Ehrenamtsmesse Winschoten: … und plötzlich wird daraus ein Politikum

UPDATE 28. Juni 2018
Ich habe in den letzten drei Tagen viele Gespräche geführt.  Ich habe mich über das Thema Konzentrationslager und Polen informiert; so kompakt, wie ich es trotz meiner intensiven Beschäftigung mit der NS-Zeit noch nie zuvor getan habe.

Der Ausdruck „polnisches Konzentrationslager“ in meinem Beitrag war von Beginn an geographisch gemeint. Nie habe ich damit den Bezug zu einem von Polen errichteten oder betriebenen Konzentrationslager herstellen wollen.

Jetzt höre ich die Stimmen: Ah, er knickt ein. Er will doch nur weiter nach Polen einreisen können. Ja, ich ziehe diese Passage zurück, habe sie korrigiert und entschuldige mich dafür. Und das, weil ich einen Fehler gemacht habe. Ja, es gab von Polen betriebene Lager auf polnischem Boden. Dies waren jedoch Internierungslager, z.B. in Lamsdorf/Łambinowice. Es gab jedoch keine polnischen Vernichtungslager. Dieser Terminus ist falsch. Ich bedaure das. Das speziell von mir angesprochene Lager Sobibor wurde Anfang 1942 während der deutschen Besatzung Polens auf polnischem Boden von Deutschen errichtet.

Ich danke dem Polnischen Institut Leipzig für die Aufklärung zur Faktenlage. Eines bleibt für mich jedoch bestehen: Ich verurteile scharf die Einmischung einer regierungsnahen polnischen Organisation über die Grenzen hinweg. Ich habe dies dem deutschen Außenministerium mitgeteilt.


Ich mag Polen. Das Restaurant „Poniatowski“ war in Leipzig mein zweites Wohnzimmer. Mit großem Herzen habe ich mich für den Erhalt des Polnischen Institutes Leipzig eingesetzt. Aber was mir heute widerfahren ist, das behagt mir gar nicht.

Ich erhalte eine Mail mit hoher Dringlichkeit von Mira Wszelaka, Chairman of the Polish League Against Defamation (Polnische Liga gegen Diffamierung). Dort heißt es:

We are writing in order to draw your attention to the fact that the gravely false and highly defamatory statement „polnische vernichtungslager“ is being used in your article.

There were only camps established by Germany in German-occupied Poland.

The proper reference to the German camps therefore is as follows:

  • Deutsche Lager im deutsch besetzten Polen
  • Deutsche Nazi-Lager im von Deutschen besetzten Polen
  • Deutsche Lager im von den Nazis besetzten Polen
  • Nazi-Lager im deutsch besetzten Polen

We do call you for correction.

Also, dass muss man sich mal ganz langsam klarmachen: Da sitzt eine Organisation in Polen und lässt einen Filter über meinen Blog laufen. Der meldet ein Suchwort, und ich bekomme Post. Erinnert ja irgendwie an Geheimdienst.

Und so weit entfernt ist das auch nicht. Die Polish League Againt Defamation steht der nationalkonservativen polnischen Regierungspartei PiS nahe. Verschiedene Organisationen bezeichnen die League Against Defamation als nationalistisch. Schon mehrfach ist die Liga durch spektakuläre Aktionen aufgefallen:

The Polish League Against Defamation recently [June 2017] sent a letter to Jan Grabowski’s employer, the University of Ottawa, to complain that the historian is engaged in ‚anti-Polish activities‘ that ‚defame the Polish nation‘. Grabowski’s research, for which he has been awarded Yad Vashem’s International Book Prize. focuses on crimes committed by Poles against Jews during WWII. The letter (which you can read here goo.gl/yk0zOB) was also sent to all publishers that have issued his books. The letter was signed by 134 academics – not one of whom was a specialist in the history of the Holocaust or related areas.

2010 verwendete die Bundeszentrale für politische Bildung in dem Buch Jüdisches Leben in Deutschland den Begriff „polnische Konzentrationslager“. Auf Intervention des polnischen Außenministeriums sagte die Bundeszentrale zu, die komplette Auflage von 800.000 Exemplaren aus dem Handel zu nehmen.

Wie reagiere ich? Nun, ich nehme das zur Kenntnis und lasse den Artikel weiterhin unverändert bestehen. Die Diskussion ist eröffnet. Wer mag, melde sich zu Wort. Wie ich zu erreichen bin, ist ja leicht herauszufinden. Mal sehen, ob weitere Post aus Polen kommt.

Rezensionsreihe Israel zur Leipziger Buchmesse 2015, Teil 1: Agnes Christofferson, Elsas Stern. Oder: Shoah-Schatten in Manhattan.

Auschwitz, Holocaust, bestialischer Völkermord, traumatisierte Überlebende und selbstvergessene Verbrecher, die sich in einem neuen Leben einzurichten versuchen… das ist alles in allem extrem harter Stoff. Wer sich diesem Thema als Autor stellt, verdient zunächst einmal großen Respekt, denn die Fallhöhe kann hier sehr hoch sein. Die gebürtige Polin Agnes Christofferson hat sich der Herausforderung gestellt. Und – abgesehen von wenigen Abstrichen – legt die Autorin mit ihrem Roman „Elsas Stern“ eine beeindruckende Geschichte vor: über miteinander verwobene Schicksale und die grenzenlose Grausamkeit, zu der Menschen fähig sind.

Quelle: www.acabus-verlag.de
Quelle: www.acabus-verlag.de

Die Handlung beginnt 1979 in New York. Elsa, Jüdin und Auschwitz-Überlebende, trifft sich mit ihrer Tochter Leni in einem italienischen Restaurant. Als ein älterer Mann die Gaststätte betritt, bricht Elsa offensichtlich geschockt zusammen. Im Krankenhaus kümmern sich Elsas Töchter Leni und Salome besorgt um ihre Mutter – diese benimmt sich allerdings zusehends immer seltsamer. Schließlich übergibt Salome das alte Tagebuch von Elsa an Leni. Und damit startet der zentrale Plot des Romans. Sie erfährt aus den Aufzeichnungen der Mutter nicht nur, wie ihre ganze Familie von den Nazis fast ausgelöscht wurde und dass Elsa in Auschwitz als Opfer brutalster Menschenexperimente leiden musste – auch ihre Schwester Salome ist nicht wirklich mit ihr verwandt… und es gibt einen skrupellosen Arzt namens Erich Hauser, der mit dem Schicksal ihrer Mutter auf verschiedenste Weise verknüpft ist.

Klar, der unbekannte Mann in der Pizzeria ist natürlich dieser grausame KZ-Arzt. Und die, übrigens recht knappe und literarisch wie dramaturgisch eher mittelmäßige, Rahmenhandlung, dreht sich um die Enttarnung des Mannes, der im New York der späten 1970er Jahre als Kinderarzt Peter Miller praktiziert. Zu großer Form läuft der Roman bei den Tagebuch-Sequenzen aus der Perspektive von Elsa auf. Dieser Strang macht rund 80 Prozent des Buches aus. Und keine Seite davon ist zu viel. Von der ersten Begegnung und sogar einem Flirt Elsas mit dem jungen „Erik“ Hauser in der Obhut eines versteckten Landsitzes bis zu den fürchterlichsten Beschreibungen des KZ-Alltags und schmerzhaft detaillierten Schilderungen medizinischer „Experimente“ des perversen Arztes in Auschwitz schont die Sprache dieses Buches den Leser nicht. Die realistische Härte der Prosa ist schlichtweg gewaltig. Und die Ambivalenz der Charaktere , ob SS-Männer, Kapos oder KZ-Insassen, gnadenlos in der Schilderung.

Autorin Agnes Christofferson, geboren 1976 in Polen und seit ihrem 12. Lebensjahr in Deutschland lebend, hat mit „Elsas Stern“ ein tatsächlich ergreifendes Buch geschrieben. Die Geschichte ist rein fiktiv – die Szenerie nicht. Und wer glaubt, zum Holocaust sei eigentlich alles schon gesagt, kann sich hier beim Lesen getrost selber fragen: Ist so ein Verbrechen je vergessen – oder heute wieder möglich? In diesem Buch findet der Leser die Antwort zwar nicht, aber es wird nach der Lektüre womöglich schwer sein, nicht danach zu suchen.

Agnes Christofferson, Elsas Stern
Acabus Verlag, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Elsas-Stern-Ein-Holocaust-Drama-9783862823109
Autor: Harald Wurst | ph1.de

Vorankündigung: Vorfreude auf „32 Postkarten – Post aus Nazi-Deutschland“ im ACABUS-Verlag

Vor mir liegt eine kleine Pressemappe, die mich mehrfach berührt.

Cover „32 Postkarten“

Der ACABUS Verlag kündigt für März die Veröffentlichung des Titels „32 Postkarten – Post aus Nazi-Deutschland“ an. Der Autor Torkel S Wächter sammelt und kommentiert darin Postkarten, die er vor zehn Jahren im Nachlass seines Vaters in Stockholm fand. Sie betreffen ihn direkt: Es sind echt gelaufene Briefkarten seiner deutsch-jüdischen Großeltern aus Hamburg, die sie 1940/41 an den Sohn in Schweden schrieben. Die letzte Karte ging am Nikolaustag 1941 direkt vor dem Abtransport in ein Konzentrationslager auf die Reise. Heute erinnern zwei Stolpersteine in Hamburg an das Schicksal der Wächters.

Torkel S Wächter konnte die Karten nicht lesen. Sie waren in Deutsch geschrieben und in Sütterlinschrift. Er lernte Deutsch, forschte in Archiven und sprach mit Zeitzeugen. Er lernte Verwandte kennen und erfuhr, über was bisher geschwiegen wurde.  Der Autor versteht „32 Postkarten“ als ein Vermächtnis für die heutige Generation und hat die Dokumente in ein größeres Kunst- und Literaturprojekt eingebunden, für das er mit authentischem Material aus dem Dritten Reich arbeitet.

Ich bin betroffen: Als Postkartensammler, als Familienforscher und als Bürger, der hier in Leipzig gegen die neuen und alten Nazis aufsteht.

Ich wünschte, auch ich hätte so ein Erbe meiner Familie.

Ich bin gespannt auf die Veröffentlichung, die als Paperback und als E-Book erhältlich sein wird.

Eine Rezension erfolgt hier nach der Leipziger Buchmesse.

http://www.32postkarten.com

www.onthisday80yearsago.com/de/

www.acabus-verlag.de