Rezension: Tom Hillenbrand, Gefährliche Empfehlungen

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Fee erzählt vom Inhalt

Xavier Kieffer ist durch seine Freundin beim großen Fest des „Guide Gabin“ in Paris eingeladen. Eigentlich hat er die Sterneküche schon lange hinter sich gelassen und betreibt ein Restaurant in Luxemburg. Aber seine Freundin ist die jetzige Chefin des Guide Gabin und Nachfahrin des legendären Begründers. Beim Fest, während der Rede des Staatspräsidenten, gibt es einen Zwischenfall und der Strom fällt aus. Danach fehlt der „Guide Bleu“ aus dem Jahr 1939, der letzte gastronomische Sterneführer für Restaurants vor dem 2. Weltkrieg. Der Präsident und Xaviers Freundin bitten ihn, zu ermitteln.

 Fee meint

Mein erster E-Book-Krimi! Es fiel mir super schwer, diesen zu lesen, und das lag an der noch nicht vertrauten Technik und dem Aufbau des Buches. Zurückblättern, Lesezeichen setzen und die Legende all der  französischen Gerichte am Ende des Buches – wer die Printausgabe in Händen hält, hat es da bedeutend leichter. Außerdem sind die Tage vor Silvester an der holländischen Grenze ziemlich laut und man steht „unter Dauerbeschuss“. Was beim Liebesroman als E-Book noch flott ging, war hier langwieriger.

Der Krimi ist sehr spannend und ich habe es geschafft, ihn in vier Tagen über den Jahreswechsel auszulesen. Die Rezepte machten mich zum Teil hungrig. Gerne hätte ich das Spiegelei nach gastronomischer Art ausprobiert, doch leider habe ich die Seite nicht wiedergefunden. Blöde elektronische Lesezeichen!

Größter Mangel: Ich finde die Geschichte nicht plausibel, insbesondere die Rolle des französischen Präsidenten. Auch das furiose Finale samt Feuerwerk gefiel mir nicht. Verwirrend ist der Wechsel zwischen vielen verschiedenen Orten. Und selbst der Protagonist Xavier Kieffer wirkt auf mich stellenweise unglaubwürdig.

 … und das Feen Fazit

Einerseits war “ Gefährliche Empfehlungen“ spannend und gut. Andererseits war das Buch verwirrend, streckenweise langweilig und unplausibel, so dass ich eine Lesepause einlegen musste. Der Sprachstil ist nicht besonders anspruchsvoll und einfach nur nett. Soll das der Versuch sein, eine möglichst große Lesegemeinde anzusprechen? Dafür passt das Cover. Insgesamt nur eine Leseempfehlung mit Einschränkungen..

Tom Hillenbrand, Gefährliche Empfehlungen
Ein kulinarischer Xavier Kieffer-Krimi
Kiepenheuer & Witsch, 2017

Eine Rezension von „Lesezeichenfee“ Sylvia F. Wagner – Danke!

Die KiWi-Preview Frühjahr 2016

Heute schon lesen, was morgen erscheint: Die KiWi Preview Frühjahr 2016, das Gratis-Lesebuch von Kiepenheuer & Witsch, ist ein kostenloses Lesebuch von knapp 450 Seiten. Darin gibt’s exklusive Vorab-Leseproben, Hintergründe zu den Büchern, Weblinks zu Autorenseiten und die Möglichkeit, die vorgestellten Frühjahrsbücher zu gewinnen.

kiwiDie KiWi Preview Frühjahr 2016 bietet Spannung und Unterhaltung rund um die Welt: Isabel Bogdans entführt ihre Leser mit britischem Humor auf einen Landsitz in den schottischen Highlands, Shida Bazyar zeigt uns Teheran, das Debut von Frank Goosen spielt an der Ostsee, Minna Lindgren spannt drei alte Damen als Stadtführer in Helsinki ein, und mit Nick Cave hüpfen wir über den großen Teich auf Tour durch die USA.

Ich habe gestern von KiWi ein kleines Päckchen bekommen mit Shida Bazyar, Nachts ist es leise in Teheran und Michael Kumpfmüller, Die Erziehung des Mannes. Ich bin gespannt, ob die Vorab-Lobeshymnen vor allem für Shida Bazyar gerechtfertigt sind. Aber ob ich das noch vor der Buchmesse schaffe….

Hier ist der Link zum Download der Preview mit Gewinnspiel:

http://www.kiwi-verlag.de/buecher/specials/kiwi-ebook-download-portal-kiwi-preview-fruehjahr-2016.html

Rezension: E. L. Doctorow, In Andrews Kopf

Neueste Forschungsergebnisse und diverse esoterisch angehauchte Theorien besagen, dass auch Zellen ein Gedächtnis haben – und dass es etwas wie ein kollektives Bewusstsein gibt. Doch das ist nicht irgendwo gespeichert, sondern einfach da. Was würde aber geschehen, wenn man das Bewusstsein aller Menschen in einem Supercomputer speicherte? Würden die Menschen dann als ihre Geschichte lebendig bleiben oder würden sich eher Geschichte und Geschichten vermischen? Genau diese Frage ist der zentrale Punkt in E. L. Doctorows „In Andrews Kopf“. Der Text ist das letzte Buch des Autors, der im Alter von 74 Jahren am 21. Juli 2015 verstarb.

Quelle: www.kiwi-verlag.de
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Machen wir unsere Geschichte oder macht die Geschichte uns?
Andrew ist Professor der Kognitionswissenschaften und erzählt aus seinem Leben. Von der ersten Ehefrau, von der er sich scheiden ließ. Von der zweiten, die er eigentlich gar nicht geheiratet hat, die am 11. September 2001 starb. Von seinen Töchtern: Die eine starb seiner Meinung nach durch seine Schuld, weil er ihr ein falsches Medikament gab. Die zweite musste er nach dem Tod ihrer Mutter weggeben – zu seiner ersten Frau, als Wiedergutmachung. Von den Höhen und Tiefen, von den Glücksmomenten und dem tiefen Fall. Und von seinem Traum, einem Supercomputer, in dem das Bewusstsein all jener gespeichert ist, die einmal lebten und noch leben, jeder ihrer Gedanken, alle ihre Gefühle, jede Handlung, jedes Wort. Und davon, dass es damit möglich sein müsste, Verstorbene wieder lebendig werden zu lassen außerhalb unserer Erinnerung. Und wirft dabei immer wieder die Frage auf, ob wir unsere Geschichten bestimmen – oder die Geschichten, wer wir sind?

Wahrheit ist immer subjektiv
Doctorow lässt seinen Protagonisten Andrew sagen: „Heutzutage kann ich niemandem trauen, am allerwenigsten mir selbst“. Gemeint ist, dass wir alles durch Filter wahrnehmen und so unsere Erinnerung beeinflussen und verfälschen. Manches geht verloren, manches wirkt überdimensioniert. Und jeder Mensch erlebt die Wirklichkeit ein wenig anders, wenn auch die Unterschiede im Gespräch oft verwischen. Doctorow gelingt es, diese Verwirrung und Vermischung der unterschiedlichen Perspektiven in seine Sprache zu packen: manchmal für mich als Leser verwirrend, spricht der Protagonist abwechselnd von sich oder von „Andrew“, und die Einwürfe, die sein vermutlicher Psychotherapeut macht, sind teilweise nur an den Formulierungen oder Fragen zu erkennen. Damit wird der Leser immer weiter hineingezogen in die Welt „in Andrews Kopf“.

Mein Fazit
Verwirrend und faszinierend zugleich zwingt mich „In Andrews Kopf“ zum aufmerksamen Lesen. Je weiter ich lese, desto eher frage ich mich, was wirklich passiert ist. Was hat Andrew erfunden, damit die Abfolge der Ereignisse in seinem Kopf Sinn ergibt, sodass er nicht daran zerbricht? Ein Buch für alle, die mit schöner Regelmäßigkeit an ihrem Verstand zweifeln – und gerade deswegen gerne in den Kopf anderer eintauchen möchten.

E. L. Doctorow, In Andrews Kopf
Kiepenheuer & Witsch, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/In-Andrews-Kopf-9783462048124
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Vladimir Sorokin, Telluria

Immer schon haben Menschen darüber spekuliert, wie die Zukunft der Menschheit und der Erde wohl aussehen würde. Unzählige Bücher wurden geschrieben, um die Spekulationen festzuhalten und später mit der Realität abzugleichen. Bei Vladimir Sorokins „Telluria“ wünscht man sich, dass die Vision nie Wirklichkeit wird.

Quelle: www.kiwi-verlag.de
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Düstere Welten
Der eurasische Kontinent, Mitte des 21. Jahrhunderts: die Staaten, wie wir sie kennen, sind vom Erdboden verschwunden, stattdessen gibt es unzählige Klein- und Kleinststaaten. Köln, Bayern, Moskau sind beispielsweise eigene Republiken, jeder ist mit jedem verfeindet, der Kontinent ist als Folge der vielen Kriege völlig verwüstet. Europa wurde von den Taliban überrannt, die einen radikalen Islamismus installierten. Wissenschaft und Forschung haben Fortschritte gemacht, Autos fahren mit Kartoffelgas, und dank der Gentechnik gibt es riesige Arbeitspferde, die wieder als Beförderungsmittel dienen. Zugleich bevölkern allerlei seltsam anmutende Lebewesen die Erde: Kreuzungen aus Mensch und Tier, Zwerge, Riesen, lebendige Schachfiguren oder aufrecht laufende Hunde und Wölfe. Was alle Lebewesen miteinander verbindet, ist die Sehnsucht nach Telluria, dem gelobten Land. Die Republik Telluria ist das einzige Gebiet auf der Erde, wo die Tellur-Nägel nicht als Suchtmittel verboten sind, sondern zur Heilung und Behandlung eingesetzt werden. Die Tellur-Atome gehen, wenn die Nägel an passender Stelle in den Kopf geschlagen werden, eine Verbindungen mit den chemischen Botenstoffen im Gehirn ein, und führen zu einem Rauschzustand, in dem die Benutzer keine Angst, Schmerzen oder Trauer kennen. Da spielt es auch keine Rolle, wenn bei falscher Benutzung durch die „Zimmerleute“ oder schlechten Bedingungen die Nutzer an den Nägeln sterben – die Sehnsucht nach dem Rausch ist größer. Und so treibt es alle Protagonisten des Buches nach Telluria, wo sie sich endgültige Befriedigung ihrer Sucht erhoffen.

Feuerwerk der Stile
Vladimir Sorokin hat keinen eigenen Stil – oder vielmehr, er hat alle. In 50 Episoden, die völlig unterschiedlich gestaltet sind, vom Märchen zur Dokumentation, vom Heldenlied über Gedicht zu Epos, von der Reiseerzählung zum Roman, werden die Situationen der Protagonisten geschildert; unzusammenhängend und doch wie ein Mosaik ein Ganzes ergebend, da sich die verschiedenen Blickwinkel alle zu einem Ereignis ergänzen. Telluria ist keine fortlaufende Erzählung, es gibt keinen roten Faden, und so ist der Leser in jeder Episode gezwungen, sich im Hinblick auf Protagonisten, Szenerie, Schreibstil und Handlung völlig neu zu orientieren. Das macht den Stoff interessant, damit aber auch zu einer anspruchsvollen Lektüre.

Mein Fazit
Wer bereit ist, sich auf radikale Stilwechsel einzulassen, sich nicht vor einer düsteren Zukunftsprognose fürchtet und Verständnis für die russische, oft etwas melancholische, Seele hat, der wird Telluria lieben. Zeitgleich ist der Text ein wichtiger aktueller Denkanstoß zu der Frage, was geschieht, wenn wir eine Politik der Abschottung und des Nationalismus auf die Spitze treiben und damit zunehmend alle humanistischen und sozialen Werte aus der Gesellschaft drängen.

Vladimir Sorokin, Telluria
Kiepenheuer & Witsch, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Telluria-9783462048117
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Alina Bronsky, Baba Dunjas letzte Liebe

Alte Leute im radioaktiv-verseuchten Dorf Tschernowo – das Thema von Alina Bronskys jüngstem Roman reizt mich nicht wirklich. Doch immerhin ist das Buch ansprechend schlank. 154 Seiten, das sollte machbar sein. Kurze Zeit später bedaure ich, dass es nur 154 Seiten sind…

Quelle: www.kiwi-verlag.de
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Strahlend schönes Leben
Die über achtzigjährige Baba Dunja ist die erste, die Jahre nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl in ihr altes Heimatdorf Tschernowo zurückkehrt. Ihrem Beispiel folgen bald andere alte Leute, die nichts mehr zu verlieren haben. Unverwüstlich fristen die Greise dort einen beschaulichen Lebensabend, trinken Wasser aus dem Brunnen, naschen verstrahlte Früchte aus ihrem Garten und verarbeiten ihre dahingeschiedenen Hühner zu kräftigenden Suppen. Alle paar Wochen unternimmt einer der Alten den langen Fußmarsch zur kilometerweit entfernten Haltestelle, hofft auf gut Glück, dass der Bus in die nächstgelegene Stadt noch immer fährt und kauft dann dort für alle ein, was man nicht selbst anbauen kann. Ansonsten bleiben die Dorfbewohner von der Welt und dem 21. Jahrhundert so abgeschottet und unbehelligt wie nur irgend möglich – ohne Flachbildfernseher, Internet, Telefon. Das einzige Handy, das jemals nach Tschernowo mitgebracht wurde, fand dort keinen Empfang. Was kein allzu großes Unglück darstellt: Schließlich gehe von den Dingern Strahlung aus, wie Baba Dunjas Nachbarin Marja zu berichten weiß.

Idyllisch erzählt
Die erfahrene Autorin Alina Bronsky erzählt sehr liebevoll und mit leisem Witz. Ohne mich auch nur ansatzweise mit den Romanfiguren zu identifizieren, kann ich mich doch in alle einfühlen. So anschaulich malt Bronsky ihre Geschichte. Die „Todeszone“ Tschernowo erscheint – durch die Augen Baba Dunjas betrachtet – wie die letzte Idylle, wo alles seinen Platz und seine Richtigkeit hat, die heißen trockenen Sommer, ebenso wie die kalten Winter, die Kranken und die Gesunden, die Lebenden und die Toten. Der Titel „Baba Dunjas letzte Liebe“ meint sicherlich mehreres: Den Geist ihres verstorbenen Mannes Jegor, der sie stets begleitet, auch ihre Enkelin Laura, der sie beständig Briefe schreibt, obgleich sie ihr nie begegnet ist, maßgeblich aber spricht er wohl ihre Heimat an, der sie selbst um den Preis der Trennung von ihrer Familie treu bleibt.

Mein Fazit
Ich konnte dem Roman keine explizite Moral oder tiefere Botschaft entnehmen und war auch nicht gewillt, danach zu suchen. Die Geschichte ist einfach wunderschön geschrieben, weder traurig, noch fröhlich, und hat bei mir, ohne dass ich es erklären könnte, ein gutes Gefühl hinterlassen. Wer also gerade ohne Lesestoff ist, sollte hier getrost zugreifen.

Alina Bronsky, Baba Dunjas letzte Liebe
Kiepenheuer & Witsch, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Baba-Dunjas-letzte-Liebe-9783462048025
Autorin der Rezension: Katja Weber