Rezensionsreihe Israel zur Leipziger Buchmesse 2015, Teil 7: Jenna Blum, Die uns lieben

Quelle: www.aufbau-verlag.de
Quelle: www.aufbau-verlag.de

Weimar 1939
Bevor sie selbst zu Schachfiguren des Grauens werden, können Anna, Tochter eines inbrünstig heil-hitlernden Vaters, und Max, ein jüdischer Doktor, noch eine Zeit lang spielen. Sie verlieben sich ineinander und zeugen ein Kind: Trudy. Doch Max wird entdeckt und nach Buchenwald deportiert. Um sich selbst und ihre Tochter zu schützen, wird Anna schließlich die Geliebte des Obersturmführers Horst von Steuern, der über Jahre hinweg ihre einzige Bezugsperson darstellt…

50 Jahre später hüllt sich Anna in Schweigen und überlässt Trudy verworrenen Erinnerungsfetzen an ihre früheste Kindheit, aus denen sie nur einen Schluss ziehen kann: Sie ist das Kind eines Nazis.

Authentisch und anschaulich
Wie hätte eine durchschnittliche deutsche Frau den Holocaust erlebt? Wie hätte sie sich verhalten? Was hätte sie empfunden? Diese Fragen stellte sich Jenna Blum, als sie bei einem Besuch Weimars feststellte, wie nah die Stadt am KZ Buchenwald gelegen ist. Die uns lieben ist das Ergebnis dieser Fragen, jahrelanger Recherchen und Interviews mit Zeitzeugen, die die Autorin für Steven Spielbergs „Survivors of the Shoah Foundation“ führen durfte. All das gepaart mit dem exzellenten Schreibstil Blums, der mit genügend bildhaften Detailbeschreibungen arbeitet, um das Buch zum Film, aber nicht zum Hollywoodbuster werden zu lassen, verleiht der Geschichte der Anna ihre Überzeugungskraft.

Those who save us
Annas Drama entspringt auch der Titel des Buches, was jedoch nur im Original deutlich wird (ein kleiner Kritikpunkt – freilich nur an der Übersetzung): Gefragt, ob sie den Nazi, dessen jahrelange Mätresse sie war, geliebt hat, sucht Anna nach Worten und will sagen: We come to love, those who save us. Doch sie schweigt, weil sie nicht weiß, ob sie save (beschützen) oder shame (beschämen) sagen soll.

Die Schuld- und Schamgefühle, welche die Zwangsliaison in ihr ausgelöst hatte, überschatten Annas gesamtes weiteres Leben – und indirekt auch das ihrer Tochter Trudy. Diese versucht 50 Jahre später die Vergangenheit zu ergründen, was dadurch erleichtert wird, dass Trudy mittlerweile Professorin für deutsche Geschichte ist. Ein simpler, gleichwohl genialer Trick der Autorin, welcher ihr gestattet, das Thema des Holocaust sowohl in seiner persönlichen Bedeutung für ihre Protagonisten als auch in seinem generellen Ausmaß dramaturgisch dicht zu beleuchten. Der Perspektivenwechsel – zwischen Anna im braunen Weimar der 1940er und Trudy im kalten Minneapolis der 1990er Jahre – trägt sein Übriges zum Spannungsbogen des Romans bei.

Mein Fazit
Prosa, die die Zeit des Dritten Reichs behandelt, hat mich zu Schulzeiten so sehr verfolgt, dass ich sie irgendwann kategorisch ablehnte. Zu bedrückend. Hätte ich das Buch nicht zum Rezensieren bekommen, hätte ich es daher vermutlich nie gelesen und nie gewusst, was mir dabei entgangen wäre: Eine einfühlsame Charakterstudie, aber vor allem eine überaus spannend und meisterhaft erzählte Geschichte.

Jenna Blum, Die uns lieben
Aufbau Verlag, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Die-uns-lieben-9783351035884
Autorin der Rezension: Katja Weber