Rezension: Christina Baker Kline, Der Zug der Waisen

Christina Baker Kline wuchs in England und in den USA auf. Sie unterrichtete Literatur und Kreatives Schreiben und wurde als Buchautorin und Herausgeberin von Anthologien bekannt. Ihr Roman „Der Zug der Waisen“ war in den USA ein großer Erfolg und führte viele Monate die Charts der New York Times an.

Quelle: www.randomhouse.de
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Eine ganz besondere Freundschaft
Im Mittelpunkt des Romans stehen zwei Frauen, die auf den ersten Blick nicht gegensätzlicher sein könnten: Die 17jährige Halbwaise Molly hat schon ein turbulentes Leben in verschiedenen Pflegefamilien hinter sich und ist so auf die Gothik-Schiene geraten. Auch in ihrer neuen Pflegefamilie läuft es nicht gut. Eines Tages gerät sie in Schwierigkeiten und wird zu Sozialstunden verurteilt, die sie dank ihres Freundes bei der 91jährigen Vivian ableisten kann. Sie soll der alten Dame helfen, ihren Dachboden zu entrümpeln. Sind beide zunächst nicht sehr angetan von der Aufgabe, wird eines doch schnell klar: Entrümpelt werden soll gar nichts. Vielmehr scheint es so, als ob Vivian all ihr Habe noch einmal – ein letztes Mal? – genau sehen möchte. Beim Betrachten der „Schätze“ erinnert sich Vivian an die nicht immer leichten Stationen ihres Lebens: Langsam und vorsichtig wird aus dem Erinnern ein Erzählen und ein Austausch. Begegnen sich Molly und Vivian zunächst voller Vorsicht, entwickelt sich doch langsam aber sicher eine wundervolle Freundschaft zwischen ihnen, bei der sie sich einander öffnen und zu vertrauen lernen. Denn eines ist klar: So verschieden, wie es auf den ersten Blick scheint, sind die beiden Frauen dann doch nicht. Sie sind einander eher viel ähnlicher, als man je zu vermuten gewagt hätte.

Ein vergessenes Kapitel amerikanischer Geschichte wird neu geschrieben
Denn beide Frauen teilen eine Gemeinsamkeit: Eine sehr harte Vergangenheit, die sie nachhaltig prägen sollte. Molly verlor den Vater und die Mutter war nicht mehr in der Lage, sie zu versorgen. Auch Vivian wurde nach einem verheerenden Brand zur Waise. Gemeinsam mit vielen anderen Kindern wurde sie 1929 in einen so genannten „Orphan Train“ verfrachtet und in den Mittleren Westen geschickt, wo sie auf einer Farm ein neues Zuhause finden sollte. Ein liebevolles Heim erwartete dabei aber nur die wenigsten Kinder, und auch Vivian hatte schwere Bewährungsproben zu erdulden, bevor ihr Leben in geordneten Bahnen verlief.

Mein Fazit
Christina Baker Kline greift mit dieser Thematik ein bisher kaum bekanntes Kapitel der US-amerikanischen Geschichte auf und vermischt es mit der Geschichte einer ganz besonderen Freundschaft. Präzise recherchiert bringt sie die Fakten über die „Orphan Trains“, die zwischen 1854 und 1929 über 200.000 Waisen in den Mittleren Westen brachten, in ihr Buch ein und überzeugt dabei mit einer eingängigen Sprache und einem gefühlvollen Stil. Präzise Beschreibungen, die neben der Recherche auch auf Zeitzeugenberichten basieren, geben der ernsten Thematik die nötige Tiefe. Die tiefgründige Erzählung lebt von viel Gefühl, einer großzügigen Prise Humor und großem schriftstellerischem Talent.

Christina Baker Kline, Der Zug der Waisen
Goldmann, 2014
Trailer zum Buch: https://www.youtube.com/watch?v=NC2zHfUiOvQ
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Der-Zug-der-Waisen-9783442313839
Autorin der Rezension: Julia Groß

Rezension: Roger Cockrell (Hrsg.), Michail Bulgakow – Ich bin zum Schweigen verdammt

Quelle: www.randomhouse.de
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Autor und Werk
Michail Afanassjewitsch Bulgakow wurde am 15. Mai 1891 in Kiew geboren und zählt zu den bedeutendsten Satirikern der russischen Literatur. Nach dem Abitur absolvierte er zunächst erfolgreich ein Medizinstudium, bevor er im Oktober 1921 nach Moskau ging und dort zu schreiben begann. An dieser Stelle setzt das Werk „Ich bin zum Schweigen verdammt“ an. Es umfasst die Briefe und einige Tagebucheintragungen Bulgakows aus den Jahren 1921 bis 1940 und wurde im März 2015 zu seinem 75. Todestag veröffentlicht.

Schreiben unter schwersten Bedingungen – Opfer der Zensur
Ließen sich die ersten Moskauer Jahre noch gut an (Bulgakow schrieb und publizierte in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften und veröffentlichte auch einige Prosastücke), wendete sich das Blatt im Jahr 1929 gravierend. Bei einer Hausdurchsuchung wurden Bulgakows persönliche Tagebücher sowie seine satirische Erzählung „Hundeherz“ beschlagnahmt und erste Verbote seiner Bücher und Theaterstücke auf den Weg gebracht.

Ab 1930 wurden die Werke Bulgakows endgültig nicht mehr veröffentlicht und seine Stücke verschwanden von den Spielplänen des Theaters. Eine unwürdige Existenz und ein Kampf ums Überleben begannen für den Mann, dessen Leben allein die Schriftstellerei war. In seinen Briefen beklagt er dies bei Freunden und Bekannten, sucht nach Rat und bittet um Hilfe – auch bei staatlichen Instanzen. Solle es keine Arbeit für ihn geben, dann wolle er wenigstens kurz das Land verlassen, um neue Kraft zu tanken oder Aufträge zu finden.

Gefangen im eigenen Land
Doch auch die Ausreise, und sei sie auch nur zu Urlaubszwecken, wurde Bulgakow verwehrt. Er war somit gezwungen, in Moskau zu bleiben, bei unveränderter Arbeitssituation und immer schlechterer Gesundheit. Bulgakow arbeitete als Dramaturg und schrieb, immer mit dem Wissen, nie veröffentlicht zu werden oder erneut dem Verriss und der Zensur zum Opfer zu fallen. Der Kampf gegen die Windmühlen setzte sich unerbittlich fort und sollte bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1940 nicht enden.

Politik und Schriftstellerei
Neben seinen Problemen als Schriftsteller wird in seinen Briefen und Tagebüchern auch das große Interesse am Zeitgeschehen deutlich. So beschäftigt er sich gerade in den ersten Jahren stark mit den politischen Geschehnissen in der UdSSR und der internationalen Situation außerhalb des eigenen Landes, die er mit scharfem Blick verfolgt.

Mein Fazit
Für mich sind Briefromane und Tagebuchaufzeichnungen immer ein besonderer Lesegenuss, schildern sie die Geschehnisse doch immer aus einer authentischen und persönlichen Sicht. „Ich bin zum Schweigen verdammt“ ist eine klare Buchempfehlung für jeden Leser, der biografische Lektüre zu schätzen weiß und dabei noch ein großes Interesse für den Menschen Bulgakow, Russland, das Theater und die geschichtlichen und politischen Ereignisse der Zeit hat. Ergänzt werden die Briefe und Aufzeichnungen durch einen ausführlichen biographischen und bibliographischen Anhang, sodass das Buch in seiner Gesamtheit zu einem unverzichtbaren Zeugnis des Lebens Bulgakows wird.

Roger Cockrell (Hrsg.), Michail Bulgakow – Ich bin zum Schweigen verdammt
Luchterhand, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Ich-bin-zum-Schweigen-verdammt-9783630874661
Autorin der Rezension: Julia Groß
https://zimttraeumereien.wordpress.com/