina Schwarz, Die Leuchtturmwärterin

Die US-amerikanische Autorin Christina Schwarz wuchs in Wisconsin auf und lebt inzwischen in Kalifornien. Ihr Debut „Novemberkind“ stand im Jahr 2000 wochenlang auf der Bestsellerliste der New York Times.

www.randomhouse.de
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1898: Gertrude „Trudy“ Swan, Tochter einer gutbürgerlichen Familie in Wisconsin, soll sich bald mit dem Sohn einer befreundeten Familie vermählen. Sie verliebt sich jedoch in den freigeistigen Oscar. Sie heiraten kurzentschlossen und ziehen gemeinsam nach Kalifornien. Soweit eine wenig originelle Geschichte, die man so oder ähnlich schon in unzähligen Frauenromanen findet. Gut, Oscar und Trudy ziehen auf die verlassene Insel Point Lucia, wo Oscar als Leuchtturmwärter arbeitet. Eigentlich ein ungewöhnliches und interessantes Setting, aber die Geschichte kommt nicht so richtig in Gang.

Da sind zum einem die Protagonisten, die sehr flach und stereotypisch daher kommen und zu denen ich daher als Leserin keine Verbindung aufbauen konnte. Zum anderen die endlos erscheinenden Beschreibungen von Trudys Gefühlsleben und ihrem einsamen Alltag auf der Insel. Im Laufe des Romans gibt es Zeitsprünge ins Jahr 1977. Jane, die als Kind auf Point Lucia lebte, besucht diesen Ort noch einmal und erinnert sich an Trudy, ebenfalls mit sehr langatmigen Ausführungen.

Auch sonst plätschert die Geschichte bis zum Ende des Buches vor sich hin. Trudy und Oscar leben sich auseinander. Oscar interessiert sich für Elektrizität, Trudy erforscht die Flora und Fauna der Insel und unterrichtet die Kinder der Familie Crawley, mit denen beide zusammen auf der Insel leben.

Im letzten Viertel des Buches dann – endlich! – eine spannende Wendung. Trudy entdeckt, dass auf der Insel eine mysteriöse Frau in einer Höhle lebt, die letzte Überlebende eines indigenen Stammes. Es enthüllen sich Geheimnisse der anderen Bewohner von Point Lucia und Trudy gerät mit ihrem Ehemann in eine ernsthafte Auseinandersetzung, wie weit die anthropologische Erforschung der indigenen Frau gehen darf. Am Ende löst sich dieser Konflikt dann in einem, zugegeben, spannenden Showdown. Diese Spannungskurve hebt sich die Autorin leider bis zum Schluss auf.

Positiv hervorzuheben ist der Einblick in die gesellschaftlichen Konventionen, mit denen sich die Protagonistin auseinandersetzen muss, insbesondere ihrer Rolle als Ehefrau. Doch auch das kann leider nicht über die eintönige Gestaltung der restlichen Geschichte hinwegtäuschen.

Fazit: Setting und Idee des Romans sind interessant. Leider hat die Autorin keine packende Geschichte daraus entwickelt. Im letzten Viertel des Buches nimmt die Geschichte dann  noch Fahrt auf, die knapp 200 vorherigen Seiten kann man sich getrost sparen.

Christina Schwarz, Die Leuchtturmwärterin
btb Verlag, 2016
Autorin der Rezension: Franziska Schmidt

Meine Leseempfehlungen 2015: 12 Titel und ein Buch für Weihnachten

Genauer gesagt: Es sind Lesempfehlungen des Jahres 2015 von Autoren, die für meinen Blog rezensiert haben. Allen sage ich ein herzliches Dankeschön für die investierte Zeit und die ehrlichen, einfühlsamen Beurteilungen. Auch 2016 wünsche ich uns allen viel Lesevergnügen!

Hinweis: Die folgende Reihenfolge ist keine Rangfolge. Die Bildrechte der Cover liegen bei den Verlagen.

Mihailescu_GuterMannMittelfeld_P02DEF.inddTIPP 1: Andrei Mihailescu, Guter Mann im Mittelfeld (Hanser)
„Das Buch führt uns vor Augen, dass es keinen Grund gibt, als Europäer auf andere Erdteile herabzublicken. Ist es doch gar nicht so lange her, als vor unserer Haustür selbst Terror-Regime an der Macht waren. Eine unbedingte Leseempfehlung!“

TIPP 2: E. L. Doctorow, In Andrews Kopf (Kiepenheuer & Witsch)
„Ein Buch für alle, die mit schöner regelmäßigkeit an ihrem verstand zweifeln – und gerade deswegen in den Kopf anderer eintauchen möchten.“

TIPP 3: Vladimir Sorokin, Telluria (Kiepenheuer & Witsch)
„Wer bereit ist, sich auf radikale Stilwechsel einzulassen, sich nicht vor einer düsteren Zukunftsprognose fürchtet und Verständnis für die russische, oft etwas melancholische Seele hat, der wird Telluria lieben.“

TIPP 4: Ester Verhoef, Gegenlicht (btb)
„Selten habe ich ein so tief- und nahegehendes Psychogramm einer Persönlichkeit gelesen.“

TIPP 5: Tilman Strasser, Hasenmeister (Salis Verlag)
„Eine Empfehlung für all jene, die sich gern in die Abgründe der menschlichen Psyche versenken – und darin untergehen.“

Sedano Örtchen CoverTIPP 6: Nina Sedano, Happy End. Die stillen Örtchen dieser Welt (Eden Books)
„Klolektüre vom Feinsten und dennoch zu schade für einen Standort auf dem Abort.“

TIPP 7: Thomas Brussig, Das gibt’s in keinem Russenfilm (S. Fischer)
„Ein unbedingt empfehlenswertes, weil originelles Buch, mit selbstironischem Augenzwinkern und getragen von großer Fabulierkunst.“

TIPP 8: Bill Bryson, Sommer 1927 (Goldmann)
„Bill Bryson beweist, dass es einfach nur Spaß machen kann, sich mit historischen Themen und Zusammenhängen zu befassen.“

Cover HoneydewTIPP 9: Edith Pearlman, Honeydew (Ullstein)
„Edith Pearlmans Erzählungen sind eher Pralinés als Honigtau. Am besten genießt man sie auch so: Stück für Stück und nicht zu viele auf einmal.“

TIPP 10: Henriette Hell: Achtung, ich komme! In 80 Orgasmen um die Welt (Blanvalet)
„Ein lesenswertes Buch, nicht nur für Frauen. Auch die Männer können hier noch Einiges lernen.“

TIPP 11: Christina Baker Kline, Der Zug der Waisen (Goldmann)
„Die tiefgründige Erzählung lebt von viel Gefühl, einer großzügigen Prise Humor und großem schriftstellerischem Talent.“

kumala-zigarettenmädchen-print240TIPP 12: Erik Lindner, Auf der Suche nach dem Nudossi-Äquator
„Ein Muss für jeden, der mit Halloren Kugeln, f6 oder Schwalbe schöne Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend in der DDR verbindet.“

BONUS: Ratih Kumala, Das Zigarettenmädchen (Cultur Books)
„Ratih Kumala gelingt durch ihre einfühlsame Erzählweise ein Kunststück, dasnur wenige Autoren meistern: Sie erschafft plastische Bilder im Kopf des Lesers.“

Rezension: Esther Verhoef, Gegenlicht

Esther Verhoef, 1968 in den Niederlanden geboren, ist eine Sachbuch- und Krimi/Thrillerautorin. Für ihre Bücher wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Mit dem vorliegenden Buch kam sie sofort auf Platz 1 der niederländischen Bestenliste. Esther Verhoef lebt mit ihrem Mann in Südfrankreich.

Eine Frau und drei Männer. Eine Frau, die den schrecklichen Erfahrungen ihrer Kindheit und Jugend nicht entfliehen kann. Eine Frau, die endlich den Mut aufbringt, sich ihr eigenes Glück zu gönnen. Wie viel Leid kann ein Mensch ertragen, ohne verrückt zu werden?

Quelle: www.randomhouse.de
Quelle: www.randomhouse.de

Inhalt
Vera, eine Tierfotografin, seit 20 Jahren verheiratet, trifft sich seit zwei Jahren regelmäßig alle sechs Wochen für eine Nacht mit ihrem Liebhaber, der ebenfalls verheiratet ist. Beide erleben diese Stunden sehr intensiv. Es ist mehr als Sex. Es sind die Gespräche über fast alles, die sie so mit ihren jeweiligen Partnern nicht führen können.

Lucien, Veras Mann, hat ebenfalls eine Affäre, von der Vera etwas ahnt. Er kann nicht damit umgehen, dass Vera auf Grund ihrer Kindheitserlebnisse keine eigenen Kinder will. Als Luciens Vater seiner Familie bei einem Familienessen von seiner unheilbaren Krankheit erzählt, unternehmen alle gemeinsam eine letzte Reise nach Florida. Dort lernt Vera Luciens Halbbruder Aaron kennen, der spürt, dass zwischen Vera und ihrem Mann vieles im Argen liegt. „Es braucht nicht viel, um ein Leben aus den Angeln zu heben.“ (S. 444) Diese Erfahrung wird Vera selbst machen, und das, was sie erleiden muss, ist mehr, als manche Menschen ertragen können. Rückblickend sagt sie: „Angst war meine Triebfeder, mein Geleit, mein Schutz… Aber ich habe nicht gelebt.“ (S. 473)

Der Roman erzählt Veras Wandlung von einer zutiefst verängstigten und bindungsscheuen Frau hin zu einer Frau, die den Kampf gegen ihre inneren Dämonen aufnimmt und fast daran zerbricht. Einer ihrer Leitsprüche ist: „Man ist die Person, die man sich entschieden hat zu sein, jeden Tag aufs Neue.“ (S. 34) Als alles über ihr zusammenbricht, resümiert sie resigniert: „Glücklich sein zu wollen ist vielleicht noch zu viel verlangt.“ (S. 587)

Formelles
Das Buch besteht aus zwei Teilen, wovon der erste Teil 460 Seiten einnimmt und der zweite 144 Seiten. Im ersten Teil setzt die Autorin jedem Kapitel der Gegenwart ein kurzes der Vergangenheit (andere Schriftart, die Kapitelnummer statt in Ziffern in Buchstaben) voran. In den Kindheitskapiteln wird von einer, durch Gewalterfahrungen und Angst geprägten Schulzeit erzählt. Die Erwachsenen kommen darin nur am Rande vor, jedenfalls nicht als Helfer und Beschützer. Auch die besondere Rolle der psychisch kranken Mutter nimmt breiten Raum ein.

Die Autorin erzählt in der Ich-Form, wodurch sie dem Leser einen unmittelbaren Zugang zur Protagonistin ermöglicht. Die einzelnen Kapitel sind sehr kurz, oft nur zwei bis drei Seiten. Für mich war dieses ständige Umschalten von Vergangenheit auf Gegenwart und umgekehrt sehr anstrengend. Ich hätte gern länger in einer Zeitebene verweilt und wäre dem Handlungsverlauf lieber weiter gefolgt. Dadurch fiel es mir am Anfang auch schwer, zu den Figuren eine tiefere Bindung herzustellen. Andererseits erhielt das Ganze durch den schnellen Wechsel auch einen ungeheuren Drive, ein Tempo, das es mir schwermachte, das Buch aus der Hand zu legen.

Mein Fazit
Dieses Buch ist uneingeschränkt zu empfehlen. Selten habe ich ein so tief- und nahegehendes Psychogramm einer Persönlichkeit gelesen; die Hauptfigur, die 38-jährige Vera, ist eine Protagonistin, mit der man mitleiden und mitfiebern kann.

Esther Verhoef, Gegenlicht. Aus dem Niederländischen von Stefanie Schäfer.
btb, München 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Gegenlicht-9783442747443
Autorin der Rezension: Cornelia Lotter
www.autorin-cornelia-lotter.de

Rezension: Thomas Bannerhed, Die Raben

Ein kleiner Hof im schwedischen Småland ist die Heimat des zwölfjährigen Klas, seiner Eltern und seines Bruders Göran. Eigentlich eine Umgebung, die mit unbeschwerter Kindheit, schöner Landschaft und freundlichen Menschen in Verbindung gebracht wird. Doch das Bild, das Thomas Bannerhed in „Die Raben“ zeichnet, könnte gegensätzlicher nicht sein.

Quelle: www.randomhouse.de
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Wenn ich ein Vogel wär…

Klas ist ein passionierter Vogelbeobachter. Er weiß alles über die Arten, die in den Wäldern und Wiesen rund um den Hof leben. Besonders faszinieren ihn die Raben, stundenlang könnte er ihnen zusehen – und dabei die Realität vergessen. Und die ist alles andere als idyllisch: Der Vater, durch die schwere Arbeit mit dem Hof überfordert, gleitet immer in den Wahnsinn ab. Klas selbst, als ältester Sohn auf dem Hof besonders verpflichtet, fühlt sich der körperlichen Arbeit nicht gewachsen. Je weiter die Krankheit des Vaters fortschreitet, desto mehr hat auch Klas das Gefühl, dem Irrsinn anheim zu fallen. Er wird zum Bettnässer, träumt mehrfach davon, dass der Hof abbrennt, sieht sich von einem „Schwarzen Auge“ verfolgt und hört eine Stimme, die ihm Befehle erteilt. Auch die Hoffnung auf eine unbeschwerte Romanze mit Veronika erfüllt sich nicht. Auf dem elterlichen Hof häufen sich die seltsamen Ereignisse, sodass der Schluss des Buches nur die logische Konsequenz der Geschichte ist.

Nicht ganz einfache Poesie

Thomas Bannerhed gibt Klas‘ Sinneseindrücke mit großer Detailtreue wieder. Dabei bedient er sich eines poetisch anmutenden Sprachstils, der wie ein verbaler Weichzeichner wirkt. So wird die Landschaft Schwedens lebendig; ja, die Vögel singen und die Flüsse rauschen, und alle Gerüche, Gefühle und Geschmäcker vermitteln sowohl vom Umfeld als auch von den Charakteren ein individuelles Bild. Aber genau diese Detailverliebtheit macht es auch ein wenig verwirrend, dem Buch zu folgen, werden doch äußere und innere Eindrücke immer wieder vermischt. „Die Raben“ will konzentriert und nicht nebenbei gelesen werden. Die Sprache mit ihren plastischen Darstellungen regt die Phantasie an und verliert sich gleichzeitig in dieser. So ist dieses Buch sprachlich eher dem anspruchsvolleren Teil der Literatur zuzurechnen.

Mein Fazit

Wer gern opulente Sprachbilder mag, sich gern der eigenen Phantasie hingibt und noch dazu die Langsamkeit schätzt, die den nordischen Romanen zu eigen ist, der findet mit den „Raben“ ein anspruchsvolles Stück Literatur. Die ständige Vermischung von Träumen und Gedanken des Protagonisten mit der Realität machen es zu einem guten Stück Arbeit, der Handlung zu folgen. Zu oft habe ich den Eindruck, dass Klas‘ Gedanken und Gefühle eher einem erwachsenen Hirn entspringen als dem eines Zwölfjährigen. Damit wirkt das Buch als ein Versuch des Autors, wieder Kind zu werden und doch nicht aus seiner Haut – und seinen Formulierungen – entfliehen zu können. Dieser Umstand macht es, selbst bei einer Vorliebe für nordische Autoren, nicht zwingend zu einem Buch, das man gelesen haben muss.

Thomas Bannerhed, Die Raben
btb, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Die-Raben-9783442753925
Autor der Rezension: Harry Pfliegl