Albert Einstein kennt man. Seine Forschungsergebnisse versteht man je nach Standpunkt und Vorbildung mehr oder weniger – sein Privatleben allerdings ist in vielen Bezugsgrößen als relativ chaotisch einzuordnen. Wenn man denn Einsteins zwischenmenschliche Beweggründe überhaupt kennen könnte. Und eben das möchte der Autor Lauent Seksik ermöglichen. Über den Umweg der Leidensgeschichte von Eduard Einstein.
Dazu die Fakten: Mit seiner ersten Ehefrau Mileva Marić hatte Albert Einstein drei Kinder; die bereits 1903 auf reichlich mysteriöse Art „verschwiegene und verschollene“ Tochter Lieserl sowie die beiden Söhne Hans Albert (1904–1973) und Eduard (1910–1965). Dieser Eduard war in seiner frühen Jugend ausgesprochen musikalisch begabt, schrieb zudem Gedichte, galt als sehr sensibel, aber auch lernbegierig und gelegentlich „anstrengend“. Bis schließlich 1933 bei ihm Schizophrenie diagnostiziert und er selbst für 14 Jahre seines Lebens in der Züricher Heilanstalt Burghölzli hospitalisiert wird. Für Albert Einstein war die Krankheit des Sohnes eindeutig genetisch bedingt – und zwar ausgehend von der Familie seiner inzwischen von ihm geschiedenen Ex-Frau Mileva.
Das Buch beginnt mit einem inneren Monolog Eduards kurz nach der Einlieferung in die psychiatrische Klinik. In der Folge teilt sich der Roman in drei Hauptstränge: die Eindrücke und Erlebnisse der Eltern Mileva und Albert aus auktorialer Perspektive sowie die Empfindungen Eduards als Ich-Erzählung. Und in den insgesamt 34 Jahren, die die Romanhandlung auf knapp 330 Seiten behandelt, passiert viel Erzählenswertes. Albert Einstein heiratet wieder, der aufkeimende Nationalsozialismus zwingt ihn zur Emigration, sein Verhältnis zu Ex-Frau und den beiden Söhnen wird schwieriger. In den USA bringt er sich durch sein soziales Engagement immer mehr in Misskredit. Seine zweite Frau stirbt, sein ältester Sohn Hans-Albert verfällt einer Sekte, auch der Enkel stirbt deshalb qualvoll, Albert Einsteins Weltekel nimmt stetig zu und er erkrankt unheilbar an einem fatalen Aneurysma der Aorta.
Parallel dazu und für mich noch faszinierender lesen sich da die Schilderungen von Eduard. Seine verquere Logik im Disput mit Psychiatern, vermeintlichen Gönnern, seiner Mutter oder den „Wärtern im Irrenhaus“ hat nahezu die Qualitäten von Alice im Wunderland. Seine Verzweifelungen über die oft brutalen Behandlungsmethoden gehen unmittelbar zu Herzen. Vor allem aber spiegelt sich das Leitmotiv seiner Schizophrenie in der allgemeinen Weltgeschichte genauso wie in der Biografie von Vater Albert Einstein. Beispielsweise in der bigotten Haltung der Schweiz gegenüber dem Nazi-Regime in Deutschland, in Einsteins Engagement erst für und dann wieder gegen den Bau der Atombombe oder in Amerikas Hysterie vor „kommunistischer Unterwanderung“ durch Intellektuelle während McCarthy’s Hexenjagd.
Alles in allem hat Laurent Seksik, übrigens studierter Mediziner, hier ein sehr genau recherchiertes und mit großer emotionaler Kraft verfasstes Werk vorgelegt. Dass er die Kunst der lebendigen Biografie beherrscht, hat Seksik schon 2011 mit einem besonders in Frankreich gefeierten Roman über Stefan Zweig beweisen. Dass er mehrere Perspektiven souverän und stimmig zu einem Gesamterlebnis verbinden kann, zeigt der „Fall Eduard Einstein“ mit fast jedem Satz. Dazu ein abschließendes Zitat aus den Gedanken des Titelhelden: “…trotzdem glaube ich zu wissen, dass ich nie Kinder haben werde. Das ist sicher die beste Methode, um zu vermeiden, dass man Vater wird.“
Laurent Seksik, Der Fall Eduard Einstein
Karl Blessing Verlag, 1. Auflage Mai 2014
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Rezension: Harald Wurst | ph1.de