Rezension: Yasmina Khadra, Die Lämmer des Herrn

Vorangestellt diesem Roman von Yasmina Khadra ist ein Nietzsche-Zitat, das das Gedächtnis als den einzigen Mitwisser ausweist, welcher von einigen mitunter getrübt und misshandelt werde, um zumindest an diesem Rache zu nehmen. Damit ist hier nicht bloß jener nachträgliche nostalgisch-verklärende Blick auf die eigene Vergangenheit gemeint, sondern das Zurechtrücken der eigenen Biografie, welches die selbst begangenen Grausamkeiten schlicht nicht mehr sehen oder erinnern will.

Yasmina Khadra sind die beiden Vornamen der Ehefrau des algerisch-stämmigen Autors Mohammed Moulessehoul. Der 1955 geborene Moulessehoul war, bis er im Jahr 2000 den hochrangigen Dienst quittierte, Offizier in der algerischen Armee. Er kämpfte unter anderem gegen die islamistische Gewalt in seinem Land. Nach immerhin 36 Jahren der Zugehörigkeit, seit er als Neunjähriger von seinem Vater in die Obhut einer Militärakademie gegeben worden war, verließ er das Militär und emigrierte nach Frankreich. Zuvor zwang ihn ein Erlass, der es Angehörigen der Armee auferlegte, Publikationen einer Zensurbehörde vorzulegen, seine Bücher unter einem Pseudonym zu veröffentlichen. Zunächst unter dem Namen des Protagonisten seiner Kriminalromane „Commissaire Llob“, dann unter den beiden Namen seiner Frau. Erst im September 1999 deutete er in einem Interview mit „Le Monde“ an, das sich dahinter keine Frau verberge, bevor er sich im Exil vollends zu erkennen gab.

Yasmina Khadra, „grüner Jasmin“, konterkariert dabei sehr gut, was sich in den Ohren einer westlichen Rezeptionserwartung nur zu gut ausnehmen würde. Doch statt einer verängstigten oder gar unterdrückten Frau verbarg sich hinter diesem, wie es der „Guardian“ formulierte, eben ein „soldier-novelist“ oder auch „a man of war“. Und dieser beschreibt in „Die Lämmer des Herrn“ diese seine Wirklichkeit, die er als Soldat aktiv begleitet hat – die eines andauernden Kriegszustands. Genauer, des Bürgerkriegs, dem Algerien anheim fiel, als nach der Befreiung von der französischen Kolonialherrschaft und dem Fall des Monopols der „Nationalen Befreiungsfront“ (NFL) der wirtschaftliche Niedergang des Landes eine erste Phase der Demokratisierung zunehmend erstickte.

Als ein möglicher Wahlsieg islamistischer Kräfte 1991/92 zu einem Wahlabbruch und zur Anordnung zur Auflösung der „Islamischen Heilsfront“ (FIS) führten, rief diese zum bewaffneten Kampf gegen die intervenierende algerische Armee auf. Exemplarisch schildert Moulessehoul dies hier an der Gemeinschaft des Dorfes Ghachimat, das zunächst noch unberührt von den ersten, sich 1988 ausbreitenden Unruhen in Algier bleibt. Im Zentrum rückt dabei das Werben dreier junger Männer um dieselbe Frau, die unterschiedlicher nicht sein könnten, zunächst aber freundschaftlich verbunden sind: Allal, der Polizist ist, Kada, der Lehrer, und der in den Tag hinein lebende Jafer. Als sich die Tochter des Bürgermeisters jedoch nicht für Kada entscheidet, radikalisiert sich dieser und lässt sich als Mudjaheddin nach Afghanistan entsenden.

Moulessehoul entlarvt hier symptomatisch, wie enttäuschte Träume, auch die an eine „Dämonkratie“ (sic!), zu religiös motivierter Gewalt führen. Und wie sich unter deren Deckmantel Opportunismus und Kriminalität entfalten können. Er kleidet dies in eine klare, beinahe schlichte Sprache, unter der ab und an kurze Naturbeschreibungen und Landschaftsskizzen luzide hervorstechen. Dies ist bewusst gesetzter Kontrast zu der geschilderten drastischen Gewalt in der menschlichen Gemeinschaft während der Schreckensherrschaft der jungen Islamisten. Obwohl sich Moulessehoul redlich bemüht, auch über die drei Freunde hinaus ein differenziertes Bild der Dorfgemeinschaft mit je wechselnden Perspektiven und Motiven zu liefern, ist es offenkund, wem dort seine Sympathien gelten und wem nicht.

„Die Lämmer des Herrn“ ist Tendenzliteratur im besten Sinne: Ein schnörkelloser und schonungsloser Bericht aus der Misere Nordafrikas. Mord, Vergewaltigungen oder Bombenanschläge – der Terror – als islamistische Antwort auf nicht fruchtende Demokratiebestrebungen und den Bruch mit der sich auflösenden traditionellen Dorfgemeinschaft. Und dies noch aus einer Zeit lange vor dem sogenannten „Arabischen Frühling“.

Yasmina Khadra: Die Lämmer des Herrn
Aufbau Verlag, Berlin 2011
Übersetzung von Les agneaux du Seigneur, Paris 1998

Autor: Manuel Niemann
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