Rezension zu Johannes C. Bockenheimer: Chuzpe, Anarchie und koschere Muslime. Meine Versuche, Israel zu verstehen

Dieses Buch füllt 200 Seiten mit dem Versuch, Israel zu verstehen. Spannend, denke ich mir. Mittlerweile war ich selbst wohl um die zwanzig Mal im Land inklusive der palästinensischen Gebiete, und je mehr Antworten ich auf meine Fragen fand, umso mehr neue Fragen stellten sich ein.

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Hier nun ebenfalls das Unternehmen, verschiedene Blickwinkel einzubinden: Schriftsteller, Künstler, Politiker, Wirtschaftsleute und Politiker kommen zu Wort. Autor Bockenheimer, seines Zeichens Journalist und eloquent im Umgang mit seinem Instrumentarium, schafft es, Alltägliches in unalltäglicher Perspektive zu beleuchten, die allzu vereinfachenden Antworten dem Gesprächspartner nicht durchgehen zu lassen. Das Buch ist durchaus aus dem Blickwinkel des Verfassers geschrieben; nicht zu uneitel, um seinem Berufsstand gemäß nicht authentisch zu wirken. Immer wieder geht es ihm um das Grundsätzliche: die Ideen Theodor Herzls zum Gebilde, das er den „Judenstaat“ nennt. Davon ausgehend entwirft der Autor seine Bezüge zum gegenwärtigen Unverstehbaren.

Dies gelingt ihm in lesenswerter, unterhaltsamer und gleichzeitig lehrreicher Art und Weise. Herzl, Journalist wie Bockenheimer, wird zum Prüfstein der Gegenüber. Dabei erfahren wir Verstörendes, Unerwartetes wie Erhellendes. Der Plan Herzls, seine kontroverse Diskussion auf den jüdischen Weltkongressen, die damit verbundenen Visionen und Ziele und seine Umsetzung im real existierenden Israel werden im Verlauf der Gesprächsprotokolle immer und immer wieder in stilsicher ausformulierten Denkfiguren gegeneinander gestellt und überprüft.

Dass dies zugleich in einem lockeren Schreibstil daherkommt, beflügelt die schwere Materie des Stoffes. Hier wird auch Demaskierung behutsam ausgeführt, vermisst man nie den Respekt selbst vor den seltsamsten, skurrilsten Ansichten und deren Repräsentanten.

Ob man Israel nach der Lektüre besser versteht? Vielleicht die dort lebenden Menschen. Und dies ist es wert! Eine Entdeckung, die ich der interessierten Leserschaft nur wärmstens empfehlen kann.

Johannes C. Bockenheimer: Chuzpe, Anarchie und koschere Muslime
Pantheon Verlag, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Chuzpe-Anarchie-und-koschere-Muslime-9783570552766

Rezensent Dr. Thomas Feist, Jahrgang 1965, studierte Musikwissenschaft, Theologie und Soziologie an der Uni Leipzig und promovierte 2005 zum Dr.phil. mit einer Arbeit über „Musik als Kulturfaktor“. In der 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages vertritt er Leipzig als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter der CDU im Wahlkreis 153 Leipzig II. Dr. Thomas Feist ist Mitglied der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe und seit 2010 Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Leipzig.

Weitere Rezension von Dr. Thomas Feist zu Crippa/Onnis, Wilhelm Brasse – Der Fotograf von Auschwitz hier

Rezensionsreihe Israel zur Leipziger Buchmesse 2015, Teil 4: Crippa/Onnis, Wilhelm Brasse – Der Fotograf von Auschwitz

Die Ausleuchtung des Ateliers ist von besonderer Bedeutung, der Blick durchs Objektiv von Kennerschaft geprägt. Er ist ein Meister im Retuschieren, ein Fotograf mit Leib und Seele. Er ist der Fotograf von Auschwitz.

Quelle: www.randomhouse.de
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Wilhelm Brasse, der Häftling mit der Nummer 3444, der die auf Zelluloid gebannte Erinnerung an die Opfer und Peiniger, den demoralisierenden Lageralltag und die grauenvollen Experimente der Lagerärzte vor der Vernichtung bewahrte und somit ihr Vermächtnis bewahrte. Das vorliegende Buch aus der Feder der italienischen Journalisten und Historiker Luca Crippa und Maurizio Onnis erzählt seine Geschichte.

Und nicht nur dies. Über die biographische Dokumentation des Lebens von Wilhelm Brasse, der als deutsch-polnischer politischer Gefangener den Beginn und das Ende des Vernichtungslagers Auschwitz miterlebte, werden die Geschichten der über 50 000 von ihm porträtierten Mitgefangenen sichtbar. Teils hochemotional verdichtet in bedrückenden Einzelschicksalen, teils in der funktional-nüchternen Beschreibung des Funktionierens der Todesmaschine.

Nein, kalt lässt den Leser keine Seite dieses Buches. Und dies, obwohl die Verfasser die Hauptperson Wilhelm Brasse und die um ihn herum platzierten Akteure aus der Distanz der dritten Person zu Wort kommen lassen, mithin einen durch die Beobachtung des Geschehens und der Personen inszenierten Abstand wahren, der das Lesen erträglich macht. Dennoch – und dies ist das Verdienst der beiden Autoren – bleibt dieses Buch nicht unpersönlich. Im Gegenteil: Hier entwickelt die Erzählebene durch das Einbeziehen des lesenden Beobachters die notwendige persönliche Hinwendung zum Geschehen, ohne mit diesem zu überfordern. Das Verstehen des Unverständlichen stellt sich so nicht ein – wohl aber die wahrhaftige Anteilnahme an den vielen Genannten und Ungenannten und ihren Schicksalen.

Die Geschichte des Lagerfotografen Wilhelm Brasse ist ein in höchstem Maße angemessener Blickwinkel, um von Auschwitz zu erzählen. Ein Buch, das selbst im allzu Hoffnungslosen immer wieder Hoffnung aufscheinen lässt. Ein großartiges Werk von der Würde des Menschen inmitten der von ihm errichteten Hölle auf Erden. Verstörend und erhellend zugleich.

Crippa/Onnis, Wilhelm Brasse – Der Fotograf von Auschwitz
Karl Blessing Verlag, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Wilhelm-Brasse-der-Fotograf-von-Auschwit-9783896675316
Autor: Dr. Thomas Feist

Rezensent Dr. Thomas Feist, Jahrgang 1965, studierte Musikwissenschaft, Theologie und Soziologie an der Uni Leipzig und promovierte 2005 zum Dr.phil. mit einer Arbeit über „Musik als Kulturfaktor“. In der 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages vertritt er Leipzig als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter der CDU im Wahlkreis 153 Leipzig II (Stadtbezirke Mitte, Süd, Südost, Südwest und West). Dr. Thomas Feist ist Mitglied der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe und seit 2010 Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Leipzig.

Leipziger Buchmesse 2015: Verfolgen Sie meine Rezensionsreihe zum Partnerland Israel

Wie schon zur Frankfurter Buchmesse 2014 mit dem Partner Finnland, werde ich in diesem Jahr eine Rezensionsreihe zur Leipziger Buchmesse mit dem Partner Israel auflegen. Der Anfang ist gemacht mit einer Besprechung zu „Elsas Stern“. Ich bin sehr gespannt, welche Themen sich ergeben. Bisher finde ich nur drei Stichwörter: Holocaust, Kibbuz, Krimi.

Besonders freue ich mich über einen Gastrezensenten: Bernd Karwen, Mitarbeiter am Polnischen Institut Leipzig und ausgewiesener Kenner polnischer Gegenwartsliteratur, wird für diesen Blog den Roman „Die Pension“ von Piotr Paziński besprechen. Der Autor liest am 13. März um 20:00 Uhr im Polnischen Institut Leipzig aus seinem Debutwerk, für das er mehrfach ausgezeichnet wurde. Auch Dr. Thomas Feist, Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Leipzig, hat eine Gastrezension zugesagt. Er wird seine Leseeindrücke von „Wilhelm Brasse, Der Fotograf von Auschwitz“ schildern. Danke!