„Ich lese so schrecklich gerne vor“. Oberbürgermeister Burkhard Jung stellt ein Geständnis an den Beginn seiner Lesung bei „Buchmesse schmeckt“ und macht dann kurzen Prozess: In gerade mal 25 Minuten versteht er es, mit drei kurzen Passagen atemlose Stille zu erzeugen. Da fällt es nicht einmal auf, dass er vor dem Vortrag den Buchtitel unterschlägt.
„Diese Dinge geschehen nicht einfach so“ – ein Satz, der aktuell auf viele Lebensbereiche passt. Die Autorin Taiye Selasi verwendet ihn als Titel für ihren Debutroman, der 2013 uneingeschränktes Lob fand. „Schlicht atemberaubend“ attestierte die FAZ, und der SPIEGEL entdeckte „vielschichtige, großartige Literatur“. Jung wurde zur Buchmesse auf den Titel aufmerksam. Er teilt die Begeisterung, dämpft aber vor dem ersten Kapitel: „Ich mute Ihnen etwas zu, und es beginnt gleich mit dem Tod.“
Taiye Selasi zeichnet in ihrem Werk Innenansichten einer US-amerikanischen Familie, die wir heute als Multikulti bezeichnen würden. Sie selbst ist Kind dieser Kultur: Geboren in London als Tochter einer nigerianisch-schottischen Mutter und eines ghanaischen Vaters, wuchs sie in den USA auf. Ihr Roman zerstört schleichend und schonungslos das Idyll der Integration und wandelt es in einen Albtraum aus Demütigung, Ausgrenzung und Verrat. Dafür wählt Taiye Selasi eine poetisch-eindringliche Sprache, die grausam ist und zerbrechlich zugleich.
„Ich lese so schrecklich gerne vor.“ Burkhard Jung spielt es heute aus: Er versenkt sich in den Text, erschafft Bilder und akzentuiert variantenreich das Tempo. Enge in der linken Brust, eine geballte Faust – jede Geste ist stimmig. Der Multikulti-Schnupperkurs hat Lust gemacht: Nicht unbedingt auf Multikulti, aber auf die Geschichten von Taiye Selasi.