Meine Leseempfehlungen 2015: 12 Titel und ein Buch für Weihnachten

Genauer gesagt: Es sind Lesempfehlungen des Jahres 2015 von Autoren, die für meinen Blog rezensiert haben. Allen sage ich ein herzliches Dankeschön für die investierte Zeit und die ehrlichen, einfühlsamen Beurteilungen. Auch 2016 wünsche ich uns allen viel Lesevergnügen!

Hinweis: Die folgende Reihenfolge ist keine Rangfolge. Die Bildrechte der Cover liegen bei den Verlagen.

Mihailescu_GuterMannMittelfeld_P02DEF.inddTIPP 1: Andrei Mihailescu, Guter Mann im Mittelfeld (Hanser)
„Das Buch führt uns vor Augen, dass es keinen Grund gibt, als Europäer auf andere Erdteile herabzublicken. Ist es doch gar nicht so lange her, als vor unserer Haustür selbst Terror-Regime an der Macht waren. Eine unbedingte Leseempfehlung!“

TIPP 2: E. L. Doctorow, In Andrews Kopf (Kiepenheuer & Witsch)
„Ein Buch für alle, die mit schöner regelmäßigkeit an ihrem verstand zweifeln – und gerade deswegen in den Kopf anderer eintauchen möchten.“

TIPP 3: Vladimir Sorokin, Telluria (Kiepenheuer & Witsch)
„Wer bereit ist, sich auf radikale Stilwechsel einzulassen, sich nicht vor einer düsteren Zukunftsprognose fürchtet und Verständnis für die russische, oft etwas melancholische Seele hat, der wird Telluria lieben.“

TIPP 4: Ester Verhoef, Gegenlicht (btb)
„Selten habe ich ein so tief- und nahegehendes Psychogramm einer Persönlichkeit gelesen.“

TIPP 5: Tilman Strasser, Hasenmeister (Salis Verlag)
„Eine Empfehlung für all jene, die sich gern in die Abgründe der menschlichen Psyche versenken – und darin untergehen.“

Sedano Örtchen CoverTIPP 6: Nina Sedano, Happy End. Die stillen Örtchen dieser Welt (Eden Books)
„Klolektüre vom Feinsten und dennoch zu schade für einen Standort auf dem Abort.“

TIPP 7: Thomas Brussig, Das gibt’s in keinem Russenfilm (S. Fischer)
„Ein unbedingt empfehlenswertes, weil originelles Buch, mit selbstironischem Augenzwinkern und getragen von großer Fabulierkunst.“

TIPP 8: Bill Bryson, Sommer 1927 (Goldmann)
„Bill Bryson beweist, dass es einfach nur Spaß machen kann, sich mit historischen Themen und Zusammenhängen zu befassen.“

Cover HoneydewTIPP 9: Edith Pearlman, Honeydew (Ullstein)
„Edith Pearlmans Erzählungen sind eher Pralinés als Honigtau. Am besten genießt man sie auch so: Stück für Stück und nicht zu viele auf einmal.“

TIPP 10: Henriette Hell: Achtung, ich komme! In 80 Orgasmen um die Welt (Blanvalet)
„Ein lesenswertes Buch, nicht nur für Frauen. Auch die Männer können hier noch Einiges lernen.“

TIPP 11: Christina Baker Kline, Der Zug der Waisen (Goldmann)
„Die tiefgründige Erzählung lebt von viel Gefühl, einer großzügigen Prise Humor und großem schriftstellerischem Talent.“

kumala-zigarettenmädchen-print240TIPP 12: Erik Lindner, Auf der Suche nach dem Nudossi-Äquator
„Ein Muss für jeden, der mit Halloren Kugeln, f6 oder Schwalbe schöne Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend in der DDR verbindet.“

BONUS: Ratih Kumala, Das Zigarettenmädchen (Cultur Books)
„Ratih Kumala gelingt durch ihre einfühlsame Erzählweise ein Kunststück, dasnur wenige Autoren meistern: Sie erschafft plastische Bilder im Kopf des Lesers.“

Rezension: Esther Verhoef, Gegenlicht

Esther Verhoef, 1968 in den Niederlanden geboren, ist eine Sachbuch- und Krimi/Thrillerautorin. Für ihre Bücher wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Mit dem vorliegenden Buch kam sie sofort auf Platz 1 der niederländischen Bestenliste. Esther Verhoef lebt mit ihrem Mann in Südfrankreich.

Eine Frau und drei Männer. Eine Frau, die den schrecklichen Erfahrungen ihrer Kindheit und Jugend nicht entfliehen kann. Eine Frau, die endlich den Mut aufbringt, sich ihr eigenes Glück zu gönnen. Wie viel Leid kann ein Mensch ertragen, ohne verrückt zu werden?

Quelle: www.randomhouse.de
Quelle: www.randomhouse.de

Inhalt
Vera, eine Tierfotografin, seit 20 Jahren verheiratet, trifft sich seit zwei Jahren regelmäßig alle sechs Wochen für eine Nacht mit ihrem Liebhaber, der ebenfalls verheiratet ist. Beide erleben diese Stunden sehr intensiv. Es ist mehr als Sex. Es sind die Gespräche über fast alles, die sie so mit ihren jeweiligen Partnern nicht führen können.

Lucien, Veras Mann, hat ebenfalls eine Affäre, von der Vera etwas ahnt. Er kann nicht damit umgehen, dass Vera auf Grund ihrer Kindheitserlebnisse keine eigenen Kinder will. Als Luciens Vater seiner Familie bei einem Familienessen von seiner unheilbaren Krankheit erzählt, unternehmen alle gemeinsam eine letzte Reise nach Florida. Dort lernt Vera Luciens Halbbruder Aaron kennen, der spürt, dass zwischen Vera und ihrem Mann vieles im Argen liegt. „Es braucht nicht viel, um ein Leben aus den Angeln zu heben.“ (S. 444) Diese Erfahrung wird Vera selbst machen, und das, was sie erleiden muss, ist mehr, als manche Menschen ertragen können. Rückblickend sagt sie: „Angst war meine Triebfeder, mein Geleit, mein Schutz… Aber ich habe nicht gelebt.“ (S. 473)

Der Roman erzählt Veras Wandlung von einer zutiefst verängstigten und bindungsscheuen Frau hin zu einer Frau, die den Kampf gegen ihre inneren Dämonen aufnimmt und fast daran zerbricht. Einer ihrer Leitsprüche ist: „Man ist die Person, die man sich entschieden hat zu sein, jeden Tag aufs Neue.“ (S. 34) Als alles über ihr zusammenbricht, resümiert sie resigniert: „Glücklich sein zu wollen ist vielleicht noch zu viel verlangt.“ (S. 587)

Formelles
Das Buch besteht aus zwei Teilen, wovon der erste Teil 460 Seiten einnimmt und der zweite 144 Seiten. Im ersten Teil setzt die Autorin jedem Kapitel der Gegenwart ein kurzes der Vergangenheit (andere Schriftart, die Kapitelnummer statt in Ziffern in Buchstaben) voran. In den Kindheitskapiteln wird von einer, durch Gewalterfahrungen und Angst geprägten Schulzeit erzählt. Die Erwachsenen kommen darin nur am Rande vor, jedenfalls nicht als Helfer und Beschützer. Auch die besondere Rolle der psychisch kranken Mutter nimmt breiten Raum ein.

Die Autorin erzählt in der Ich-Form, wodurch sie dem Leser einen unmittelbaren Zugang zur Protagonistin ermöglicht. Die einzelnen Kapitel sind sehr kurz, oft nur zwei bis drei Seiten. Für mich war dieses ständige Umschalten von Vergangenheit auf Gegenwart und umgekehrt sehr anstrengend. Ich hätte gern länger in einer Zeitebene verweilt und wäre dem Handlungsverlauf lieber weiter gefolgt. Dadurch fiel es mir am Anfang auch schwer, zu den Figuren eine tiefere Bindung herzustellen. Andererseits erhielt das Ganze durch den schnellen Wechsel auch einen ungeheuren Drive, ein Tempo, das es mir schwermachte, das Buch aus der Hand zu legen.

Mein Fazit
Dieses Buch ist uneingeschränkt zu empfehlen. Selten habe ich ein so tief- und nahegehendes Psychogramm einer Persönlichkeit gelesen; die Hauptfigur, die 38-jährige Vera, ist eine Protagonistin, mit der man mitleiden und mitfiebern kann.

Esther Verhoef, Gegenlicht. Aus dem Niederländischen von Stefanie Schäfer.
btb, München 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Gegenlicht-9783442747443
Autorin der Rezension: Cornelia Lotter
www.autorin-cornelia-lotter.de