Erik Lindner, geboren 1964, ist promovierter Historiker und beschäftigt sich besonders mit deutsch-jüdischer Geschichte. Er ist als Geschäftsführer der Axel-Springer-Stiftung tätig.
Als ehemalige DDR-Bürgerin waren mir vor Lektüre dieses Buches nicht nur einige Marken gut im Gedächtnis geblieben, sondern ich verwende sie auch bewusst weiter, sofern sie hier, im Südwesten Deutschlands, in den Regalen der Supermärkte zu finden sind. So spüle ich mein Geschirr aus Prinzip mit fit, creme meine Haut mit Florena, bestreiche alles, was sich dazu eignet, mit Bautz‘ner Senf, trinke, wenn ich etwas zu feiern habe, nur Rotkäppchen Sekt und esse grundsätzlich keine anderen Gurken als die aus dem Spreewald.
Die Überlebenden der Wende
Das Buch, in dem die Geschichte von ca. 100 Marken und Produkten aus den Bereichen Lebensmittel, Körperpflege, Technisches und Schönes nachgezeichnet wird, hat mir nun gezeigt, dass noch viele andere Marken der ehemaligen DDR überlebt haben, wenn auch nicht immer unter dem Dach der ehemaligen Gründer der Marke und leider nicht immer am alten Standort. In dieser Menge war das für mich eine echte Überraschung.
Die Nachwendezeiten sind mir noch gut in Erinnerung, als vor jedem Kaff auf der grünen Wiese ein Zelt aufgestellt wurde, in dem von der holländischen Gurke bis zum Waschmittel alles verkauft wurde – Hauptsache, es kam aus dem Westen. Und die endlich konsummündigen Bürger kauften, was das Portmonee hergab. Irgendwann jedoch, als leider viele der DDR-Betriebe ihre Produktion mangels Nachfrage eingestellt hatten, stellten sie fest, dass der selbst gezogene Salat aus dem Garten wesentlich besser schmeckte als das Grünzeug aus Holland und dass Spee genauso sauber wusch wie Persil, vom Preis ganz abgesehen.
Im Buch wird für viele Produkte dieser Weg von der einstigen DDR-Marke, die mangels Alternativen eine Monopolstellung hatte, über das zeitweise Verschwinden bis hin zur glanzvollen Wiederauferstehung nachgezeichnet. Auch ehemalige Betriebsangehörige oder mutige West-Investoren werden mit ihrer Leistung bei der Erhaltung eines Teils der DDR-Warenkultur gewürdigt. Ebenso bleibt nicht unerwähnt, dass es viele Glücksritter und Heuschrecken gab, die für einen schnellen Profit durchaus lebensfähige Betriebe herunterwirtschafteten und abwickelten. Auch das Handeln der Treuhand war dabei nicht immer von Weitsicht und Fairness geprägt.
Umso erfreulicher ist es, dass mittlerweile viele ehemalige DDR-Bürger wieder zu „ihren“ Marken als einem Teil ihrer Identität zurückgefunden haben. Viele Verbraucher in den alten Bundesländern kennen jetzt Produkte aus der ehemaligen DDR und haben sie schätzen gelernt. Das Potential ist sicher noch lange nicht ausgeschöpft. Und auch ich werde mich, sobald ich meinen Wohnsitz nach Leipzig verlegt habe, verstärkt auf die Suche nach „Ostprodukten“ begeben, um die Firmen, die immer noch ihren Sitz und ihre Produktionsstätten dort haben, zu unterstützen.
Mein Fazit
Ein informatives und interessantes Buch für all jene, die einmal hinter die Kulissen von Markenrecht und Produktentwicklung unter den besonderen Bedingungen der geschichtlich einmaligen „Eingliederung“ schauen wollen. Und ein Muss für jeden, der mit Halloren Kugeln, f6 oder Schwalbe schöne Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend in der DDR verbindet.
Erik Lindner, Auf der Suche nach dem Nudossi-Äquator
Murmann Publishers GmbH, Hamburg 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Auf-der-Suche-nach-dem-Nudossi-quator-9783867744225
Autorin der Rezension: Cornelia Lotter
www.autorin-cornelia-lotter.de