Rezension: Hanna Rackwitz, Ich tick nicht richtig

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Die Autorin Hanka Rackwitz hat einige Bekanntheit durch ihre TV-Auftritte bei „Big Brother“, „mieten, kaufen, wohnen“ und zuletzt im “Dschungelcamp“ erlangt. Das Buch „Ich tick nicht richtig – Geschichten aus meinem Neurosengarten“ ist das erste Buch der Immobilienmaklerin, das sie zusammen mit der Journalistin Petra Cnyrim verfasste. Es erschien 2016 im mvg Verlag. Ich persönlich kannte Hanka Rackwitz nicht, bevor ich ihr Buch in die Hände bekam. Das ist jedoch nicht weiter wichtig für das Verständnis des Buches, da sie ihre Biografie dort recht ausführlich darlegt. Aber dazu später.

Wie der Titel vermuten lässt, beschreibt Hanka Rackwitz in diesem Buch ihre Angst- und Zwangsstörungen. Die Schilderungen ihrer diversen Zwänge sind sehr ehrlich, zumal sie offen zugibt, diese noch nicht vollständig überwunden zu haben und die Bewältigung ihres Alltags wirklich sehr kräftezehrend ist. Sie beschreibt einige persönliche und auch peinliche Situationen aus ihrem Leben auf sehr humorvolle Weise, was einerseits sehr mutig und andererseits sehr sympathisch ist. Hanka Rackwitz erklärt, warum sie nagelneue Designermöbel wegschmeißt, einige Zimmer ihrer Wohnung aus Angst nicht betreten kann und ihre Gummistiefel sie beruhigen. Das Schreiben des Buches stellt eine Art Selbsttherapie dar und richtet sich an Betroffene und Angehörige.

Ich als Leserin, die weder an Angst- und Zwangsstörungen leidet, noch Kontakt mit Betroffenen hat, fand es hochinteressant, mehr über diese Problematik zu erfahren. Hanka Rackwitz beschreibt nicht nur, wie und warum ihre Zwänge auftreten, sondern auch, wie sie damit umgeht und was ihr hilft. Ihre Therapeutin kommt in einigen Kapiteln zu Wort und ergänzt eine Perspektive von außen. Wie das Buch auf Betroffene wirkt, kann ich nicht einschätzen. Mir hat es einen sehr guten ersten Einblick in das Krankheitsbild gegeben.

Weniger interessant fand ich die viel zu ausführlichen biographischen Details. Sicher, die eigene Vergangenheit ist eng verbunden mit psychischen Störungen, aber die seitenlange Beschreibung von chronologisch aufgelisteten Exfreunden und Familiengeschichten haben mich doch sehr gelangweilt. Zumal, und das ist meiner Meinung nach das große Manko an diesem Buch, der Stil des Buches überhaupt nicht überzeugt: viel zu salopp und etliche Floskeln, die absolut nichts aussagen. Vielleicht mag sich das an ihren frechen Charakter anlehnen, durch den sie im TV bekannt geworden ist. Jedoch waren einige Absätze so grausig und flapsig formuliert, dass ich den Eindruck hatte, die Rohfassung des Textes wurde ohne jegliche Korrektur übernommen. So konnte ich schwer über inhaltlich öde Stellen hinwegsehen und die thematisch spannenden Kapitel litten auch darunter.

Fazit: Hanka Rackwitz schildert ihre Angst- und Zwangsstörung in einer sehr ehrlichen und persönlichen Art. Leider war das Lesen des Buches aufgrund des Schreibstils und langatmiger Detailbeschreibungen dennoch kein großes Vergnügen.

Hanna Rackwitz, Ich tick nicht richtig
mvg Verlag, 2016

Autorin der Rezension: Franziska Schmidt – Danke nach Sofia!

Rezension: Sophia Khan, Das Leuchten meiner Welt

Die Debutautorin Sophia Khan ist die Tochter eines pakistanischen Vaters und einer amerikanischen Mutter. Die 31-Jährige lebte in beiden Ländern, reist viel und wohnt seit einigen Jahren in Islamabad.

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Wie fühlt es sich an, zu erfahren, dass die eigene Mutter ein geheimes Parallelleben geführt hat? Irenies Mutter verschwand vor fünf Jahren. Seitdem lebt die 15jährige mit ihrem Vater allein. Sie übernimmt den Haushalt, die beiden reden wenig miteinander. Auch nicht über das Verschwinden der Mutter. Bis Irenie auf dem Dachboden eine Kiste mit Briefen findet. Für sie eröffnet sich ein großes Geheimnis ihrer Mutter, dem sie von da an nachgeht und deren Spuren sie bis nach Pakistan führen.

Die Autorin gibt sich viel Mühe, die Charaktere sehr genau zu zeichnen. Die Perspektiven zwischen den Protagonisten wechseln sich ständig ab, was herausfordernd und gleichzeitig interessant ist. Auch das Aufzeigen der Verbindungen zwischen dem Nahen Osten und Amerika gelingt der Autorin gut. Als Leserin bekomme ich ein lebhaftes Bild von Irenies amerikanisch-pakistanischer Familie und auch die Schauplätze und Nebenfiguren werden sehr anschaulich und detailliert beschrieben. Das lässt die Geschichte leider an vielen Stellen auch etwas zäh wirken.

Großes Minus sind für mich die jedem Kapitel vorangestellten Briefausschnitte, die an Kitschigkeit kaum zu überbieten sind. Ansonsten ist das Buch zwar gefühlvoll, aber erträglich. Als Leserin habe ich ein vorhersehbares Ende erwartet, wurde aber eines Besseren belehrt.

Fazit: Ein emotionales Buch, das tiefsinniger als eine leichte Strandlektüre ist. Dennoch ist die Geschichte an vielen Stellen zu schnulzig und langatmig erzählt. Ich bin dennoch gespannt, wie sich die nächsten Bücher der jungen Autorin entwickeln, da die amerikanisch-pakistanische Sichtweise sehr viel Potential für interessante Geschichten birgt.

Sophia Khan, Das Leuchten meiner Welt
Diana Verlag, 2016
Autorin der Rezension: Franziska Schmidt

Rezension: Hugo Hamilton, Jede einzelne Minute

Der irisch-deutsche Autor Hugo Hamilton wurde 1953 in Dublin geboren. Hamilton feierte als Autor international Erfolge und arbeitet inzwischen auch als Dramatiker.

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„Jede einzelne Minute“ erzählt die Geschichte einer Reise von Úna und Liam, zwei irischen Schriftstellern. Ùna ist schwer krank und wünscht sich kurz vor ihrem Tod mit ihrem jüngeren Freund Liam, nach Berlin zu fahren. Die Geschichte ist angelehnt an eine Reise, die der Autor Hugo Hamilton 2008 mit der irischen Schriftstellerin Nuala O’Faolain unternahm, die damals an Krebs erkrankt war.

Der Leser begleitet Ùna und Liam auf ihrem Sightseeing Trip durch Berlin. Dabei geht es weniger um ihre Erlebnisse in der Stadt, sondern vielmehr um ihre Lebensgeschichten, die sie sich einander im Laufe der Tage erzählen. Hugo Hamilton schafft es, diese Anekdoten kurzweilig zu gestalten. Die Sätze stecken voller Weisheit und ohne jeden belehrenden Zeigefinger. Hamilton verpackt die Anekdoten vielmehr in poetische Sätze und Dialoge. Auch die Freundschaft der beiden Protagonisten wird berührend erzählt. Ùna ist eine sehr bestimmte alte Dame, um die sich Liam sehr fürsorglich kümmert und sie gleichzeitig bewundert. Eine einprägsame Szene spielt sich im Taxi ab, in dem Liam Ùnas Zehnnägel schneidet. Die beiden Protagonisten schätzen einander als Schriftsteller und sind genau deswegen gnadenlos ehrlich zueinander. Sehr respektvoll kommentieren sie das Leben des anderen und teilen ihre Gedanken über Ùnas baldigen Tod.

Die einzige Schwachstelle des Buches ist die Rolle von Berlin. Die Stadt wirkt im Buch auf mich wie eine lieblose Kulisse, sehr oberflächlich dargestellt. Das will so gar nicht zur sonstigen Tiefe der Geschichte passen. Sehr passend wiederum ist das einfühlsame Nachwort von Elke Heidenreich. Sie beleuchtet noch einmal die Beziehung zwischen Hugo Hamilton und Nuala O’Faolain als Hintergrund des Romans, was mir als Leserin sehr geholfen hat, das Buch besser zu verstehen.

Ein sehr berührendes Buch voll Weisheit und menschlicher Wärme.

Hugo Hamilton, Jede einzelne Minute
In der Übersetzung von Henning Ahrens
Luchterhand, 2014
Autorin der Rezension: Franziska Schmidt

Rezension: Christina Schwarz, Die Leuchtturmwärterin

Die US-amerikanische Autorin Christina Schwarz wuchs in Wisconsin auf und lebt inzwischen in Kalifornien. Ihr Debut „Novemberkind“ stand im Jahr 2000 wochenlang auf der Bestsellerliste der New York Times.

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1898: Gertrude „Trudy“ Swan, Tochter einer gutbürgerlichen Familie in Wisconsin, soll sich bald mit dem Sohn einer befreundeten Familie vermählen. Sie verliebt sich jedoch in den freigeistigen Oscar. Sie heiraten kurzentschlossen und ziehen gemeinsam nach Kalifornien. Soweit eine wenig originelle Geschichte, die man so oder ähnlich schon in unzähligen Frauenromanen findet. Gut, Oscar und Trudy ziehen auf die verlassene Insel Point Lucia, wo Oscar als Leuchtturmwärter arbeitet. Eigentlich ein ungewöhnliches und interessantes Setting, aber die Geschichte kommt nicht so richtig in Gang.

Da sind zum einem die Protagonisten, die sehr flach und stereotypisch daher kommen und zu denen ich daher als Leserin keine Verbindung aufbauen konnte. Zum anderen die endlos erscheinenden Beschreibungen von Trudys Gefühlsleben und ihrem einsamen Alltag auf der Insel. Im Laufe des Romans gibt es Zeitsprünge ins Jahr 1977. Jane, die als Kind auf Point Lucia lebte, besucht diesen Ort noch einmal und erinnert sich an Trudy, ebenfalls mit sehr langatmigen Ausführungen.

Auch sonst plätschert die Geschichte bis zum Ende des Buches vor sich hin. Trudy und Oscar leben sich auseinander. Oscar interessiert sich für Elektrizität, Trudy erforscht die Flora und Fauna der Insel und unterrichtet die Kinder der Familie Crawley, mit denen beide zusammen auf der Insel leben.

Im letzten Viertel des Buches dann – endlich! – eine spannende Wendung. Trudy entdeckt, dass auf der Insel eine mysteriöse Frau in einer Höhle lebt, die letzte Überlebende eines indigenen Stammes. Es enthüllen sich Geheimnisse der anderen Bewohner von Point Lucia und Trudy gerät mit ihrem Ehemann in eine ernsthafte Auseinandersetzung, wie weit die anthropologische Erforschung der indigenen Frau gehen darf. Am Ende löst sich dieser Konflikt dann in einem, zugegeben, spannenden Showdown. Diese Spannungskurve hebt sich die Autorin leider bis zum Schluss auf.

Positiv hervorzuheben ist der Einblick in die gesellschaftlichen Konventionen, mit denen sich die Protagonistin auseinandersetzen muss, insbesondere ihrer Rolle als Ehefrau. Doch auch das kann leider nicht über die eintönige Gestaltung der restlichen Geschichte hinwegtäuschen.

Fazit: Setting und Idee des Romans sind interessant. Leider hat die Autorin keine packende Geschichte daraus entwickelt. Im letzten Viertel des Buches nimmt die Geschichte dann  noch Fahrt auf, die knapp 200 vorherigen Seiten kann man sich getrost sparen.

Christina Schwarz, Die Leuchtturmwärterin
btb Verlag, 2016
Autorin der Rezension: Franziska Schmidt

Rezension: Franziska Walther, Werther Reloaded

Johann Wolfgang von Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ ist für die einen Erinnerung an eine lästige Pflichtlektüre in der Schule, für andere eine zeitlose Geschichte über Liebe und Verzweiflung. Franziska Walther, Illustratorin der Reloaded-Version, ist in der Goethestadt Weimar geboren und studierte an der dortigen Bauhaus-Universität. Heute arbeitet sie als freie Grafikerin und Illustratorin in Weimar und Hamburg.

www.kunstanstifter.de
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242 Jahre nach dem Erscheinen wagt sich Franziska Walther mit „Werther Reloaded“ an Goethes Briefroman. Spannend ist dabei nicht nur das Format einer Graphic Novel. Die Illustratorin möchte die tragische Geschichte nämlich nicht nacherzählen, sondern lediglich als Referenz nutzen, so heißt es im Nachwort.

2016: Protagonist Werther ist ein hipper Art Director in New York. Er führt ein exzessives,  aber sinnenentleertes Leben mit  One-Night-Stands, Partys und Drogen. Seine Gefühle teilt er der Welt über die sozialen Medien mit. Auf mich wirken diese ersten Seiten des Buches zu gewollt modern und klischeebeladen. Mehr Tiefe erhält Franziska Walthers Neuinterpretation, als sich Werther nach einem Zusammenbruch eine Auszeit in der Natur nimmt. Ab diesem Teil werden die Illustrationen mit Originalauszügen aus Goethes Roman kombiniert, was hervorragend funktioniert. Die mit Hashtags versehenen Bilder auf der Social-Media Plattform Instagram ziehen sich weiter durch das Buch, was meiner Meinung nach nicht notwendig gewesen wäre, um den aktuellen Bezug herzustellen.

Bei einer Party lernt Werther Lotte kennen und verliebt sich. Wie aus Goethes Klassiker bekannt, ist diese jedoch bereits an Albert vergeben. Zurück in New York, wird Werther von den Gedanken an Lotte weiter verfolgt und stürzt in einen Strudel aus Depression und Suizidgedanken. Bei der Gestaltung des Endes, soviel sei gesagt, löst sich Franziska Walther von der Originalgeschichte.

Durch die kleinen Abwandlungen der vertrauten Handlung wird diese Graphic Novel in keinem Moment langweilig, selbst wenn man Goethes Klassiker in und auswendig kennt. Im Gegenteil: Es macht Lust darauf, noch einmal in Goethes Werk von 1774 reinzulesen. Umso mehr habe ich mich als Leserin gefreut, dass der vollständige Originaltext als Anhang abgedruckt ist. Interessant ist dabei auch, noch einmal die Inspiration für Franziska Walthers Bilder vor Augen zu haben. Ihre Illustrationen sind sehr farbintensiv und überraschen auf jeder Seite neu. Hier wird klar, dass Graphic Novels eine ganz eigene Kunstform darstellen, die zu Recht mehr und mehr den deutschen Markt erobern.

Fazit:  Ein ästhetisch sehr ansprechendes Buch! Franziska Walther schafft es, Werthers tragische Geschichte in die Gegenwart zu transportieren, obwohl die Neuinterpretation an manchen Stellen etwas übertrieben wirkt. Dank der bekannten Vorlage ist dieses Buch ein empfehlenswerter Einstieg für alle, die sich noch nie an das Genre Graphic Novel gewagt haben.

Franziska Walther, Werther Reloaded
Kunstanstifter Verlag, 2016
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Werther-Reloaded-9783942795371
Autorin der Rezension: Franziska Schmidt

Rezension: Michaela Vieser und Irmela Schautz, Für immer und jetzt. Wie man hier und anderswo die Liebe feiert

Ein weiteres Buch über Liebe – braucht es das im Jahr 2016 überhaupt noch? Wir kennen Hollywoodfilme, unzählige Lieder, Bücher, Studien und Ratgeber. Dennoch wird das Thema niemals alt. Wir staunen immer wieder, wie facettenreich man sich dem Mysterium nähern kann. Einen weiteren Versuch unternehmen Michaela Vieser und Irmela Schautz mit ihrem Buch „Für immer und jetzt – wie man hier und anderswo die Liebe feiert“.

www.kunstmann.de
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Autorin Michaela Vieser ist eine Weltenbummlerin aus dem Bilderbuch: Schulausbildung in New York, Studium der Japanologie in London und später Formatentwicklerin für chinesische Medien. So erklärt sich wohl die aufmerksame, fast schon anthropologische Sichtweise, mit der sie in diesem Buch Bräuche, Traditionen und Rituale aus aller Welt vorstellt: Liebe suchen, finden und feiern. Leidenschaft mit allen Sinnen erleben, aushalten und zur Schau stellen. Emotionen im digitalen Zeitalter und sich selbst lieben.

Das Gefühl der Liebe scheint universell zu sein, funktioniert aber überall ein bisschen anders. Man staunt schon sehr über Traditionen wie den Brautraub in Kirgistan, Besuchsehen in China, Penislollis und thailändische Großfamilien, die vor dem Ehebett wachen. Bei den AbaGusii in Kenia werden frisch Getraute drei Tage lang aufs Übelste gedemütigt – wer das aushält, übersteht wohl auch die Ehe. Doch um auf sonderbare Rituale zu treffen, muss man noch nicht einmal weit reisen: Bei unseren Nachbarn in Niederösterreich stecken sich Mädchen beim Tanzen Apfelschnitze unter die Achselhöhlen, die der Angebetete dann verspeisen darf. Autorin Michaela Vieser erklärt die Bräuche mit einer humorvollen, aber keineswegs albernen Art und schließt jedes der 16 Kapitel mit eigenen Ideen zur Umsetzung der Rituale sowie einem passendem Rezept. Besonders hervorzuheben sind die liebevollen Illustrationen von Irmela Schautz.

Mein Fazit: Ja, ein weiteres Buch über die Liebe braucht es unbedingt! Und zwar dieses! „Für immer und jetzt“ zeigt, wie unterschiedlich und kreativ der Weg der Liebe aussehen kann. Jedoch darf der Leser keineswegs einen Ratgeber erwarten, da die meisten Ideen eher zur Unterhaltung als zur Nachahmung geeignet sind. Dank der entzückenden Illustrationen ist das Buch auch als Geschenk geeignet – nicht nur für frisch Verliebte.

Michaela Vieser und Irmela Schautz, Für immer und jetzt. Wie man hier und anderswo die Liebe feiert
Verlag Antje Kunstmann, 2016
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Fuer-immer-und-jetzt-9783956140648
Autorin der Rezension: Franziska Schmidt

Rezension: Manuel Möglich, Deutschland überall – Eine Suche auf fünf Kontinenten

Der Journalist Manuel Möglich ist bisher vor allem als Fernsehreporter bekannt. Seine Sendung „Wild Germany“ auf ZDFneo wurde 2011 für den Deutschen Fernsehpreis nominiert. Der 37-Jährige arbeitete nach seinem Studium der Medien- und Kulturwissenschaft auch als Radiojournalist bei 1LIVE und schrieb für Magazine wie Spex und VICE. Manuel Möglich lebt in Berlin.

Quelle: www.rowohlt.de
Quelle: www.rowohlt.de

Was ist deutsch? Was macht Deutschland und die Deutschen überhaupt aus? Dieser Tage durchaus heftig diskutierte und interessante Fragen. Umso spannender, dass Reporter Manuel Möglich Antworten darauf im Ausland sucht. Jedoch sei gleich zu Beginn gesagt: wirklich neue Einsichten über die deutsche Identität bekomme ich als Leser in diesem Buch nicht. Zumindest nicht abseits der altbekannten Klischees von Oktoberfest, Pünktlichkeit und Weißwurst. Die Schwarzwälder Kuckucksuhr prangt dazu auf dem Cover.

Gut, also kann man das Buch getrost im Regal stehen lassen? Mitnichten! Denn „Deutschland überall“ bietet zwar keine bahnbrechenden Erkenntnisse über das Bild der Deutschen im Ausland. Dafür darf der Leser den Autor auf eine spannende Reise begleiten: Tschechien, Samoa, Brasilien, Rumänien, USA und China. Jedem dieser Länder ist ein Kapitel gewidmet. In jedem findet sich ein geschichtlicher Exkurs, der erklärt, warum Manuel Möglich gerade an diesem Ort Spuren der deutschen Kultur sucht. Das mag für Experten eventuell überflüssig sein. Für jemanden mit durchschnittlichem Geschichtswissen bieten diese Exkurse jedoch viele neue Erkenntnisse über die deutsche Geschichte.

Das Besondere an diesem Buch ist die Art und Weise, wie Manuel Möglich mit seiner Rolle als Reporter umgeht: Er bezieht Position, reflektiert offen seine Erfahrungen. Wie soll er sich verhalten, wenn die 83-jährige Inge in Brasilien ungehemmt rassistische Parolen schwingt? Was passiert, wenn der Autor neugierig Rauschpfeffer ausprobiert? Die Reportage lebt von bizarren Erlebnissen und den spannenden Menschen, auf die Manuel Möglich trifft. Der Autor schildert auch Situationen, in denen er sich unwohl fühlt, in denen er gefrustet ist, dass nicht so richtig etwas passiert. Diese subjektive Perspektive kennt man bereits aus TV-Sendungen wie „Wild Germany“. Sie funktioniert jedoch auch wunderbar in diesem Buch. Weil er gnadenlos ehrlich ist, ohne Selbstdarstellung und Floskeln einfach erzählt, was ihm passiert und wer ihm begegnet. Dazu kommt ein sehr lockerer Schreibstil, der zugegeben nicht für jeden zugänglich ist.

Typisch deutsch? Beleuchtetes Haus zu Weihnachten in Ostfriesland. Quelle: Archiv Detlef M. Plaisier
Typisch deutsch? Beleuchtetes Haus zu Weihnachten in Ostfriesland. Quelle: Archiv Detlef M. Plaisier

Hervorzuheben ist außerdem der sensible Umgang des Autors mit dem Thema Nationalismus. Er trifft auf seinen Reisen oft Personen mit fragwürdigen und sehr antiquierten Einstellungen. Das verurteilt er aber nicht per se, sondern fragt nach dem Ursprung dieser Ansichten. Er selbst reflektiert seine Rolle als „Deutscher“ fortlaufend: wie unangenehm es manchmal ist, sich mit seiner Herkunft zu „outen“ oder wie wenig er mit dem Gefühl des Nationalstolzes anfangen kann. Sehr spannende und aktuelle Fragen, die der Reporter dem Leser in diesem Buch mit auf den Weg gibt.

Mein Fazit: Schade, dass dieses Buch so stark mit der Suche nach der deutschen Identität beworben wird. Ein „gänzlich neues Bild von uns Deutschen“ wird dem Leser definitiv nicht gezeichnet. Löst man sich von dieser Erwartungshaltung, ist „Deutschland überall“ eine sehr lebendige Reisereportage, die interessante Hintergründe und Sichtweisen bietet. Macht definitiv Lust, den Koffer zu packen und selbst an verrückte Orte zu fliegen!

Manuel Möglich, Deutschland überall – Eine Suche auf fünf Kontinenten
Rowohlt Berlin, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Deutschland-ueberall-9783871342004
Autorin der Rezension: Franziska Schmidt

Rezension: Aljoscha Brell, Kress

„Kress“ ist Aljoscha Brells Romandebut. Der 35-jährige Autor wurde im nordrhein-westfälischen Wesel geboren, lebt und arbeitet inzwischen in Berlin. Dort leitet er ein Team von Webentwicklern in einem IT-Unternehmen. 2008 war er Stipendiat der Autorenwerkstatt Prosa des Literarischen Colloqiums Berlin. Ein Jahr später erhielt Aljoscha Brell das Alfred-Döblin-Stipendium der Berliner Akademie der Künste. An seinem Debut schrieb Aljoscha Brell acht Jahre. Im September 2015 erschien „Kress“ dann im Ullstein Verlag.

Quelle: www.ullsteinbuchverlage.de
Quelle: www.ullsteinbuchverlage.de

Kress – einfach krass!
Der Protagonist Kress gehört nicht gerade zu den typischen Studenten in der Hipster-Hauptstadt Berlin. Nein, eigentlich verkörpert er das komplette Gegenteil. Das Internet kennt er nur vom Hörensagen, sein Leben kreist um Goethe. Sein einziger Gesprächspartner ist die Taube an seinem Fenster, die er mit „Sie“ anspricht. Als Leserin schüttele ich auf nahezu jeder Seite des Buches den Kopf: so kurios und sozial inkompetent kann ein Mensch doch gar nicht sein! Der Literatur- und Philosophiestudent verachtet seine Altersgenossen und das Leben, das sie führen. Partys, WG-Leben, Reisen – alles Zeitverschwendung für Kress

Diese arrogante Einstellung bringt Autor Aljoscha Brell sprachlich wunderbar zu Papier. So gut, dass ich Kress‘ Überheblichkeit sogar irgendwie sympathisch finde. Ich leide mit, als sein eingespieltes Leben zwischen dem Neuköllner Hinterhofzimmer und seinem Stammplatz in der Bibliothek erschüttert wird. Die große Krise: er ist pleite, sein Traum einer akademischen Karriere gerät ins Wanken und eine Kommilitonin verdreht ihm den Kopf. Und er stellt sich dabei so unbeholfen an, dass es mir weh tut. Ein unsicherer Typ, immer eine Achterbahn der Gefühle, dumme Kurzschlussreaktionen: die Geschichte wirkt manchmal ein bisschen übertrieben, aber überaus originell und rührend erzählt.

Mein Fazit
Eine Geschichte wie diese habe ich wirklich noch nie gehört oder gelesen – absurd, dieser Kress! Es ist faszinierend, in die Gedankenwelt solch einer Person einzutauchen. Aljoscha Brell spielt dabei mit Humor, Melancholie und einer authentischen Sprache. Sehr lesenswert!

Aljoscha Brell, Kress
Ullstein, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Kress-9783550081095
http://www.ullsteinbuchverlage.de/nc/autor/name/Aljoscha-Brell.html
www.aljoschabrell.de
Vielen Dank für die erste Rezension an Franziska Schmidt!