Am 24. Februar dieses Jahres wäre Erich Loest 90 Jahre alt geworden. Die Bibliothek Gohlis trägt jetzt den Namen des Leipziger Ehrenbürgers. Die Lesereihe „Buchmesse schmeckt“ als Appetithappen vor den offiziellen Buchmessetagen nahm Oberbürgermeister Burkhard Jung jetzt zum Anlass, auf ganz persönliche Weise an Erich Loest zu erinnern.
Das Stadtoberhaupt wählte aus dem 1979 erschienen Erzählband „Pistole mit sechzehn“ die Kurzgeschichte „Eine Falte, spinnwebfein“. Deren Titel erschließt sich erst im vorletzten Satz. Der besondere Bezug: Zum 80. Geburtstag von Erich Loest hatte Burkhard Jung als persönliches Geschenk dem „Meister der feinen Andeutungen“ (Jung) den Text vorgelesen.
Ich hätte es wissen sollen. Eine Frau wie Elke Urban nimmt nicht einfach ihr Lieblingsbuch aus dem Regal. Sie will beeindrucken. Nicht durch ihr Bundesverdienstkreuz, sondern durch das, was sie anderen vermittelt. So liegt heute das weniger bekannte Werk „Einmal Exil und zurück“ von Erich Loest auf dem Vorlesetisch in der Moritzbastei.
Das hat gute Gründe, gleich mehrere. Offensichtlich: Beide haben am 24. Februar Geburtstag. Tiefer: Elke Urban hat Erich Loest zu seinem 85. Geburtstag 2011 ein besonderes Geschenk gemacht. In einem Exemplar des Vorlesebuches von heute stieß sie auf Loests Revolutionsstück „Ratzel speist im Falco“, das in Leipzig bis dahin noch nie gespielt worden war. Grund: Zu unbequem. Loests Mahnung, die Verlierer von 1989 könnten 20 Jahre später schon wieder auf der Gewinnerseite sein, wollte niemand hören. Elke Urban holte Profis, ließ proben bis zur Uraufführung in der „Zille“. Es folgten 20 weitere Aufführungen. Zum 25. Jahrestag der Friedlichen Revolution soll es in diesem Jahr eine Neuproduktion geben. Loests Dank und seine Briefe sind heute Elke Urbans größter Schatz.
„Einmal Exil und zurück“ versammelt bekannte Personen, Plätze und Szenen: Die Kirchenleute Führer, Magirius und Schorlemmer, Friedensgebete und Montagsdemos, die Entstehung des Films „Nikolaikirche“ mit Peter Sodann. Die kurzen Passagen machen die Bilder wieder lebendig für alle, die dabei waren. Elke Urban bringt ein Kleinod mit: Ein Flugblatt vom 9. Oktober 1989 mit dem Namen „Appell“, das mit seinem Aufruf zur Gewaltfreiheit bis heute ein Tabu blieb. Elke Urban geht auf Tingeltour, versucht dem Zeitdokument bei Historikern und Schulbuchverlagen die gebührende Anerkennung zu verschaffen. Einer der Verfasser, Pfarrer Christoph Wonneberger, wird morgen 70. Er koordinierte seit 1986 die Friedensgebete in der Nikolaikirche. Am 25. September 1989, nach seiner Predigt, erklang in der Kirche „We shall overcome“ – „und das war mein 9. Oktober“, bekennt Elke Urban sichtlich bewegt.
Was bleibt von dieser Mittagspause? Gewalt kann nicht das Zeichen einer neuen, besseren Gesellschaft sein. Und: Immer wieder Mut fassen und aufstehen zu Ehren von Erich Loest.