Die KiWi-Preview Frühjahr 2016

Heute schon lesen, was morgen erscheint: Die KiWi Preview Frühjahr 2016, das Gratis-Lesebuch von Kiepenheuer & Witsch, ist ein kostenloses Lesebuch von knapp 450 Seiten. Darin gibt’s exklusive Vorab-Leseproben, Hintergründe zu den Büchern, Weblinks zu Autorenseiten und die Möglichkeit, die vorgestellten Frühjahrsbücher zu gewinnen.

kiwiDie KiWi Preview Frühjahr 2016 bietet Spannung und Unterhaltung rund um die Welt: Isabel Bogdans entführt ihre Leser mit britischem Humor auf einen Landsitz in den schottischen Highlands, Shida Bazyar zeigt uns Teheran, das Debut von Frank Goosen spielt an der Ostsee, Minna Lindgren spannt drei alte Damen als Stadtführer in Helsinki ein, und mit Nick Cave hüpfen wir über den großen Teich auf Tour durch die USA.

Ich habe gestern von KiWi ein kleines Päckchen bekommen mit Shida Bazyar, Nachts ist es leise in Teheran und Michael Kumpfmüller, Die Erziehung des Mannes. Ich bin gespannt, ob die Vorab-Lobeshymnen vor allem für Shida Bazyar gerechtfertigt sind. Aber ob ich das noch vor der Buchmesse schaffe….

Hier ist der Link zum Download der Preview mit Gewinnspiel:

http://www.kiwi-verlag.de/buecher/specials/kiwi-ebook-download-portal-kiwi-preview-fruehjahr-2016.html

Rezension: Alina Bronsky, Baba Dunjas letzte Liebe

Alte Leute im radioaktiv-verseuchten Dorf Tschernowo – das Thema von Alina Bronskys jüngstem Roman reizt mich nicht wirklich. Doch immerhin ist das Buch ansprechend schlank. 154 Seiten, das sollte machbar sein. Kurze Zeit später bedaure ich, dass es nur 154 Seiten sind…

Quelle: www.kiwi-verlag.de
Quelle: www.kiwi-verlag.de

Strahlend schönes Leben
Die über achtzigjährige Baba Dunja ist die erste, die Jahre nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl in ihr altes Heimatdorf Tschernowo zurückkehrt. Ihrem Beispiel folgen bald andere alte Leute, die nichts mehr zu verlieren haben. Unverwüstlich fristen die Greise dort einen beschaulichen Lebensabend, trinken Wasser aus dem Brunnen, naschen verstrahlte Früchte aus ihrem Garten und verarbeiten ihre dahingeschiedenen Hühner zu kräftigenden Suppen. Alle paar Wochen unternimmt einer der Alten den langen Fußmarsch zur kilometerweit entfernten Haltestelle, hofft auf gut Glück, dass der Bus in die nächstgelegene Stadt noch immer fährt und kauft dann dort für alle ein, was man nicht selbst anbauen kann. Ansonsten bleiben die Dorfbewohner von der Welt und dem 21. Jahrhundert so abgeschottet und unbehelligt wie nur irgend möglich – ohne Flachbildfernseher, Internet, Telefon. Das einzige Handy, das jemals nach Tschernowo mitgebracht wurde, fand dort keinen Empfang. Was kein allzu großes Unglück darstellt: Schließlich gehe von den Dingern Strahlung aus, wie Baba Dunjas Nachbarin Marja zu berichten weiß.

Idyllisch erzählt
Die erfahrene Autorin Alina Bronsky erzählt sehr liebevoll und mit leisem Witz. Ohne mich auch nur ansatzweise mit den Romanfiguren zu identifizieren, kann ich mich doch in alle einfühlen. So anschaulich malt Bronsky ihre Geschichte. Die „Todeszone“ Tschernowo erscheint – durch die Augen Baba Dunjas betrachtet – wie die letzte Idylle, wo alles seinen Platz und seine Richtigkeit hat, die heißen trockenen Sommer, ebenso wie die kalten Winter, die Kranken und die Gesunden, die Lebenden und die Toten. Der Titel „Baba Dunjas letzte Liebe“ meint sicherlich mehreres: Den Geist ihres verstorbenen Mannes Jegor, der sie stets begleitet, auch ihre Enkelin Laura, der sie beständig Briefe schreibt, obgleich sie ihr nie begegnet ist, maßgeblich aber spricht er wohl ihre Heimat an, der sie selbst um den Preis der Trennung von ihrer Familie treu bleibt.

Mein Fazit
Ich konnte dem Roman keine explizite Moral oder tiefere Botschaft entnehmen und war auch nicht gewillt, danach zu suchen. Die Geschichte ist einfach wunderschön geschrieben, weder traurig, noch fröhlich, und hat bei mir, ohne dass ich es erklären könnte, ein gutes Gefühl hinterlassen. Wer also gerade ohne Lesestoff ist, sollte hier getrost zugreifen.

Alina Bronsky, Baba Dunjas letzte Liebe
Kiepenheuer & Witsch, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Baba-Dunjas-letzte-Liebe-9783462048025
Autorin der Rezension: Katja Weber

Rezensionsreihe Finnland zur Frankfurter Buchmesse 2014, Teil 5: Sofi Oksanen, Als die Tauben verschwanden. Oder: Volksseelenwanderung

Liebe Leserinnen und Leser: wohl selten war es so wertvoll, auf meine Meinung einen Dreck zu geben. Denn was jetzt kommt, könnt ihr glauben oder auch nicht. Mit diesem Buch tue ich mich nämlich sehr sehr schwer. Und mit der Besprechung dazu fast noch mehr.

Quelle: www.kiwi-verlag.de
Quelle: www.kiwi-verlag.de

Normalerweise startet man als Rezensent ja vorurteilslos frei ins Lesen eines Romans, oder sollte es zumindest versuchen. Das hier in der Kritik stehende Werk von Sofi Oksanen wurde mir allerdings schon vorab in mehreren TV-Kritikerrunden und noch mehr Feuilletons dermaßen wortgewaltig und tiefschürfend um die Ohren gehauen, dass eine objektive Beschäftigung mit Form oder Inhalt keine realistische Option war. Warum? Weil ich den schärfsten Lästereien über diese Prosa fast uneingeschränkt zustimmen muss. Vom Start weg und in allen Punkten.

Aber Vorsicht! Dieses Buch ist auch ausgesprochen konsequent! In seiner Diktion. In seinem Impetus. Und ja, auch in seiner ganz eigenen Wahrhaftigkeit. Und eben das kann vielen Lesern ausgesprochen gut gefallen. Anderen dagegen ganz und gar nicht.Zu den Letzteren gehöre ich.

Die Fakten: 1941 wird Estland von der Wehrmacht okkupiert. Die Soldaten fangen reichlich Tauben, um sie zu essen. Der Titel ist damit geboren. Der Plot behandelt den Lebensweg von drei zentralen Protagonisten: Edgar mit seiner unausgelebten Homosexualität ist opportunistisch bis zur Skrupellosigkeit; Juudith, seine Frau verliebt sich in den SS-Hauptsturmbannführer Hertz; und Roland, Vetter von Edgar, gibt den aufrechten Freiheitskämpfer. Stoff für Verwicklungen ist damit reichlich gewoben. Diese werden aus wechselnden Perspektiven beschrieben. Und nach den Nazis kommen die Sowjets. Deren Besatzungszeit bereitet die Bühne für die zweite Erzählebene und neuerliche “Charakterprüfungen“ der Figuren, angesiedelt in den Neunzehhundertsechzigerjahren in der Baltischen Sowjetrepublik. Wobei generell, ob 1944 oder 1966, die tiefere Gestaltung der Charaktere zugunsten der Handlungsstränge leider auf der Strecke bleibt.

Zum Erzählstil: hier muss ich den meisten Kritikern beipflichten. Insbesondere die Tonalität aus Perspektive von Juudith spielt schon fast ins Unerträgliche. Schwülstige Schöpfungsschilderungen treffen auf völkische Fantasien. Blut und Boden Symbolik feiert fröhliche Urständ. Nation und Natur werden zur Legitimation einer nordischen Identität, die sich dem Spielball der Geschichte so gut es eben geht zu erwehren versucht. Kann man ja machen. Und ich weiß aus eigenen Besuchen in Estland, dass die Angst dieses Landes vor einer erneuten Fremdherrschaft, ganz gleich von welcher Ideologie befeuert, einen Grundton des Alltagsbewusstseins vieler Menschen dort bildet. Ich persönlich mag es allerdings nicht so „allegorisch überdeutlich und melodramatisch süß“ – um hier mal den Kritiker der Süddeutschen Zeitung zu zitieren.

Unbestritten freilich hat Frau Oksanen, Jahrgang 1977, mit ihrer Herkunft den richtigen Background für diesen literarischen Versuch: sie ist Tochter einer estnischen Mutter und eines finnischen Vaters. Und ganz bestimmt werden viele Leser den Stil des Romans für sich auch sehr stark als zu Herzen gehend, poetisch, vielstimmig und lebendig erleben. Ich empfand es in großen Teilen halt einfach bloß als nationalistischen Kitsch – bin aber eben auch weder Este, noch Russe oder habe jemals in irgendeiner Armee gedient. Und zumindest Letzteres war meine eigene Entscheidung.

Sofi Oksanen, Als die Tauben verschwanden
Kiepenheuer & Witsch, August 2014
Online bestellen:  https://www.buchhandel.de/buch/Als-die-Tauben-verschwanden-9783462046618

Autor: Harald Wurst | ph1.de