Rezension: Shreyas Rajagopal, Scar City. Oder: Incredible India

Sex, Drogen, Reichtum, Psychosen… hier kommt das selektiv aus der Perspektive einer jugendlichen Oberschicht betrachtete Indien der Gegenwart. Lakonisch, kosmopolitisch, zynisch und entsprechend des Handlungstempos im hastigen Präsens beschrieben.

Quelle: www.ullsteinbuchverlage.de
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Willkommen im Debütroman von Shreyas Rajagopal! Der Autor ist Jahrgang 1986 und lebt in Bombay, wo er – wie passend – im Finanzsektor arbeitet. Studiert hat er unter anderem am Indian Institute of Management, was sich aber, außer einer offensichtlichen Kenntnis der indischen Sozialstruktur, nicht wirklich in seinem Roman bemerkbar macht. Freilich aber zeigt dieses 2013 geschriebene Buch alle Merkmale eines literarischen Erstlingswerks: rasches Wechselspiel von Nähe und Distanz, unbekümmertes Experimentieren mit unterschiedlichen Stilen, die eitle Lust am Dokumentieren der eigenen Genialität und des Wissens „um die Dinge“ sowie das generelle Grundrauschen einer expressionistischen Wucht.

Worum geht’s? Student Rish kommt nach „Schwierigkeiten“ in New York für eine Auszeit nach Bombay zurück. Und er landet quasi unmittelbar in einem dämonischen Pantheon aus Freunden, Eltern, Drogendealern, ehemaligen und zukünftigen Sex- und Partygefährten… kurz: es startet eine Tour de Force für Körper und Geist. Und der Strudel aus Rausch und Hass auf die Gesellschaft dreht munter seine Runden. Ja, auch Bret Easton Ellis (American Psycho) lässt hier grüßen. Nicht nur durch die fast obsessive Erwähnung von Markenprodukten, sondern auch durch die gnadenlose Kälte der Eigen- und Fremdbeobachtung des Helden. Das Indien der Milliarden Menschen mit weniger als mindestens Millionärsstatus kommt dabei übrigens gerade noch als Staffage vor.

Wer nun aber glaubt: Aha, wieder so eine überdrehte Schnösel-Story aus dem Milieu der globalen Nichtsnutze mit „goldenem Löffel“ Syndrom… nun, der springt hier eindeutig zu kurz! Rajagopal schreibt hier aus der auktorialen Perspektive – und offeriert Rückblenden mit beeindruckenden Blicken in eine gequälte Psyche. Seine Sprache ist dabei so intensiv wie bildstark – und er trifft den Ton jeder Situation ausgesprochen stimmig. Ein Lob auch der deutschen Übersetzung. Auf so ein kongeniales Wort wie Durschnitten für eine Versammlung mittelmäßiger Fickangebote weiblicher Art muss man erst einmal kommen.

Und wo bleibt in dieser Geschichte nun die Moral? Erfreulicherweise gibt es die hier nicht! Es handelt nämlich keineswegs um einen klassischen „Coming of Age“ Plot, sondern die mitleidslose Schilderung einer Reise in den kontrollierten Wahnsinn. Wobei Rajagopal keinen Zweifel daran lässt, dass dieses Indien der abgehobenen Oberschicht demnächst ganz gewaltig um die Ohren fliegen wird. Bis dahin gilt ein typischer Satz aus der Gedankenwelt des Protagonisten Rish: Du bist wie Plastik – du wirst alles hier überdauern.

Shreyas Rajagopal, Scar City
Ullstein Hardcover, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Scar-City-9783550080647
Autor: Harald Wurst | ph1.de