Rezension: Heike Guderjahn (Hrsg.), April, Sturm und andere Turbulenzen. Geschichten von der Liebe

Quelle: www.buchergilde.de
Quelle: www.buchergilde.de

Weg mit den Pseudo-Sado-Maso-Schinken. „Fifty Shades of Grey“ ist eine Lachnummer im Vergleich zu diesen Geschichten. Sie stammen aus Zeiten, als Frau noch etwas zu befürchten hatte, wenn sie sich erdreistete, über Herzschmerz zu schreiben. So zum Beispiel Kate Chopin: Die Amerikanerin legte im Jahr 1899 mit „The Awakening“ einen wahrlich skandalöses Buch vor, in welchem sie ihrer Protagonistin ein Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit zustand. In der Folge des Aufruhrs, welchen sie damit in der gutbürgerlichen Gesellschaft auslöste, wurde zu ihren Lebzeiten nie wieder ein Buch von ihr verlegt.

Ihre Erzählung „Der Sturm“ ist eine kondensierte Version ihres Erstlings und wurde erst posthum veröffentlicht. Sie findet sich im wunderbaren Sammelband „April, Sturm und andere Turbulenzen“, jüngst erschienen in der Edition Büchergilde. Herausgeberin Heike Guderjahn hat hier Geschichten von der Liebe zusammen getragen, allesamt geschrieben von intellektuellen und einfühlsamen Frauen. Natalia Ginzburg ist ebenso darunter wie Sylvia Plath und Ingeborg Bachmann. Die Erzählstränge reichen von Erotik bis hin zum wahren Gräuel jeder Romanze: verblassender und erloschener Liebe.

April_vonoben-a096641cDer Herausgeberin gelingt es, Geschichten zu versammeln, die von echten Beziehungen inspiriert sind. Sie sind nicht glatt gebügelt von irgendwelchen Märchenprinz-Fantasien. Und damit entsteht ein Lesebuch für Frauen, die es gelernt haben, Herzweh auszuhalten. Die Illustrationen der Leipziger Zeichnerin Susanne Wurlitzer spiegeln auf Herrlichste die Leere wider, die entsteht, wenn eine brennende Leidenschaft abgekühlt ist. Ein besonderes Lob gilt der Gestaltung: Das Buch wird in einer Wickelbroschur hergestellt. Als besondere Herausforderung an die Druckerei kann der Leser den Umschlag zu einem Tafelbild aufklappen und aufstellen.

Ein bezaubernder Band nur für wahrhaft Erwachsene.

Heike Guderjahn (Hrsg.), April, Sturm und andere Turbulenzen. Geschichten von der Liebe
Edition Büchergilde, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/April-Sturm-und-andere-Turbulenzen-9783864060489
Autorin der Rezension: Eva-Maria Kasimir

Fotonachweis (2): büchergilde.de

Rezension: Wolf Schmid, Pedalpilot Doppel-Zwo

Pedalpilot Doppel-Zwo ist der Ritter der Straße. Als Radkurier in Hamburg bringt Johannes jeden Tag Sendungen auf die Asphaltbahn. Bis ein Bruch ihn aus derselben wirft. Also muss Walter ran, sein Vater. Der tut sich anfangs schwer, ist er doch – als einer der letzten verbeamteten Postzusteller – gerade in Pension gegangen. Und er ist ein schüchterner Kauz. Aber Walter fällt ausnahmsweise mal das Glück zu.

Quelle: www.liesmich-verlag.de
Quelle: www.liesmich-verlag.de

Wolf Schmid legt mit Pedalpilot Doppel-Zwo einen wunderbaren Erstlingsroman vor. Schmids Sprache ist klar und spiegelt seinen Ideenreichtum wider. Und damit erzählt er eine Geschichte, die subtil politisch ist: Es ist die vom Sonderling Walter, der im heutigen Raubtierkapitalismus verloren wäre. Walter gehört noch zu einer Generation, in der Postboten und Paketzusteller verbeamtet waren und es zu bescheidenem Wohlstand bringen konnten: ein Haus, eine Eigentumswohnung, ein kleiner Weinberg. Das zählt Walter, der den Mund nicht aufbrächte, selbst wenn es um sein Leben ginge, zu seinem Besitz. Plus Pension.

Johannes wird das wohl nie erreichen. Ungleich gewandter und mit höherem Bildungsabschluss ausgestattet, schlägt er sich in einem ähnlichen Job als Kurierfahrer durch. „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“, rät sein Vater. „Spar du dir lieber deine Sprichworte. Mir bleibt am Ende des Monats nichts zum Sparen. Das ist heute nicht mehr wie zu deiner Zeit, als jeder popelige Briefträger sich Mitte zwanzig den Traum vom Eigenheim erfüllen konnte“, entgegnet Johannes und bringt den Generationsunterschied auf den Punkt. Johannes muss sein Leben ganz anders auf die Reihe bekommen als sein Vater. Und das bald.

Wolf Schmid erzählt von der Prekarisierung einer Bevölkerungsschicht, verpackt in eine liebevolle Geschichte, die den Leser hoffnungsfroh zurücklässt. Bravo!

Wolf Schmid, Pedalpilot Doppel-Zwo
Liesmich-Verlag, 2015
Autorin der Rezension: Eva Maria Kasimir

Hallo, Wolf Schmid: Der Pedalpilot zu Hause in der Leipziger Radkneipe

Der Charme des Abends sprudelt aus zwei Quellen: Der Lesung von Autor Wolf Schmid. Und dem Ambiente der Kneipe Dr. Seltsam. Sie bildet den passendsten Rahmen, den es für einen Roman über Fahrradkuriere wohl geben kann, denn sie ist tagsüber eine Selbsthilfewerkstatt für Radfahrer und abends eben Kneipe. Folglich hängen Fahrräder von der Decke des heruntergekommenen Gebäudes. Die Wand mit den Werkzeugen, mit warmem Licht angestrahlt, wird zum Hintergrund für Schmids Geschichte, wie es sich kein Fotograf besser wünschen könnte.

Autor Wolf Schmid im Dr. Seltsam. Foto: Eva Maria Kasimir
Autor Wolf Schmid im Dr. Seltsam. Foto: Eva Maria Kasimir

Schmids Fangemeinde ist bereits vor Ort: Die Radkuriere Leipzigs, welche die Veröffentlichung des Buches im Herbst vergangenen Jahres bereits ersehnt hatten. „Wir wussten aus einem Internetforum davon, in dem Schmid Hamburger Kuriere darum bat, zu checken, ob die Orte in der Hansestadt noch so stimmen“, erzählt einer, der bis vor drei Jahren noch selbst Kurier war. Und auch Schmid ist ein Ex-Kurier: „Ich fuhr während des Studiums in Hamburg und danach noch eine Weile professionell in München“, so der 39-Jährige. Schmid hat beim Eichborn-Verlag volontiert, Ethnologie und Allgemeine Rhetorik studiert und war unter anderem Buchhändler und Messebauer. Seit 2009 lebt er in Lissabon und arbeitet in einem Call-Center, wo die Kunden eines Schweizer Telekommunikations-Unternehmens betreut werden. Er weiß also, wovon er schreibt, wenn es um prekäre Jobs geht.

Auch sein Verlag ist – noch – eine prekäre Angelegenheit. Der Liesmich-Verlag ist frisch gegründet, der Pedalpiloten-Roman ist die erste Veröffentlichung überhaupt. „Ich freue mich, dass das Interesse immer noch anhält. Seit Herbst bringen wir uns immer wieder ins Gespräch“, so Verleger Karsten Möckel, der hart am PR-Rad dreht und alle möglichen Medien dazu gebracht hat, auf den Wagen aufzuspringen. Die Verkäufe sind dem Aufwand allerdings noch nicht nachgekommen. Bisher sind etwa 800 Stück verkauft. Klingt wenig. Ist aber für einen doppelten Erstling ein beachtlicher Erfolg. „Ich habe mich bewusst für diesen Verlag entschieden, weil ich nicht an große Verlage schreiben und ein halbes Jahr auf Antwort warten wollte“, sagt Schmid. Nun boxen sie sich eben zusammen durch, der Autor und der Neuverlag.

Fahrräder auf der Messe Touristik und Caravaning Leipzig 2014. Foto Detlef M. Plaisier
Fahrräder auf der Messe Touristik und Caravaning Leipzig 2014. Foto Detlef M. Plaisier

Schmid hat im Rahmen der Buchmesse eine Reihe von Lesungen absolviert. Aber richtig zu Hause ist er im Dr. Seltsam, wo das Buch zur Veröffentlichung präsentiert wurde. Schmid erntet viele Lacher und Zwischenrufe. Ihm gelingt es, bei der Lesung  nur wenig von der Geschichte preiszugeben. Und Schmid erklärt den Kurier-Slang: „Beim offenen Funk muss man die Touren ersteigern und sich gegenseitig in der Zeit, in der man die Tour fahren kann, unterbieten. Gibt´s so was in Leipzig?“ Gibt es nicht.

„Hier gibt es zwei große Kurierbuden, und die fahren meist feste Touren“, erzählt der Ex-Kurier. Er sah es immer so, dass er für das Radfahren bezahlt wurde. „In seinem Kopf klackerte permanent eine Zähluhr, die Monats- und Tagesumsatz, den gegenwärtigen Stundenlohn und Gewinn anzeigte, Ausgaben aufaddierte und Alarm schlug, wenn er vom Haben ins Soll rutschte“, heißt es im Roman. Die Leipziger Kuriere kennen das nur zu gut. Verleger Möckel versucht derweil Bücher zu verkaufen. „Es kostet 15 Euro. Das ist verdammt viel Geld für einen Kurier. Das hat mir damals den Kühlschrank voll gemacht“, erzählt der Ex-Fahrer. Und so bleibt Möckel an diesem Abend auf den Romanen sitzen.

Vielen Dank für den Text an Eva Maria Kasimir!

Rezension: Kate Bethune, Das kleine Buch vom Heiraten

Rosaroter Zitatenschatz für nervöse Bräute

Heiraten ist eine Wissenschaft für sich. Das wird jedem klar, der „Das kleine Buch vom Heiraten“ von Kate Bethune in Händen hält. Auf 144 Seiten, liebevoll in rosa Leinen gebunden, versammelt die Engländerin viel Wissenswertes über das Ausrichten der Feierlichkeiten zum Bund fürs Leben. Alphabetisch. Anders ist dem Wirrwarr an Dingen, die gekauft werden wollen, anscheinend nicht beizukommen.

Quelle: www.edel.com
Quelle: www.edel.com

Bethune hat sich viel Arbeit gemacht, indem sie die historischen Zusammenhänge hinter unseren heutigen Sitten und Gebräuchen erforschte und zusammen trug. Nicht viele wissen wohl, dass Brautkleider erst seit dem 19. Jahrhundert traditionell weiß sind. Genauer gesagt, seitdem die englische Königin Victoria 1840 ihren Prinzen Albert von Sachsen-Coburg und Gotha ehelichte. Sie ist die Trendsetterin, der wir noch heute folgen, wenn Bräute in jungfräulichem Weiß vor den Altar treten.

Kate Bethune bietet einen kurzweiligen Abriss darüber, wie eine Hochzeit nach eigenen Vorstellungen zu gestalten ist. Doch leider auch nicht mehr. Wer Ratschläge oder Anekdoten zum Eheleben erwartet hatte, wird enttäuscht. Und leider vergibt Bethunes Verlag hier eine große Chance. Denn so hübsch das hochwertig verarbeitete Buch auch anzusehen und in die Hand zu nehmen ist, so bietet es doch nur dünnen Inhalt. Selbst auf ihr Kernthema Mode – Bethune ist Modekuratorin – geht die Autorin zu wenig ein. Zwar bespricht sie die einzelnen Kleidungsstücke, doch worauf man bei der Auswahl achten muss, das kommt zu kurz. Und so bleibt das Buch selbst für Heiratswillige nur ein Lektüre-Anfang. Auch wenn es tiefer in die Kulturhistorie eintaucht als Zeitschriften zum Thema, so bleibt es doch an der Oberfläche, wenn es um das Ausrichten einer Hochzeit geht.

Es eignet sich trotzdem. Als Geschenk für Frischverlobte zum Beispiel. Oder als augenzwinkernder Denkanstoß für Langverlobte. Für alle gibt Kate Bethune wenigstens einen essentiellen Ratschlag, entnommen aus dem so betitelten kleinen Buch der Ehesünden von 1913: „So viele Frauen verwenden ihre ganze künstlerische Energie aufs Heiraten, was alles in allem eine relativ unkomplizierte Angelegenheit ist. Verheiratet zu bleiben, ist das wahre Kunststück…“

Kate Bethune, Das kleine Buch vom Heiraten
Eden Books, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Das-kleine-Buch-vom-Heiraten-9783944296593
Autorin der Rezension: Eva Maria Kasimir